Christen-Doom

Christen-Doom

In zu vielen Videospielen steckt der Satan. Das behaupten zumindest die chrsitlichen Entwicklerstudios, die in Amerika allerorts aus dem Boden schießen. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Welt der Videospiel zu bekehren

Menconi trägt Schnauzbart und Schlapphut. Wenn er vor Tausenden von Leuten spricht, dann zieht er die Schultern hoch, so hoch, dass man seinen Hals nicht sieht. Seine Stimme ist laut und klar, aber manchmal überschlägt sie sich, klingt dann wie ein Stück Kreide, das über eine Tafel quietscht. Die Stimme ist intensiv, sie redet nicht, sie predigt. Immer wenn Menconi seine Geschichte erzählt, ist es die Geschichte einer Mission. Die Zuhörer nicken, manchmal lassen sie sich zu einem Kommentar hinreißen. Dann beten sie zusammen, oft, das ist notwendig, denn Menconi benötigt Kraft für seine Arbeit. In den Kirchen sagt er gern, er sei beim Räumungsdienst, bei der Müllabfuhr. Die Menschen in der Kirche wissen, dass Menconi einen harten Job hat, aber er beklagt sich nicht. Irgendjemand muss es ja machen. Menconis Job ist es, Satan aus Videospielen zu vertreiben. Er vertreibt ihn aus allen Medien. Als er es das erste Mal tat, da tat er es für seine Töchter, erklärt Menconi. Er sagt, er musste es tun, er fühlte es. Es war notwendig geworden, weil der schlechte Einfluss nicht zu übersehen war. Zwar war Ronald Reagan gerade Präsident der USA geworden, aber das hatte zu Menconis Verwunderung überhaupt nichts verändert. Im Gegenteil, das Böse wurde immer stärker, da konnte Reagan noch so oft die amerikanischen Werte betonen, von denen Menconi annahm, dass es die christlichen waren. Woran konnte das liegen, fragte er sich, und dann verstand er. Die Politik hatte gar nichts zu bestimmen. Die wirklich Mächtigen im Land, das waren die Medienkonzerne. Das Land braucht dich, dachte er. Deine Töchter brauchen dich. „Tatsache ist doch“, sagt Al Menconi aus der Kleinstadt Carlsbad in Kalifornien, „Tatsache ist doch, dass wir in einem spirituellen Krieg stehen, der um die Seelen unserer Kinder geführt wird. Die Entertainmentindustrie untergräbt dabei alle christlichen Werte, die wir haben. Sie ist von einer dunklen Macht gesteuert und zielt mit ihren Waffen direkt auf das Herz und die Seele unserer Familien.“ Die Waffen sind Bücher und Filme und Musik und Videospiele. Satanswerk allesamt. „Junge Menschen müssen davor beschützt werden, sonst sterben sie einen grausamen spirituellen Tod.“ Und so hat Al Meconi seine Mission gefunden. Doch die vollmundig bepredigte Austreibung ist dann doch eher unspektakulär, fast bürokratisch. Auf seiner Internetseite www.almenconi.com bewertet er Medien nach ihrem christlichen Wert, nach dem, was er christlich nennt. Seit 23 Jahren tut er das; die Arbeit ist nicht weniger geworden. Benutzen die Charaktere Schimpfwörter? Hat die Handlung okkulte Anleihen? Wie sexualisiert ist die Geschichte? Wird Gewalt dargestellt und wenn ja in welcher Form? Ralph Bagley kennt das Problem. Er sagt, mit Verboten ist es nicht getan, und er ist Menconi dankbar für seine Arbeit. Aber das Problem, sagt Bagley, muss doch von Grund auf bekämpft werden, ein für allemal. Bagley ist Videospieler seit „Pac-Man“ und Christ seit 1992, ein so guter, dass er es sogar bis zum Pastor einer Gemeinde im amerikanischen Mittleren Westen brachte. Irgendwann, fand er, passte das beides nicht mehr zusammen. Die Videospiele wurden immer brutaler. Leute zu Brei schießen, das hatte doch mit Christsein nichts zu tun, selbst wenn die Leute Pixel waren. Kurzerhand gründete er eine eigene Videospielfirma, 1996 war das. Sie heißt, passend, N'Lightning - Erleuchtende - Software. Ihre beiden bis jetzt veröffentlichten Spiele handeln vom Aufstand der Christen in Rom und der Suche nach der Gutenberg-Bibel. Die einzige Waffe des Helden ist die Bibel, die Feinde werden bekehrt, nicht getötet. Beide Spiele sind die erfolgreichsten in ihrem Segment, zusammen wurden von ihnen etwa 120 000 Exemplare verkauft. Im Vergleich zu 12 Millionen verkauften Exemplaren der „Grand Theft Auto“-Reihe ist das zwar wenig, aber die christliche Lobby läuft gerade erst warm. Bagley sieht die Zeit für die Offensive gekommen. Vor kurzem gründete er die „Christian Game Developers Foundation“, mittlerweile gibt es 100 Hersteller am Markt, die ausschließlich christliche Spiele produzieren. Die Fachmesse „Christian Game Developers Conference“ fand in diesem Jahr zum vierten Mal statt, die Zahl der Aussteller verzehnfachte sich in diesem Zeitraum von 30 auf 300. Es ist verlockend: Die Hälfte aller Amerikaner über sechs Jahren spielt Videospiele, knapp 140 Millionen Menschen. Davon seien rund die Hälfte praktizierende Christen, sagt Bagley. Überprüfbar ist das allerdings nicht. Trotzdem: Christliche Videospiele haben Wachstumspotenzial. Weltweit setzten Videospiele im vergangenen Jahr 19 Milliarden Euro um, bis 2008 wird der Markt nach Schätzungen der Unternehmensberater von Pricewaterhouse Coopers auf knapp 60 Milliarden wachsen. Zwar beträgt der Anteil der Spiele mit christlichem Inhalt nach Angaben des Christian Broadcasting Network nur ein Prozent, das allerdings sind heute schon annähernd 200 Millionen Euro. Analysten erwarten zudem eine Steigerung des Marktanteils auf zehn Prozent. Vorbild für die bibelfesten Programmierer ist die christliche Rockmusik. Noch vor fünfzehn Jahren war sie unbedeutend, mittlerweile beträgt ihr Anteil am US-Musikmarkt sieben Prozent, Tendenz steigend. Ein erster Schritt auf diesem Weg raus aus der Nischee wird für die christlichen Spiele vermutlich die Umsetzung der Buchserie „Left Behind“. Die im Jahr 2001 gegründete Firma Left Behind Games bringt voraussichtlich im ersten Quartal 2006 ihr Erstlingswerk „Eternal Forces“ auf den Markt. In dem Echtzeitstrategiespiel ist die Apokalypse auf der Erde ausgebrochen. Satan hat die Macht übernommen, und nur ein kleiner, himmlischer Widerstand, die Tribulation Forces, stellt sich der Höllenarmee entgegen. Die Handlung soll unter anderem in dem angeblich bisher realistischsten In-Game-Abbild von New York City stattfinden. Um das zu erreichen, haben die Entwickler fast 500 Häuserblocks fotografiert. An Geld mangelt es nicht. Die „Left Behind“-Romane verkaufen sich weltweit mehr als 63 Millionen Mal, damit sind sie die erfolgreichste Buchserie der Geschichte. Troy Lyndon, Chef von Left Behind Games, sagt, die Buchreihe könne auf eine Stammleserschaft von rund zehn Millionen Menschen zurückgreifen. In die Entwicklung einer digitalen Spieleversion werde man mehr Geld und Ressourcen stecken, als jemals in ein Spiel mit religiösen Inhalten investiert wurde. „Wenn nur zehn Prozent der Leserschaft das Buch auch als Spiel kaufen, wird es ein Top-Seller", sagte Lyndon. Nach „Eternal Forces“ soll jedes Jahr ein neuer Teil veröffentlicht werden, 13 Folgen lang. Doch das Ziel der christlichen Software-Schmieden ist nicht nur, einen wachsenden Markt zu bedienen. Um Satan zu besiegen ist es wichtig, möglichst viele Menschen zu bekehren. Die Armee Gottes zu vergrößern. Das Heer der Gläubigen stark zu machen. Das ist im Spiel nicht anders als im Leben. Ziel ist deswegen in erster Linie, aus Videospielern gute Christen zu machen. Man müsse realistisch sein, sagt Bagley. Jedes dritte neu auf dem Markt erscheinende Videospiel habe einen okkulten Hintergrund. Die meisten Spiele vermittelten satanistische Inhalte und stilisierten zweifelhafte Charaktere zu Helden. Und die Gewalt in den Spielen sei kaum mehr zu ertragen. Ein großer Teil der US-Öffentlichkeit vertritt offenbar Bagleys Meinung. Nach dem Schulmassaker in Littleton 1999 fand N'Lightning plötzlich viele Geldgeber, die gewaltfreie Computerspiele fördern wollten. Eric Harris und Dylan Klebold, die Mörder der Columbine High School, spielten gern „Doom“ und „Quake“. Bagley sagt: „Oft ist Satan der stärkste Charakter.“ Ziel seiner Firma sei es daher, „in der dunklen Arena des Satans Gottes Licht scheinen zu lassen“. Er sagt: „Wir erobern das Land vom Teufel zurück.“ In jedem Spiel seines Unternehmens lerne der Spieler etwa dreihundert Bibelpassagen kennen. Tim Emmerich, Organisator der „Christian Game Developers Conference“ gibt denn auch offen zu, dass es einfacher sei, Menschen zu evangelisieren, während sie spielten, da die Bekehrung dann im Unbewussten stattfände. Es gebe keine Alternative. Er sagt: „Wir brauchen Gott, damit er uns den Weg zeigt.“ „Wir säen nur den Samen“, sagt Ralph Bagley. Die Früchte ernte Gott. Zum ersten Mal wahrnehmbar waren christliche Spiele 1989, als eine Firma namens Wisdom Tree damit begann, unlizensierte Spiele für die Nintendo-Konsole herzustellen. Viele der Spiele waren Bibelquize, allerdings brachte die Firma es auch fertig, die Oberfläche des Nazispiels „Wolfenstein 3D“ so zu verändern, dass man plötzlich „Arche Noah 3D“ spielen konnte. Das Ziel war damals wie heute das gleiche: Gott in die Gemeinde der Spieler einführen und Gewalt in den Spielen zurückdrängen. Es gibt allerdings auch Christen, die kein Problem mit der Gewalt haben, schließlich wird auch in der Bibel getötet, was das Zeug hält. So wird in diversen christlichen Internetforen heftig über den wahren Weg zum Christentum diskutiert. Lassen sich Religion und Videospiele überhaupt vereinbaren? Welches sind die besten Spiele für Christen? Ist es erlaubt, Egoshooter zu spielen, wenn man Christ ist? Dabei wurde diese Frage vor knapp zwei Jahren eigentlich schon beantwortet: von einem christlichen Spiel mit Namen „Eternal War“, das auf der „Quake“-Engine basierte. Der Spieler ist ein Engel, der im Auftrag Gottes einen Teenager aus der Gewalt von Dämonen befreien muss. Die bevorzugte Waffe des Engels ist das Schwert. Gewalt gibt es hier zuhauf, aber sie ist kein Problem, schließlich kämpft man für das Gute. Ausschließlich das Gute, es ist nicht möglich, für die andere Seite zu spielen. Nach der Veröffentlichung von „Eternal War“ feierte die „Christian Game Developers Conference“ das Spiel als eierlegende Wollmilchsau. Es schien die Lösung der Probleme. Fielen christliche Spiele bis dato in erster Linie durch schlechte Grafik und langweilige Handlung auf, machte „Eternal War“ plötzlich Spaß. Und es hatte eine Botschaft. Die christlichen Programmierer wählten es zu ihrem Spiel des Jahres. In der Begründung hieß es: „Das Spiel ist ein gutes Vehikel. Es befriedigt die technischen Erwartungen eines Spielers, während es auf subtile Weise Gottes Botschaft transportiert.“ „Man muss nicht die ganze Zeit mit der Bibel herumwedeln, um eine christliche Botschaft zu transportieren“, erklärt Mackenzie Ponech, Entwickler von „Eternal War“ die eigenwillige Interpretation von Gottes Botschaft. Und vielleicht liegt er damit näher an der Wahrheit, als er denkt. Die „Denver Post“ schrieb kürzlich, das Problem mit christlichen Spielen sei, dass niemand beantworten könne, wo Religion beginne und wo sie ende. Jeder könne sich noch an den „God Mode“ erinnern, einen Hack, der es - vor allem in Actionspielen - dem Charakter erlaubte, unbeschadet durch die feindlichen Linien zu laufen. Danach habe es die so genannten God Games gegeben, etwa „Sim City“, „Civilization“ und „Die Sims“. Und jetzt gebe es eben Spiele, die ganz vordergründig eine christliche Botschaft transportieren wollten. Aber alles das sei nicht der Punkt, sagt David Thomas von der „Post“, denn Religion liege tiefer. „Die Struktur der Videospiele selbst ist eine fundamentale theologische Botschaft.“ Der Spieler spiele ein einem künstlichen Universum, einer Matrix, geschaffen von jemanden mit einem Plan von allem, in diesem Fall der Programmierer. Der Spieler erlebe diese Welt völlig real. Teil eines Spiels sei es, sich an Regeln zu halten oder eben nicht, es gibt Systeme, die es zu verstehen gelte, der Charakter lerne ständig dazu, er entwickle sich weiter. „Wo ist der Unterschied?“, fragt Thomas. „Hier ist sie, deine persönliche Erfahrung mit Gott.“ Parallelen gibt es in der Tat: Trotz all ihrer Möglichkeiten liefern Spiele ein kontrollierbares und verständliches Universum, sie sind vollkommen vorhersehbar. Früher war die Kirche für die Lieferung eines solchen Universums zuständig, sie lieferte den Mitspielern einen verständlichen und vorhersehbaren Kosmos. In beiden Fällen gibt es einen „von oben“ vorgegebenen Weg. Und Abweichungen von diesem Weg werden im christlichen Jenseits wie auch im virtuellen Diesseits hart bestraft, mit der Hölle - oder eben mit „Game Over“. Text: Phillip Kohlhöfer, Fotos: Benne Ochs
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2005 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Leser sagt:

    Also eines kann man den christlichen Videospielen nicht absprechen, ihre Ideen haben durchweg etwas orginelles.

    Da werd ich durchaus mal reinschauen, auch wenn die Spiele (leider) nicht so ironisch gemeint sind, wie sie sich anhören