Unschlagbar

Unschlagbar

Wii und DS missionieren Nichtspieler, Yvonne Catterfeld wirbt für Ubisofts Casual-Games-Serie "Spiele für mich", Konsolen werden mit "Buzz" und "Singstar" zum Partyspaß. Alles schön und gut. Aber was ist mit den anderen Spielen? Denen, die uns quälen, uns alles abverlangen? Denen, die uns mit ihrer bloßen Härte an den Rand des Wahnsinns treiben? Eine Liebeserklärung an schwere Games

Alex Kidd lebt mit seinen Eltern in einem Schloss. Als er hört, dass in einer anderen Stadt eine Spielhalle eröffnet hat, will er unbedingt hin. Dumm nur, dass die Karte mit der Wegbeschreibung quer über das Anwesen verteilt ist. Auch dumm, dass er für das Auffinden aller Teile sowie die Reise in die Stadt nur neun Stunden Zeit hat. Noch dümmer, dass die Kartenteile besser versteckt sind als jeder verlegte Haustürschlüssel und die Feinde ihn mit nur einer Berührung ausknocken und zum Levelanfang zurückschicken können. Aber das stört weder ihn noch den Menschen, der ihn am Joypad lenkt. Alex Kidd will spielen. Dafür nimmt er alles auf sich… und uns geht es genauso. "Alex Kidd - High Tech World" von 1989 ist ein klassisches Beispiel für das Paradox, das der Kulturoptimist Steven Johnson in seinem Buch "Neue Intelligenz" - einer exzellenten Verteidigung der Spielekultur - beschreibt. Es ist frustrierend schwer, unnachgiebig und selbst für die Verhältnisse des Master-Systems keine Augenweide. Ähnliches gilt für das ungleich bessere "Ninja Gaiden" auf dem NES, dessen Schöpfer Tomonobu Itagaki eine Serie begründete, die bis heute Sinnbild für Schwierigkeitsgrade jenseits von Gut und Böse ist. Die 8-Bit-Welt offenbart in der Rückschau viele solcher Wadenbeißer. "Cobra Triangle" (NES) etwa. Dessen "Jump the Waterfall"-Level, bei dem man passgenau mit einem Bötchen über Rampen von Wasserfall zu Wasserfall springen muss, ist bis heute weltweit wohl nur von so vielen Menschen geknackt worden, wie ein sauerländisches Dorf ohne Postamt Einwohner fasst. Oder "Deadly Towers", ebenfalls NES, ein frühes Action-Adventure, das außer spärlichen Hinweisen in der Anleitung zu seiner saugefährlichen Welt keine Auskunft gibt und die Figur zu Beginn so lächerlich schwach und unbewaffnet starten lässt, das die ersten Power-ups nicht mehr tun, als einen Normalzustand herzustellen. Ein Mechanismus, für den auch die "Metroid"-Spiele berühmt sind, dessen zweiter Teil für den Gameboy den Autor dieses Textes beim erneuten Spielen in der U-Bahn den Schädel schon nach kurzer Zeit gegen die Scheibe rammen ließ. Ebenso wie die gefährlichen Tonnen, die man bei "Mega Man 2" schon ab Sekunde 1 mit einer so geduldigen Präzision umgehen muss, wie wir sie heute überhaupt nicht mehr gewohnt sind. Das fällt schließlich auch daheim auf, wo zur Recherche noch einmal die alten Konsolen angeschmissen werden. Reihen wie "Castlevania" oder "Demon's Crest" sind aus heutiger Sicht irritierend langsam und verlangen Millimetergenauigkeit in Sprung, Peitschenschlag und Schuss. "Super Ghouls'n Ghosts" sagt uns nach dem fast unmöglichen Durchspielen nicht einmal, dass wir es geschafft haben. Stattdessen verweigert es uns das Öffnen einer Tür. Und behauptet, wir hätten ein Item finden müssen, von dem uns vorher niemand etwas gesagt hat. Mal abgesehen davon, dass es im ganzen Spiel keine vergleichbaren Items gibt.

Die alte Schule

"Spiele wie diese", schreibt der Autor John Harris auf Gamasutra.com, "zwingen den Spieler dazu, sich jedes kleinste Stückchen im Vorankommen hart zu verdienen." Oft ist das kein Spaß, wie Johnson richtig sagt, aber wir tun es. Oder besser: Wir haben es getan. Eine fundamentale Veränderung der Spielkultur ist im Gange, die alle vor dem Bildschirm vereinen will, und dadurch die Spielertypen noch strenger trennt. "Spiele für mich" heißt eine Pressekonferenz Ubisofts auf der Games Convention und schnappt sich Yvonne Catterfeld als Patin für Games, die "auf leichte Zugänglichkeit setzen" und dazu beitragen sollen, "sich besser zu fühlen". Ein Spielemagazin für Frauen wird "Play Vanilla" getauft, die Wii bricht als Partykonsole alle Rekorde. Zugleich entwickelt sich immer stärker ein Expertentum. E-Sport- Profis, die ihr Geld mit der Meisterschaft in einem speziellen Spiel verdienen, oder Multiplayer- Online-Welten, in denen Leute bis zu 18 Stunden am Tag leben, um darin aufzusteigen. Eine Trennung in Mainstream und Elite, in Gelegenheitsspieler und Kenner, die der in der Musikwelt nicht ganz unähnlich ist. "Ich höre nur, was so im Radio läuft", sagen da die einen, die von den Indie-Bescheidwissern mitleidig belächelt werden. In den Ur-Zeiten der Arcade-Games und Spielhallen war das organischer. Es spielten nicht so viele Menschen, aber die, die spielten, standen stundenlang vor Automaten, die weder "leichten Zugang" noch Erlebniswelten bieten konnten. Zum Beispiel der Automat "Sinistar". Es galt 20 Kristalle vorsichtig aus Felsen herauszuschießen (nicht zu stark, sonst waren sie weg), sie als Bomben zu sammeln und dabei den Bau eines Todessterns durch feindliche Arbeiter zu verhindern, die ihn in Echtzeit aus ebenso vielen Kristallen aufbauten. Keine Sekunde wild um sich schießen, mit den Bomben haushalten, immer die Übersicht behalten: Spiele wie diese lebten nur vom Prinzip, von nichts anderem. Tiefe durch Reduktion. Und der Autor, der als moderner Mensch die "Extreme Condition" von "Lost Planet" überstanden hat, verzweifelt an den Panzerchen im Quadratfeld von "Battle City", die man nur abwehren kann, wenn man sich an genaues Hinsehen und die Langsamkeit der Kugeln gewöhnt, die man schon auf den Weg schicken sollte, wenn der Gegner bis zur Mauerecke noch drei Felder Zeit hat. Veteranen wittern in diesen kargen, knorrigen Spielen im Kontrast zum modernen Effektgewitter so viel Seele wie in einem LoFi-Blues von 1930 gegenüber einem Slipknot-Konzert 2003. Der Blues ist auf seine Art härter.

Der unerträgliche Charme der Kompromisslosigkeit

Derlei Kompromisslosigkeit bildet die Antithese zu allem, was die oben erwähnte Produktlinie "Spiele für mich" in Zukunft bieten will. Die neuen Spiele bedürfen laut Pressemitteilung "keiner speziellen Fähigkeiten oder langen Eingewöhnungszeiten (...), passen sich an moderne Lebensumstände an und bieten selbst als kurzer Unterhaltungshappen für zwischendurch schnelle Erfolgserlebnisse". Interpretiert man diesen Satz böse, könnte man auch sagen: Sie sind die Kapitulation des Zeitfressers Videospiel vor den Erfordernissen des 16-Stunden-Arbeitstages im Cappuccino-Kapitalismus. Die alten Hardcore-Spiele gewännen somit in der Rückschau fast politische Qualität, zogen sie doch den Spieler nicht sozialverträglich nur "zwischendurch", sondern stundenlang aus dem "produktiven Leben" ab. Und das nicht, um ihn online in Parallelwelten schweben zu lassen. Nein, diese Spiele waren Arbeit. Tagelang musste man bei den "Zelda"-Spielen (besonders beim Original von 1987) mit dem Schwert die Wände abklopfen, weil sich der entscheidende versteckte Durchgang überall verbergen konnte. Kein Hinweis, keine Hilfe, nur stupides, ausdauerndes, unablässiges Klopfen. Alte Rollenspiele wie die "Wizardry"-Reihe erforderten noch mehr Fleiß. Kartenzeichnen, per Hand, auf Karopapier. Kriegs- und Flugsimulationen waren so sehr das Gegenteil von "einfachem Zugang", dass sie nur von rauchenden, sehr ernsten Männern in dunklen Computerzimmern gespielt werden konnten. Bei "High Command" lagen dabei 200 eng bedruckte Seiten Anleitung neben dem Ascher. Mit "Falcon 4.0" hob nur ab, wer 716 Seiten gelesen und achtfache Tastenbelegungen zu bedienen gelernt hatte. Zur Erinnerung: Thomas Manns "Buddenbrooks" hat nur 18 Seiten mehr. Ein Früh-Action-Adventure wie "Tower Of Druaga" (NES) verhält sich zur neuen Leichtigkeit des Spielens wie eine aus zwei Brummgeräuschen bestehende Drone-Platte gegen die neueste Single von James Blunt: Die Spielfigur lässt sich nur in quälend langsamem Tempo durch die Gänge lenken, während ihr jedes Item unerwartet das Augenlicht nehmen oder Schlimmeres anrichten kann. Man weiß es vorher nicht, und man kann das Item, einmal aufgenommen, danach nicht mehr ablegen. Yvonne Catterfeld würde bei einem solchen Gameplay implodieren. Doch nicht alles, was schwer ist, ist auch automatisch spröde. Manche Spiele wurden dadurch schwer, dass sie die Spielbarkeit der künstlerischen Idee unterordneten. Das in der vorigen GEE-Ausgabe zu Recht in die Top 50 gewählte "Another World", dessen vollkommen anzeigenfreier Bildschirm nur vier Dinge verlangte: erkunden, laufen, millimetergenau springen, sekundengenau schießen. Tot war tot, und die Kraft lag in der absoluten Ruhe, die dieses nahezu musikfreie Spiel ohnehin bestimmte. Oder der PS2-Exot "Killer 7", in dem wir einen Mann steuern, der seiner schizophrenen Spaltung hilflos ausgeliefert ist. Besser: Wir steuern ihn im Grunde nicht, denn seine Hilflosigkeit wurde in eine auf Minimalbefehle reduzierte Steuerung umgesetzt - die Videospielvariante eines Autorenfilms. Besonders berühmt für die Ästhetisierung des Spielens wurde die Firma Psygnosis, die bildende Künstler einstellte, um aus einem klassischen 2D-Shooter wie "Agony" ein so malerisches Erlebnis zu machen, dass man die Frustmomente im wirren Dauerbeschuss nur für den bloßen Anblick ertrug. Klassische Horizontal-Scroller-Ballereien sind dann auch das Genre, das zwar im Vergleich zu den Egoshootern der Gegenwart leichten Zugang erlaubt, oft aber schon von Level 2 an höchste Ansprüche an die Fähigkeit stellt, bei hektischem Geschehen die Übersicht zu bewahren. Bis heute ist es trotz des technischen Zahnes der Zeit beeindruckend, Perfect Runs von "Super R-Type" (SNES) oder "Project X" (Amiga) im Internet zu betrachten. Will man sich selber quälen, wählt man bei "G-Darius" (PSOne) direkt die bildschirmfüllenden Endgegner an und manövriert sein Schiff durch die wenige Pixel breiten Spalten, die im Feindbeschuss noch bleiben.

Wer ist hier der Boss?

Ohnehin sind Bosse eine Kategorie für sich. Unter Spielern mit Ausdauer und Ehrgeiz haben sie eine mythische Aura, wer sie schlagen konnte, berichtet davon wie ein Veteran. Der vielleicht berühmteste von ihnen ist sogar selbst einer, "The End" aus "Metal Gear Solid 3: Snake Eater". Der Zweikampf im Dschungel gegen diesen Scharfschützen erfordert nervenzerfetzende Aufmerksamkeit und Geduld. Nur ein Rascheln im Geäst, absolute Stille, das Herumschalten in der Karte auf der Suche nach seinen Sniper-Punkten, die Panik, ihn nicht zu sehen und schon wieder selbst getroffen zu werden. Selten ist man so drin, selten ist man so allein. Das absolute Gegenteil ist der Endboss des Shooters "Mushihimesama Futari": eine psychedelische Erfahrung, bei welcher der Bildschirm nur noch aus Kugeln besteht und der Begriff "Ausweichen" augenblicklich aus dem Sprachgedächtnis des Spielers gelöscht wird. Ein Moment, der einen ob seiner Absurdität in hysterisches Gelächter ausbrechen lässt. Einen gemeinen Scherz hat sich auch Squaresoft mit dem Zwischenboss Emerald Weapon in "Final Fantasy VII" erlaubt. Dieses Seemonster hat 1 Millionen Lebenspunkte, und man selbst nur 20 Minuten Zeit, um sie ihm abzunehmen. Natürlich gibt es einen Weg, Emerald Weapon zu besiegen. Es gibt immer einen. Und auch in Zeiten von Casual Games und Partyspielen werden sich immer Menschen finden, die bereit sind, nach diesem Weg zu suchen. Die bereit sind, sich die Köpfe zu zermartern, die Daumen wund zu spielen, sich schier unbesiegbaren Gegnern zu stellen, tagelang nach einer geheimen Tür zu suchen, die es vielleicht gar nicht gibt. Denn während leicht zugängliche Spiele uns erlauben, ohne großes Vorwissen zwischendurch eine halbe Stunde Spaß zu haben, schenken uns wirklich schwere Games eine ganze Palette von Emotionen: Wut, Verzweiflung, Resignation, aber auch unbändige Freude, wenn es uns gelungen ist, den unauffindbaren Gegenstand zu finden, den unbesiegbaren Gegner zu bezwingen, das unlösbare Geheimnis zu lüften. Einfache Spiele konfrontieren uns mit tollen Spielewelten und schönen Geschichten, und das ist auch gut so. Aber schwere Games konfrontieren uns mit uns selbst. Text: Oliver Uschmann, Illustration: ITF Grafik Design
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2007 /

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