„Die Bibel ist brutaler“

"Die Bibel ist brutaler"

Mit dem Gesetzesentwurf zum Werbeverbot für "gewaltbeherrschte" Spiele erreicht die "Killerspiele-Diskussion" einen neuen Höhepunkt. Jetzt meldet sich ausgerechnet ein Pastor zu Wort. In seinem Buch "Schluss mit dem Gewalt-Tabu" plädiert Thomas Hartmann dafür, Computerspiele nicht länger zum Sündenbock zu machen. GEE traf ihn zum Gespräch

GEE: Wie kommt man dazu, als Pastor ein Buch mit dem provokanten Untertitel "Warum Kinder ballern und sich prügeln müssen" zu verfassen? Thomas Hartmann: Ursprünglich wollte ich ein Buch über Gewalt in der Bibel schreiben. Im Alten wie im Neuen Testament gibt es ja sehr, sehr heftige Gewaltdarstellungen und Visionen. Und ich hatte für das Buch von vorneherein geplant, einen Bezug zwischen der Gewalt in der Bibel und der im Alltag von Kindern und Jugendlichen heute herzustellen - unter anderem wollte ich dabei auch auf Computerspiele und Medien im Allgemeinen eingehen. Es ist einfach so, dass Jugendliche sich von den Erwachsenen abgrenzen müssen. Und das funktioniert ja unter anderem auch über Gegenpositionen. Und diese sind automatisch mit Gewalt verbunden? Natürlich nicht zwangsläufig, aber schon mit Aggression, die ja Auslöser für Gewalt ist. Ich bin keineswegs dafür, Gewalttaten zu unterstützen oder gar zu forcieren, sondern den Kids vielmehr beizubringen, ihre Aggressionen besser zu kanalisieren und auch zu hinterfragen. Machen wir uns doch nichts vor: Kinder waren schon immer Gewaltdarstellungen ausgesetzt. In Märchenbüchern und Filmen - und jetzt in Games. Gewalt fasziniert uns Menschen. Macht- und Autoritätskämpfe sind völlig normal. So genannte Killerspiele machen aus einem Kind keinen Amokläufer. Da spielen ganz andere Faktoren eine Rolle. Sich damit auseinanderzusetzen ist bloß nicht so bequem, wie alles auf böse Computerspiele zu schieben. Woher kommt Ihre persönliche Affinität zu Computerspielen? Ich schreibe schon länger für Internetseiten und Magazine, unter anderem für "Macwelt" und die "c't". Zwar mehr über Software als über Games, aber ich spiele seit Jahren selbst. Das interessiert mich alles sehr. Die Lektorin meinte außerdem, dass sie mit einem Schwerpunkt auf Gewalt in der Bibel nicht so viel anfangen könnte. Sie fand den Bezug zu Computerspielen und der heutigen Jugend viel interessanter und bat mich, ihn stärker herauszuarbeiten. Das klingt nach großem Umdenken. Das war zum Teil ganz schöne Knochenarbeit, stimmt. Insgesamt habe ich ein Jahr an dem Buch gearbeitet. Andererseits hat es mich sehr fasziniert, nicht nur über die Bibel zu schreiben, sondern auch in diesem Umfang den Blick auf Kinder und Jugendliche zu richten. Ich mache als Pastor ja selbst viel Jugendarbeit. Und so war es nur logisch, ein ganzes Kapitel Computerspielen zu widmen, da diese für Kinder immer wichtiger werden und viele Erwachsene gar nicht wissen, was sie sich darunter vorzustellen haben. Wie reagierte die Kirche auf das Buch? Bislang noch recht verhalten. Vielleicht ist es auch noch etwas zu früh. Ich weiß gar nicht, wie viele Kollegen es schon gelesen haben. Aber ich rechne schon damit, dass mancher Anstoß daran nehmen wird. Andererseits hat mein Probst, der ja eine Art Vorgesetzter für mich ist, mir schon sehr positives Feedback gegeben. Das hat einige meiner Befürchtungen zerstreut. Welche Befürchtungen? Nun, ich wurde ja als Pfarrer aufs Cover gesetzt, um gleich klar zu machen, wer da überhaupt spricht. Und da war ich mir nicht sicher, ob das eventuell problematisch sein könnte. Ich habe ja das Buch keinesfalls im Namen der Kirche geschrieben, sondern als Privatperson. Sind Sie denn aus anderen Gründen mal angeeckt? Sie scheinen ja nicht gerade der Standardpfarrer zu sein. Ja, ich habe vor ein paar Jahren mal eine Predigt über therapeutisches Klonen gehalten. Das kam nicht so gut an und hatte eine ziemliche Öffentlichkeitswirkung. Eine Predigt zum Thema therapeutisches Klonen?! Ich hatte gerade diesen Film gesehen. "The 6th Day" mit Arnold Schwarzenegger. Deshalb hat mich das Thema sehr beschäftigt, und den Film habe ich auch als Einstieg für meine Predigt genommen. Nun hatte der Kirchenpräsident zufällig fast zeitgleich vor einem Dammbruch in Sachen Gentechnik gewarnt, während ich mich auf die positiven Aspekte und Chancen konzentriert habe. Da gab es dann einen Rüffel, und mir wurde nahe gelegt, mich doch über solche Dinge lieber in Gremien zu äußern, außerdem wollten sie gerne meine Predigt lesen. Die habe ich dann geschickt und nie wieder etwas gehört. Die hatten wohl gedacht, ich haue da einfach nur drauf, um mich wichtig zu machen. Aber ich habe ja argumentiert. In Ihrem Buch schreiben Sie ja nicht zuletzt als Vater. Sie haben vier Kinder, die auch gern Computerspiele spielen. In einem Kapitel beschreiben Sie, wie Ihr ältester Sohn - damals zwölf Jahre alt - "GTA 2" mit nach Hause brachte. In diesen Momenten bekommt das Buch eine sehr persönliche Note. Ja, weil ich Computerspielen gegenüber sehr aufgeschlossen bin, habe ich oft eine große Hemmschwelle, etwas zu verbieten - vielleicht auch höher als andere Eltern, die sich damit nicht auskennen. In diesem Fall fand ich es nicht angemessen für meinen Sohn. Er hatte die Demo aus dem Internet. Aber ich habe es nicht verboten, weil ich dachte, mein Sohn würde sonst zum Amokläufer, sondern ich fand einfach die grafische Darstellung zu drastisch. Diese Bilder können schon verstörend sein. Außerdem sehe ich auch die Gefahr, dass Kinder, wenn sie zu jung oder zu ausgiebig mit derlei Spielen konfrontiert werden, eventuell tatsächlich abstumpfen. Wie sieht Ihrer Meinung nach der ideale Umgang von Erziehungsberechtigten mit computerspielenden Kindern aus? Ich möchte, dass die Erziehungsberechtigten ihre Aufgabe ernst nehmen. Und das bedeutet unter anderem, sich für die Spiele, die ihre Kinder spielen, auch zu interessieren und sich damit auseinanderzusetzen. Verbote ersetzen keine Erziehung. Natürlich heißt das nicht, dass Zehnjährige Spiele spielen sollen, die erst ab sechzehn freigegeben sind. Aber wenn man mit den Jugendlichen diskutiert und sich erklären lässt, was genau daran so faszinierend und toll ist, fällt es ihnen leichter, selbst ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln. Man sollte einfach auch selbst mal spielen, um zu wissen, wie sich das anfühlt. Und Dialoge zulassen, fragen, ob die Kinder denn glauben, das sei das Richtige für sie. Nach allem Für und Wider kann man sich dann natürlich trotzdem noch dagegen entscheiden und sagen: "Nein, das ist noch nicht das Richtige, dafür bist du noch zu jung", aber man muss sich die Mühe machen, seine Kinder mit guten Argumenten zu überzeugen. Sonst spielen sie heimlich woanders. Ihr älteter Sohn ist mittlerweile achtzehn. Diskutieren sie mit dem auch noch über Computerspiele? Selbstverständlich. Meinem achtzehnjährigen Sohn kann ich zwar nichts mehr verbieten aber man kann über alles mögliche streiten. Zum Beispiel über "Fear" und "Mafia", die der hessische Innenminister gerne verbieten würde. Aber das ist eine reine Geschmacksfrage. Dann muss man auch über andere kulturelle Errungenschaften streiten, beispielsweise über Theaterstücke oder eben Teile in der Bibel, die brutaler sind als jedes Videospiel, das auf den Markt kommen darf. Aber jemandem, der achtzehn Jahre alt ist und den man in den Krieg nach Afghanistan schickt, der immer und überall volle Verantwortung für seine Taten trägt, darf man nicht so ein Spiel verbieten. Das ist Augenwischerei. Momentan gibt es zwei große Diskussionen, die sich mit Kirche und Videospielen befassen. Einerseits fühlt sich die anglikanische Kirche durch "Resistance: Fall Of Man" angegriffen, weil in dem Spiel in der Manchester Cathedral geschossen wird... Das ist doch gang und gäbe. Es gibt unzählige Spiele, in denen in Kathedralen und auf Friedhöfen geschossen wird. Ich denke da beispielsweise an "Unreal", wo es meines Wissens keinen Protest gab. ... und andererseits locken die amerikanischen Protestanten Jugendliche mit "Halo 3"-Spieleabenden in die Kirche. Das ist das andere Extrem. Natürlich versucht man, Jugendliche mit irgendetwas zu locken. Ich weiß von Kollegen, die DVD-Nächte machen, bei denen Filme ohne Altersfreigabe gezeigt werden. Das würde ich nicht tun. Natürlich kann man als Jugendarbeiter Konfirmanden faszinieren, indem man "Saw" zeigt. Aber man kann es nachträglich nicht auffangen. Ich schaue mit ihnen Filme, die eine Problematik haben, die diskutierbar ist. Um sich zu amüsieren, brauchen die keinen Pfarrer. Ich bin sehr dafür, die Medienkompetenz von Jugendlichen zu stärken. Aber ich bezweifle, dass hinter "Halo 3"-Abenden ein pädagogisches Ziel steckt. Wissen Ihre Konfirmanden, dass Sie spielen? Ja, das bekommen sie schon mit. Auch durch das Buch. Das finden sie ganz spannend. Es ist natürlich praktisch, sich auszukennen, wenn die Jugendlichen mit mir darüber sprechen wollen, was sie gerade spielen und was sie beschäftigt. Manche kommen auch zu mir und erzählen, dass sie schon mal "Doom 3" gespielt haben. Aber ich selbst thematisiere das nicht groß. Ich spiele maßgeblich zu meinem eigenen Vergnügen. Wie verhält es sich mit Spielen, in denen man quasi gottgleich ist? Haben Sie "Black & White" gespielt? Da habe ich mich sehr drauf gefreut und war dann enttäuscht. Das war mir zu schwerfällig. Der Gottmodus hat mich allerdings nicht gestört. Das gibt es ja auch in anderen Spielen. Wie ist es mit Spielen, bei denen man sich entscheiden kann, ob man gut oder böse sein will? "Deus Ex" hat mich sehr fasziniert. Und ich habe es tatsächlich einmal durchgespielt, ohne jemanden zu töten. Um zu sehen, ob das funktioniert. Es war sehr mühselig. Aber am Ende wurde man ja auch dafür belohnt. Interview: Sonja Müller, Illustration: Jindrich Novotny
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von Volker Hansch / Dezember 10th, 2007 /

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