Der Driv3r

Der Driv3r

Martin Edmondson ist ein Verrückter. Seine Obsession: Verfolgungsjagden. Zum Glück fällt das in seinem Job nicht auf, denn Edmondson ist Chefentwickler der "Driver"-Serie. Wir sprachen mit ihm über sein neues Spiel, dessen Filmvorlagen und viel zerknülltes Blech

Das Büro von Martin Edmondson ist lichtdurchflutet. Es liegt im obersten Stockwerk eines Bürogebäudes in Newcastle, von seinem Arbeitsplatz aus hat er einen wunderbaren Blick über die kleine Stadt im Norden Englands. Edmondson selbst sieht überhaupt nicht so aus, als gehöre er in dieses Büro. Mit dem gebräunten Gesicht, seinem weißen T-Shirt und der verwaschenen Jeans gehört er hinter das Steuer eines Ferrari Spider, aber nicht hinter einen Schreibtisch. Einzig das kleine Automodell, das vor ihm steht, gibt allem einen Sinn. Es ist ein roter 74er Ford Torino mit einem riesigen, weißen Zierstreifen. Es ist die „Striped Tomato“ aus der Siebziger-Jahre-Krimiserie „Starsky & Hutch“. Zwei Stockwerke unter der Chefetage sitzt das Team von Reflections in einem Großraumbüro und feilt mit Hochdruck an der Fertigstellung von Ataris nächstem Blockbuster: dem dritten Teil der „Driver“-Serie. Seit mehr als drei Jahren wird in Newcastle schon an dem Titel gearbeitet, jetzt ist „Crunch Time“, Endspurt. 80 Leute sitzen in verbrauchter Luft und unter dem permanenten Surren ihrer Computer mit angespannten Gesichtern vor den Bildschirmen und legen letzte Hand an die Städte, Charaktere und Autos in „DRIV3R“. Martin Edmondson lehnt sich im Sofa zurück. Das alles hier ist sein Werk, seine Idee, sein Baby. Mitte der Achtziger war Reflections noch ein kleines, durchschnittliches Programmierstudio, das Spiele für den Amiga entwickelte. Dann kam die Playstation und mit ihr der rasante Aufstieg von Martin Edmondson, seinem Bruder Gareth und ihrem ehemals kleinen Programmierstudio. „Destruction Derby“ war Reflections’ erstes Projekt auf Sonys neuer Überfliegerkonsole, ein durchschnittliches Spiel und trotzdem der Startschuss für Edmondsons Aufstieg. „Während der Entwicklung von ,Destruction Derby‘ hatte ich die Idee für ,Driver‘“, erzählt er. „Es gab im Spiel eine Strecke namens Crossroads. Sie war wie eine Acht geformt, in der Mitte gab es eine Kreuzung. Eines Tages fuhr ich auf diese Kreuzung zu und dachte: ‚Wäre es nicht cool, wenn an dieser Kreuzung eine Ampel stünde und die Autos keine Rennwagen, sondern ganz normale Autos wären? Und ich könnte mir aussuchen, ob ich weiter geradeaus oder rechts oder links fahren will?‘ Das war die Geburtsstunde von ,Driver‘.“ Und gleichzeitig die Geburtsstunde von Edmondsons Erfolg. Nun könnte man meinen: Wow, was für ein Geniestreich! Aber Martin Edmondson war weder ein Genie noch ein sagenhafter Glückspilz. Er machte nur das, was ihm das Liebste war: sich mit dem Verschrotten von Autos zu beschäftigen. „Mein Vater hat mich früher immer zu Destruction-Derbys mitgenommen. Ich war ein kleiner Junge, sieben Jahre alt, und ich war hingerissen von dem, was sich vor meinen Augen abspielte. Ich saß auf der Tribüne und verfolgte aufgeregt, wie sich die Autos in der Arena gegenseitig zu Klump fuhren. Zwischen den einzelnen Läufen schlich ich mich in die Boxengasse. Ich wollte die Autos von nahem sehen. Ich befühlte das verbeulte Blech, strich mit meinen Fingern über die Narben, die die metallenen Gladiatoren im Kampf davongetragen hatten. Und ich beobachtete die Mechaniker, wie sie die Autos notdürftig wieder zusammenflickten, um sie erneut in die Schlacht zu schicken. Am Endes des Tages kletterte ich auf den Absperrzaun der Arena und betrachtete die Wagen, die es nicht mehr zurück in die Box geschafft hatten. Wie gestrandete Wale, die in die Schiffsschraube eines Tankers gekommen waren, lagen sie da. Mit zerrüttetem Blech, abgeknicktem Fahrwerk und amputierten Reifen.“ Diese Faszination für zerstörtes Blech ist es, die Martin Edmondson dahin gebracht hat, wo er heute ist, das Spiel „Driver“ die logische Konsequenz einer Leidenschaft, die in den staubigen Arenen der Destruction-Derbys ihren Anfang nahm. „Ich saß bei meinen Großeltern im Haus und sah fern. Plötzlich flimmerte eine Vorschau für ,Gone In 60 Seconds‘ über den Bildschirm (das Original-,Gone In 60 Seconds‘, nicht der Remake mit Nicolas Cage, Anm. d. Red.). Ich sah eine Crashszene nach der anderen. Ich war begeistert. Dann kam ,Driver‘ in die Kinos, und die ganze Stadt war mit den Kinoplakaten zugekleistert. Ich nervte meine Eltern so lange, bis sich mein Vater bereit erklärte, mit mir ins Kino zu gehen. So hat alles angefangen.“ Und dann? „Autoverfolgungsjagden wurden mein Leben. Ich durfte jede Woche den Vorspann von ,Starsky & Hutch‘ gucken. Dort wurden immer kurze Episoden der einzigen wirklichen Verfolgungsjagd der Serie gezeigt. Diese Verfolgungsjagd war eigentlich ziemlich schlecht, und es gab immer nur kleine Ausschnitte im Vorspann zu sehen. Aber das langte mir damals völlig.“ Martin Edmondson ist also ein echter Autofreak. Wenn er über Autos redet, fängt der sonst eher introvertiert und abwesend wirkende Mann mit einem Mal an zu leben. Seine Stimme hebt sich, er beginnt zu gestikulieren. Und plötzlich sitzt er nicht mehr auf dem Sofa, sondern klemmt sich hinter das Steuer eines imaginären Fluchtwagens. Welche Ausmaße die Liebe zu schnittigem Fahrstil und zerknüllten Autos bei ihm angenommen hat, beweist eine andere Episode aus seiner frühen Jugend. Eines Tages brachte sein Vater einen Videorekorder mit. Er hatte sich das Ungetüm Marke Philips von einem Arbeitskollegen ausgeliehen. Kurze Zeit später lief „French Connection“ im Fernsehen. Klar, dass der kleine Martin diesen Film auf eine Videokassette bannen musste. „Danach saß ich tagelang vor dem Videorekorder und habe mir immer wieder die Verfolgungsjagd angeguckt. Leider hatte der Videorekorder noch keine Rückspulfunktion mit Bild. Man musste immer zuerst Stop drücken und dann blind zurückspulen, denn einen Zähler gab es natürlich auch nicht. Das hat mich so genervt, dass ich irgendwann eine Technik entwickelte, mit der ich den Videorekorder überlisten konnte. Ich habe gleichzeitig Play und Fast Rewind ge-drückt und konnte dann Bild für Bild zurückspulen. Ich weiß nicht, wie oft ich mir diese Verfolgungsjagd angeguckt habe.“ Über den Film, der immerhin einen Meilenstein des amerikanischen Kinos und den Durchbruch von Gene Hackman markiert, kann Edmondson indes keine Meinung abgeben. „Ich weiß gar nicht mehr so richtig, was eigentlich passiert. Ich habe immer nur die Verfolgungsjagd geguckt.“Ist das nicht irgendwie auch krank? „Es hatte schon etwas Obsessives“, gesteht Edmondson freimütig. „Ich entwickelte eine absolute Leidenschaft für die kleinen Details der Verfolgungsjagden. Ich studierte zum Beispiel ganz genau die Deformation der Autos. Manchmal waren Dellen, die in einer Szene durch einen Zusammenprall mit einem Brückenpfeiler entstanden waren, in der nächsten Szene nicht mehr da. Oder sie waren nachträglich mit einem Hammer in das Auto geschlagen worden. Ich stellte mir dann immer die vielen Autos vor, die die Filmcrew zur Verfügung haben musste. Wie viele von ihnen waren wohl für diese Verfolgungsjagd zerstört worden? Das war für mich extrem faszinierend.“ So wird auf einmal klar, worum es im Spiel „Driver“ eigentlich geht. Viele Spieler haben sich bei den ersten beiden Teilen der Serie gefragt, warum ,Driver‘ mit einem derartig opulent gestalteten Replay-Editor ausgestattet wurde. Auch wenn dieses Feature in fast allen Rezensionen als deutliches Plus gewertet wurde, haben sich wohl nur die wenigsten Leute die Mühe gemacht, ihre absolvierten Missionen in ein Hollywood-reifes Format zu schneiden. Doch genau das ist die Essenz des Spieles. Es geht darum, mit möglichst wenig Bodenhaftung auf der Hinterachse um die Kurve zu fahren, mit dem Heck des Autos ein paar am Straßenrand herumstehende Mülltonnen explodieren zu lassen, um dann wieder mit durchdrehenden Reifen nach vorn zu schießen. Wenn der dritte Teil von „Driver“ auf den Markt kommt, wird es zwangsläufig mit „GTA“ verglichen werden, und nicht wenige werden den Fehler begehen und Reflections den Vorwurf des Konzeptklaus machen. Doch die Vorbilder von „Driver“ sind nicht unter den Videospielen zu finden. Das waren sie noch nie. Erinnert sich noch jemand an die Mission aus dem ersten Teil, in der man eine U-Bahn verfolgen musste? „Das war eine Adaption der Verfolgungsjagd aus ‚French Connection’, in der Gene Hackman in einem braunen Pontiac Le Mans minutenlang der U-Bahn in Chicago hinterherhetzt“, klärt Edmondson auf. Und auch Tanner, der Hauptcharakter des Spiels, wurde nach Filmvorlagen entwickelt. Edmondson: „Steve McQueen aus ,Bullitt‘ und Ryan O’Neill aus ,Driver‘ haben für Tanners Charakter Pate gestanden. Frank Bullitt ist ein Undercover-Cop. Eigentlich steht er auf der richtigen Seite des Gesetzes, überschreitet aber bei allem, was er tut, den Grenzbereich der Legalität bei weitem. Er ist ein ,bad good guy‘. Genau wie Tanner. Und der Driver sagt im ganzen Film keine fünf Worte. Das haben wir für Tanner auch übernommen.“ Natürlich kann man das neue „Driver“-Game einfach als ein weiteres missionsbasiertes Action-Adventure betrachten. Als solches funktioniert es wunderbar und bleibt doch missverstanden. Es geht darum, mit möglichst viel Verve zu fahren, in halsbrecherischen Manövern das komplexe Schadensmodell des Spiels an die Grenze zu bringen, die Karre bis aufs Chassis zu zerlegen und am Ende trotzdem noch einen guten Drift auf die Straße zu zaubern. Für Puristen wie Edmondson schlägt das Herz des Spiels ohnehin im Survival-Modus. Da geht es einfach nur darum, den Bullen zu entkommen. Im Heck vier Streifenwagen, im Fußraum ein Gaspedal, das getreten werden will, und im Kopf die Bilder aus „Bullitt“, „French Connection“, und „Driver“. Es kann so schön sein, wenn Kinderträume wahr werden. Text: Michail Hengstenberg, Fotos: Klaus Merz
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2004 /

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