Schwarzes Gold

Schwarzes Gold

"Gun Porn" nennt Alex Ward, Kreativ-Chef beim britischen Entwickler Criterion, sein neues Baby. Und tatsächlich werden die Waffen in "Black" wie ein Fetisch verehrt. Doch reicht das schon, um das Egoshooter-Genre aufzumischen? Wir sind nach England gefahren, um genau das herauszufinden

Alex Ward ist sauer. Er sitzt in der Küche von Criterion und schlingt hastig ein Gericht vom indischen Take-away hinunter. Das ist seine Mittagspause. Es ist Donnerstag vor Heiligabend, doch an Weihnachten ist nicht zu denken. „Ich habe die Schnauze voll!“, bellt Ward zwischen zwei Bissen, „die Leute sollen mich mit ihrem Gequatsche in Ruhe lassen. Wenn wir Anfang Februar auf Promotion-Tour in die USA fahren, lasse ich mir vorher ein T-Shirt drucken. ,Shut the fuck up about Half-Life 2‘, steht vorne drauf und ,Shut the fuck up about Halo‘ hinten“. Nicht nur bei Ward liegen dieser Tage die Nerven blank, das ganze Entwickler-Team ist im so genannten Crunch-Mode. In gut drei Wochen muss der Egoshooter „Black“ fertig sein, den Weihnachtsurlaub haben sich hier fast alle abgeschminkt. Rechts neben dem Eingang zur Küche steht eine weiße Tafel mit unzähligen gelben Zettelchen drauf. Auf jedem der kleinen Post-its ist ein Bug, ein Fehler im Code des Spiels, notiert, die bis zum Ende des Tages eliminiert werden müssen. Alle. Das ist das Tagesziel für das Team. Oben klebt ein einzelner großer gelber Zettel. „150 today“ steht darauf. Doch der Zeitdruck ist nicht der einzige Grund für Wards aggressive Nervosität. Für Criterion steht viel auf dem Spiel. Der britische Entwickler kann für sich reklamieren, mit der „Burnout“-Serie den Begriff „Rennspiel“ neu definiert zu haben. Nun soll mit „Black“ das am heißesten umkämpfte Videospielterrain überhaupt geentert werden: Egoshooter. Und im Nu wird die Reputation zum Bumerang. „,Black‘ wird mit dem Egoshooter-Genre das machen, was ,Burnout‘ mit dem Rennspielgenre gemacht hat“, – dieser Ausspruch eines Journalisten haftet „Black“ schon seit geraumer Zeit an. Freuen kann Ward sich über dieses Kompliment inzwischen nicht mehr. „Ich weiß überhaupt nicht mehr, was wir eigentlich hier in den Händen halten“, sagt er. Er wirkt ein wenig ratlos, wie er da so in seinem Curry herumstochert, bis ihn für einen kurzen Moment wieder die Wut packt. „Ich weiß nur eins: Wir machen unser eigenes Ding, und deswegen sollen die Leute mich auch nicht mit anderen Shootern volllabern!“. Tatsächlich hat man bei Criterion hoch gepokert. Auf der diesjährigen E3, der weltgrößten Videospielmesse der Welt in Los Angeles, zeigten Ward und sein Team ausgewählten Journalisten hinter verschlossenen Türen eine Demo von „Black“. Ein komplettes Level konnte dort allein mithilfe einer Kalaschnikow zerlegt werden. Wer wollte, konnte alle Gegner erledigen, ohne einen einzigen direkten Schuss auf sie abzugeben. Es reichte, die Stützpfeiler eines Hauses so lange mürbe zu schießen, bis es auf die Kontrahenten niederstürzte. Nicht ein Pressevertreter verließ diese Vorführung unbeeindruckt – und die meisten hatten angesichts der Zerstörungsmöglichkeiten in „Black“ auch sofort einen griffigen Slogan zur Hand: „Burnout mit Waffen“. Doch seit der E3 hat sich viel verändert. „Wir haben den Fokus des Spiels über die letzten Monate immer wieder verschoben. Das auf der E3 gezeigte Ausmaß der möglichen Zerstörung brachte einfach zu viele Probleme mit sich … zum Beispiel stellt es die künstliche Intelligenz der Gegner vor eine schier unlösbare Aufgabe, weil die um immer neue Hindernisse herumkurven müssen. Oder der Levelausgang wird von einem riesigen herabgestürzten Hausteil versperrt, und der Spieler kommt nicht mehr heraus. Unmöglich!“, zuckt Ward mit den Schultern. „Insofern mussten wir das einfach ändern. Es gibt zwar immer noch eine Menge Dinge, die man in die Luft jagen kann, aber eben nicht mehr alle.“ Er starrt in die Überreste seines Currys. „Es könnte sein, dass wir hier ein echtes Problem vor der Nase haben“, murmelt Ward leise. „Ich weiß genau, dass einige Leute da draußen genau darauf warten … ein Spiel, in dem man alles kaputt machen kann, in dem ganze Häuser einstürzen. Und das ist ,Black‘ einfach nicht mehr. Kein einziges Haus stürzt ein.“ Tja, was aber heißt das nun genau? Kein „,Burnout‘ mit Waffen“, also auch keine Revolution des Egoshooter-Genres? Ist „Black“ also am Ende nur ein ganz gewöhnlicher Shooter? „Blödsinn“, entfährt es Ward barsch. Er fegt ein paar Reiskörner vom Tisch, als wären es Zweifel an der Qualität von „Black“. Erhebt sich vom Küchentisch, geht voran in ein abgetrenntes Büro und lässt „Black“ für sich sprechen. Für ein paar Augenblicke ist tatsächlich erst mal kein Unterschied zwischen einem normalen Shooter und „Black“ zu sehen. In der Mitte des Bildschirms wackelt der Lauf einer Remington-Flinte hin und her, die Gegner werden vom Schrot weggeblasen wie in unzähligen Genrevertretern auch. Doch schon beim ersten Nachladen wird klar, warum Alex Ward seine neues Baby „Gun Porn“ – Waffenporno – nennt. Lasziv langsam wendet sich einem plötzlich die Unterseite der Pumpgun zu, wird zum einzig fokussierten Objekt, der Hintergrund, die Umgebung, werden unscharf. Dann versenkt eine Hand, die von links in den Bildschirm greift, nacheinander sechs Schrotpatronen in der silbernen Ladeklappe, die so liebevoll animiert ist, dass man den Widerstand der Feder, die sie jedes Mal wieder zuschnappen lässt, förmlich zu spüren glaubt. Der ganze Vorgang dauert vier Sekunden. Eine lange Zeit, wie man die ersten Male während eines heftigen Feuergefechts entnervt feststellt, nur um sich wenig später für jedes Nachladen eine Deckung zu suchen, damit man das Schauspiel ungestört verfolgen kann. Keine Frage: „Gun Porn“. Und je länger man spielt, desto mehr Details fallen einem auf. „Wir wollten dem Spieler eine Erfahrung ermöglichen, wie er sie aus Actionfilmen kennt“, schmunzelt Ward über das Erstaunen, das dem ersten größeren Feuergefecht folgt. Denn in „Black“ ist von der Sterilität, die so viele Egoshooter auch im dichtesten Kugelhagel verströmen, nichts zu spüren. Stattdessen bricht um einen herum die Hölle los. Dort, wo die gegnerischen Kugeln in den Boden einschlagen, spritzen Erdfontänen empor, Querschläger lassen Putz von den Wänden platzen und Holz zersplittern. Die Druckwelle einer Handgranate lässt die halbe Fensterfront eines Hauses in einem klirrenden Regen aus Glas auf einen niederregnen. Stellenweise ist der Pulverdampf so dicht, dass man die – übrigens ziemlich hartnäckigen – Gegner nur noch anhand des aufblitzenden Mündungsfeuers ausmachen kann. Panisch jagt man ein Magazin aufs andere – die Munition geht nie aus – in die Nebelwand, während der Puls von der ohrenbetäubenden Soundkulisse aus umherirrenden Projektilen in die Stratosphäre gejagt wird. „Ja“, freut sich Ward über das ganze Gesicht, „,Black‘ ist, als wenn man in einen Hollywood-Blockbuster hineingebeamt worden wäre.“ Und erklärt auch gleich, wie wörtlich das zu nehmen ist. „Nehmen wir das ,Asylum‘-Level, übrigens nach wie vor mein Lieblingslevel, weil es aus lauter kleinen Versatzstücken aus unseren Lieblingsfilmen besteht. Es beginnt auf einem Schrottplatz. Warum? Weil in Hollywoodfilmen groß angelegte Schießereien auch oft auf einem Schrott- platz stattfinden, wegen der tollen Funken. Zum Beispiel in ,Christine‘. Anschließend muss man in ein Irrenhaus, das große Ähnlichkeit mit dem Gebäude am Ende von ,Blade Runner‘ hat. Die Szene, wo Rutger Hauer plötzlich durch die Wand bricht – ich liebe sie! Wir wollten so was unbedingt machen. In Filmen werden ständig Leute durch eine Tür erschossen oder durch einen löchrigen Dielenboden, wo sie dann nach unten durchbrechen. In Videospielen nie! Bis jetzt zumindest“, grinst er und fährt fort: „Von dort aus geht es in einen Waschraum, dem aus ,The Rock‘ nicht unähnlich, und anschließend gibt es dieses unglaublich infernalische Feuergefecht in der Lobby – ,Matrix‘ lässt grüßen.“ Abgesehen davon, dass ebendieses Finale des „Asylum“-Levels zum Bombastischsten und wirklich Furchteinflößendsten gehört, was man bisher in einem Egoshooter zu Gesicht bekommen hat – die Level sind tatsächlich so arrangiert, dass man sich fühlt wie ein Actionheld vom Kaliber eines Sylvester Stallone in „Rambo“ – mit der uneingeschränkten Lizenz zum Zerstören. Dabei jagt hier mitnichten ein Shoot-out den nächsten, nein, die Level haben einen wundervollen Rhythmus, wechseln ruhige Passagen mit schweißtreibenden Kämpfen ab, ohne dabei aber einem Prinzip zu folgen. Mal beginnt man fast schon beschaulich in einem nur dünn mit Feinden besiedelten Wald, ein anderes Mal befindet man sich nur wenige Sekunden nach Ende des Ladebildschirms inmitten eines Infernos wieder. Bemerkenswert ist dabei auch, wie sehr die Levelarchitektur dem Diktat dieses Rhythmus untergeordnet wurde. So kommt das Stallone-Feeling vor allem in den Momenten zum Tragen, wo man selbst am meisten unter Beschuss steht. Denn in diesen Teilen des Levels verdichten sich plötzlich die Objekte, die man durch ein Paar Schüsse in die Luft jagen kann. Dann steht der Tanklaster glücklicherweise genau neben dem Haus, in dem sich drei Gegner verschanzt haben, ein paar Benzinfässer just oben auf den Holzkisten, hinter denen die Widersacher Deckung suchen. Unrealistisch? Wunderbar! In diesen Momenten, wo eine spektakuläre Szene die nächste jagt, hat „Black“ astreines Blockbuster-Format. Und reizt vor allem dazu, auch bereits gespielte Level wieder und wieder anzugehen, bis der Tanz auf den Pulverfässern perfekt choreografiert ist, man wie ein Derwisch durch die Level  fegt. In diesen Momenten vermisst man fast schmerzlich ein Regisseur-Feature, mit dem sich so manches Spiel völlig überflüssigerweise brüstet, das aber bei „Black“ endlich mal wirklich Sinn ergeben würde. Ganz im Stile eines Hollywood-Action-Streifen ist allerdings auch die Story bei „Black“. Und das ist jetzt wirklich der erste und einzige Wermutstropfen. Denn es liegt noch nicht einmal an der Story selbst, auch in die hat Alex Ward viel Herzblut investiert. „Ich beschäftige mich schon seit vier Jahren mit verdeckten Operationen, habe unglaublich viel Zeit in die Recherche gesteckt. Irgendwann bin ich auf die Geschichte des ,American Taliban‘ gestoßen, eines Amerikaners, den CIA-Leute in einem Taliban-Camp in Afghanistan gefunden haben. Das hat mich fasziniert.“ In „Black“ wird zwischen den Leveln in gefilmten Sequenzen dann auch die Geschichte eines Kämpfers einer Antiterroreinheit erzählt, der bei der Jagd nach dem Anführer einer Ostblock-Terrortruppe plötzlich einem Landsmann gegenübersteht. Auch im Spiel selbst verfolgen einen Themen, die seit dem 11. September immer wieder mehr oder weniger auffällig durch die Medien geistern. An versteckten Stellen der Level gibt es, quasi als Bonus-Items, so genannte Blackmail-Objectives und so genannte Intel-Objectives zu finden. „Intel-Objectives sind Dinge, von denen wir fürchten, dass der Feind sie hat, wie zum Beispiel Pläne zur Vergiftung des Abwassers von Los Angeles, oder aber Dinge wie das Videotape, das man nach dem 11. September in der Wohnung eines der Flugzeugkaperer gefunden hat“, referiert Alex Ward. „Diese Video wurde in den Katakomben von Indiana Jones in Disneyland aufgenommen. Und jedermann fragte sich nach dem Fund, ob nicht eventuell Disneyland ein alternatives Angriffsziel gewesen sei.“ Bei den Blackmail-Objectives hingegen handelt es sich um Dinge, die man als Mitglied einer Black-Operation-Einheit gerne vertuschen würden. Zum Beispiel geheime, unterirdische Gefängnisse, in denen Terrorverdächtige gefoltert werden. „All diese Dinge sind drin in unserem Spiel. Noch mal: Ich habe vier Jahre lang recherchiert“, betont Ward, „und egal welches Intel- oder Blackmail-Objective, das im Spiel auftaucht, du bei Google eingibst: Du findest immer etwas dazu.“ So weit, so gut. Schade ist nur, dass dieses Potenzial im tatsächlichen Spielgeschehen ziemlich auf der Strecke bleibt. Denn wer wird schon, wenn er gerade von unzähligen Feinden unter Beschuss genommen in einer Hausruine Schutz suchend ein geheimes Dokument findet und „Interview mit Lucien Sarti gefunden“ für einen kurzen Moment über den Bildschirm flimmert, seinen Stift zücken? Während die gegnerischen Truppen das Haus in Stücke schießen? Ähem. Es scheint, als ob Ward und sein Team sich schlicht darin verloren haben, die in spektakulärer Hinsicht perfektesten Level zu kreieren, die es in einem Egoshooter jemals gegeben hat – und zu spät realisiert haben, dass man diese Level eventuell auch miteiander verknüpfen sollte. „Mein Gott, dann sollen die Leute die Zwischensequenzen doch wegdrücken“, geht Ward schon mal vorsorglich in die Offensive. „Wer Serien wie ,Lost‘, ,Alias‘ oder ,Spy Game‘ mag, wird auch die Zwischensequenzen in ,Black‘ mögen.“ Bleibt die Frage, ob „Black“ das Zeug dazu hat, das Egoshooter-Genre umzukrempeln. Die klare Antwort: nein. Und jetzt kommt der Clou. Das ist auch gut so. Denn wenn man sich den so oft zitierten „Black“– „Burnout“-Vergleich mal genauer ansieht, wird klar, dass der gewaltig hinkt. „Burnout“ nämlich hat mitnichten das Rennspiel-Genre revolutioniert. Das vor allem mit dem dritten Teil „Takedown“ perfektionierte Prinzip Zerstörungsorgie-im-Geschwindigkeitsrausch hat bei genauem Hinsehen überhaupt nichts mehr mit einem Rennspiel zu tun – es hat kurzerhand sein eigenes Genre erfunden. Das schafft „Black“ im ersten Anlauf nicht. Und zwar auch deshalb, weil Alex Ward das gar nicht gewollt hat (siehe Interview Seite 36). Trotzdem erfindet „Black“ etwas neu – und zwar, wie es sich anfühlt, einen Egoshooter zu spielen. Die Verschmelzung von Spieler und Spiel – das ist die Zukunft. Mit Hochdruck arbeiten Hard- und Software-Hersteller mithilfe von Dolby-Surround-Sound-Systemen und haptischen Eingabegeräten wie dem Nintendo-Revolution-Controller daran, unsere Sinne derart zu beharken, dass virtuell erlebte Abenteuer immer echter erscheinen. „Black“ schafft das schon heute. Durch seine Levelarchitektur, die sich auch nach dem zehnten Mal Durchspielen immer noch anfühlt wie eine Achterbahnfahrt. Durch ein konstantes Bombardement mit Soundeffekten. Und nicht zuletzt durch die Möglichkeit, (fast) alles in Schutt und Asche zu legen, lässt „Black“ den Spieler mit dem Spiel verschmelzen – auf einer ganz normalen PS2. Text: Michail Hengstenberg
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2006 /

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