„Ich bereue nichts“

"Ich bereue nichts"

Alexej Pajitnow ist eine tragische Figur. Mit "Tetris" erfand er eins der bekanntesten Videospiele der Welt - doch Geld machten damit lange Zeit nur andere. Pajitnow selbst findet das überhaupt nicht tragisch, wie er im Interview verrät

Wann haben sie das letzte Mal "Tetris" gespielt? Das ist nicht gar nicht lange her. Ich bekomme ständig neue Versionen zugeschickt, die ich prüfen muss. Das letzte Mal habe ich gestern gespielt. Oder genauer gesagt: gearbeitet. Was genau prüfen Sie denn da? Es gibt für "Tetris" inzwischen ja ziemlich viele Lizenznehmer, die das Spiel für verschiedenste Plattformen umsetzen: für Handys, für Konsolen, wieder andere werden für Computer umgesetzt. Ich gucke mir an, ob die Leute eine vernünftige Version programmiert haben, dann bekommen sie meine Freigabe. Sie haben "Tetris" Mitte der achtziger Jahre als Mitarbeiter der sowjetischen Akademie der Wissenschaften entwickelt. Geistiges Eigentum aber war in der Sowjetunion nicht vorgesehen, Sie mussten die Rechte an den Staat abtreten, der damit ziemlich gut verdient hat. Wann ist Ihnen zum ersten Mal klar geworden, was Ihnen da eigentlich für ein Vermögen durch die Lappen geht? Das hat eine Weile gedauert. Nicht zuletzt deshalb, weil "Tetris" jahrelang nur auf Computern lief. Auf dieser Plattform war es zwar unglaublich verbreitet, aber viel Geld wurde damit nicht verdient. Ein kommerzieller Megaerfolg wurde erst die "Tetris"-Version für den Nintendo Gameboy. Und in was für einer Größenordnung, das wurde mir erst im Juni 1989 klar, als ich von Henk Rogers, dem Inhaber der "Tetris"-Lizenz für Konsolen, nach Japan eingeladen wurde. Er zeigte mir das Land und den Firmensitz von Nintendo in Kyoto. Die Chefs von Nintendo empfingen mich sehr herzlich und führten mich dann in ihr Lager. Dort stapelten sich die Kartons mit "Tetris"-Spielen bis unter die Decke, so weit das Auge reichte - es waren Unmengen. Da wurde mir zum ersten Mal die Dimension der ganzen Sache bewusst. Zu diesem Zeitpunkt verdienten Sie aber immer noch kein Geld mit dem Spiel verdient, oder? Nein, damals nicht. War das nicht ein komisches Gefühl? Nein, eigentlich nicht. Ich musste mich ja an einem bestimmten Zeitpunkt in dieser ganzen Geschichte um mein Spiel entscheiden: Will ich mit diesem Spiel, das offensichtlich viele Leute begeistert, Geld verdienen? Dann hätte ich dem sowjetische System offen entgegentreten müssen. Und hätte damit riskiert, dass mir die Veröffentlichung grundsätzlich verboten wird. Oder will ich einfach, dass das Spiel veröffentlich wird? Mir war es am allerwichtigsten, dass das Spiel veröffentlicht wird - egal, was es kostet. Deshalb habe ich mich entschieden, nicht gierig zu sein. Ich ging also zu den Machthabern und sagte: Ich glaube, dieses Spiel ist etwas Großes. Wenn Sie mir etwas zahlen können, tun Sie das bitte. Wenn nicht, auch in Ordnung. Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Hatten Sie denn überhaupt laut Gesetz irgendwelche Rechte an dem Spiel? Oder hätte der Staat Ihnen Ihre Idee einfach abnehmen können? Auf diese Frage wusste niemand ein Antwort. Urheberrecht gab es in der Sowjetunion zwar für Bücher und Musik. Aber ich war Angestellter der Akademie der Wissenschaften, und ich hatte ihr Equipment benutzt, das damals enorm teuer war, um mein Spiel zu entwickeln. Zudem hatte mir ja niemand den Auftrag gegeben, "Tetris" zu programmieren. Ich hatte also ihr Equipment und meine Arbeitszeit "unrechtmäßig" genutzt - ich sah da keine großen Aussichten auf Erfolg, würde ich für meine Sache kämpfen. Sie haben wirklich nie daran gedacht, sich gegen das System aufzulehnen? Ich bin kein Revolutionär, der gerne um Rechte kämpft. Ich habe mich deswegen einfach entschieden, nicht viel Wind um die Sache zu machen, stattdessen meinen guten Ruf aufzu-bauen und das nächste Spiel zu entwickeln - das war meine Strategie. Und sie hat sich ausgezahlt: Mein nächstes Spiel wurde auch veröffentlicht, nach "Tetris" hatte ich noch vier oder fünf Projekte in Russland, ich war sehr zufrieden mit meinem Job. Ich habe mir genau das aufgebaut, was ich mir aufbauen wollte. Später hat mir der Staat auch die Rechte an "Tetris" zurückgegeben, und ich bekomme heute noch Lizenzgebühren. Die sind natürlich nicht mehr so hoch wie zu Zeiten des Gameboys, aber es ist gutes Geld. Ich kann mich über nichts beschweren. Haben Sie eine Vorstellung davon, was die Regierung mit Ihrem Spiel verdient hat? Jein. Ich habe eine Vorstellung, aber ich könnte komplett falsch liegen, deswegen möchte ich sie nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Akademie der Wissenschaften einen kleinen Anteil von den Erlösen vom Staat erhalten hat. Sie hat das Geld an die Angestellten weitergegeben, damit die sich davon Konsumgüter kaufen konnten - quasi ein Bonus für jeden, der mit der Entwicklung etwas zu tun hatte. Als ich 1994 oder 1995 zurück ins Computercenter kam, fielen mir meine ehemaligen Mitarbeiter um den Hals und bedankten sich für die Videorekorder oder Kühlschränke, die sie sich meinetwegen hatten kaufen können. Das hat mich sehr berührt. Waren Sie eigentlich ein überzeugter Kommunist? Glaubten Sie an das System? Nein, überhaupt nicht. Ich komme aus einer Familie, in der niemand das System wirklich akzeptierte. Mein Vater war ein Dissident. 1969 unterschrieb er ein regimekritisches Statement. Ich will nicht so sehr ins Detail gehen, aber er verlor seinen Job und blieb für den Rest seines Lebens ein Dissident. Ich war sehr stolz auf meinen Vater, weil er einer von den Leuten war, die zumindest versuchten, dem Regime nicht zu sehr zu folgen. Niemals in meinem Leben habe ich den Kommunismus unterstützt. Allerdings habe ich ihn auch nicht aktiv bekämpft - ich habe mich immer als einen Programmierer gesehen, der sich nicht besonders für Politik interessiert. Sie haben sich einmal selbst als einen "Natural Born Hacker" bezeichnet. Was haben sie denn schon gehackt? (lacht) Nein, das ist ein Missverständnis. Ich meine nicht den Beruf "Hacker", eher den Lifestyle. Als ich jung war, habe ich das Leben eines typischen Geeks gelebt. Ich bin um 11 aufgestanden, dann in die Akademie gefahren und habe dort vor dem Bildschirm gehangen, bis die letzte U-Bahn fuhr. Das war meistens um 1 Uhr nachts. Hatten Ihre Vorgesetzten nichts dagegen, dass Sie erst so spät zur Arbeit kamen? Die wussten genau: Wenn sie Resultate sehen wollten, mussten sie diesen Lifestyle akzeptieren. Sie sind dann kurz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in die USA ausgewandert. War das nicht ein Kulturschock? Es ging. Ich hatte die USA schon vorher besucht, insofern war ich jetzt nicht sonderlich überrascht. Als ich umgezogen bin, war das meine dritte Reise in die USA. Trotzdem war mein Start hier alles andere als einfach. Warum? Na ja, plötzlich war ich von lauter Fremden umgeben! Ich hatte die Zurückgezogenheit meiner Akademie, an der mir jeder Mitarbeiter und jeder Einrichtungsgegenstand vertraut war, eingetauscht gegen das hektische und bunte Amerika. Ich musste mich erst mal komplett neu orientieren: Wie komme ich hier an Informationen, wie komme ich an Sachen, die ich brauche, und so weiter. Ich bin ja mit nicht mehr als einem Koffer hier angekommen und musste mir meine Existenz von Grund auf aufbauen. Das war einfach anstrengend. Außerdem hat es eine Weile gedauert, bis ich mit all dem Überfluss klar gekommen bin, den es hier gibt. Ich glaube, ich habe am Anfang sehr viel Geld ausgegeben. Wissen Sie noch, was Sie sich von Ihrem ersten Gehalt gekauft haben? Nicht wirklich. Ich kann mich aber noch erinnern, dass meine Frau erst nach sechs Monaten in die USA nachgekommen ist, zusammen mit den Kindern. Das war für mich eine echte Herausforderung. Vorher hatte ich einfach in einem möblierten Zimmer gewohnt, nun musste ich eine große Wohnung mieten - und einrichten! Und, haben Sie dabei den Geschmack Ihrer Frau getroffen? Ich weiß nicht mehr... ich glaube, ich hatte am Ende auch nur das Nötigste gekauft, Stühle, Tisch, ein Sofa, ein Bett. Den Rest haben wir dann zusammen besorgt. Ach, und ich kaufte auch noch ein Auto. Das war etwas Besonderes: Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Auto gekauft Haben Sie dann ein großes, amerikanisches gekauft? Oder eher etwas Bescheidenes? Ein bescheidenes, praktisches Auto. Nichts zum Angeben. Es heißt, Ihre Frau hätte die USA schon mal besucht, bevor Sie mit der ganzen Familie dorthin ausgewandert sind. Bei ihrer Rückkehr wurde sie gefragt, wie es denn in den USA so sei - und sie hat einfach nur geweint. Stimmt das? Ja, so in etwa. Sie war 1984 in den USA auf einer Studienreise. Mitte der Achtziger herrschte in Russland nicht gerade das blühende Leben. Es gab wenig zu kaufen, für alles musste man stundenlang anstehen, und das Leben war einfach trist und grau. Als sie von ihrer Reise aus den USA, diesem bunten, blinkenden Land, in dem alles reichlich vorhanden ist, in dieses Leben zurückkam, war das nicht einfach für sie. Wie kam es denn eigentlich letztendlich dazu, dass Sie mit Ihrer Familie auswanderten? Henk Rogers, der die Konsolen-Lizenz von "Tetris" erworben hatte und über die Jahre mein Freund geworden war, hat mich rübergeholt. Ich habe dann auch die erste Zeit bei einer seiner Niederlassungen in Seattle gearbeitet. Später habe ich dann einen Job bei Microsoft angetreten. Was genau haben Sie denn bei Microsoft gemacht? Das, was ich am besten kann - Puzzlespiele entwickeln. Sie werden unter auch bei dem Xbox-Rennspiel "Project Gotham Racing 2" als beteiligt geführt. Was haben Sie denn mit einem Rennspiel zu tun? Kam das auch über Microsoft zustande? Ja, ganz genau. Für Microsoft war das Spiel ein wichtiger Titel für die Xbox. Entwickler Bizarre Creations hatte sich in den Kopf gesetzt, ein paar Rennen im Spiel vor der Kulisse Moskaus stattfinden zu lassen. Also haben sie mich gefragt, welche Straßen als Hintergründe die besten wären. Ein paar Straßen hatten sie sich schon rausgesucht, mithilfe einer Karte. Das reichte aber nicht. Sie wollten nach Moskau fliegen und die ganzen Gebäude fotografieren. Weil ich Moskau nun mal gut kenne, bin ich von Microsoft engagiert worden, um mitzufliegen. Ich hatte eh vor, Moskau zu besuchen. So wurde ich Teil des Teams. Wir fotografierten diese ganzen Straßen, und ich half Ihnen auch beim Umgang mit den Behörden. Das war ein toller Job. Werden Sie eigentlich in Moskau auf der Straße erkannt? Natürlich nicht! Ist das Ihr Ernst? Na klar, warum nicht? Sie müssen doch für viele Leute dort doch ein Star sein ... Also, erstens gibt es in Moskau nicht besonders viele Computer - und es spielt schon gar nicht jeder Russe mein Spiel. Außerdem: Zu der Zeit, als "Tetris" besonders populär war, hat in Russland kein Mensch Computer allein zu Entertainment-Zwecken benutzt. Deshalb kannten mich nur ein paar Computerspezialisten. Und überhaupt: Computerspiel-Berühmtheiten eignen sich nicht besonders als Stars. Reden Sie da von sich selbst, oder meinen Sie alle Videospiel-Koryphäen? Ganz allgemein: Man wird halt nicht auf der Straße erkannt. Wir sind nicht wie Hollywood-Stars. Das sollte sich aber eigentlich ändern, oder? Ich würde darunter leiden. Ich mag diesen Trubel um mich überhaupt nicht. Interview: Michail Hengstenberg
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von Volker Hansch / März 10th, 2007 /

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