De Blob

De Blob

Kleckern, nicht klotzen! Das von niederländischen Studenten erdachte "De Blob" lässt uns mit Farbe spielen und Häuserwände bunt bemalen Wer mit dem Zug reist und in der niederländischen Provinzhauptstadt Utrecht ankommt, möchte am liebsten gleich wieder fort. Die Gegend um den Bahnhof "Utrecht Centraal" ist wohl eine der hässlichsten des ganzen Landes, ein architektonischer Supergau aus Beton. Kantige Hoch-häuser mit Spiegelverglasung wachen über das Viertel und wirken wie ein Signal an alle Reisenden: Hier gibt es nichts zu sehen, nehmt besser den nächsten Zug zurück. Wer dem folgt, macht jedoch einen Fehler: Eigentlich ist Utrecht sehr hübsch mit seinen schnuckeligen Gassen und den mittelalterlichen Häuschen rund um den Hauptkanal "Oudegracht". Im Frühjahr 2006 beschlossen die Stadtväter daher eine Radikalkur für das wenig repräsentative Bahnhofsgebiet. Gleichzeitig gaben sie der ansässigen Kunsthochschule den Auftrag, ein Spiel zu entwickeln, das den Bürgern einen Eindruck des bevorstehenden Wandels geben sollte. Vier Monate später hüpfte ein buntes, rundes Etwas durch die grauen Gassen Utrechts und gab einer Stadt ihre Farben zurück: "De Blob" war geboren. In der Originalversion von "De Blob" steuert der Spieler einen überdimensionalen Flummi durch die farblosen Gassen der Stadt. Hüpft der pausbäckige Ball auf einen umherlaufenden Passanten, nimmt er dessen Farbe an und kann sie an die Gebäudefassaden weitergeben. Hüpft er zuerst auf einen roten und dann auf einen gelben Fußgänger, mischen sich im Ball die Farben zu einem kräftigen Orange. Blau und Rot ergeben Lila, kommt noch Grün dazu, wird der Blob braun-beige und seine Umgebung bei Berührung ebenso. Die bunten Farben stehen für neue Lebensfreude, die man Utrecht in Zukunft auf den ersten Blick ansehen sollte - ein ebenso simpler wie stimmiger Grundgedanke, der auch in das jetzt erscheinende Wii-Spiel übernommen wurde. In ein Spiel, das nie geplant war: "De Blob" sollte eigentlich nur auf ein paar Rechnern im extra eingerichteten Informationszentrum spielbar sein. Dann aber gab es die Software auch als Download auf der offiziellen Homepage der Stadt, und kurze Zeit -später hüpften Hunderttausende weltweit auf ihren Windows-Rechnern an Kanälen entlang und wälzten sich in allen Regenbogenfarben.

Wie aus einem Seminar ein Spiel wurde

"Vielleicht hätten wir die Downloads zählen sollen", sagt Olaf Jansen schüchtern. Der 24-jährige Programmierer stieß von der Universität Utrecht zum achtköpfigen Team der Kunsthochschule hinzu, und noch heute wundert ihn der Erfolg des Spiels: "Damit hatte keiner gerechnet", sagt er, "was sich da abgespielt hat, war für uns alle schwer zu begreifen." Das war es auch anfangs für Jan-Pieter van Seventer. Der 39-Jährige ist Produktmanager bei W!Games, einem kleinen Entwicklungsstudio in Amsterdam. Seine Erfahrungen aus der Branche gibt er als Dozent an die Studenten der Kunsthochschule Utrecht weiter. Dort, im Fachbereich für Game-Design, trudelte vor zwei Jahren die Anfrage der Stadt ein. Und van Seventer sollte das Projekt als Seminar betreuen. "Anfangs hatten wir völlig andere Ideen", sagt er, "wir dachten zum Beispiel an ein Parcours-Spiel, in dem man durch die Stadt rennen und sie von Graffiti befreien musste - also das Gegenteil von dem, was wir schließlich entwickelt haben." Was in vier Monaten Arbeit in den Händen von Game-Design-Studenten, Programmierern und Animatoren entstand, sah aus wie eine Rohversion des Wii-Spiels "De Blob", eine Rohversion voller frischer Ideen allerdings, in der die grundsätzlichen Spielelemente bereits enthalten waren. Aus heiterem Himmel erreichte den Dozenten dann ein Anruf, dass er aus der Seminararbeit ein kommerzielles Videospiel machen sollte. Am anderen Ende der Leitung und am anderen Ende der Welt saß Andrew Walker, Produzent bei THQ. Van Seventer erwartete eigentlich, auf eine Spielidee angesprochen zu werden, die er mit seiner eigenen Firma erdacht und dem Publisher zugeschickt hatte. Doch Walker hatte anderes im Sinn. Er hatte von einem australischen Kollegen den Tipp erhalten, sich das niederländische Studentenprojekt näher anzusehen. Der Tippgeber war Nick Hagger von Blue Tongue, der damals ganz begeistert auf seinem PC das dreidimensionale gestaltete Utrecht mit Farbklecksen versah. Der Startschuss knallte so laut, dass plötzlich andere Publisher auf "De Blob" aufmerksam wurden und den Niederländern eilig ihre Aufwartung machen. Aber da war der Deal mit THQ längst beschlossene Sache. Die Amerikaner bemühten sich früh um das Spiel. Sie kamen zuerst und malten zuerst. Außerdem kamen sie geschickt den Forderungen mehrerer beteiligter Rechte-Inhaber nach. Die Studenten wurden angemessen entlohnt, sodass sich fünf von ihnen mit einer eigenen Firma, Romino Games, selbständig machen konnten. Und auch die Stadt und die Universität gingen nicht leer aus. Zuletzt konnten sie mit Blue Tongue einen Entwickler präsentierten, der als Fan des Spiels ganz heiß darauf war, "De Blob" für die Wii marktgerecht umzugestalten. "Es sollte ein Spiel werden, das man für viele Stunden spielen kann. Deswegen hat Blue Tongue eine Geschichte um das Spielprinzip herum erfunden und den Charakteren damit eine Handlungsmotivation gegeben", sagt van Seventer. Die Story wurde von Utrecht in die fiktive Stadt Chroma City verlegt. Dort haben Comrade Black und seine Schergen vom Großkonzern INKT die Macht übernommen, alle Farben entfernt und halten so die dort lebenden, musizierenden und feiernden Baulinge in einem grauen Alltag gefangen. "Blob" ist ein Freiheitsheld, der sich mit dem Geräusch einer Farbrolle durch einzelne Stadtteile wälzt, die Gebäude wieder anmalt und deren Bewohner dadurch befreit. Außerdem wurden der Hauptfigur einige Mitstreiter zur Seite gestellt - schließlich ist eine Revolution ein großes Unterfangen und alleine nur schwer zu bewältigen. Und so endet die Geschichte damit, dass alle glücklich sind: Neun Studenten haben in nur vier Monaten den Grundstein dafür gelegt, dass viele Menschen außerhalb der Utrechter Stadtgrenzen zu ausgesprochenen Schmierfinken wurden. Die Hochschule der Künste wurde durch den Deal nicht nur mit Equipment, sondern auch mit neuen Projekten belohnt, sodass die Studenten künftig den Erfolg unter besseren Bedingungen wiederholen können. Und die eigentlich doch so hübsche Provinzhauptstadt leuchtet plötzlich in bunten Farben auf den Bildschirmen der Welt.

Das Spiel

"De Blob" lebt von seiner Spielidee, sich mit einem dicken Farbball anarchisch durch graue Landschaften zu wälzen und sie bunt einzufärben. Das ist ähnlich befriedigend wie in einem weißen Zimmer mit einem Eimer kräftiger Farbe Amok zu laufen. Kleinen Zylindern entnehmen wir Farbpunkte und kolorieren Gebäude, Pflanzen und nicht zuletzt Baulinge durch Berührung. Für jedes gefärbte Objekt gibt es Punkte, und damit erfüllen wir einen vorgegebene Score. Färben wir mehrere Gebäude hintereinander, ohne den Boden zu berühren, erhalten wir einen satten Bonus. Haben wir den Score erreicht, öffnet sich ein neuer Spielabschnitt. Bewältigen wir Aufgaben, die wir von unseren Freunden erhalten, gibt's schneller mehr Punkte. So erledigen wir Tintie-Patrouillen, färben Häuserzeilen in vorgegebenen Farben ein, erobern von INKT missbrauchte Bauling-Wahrzeichen zurück und überstehen knifflige Sprungpassagen. Mit dem Nunchuk steuern wir Blobs Richtung, mit einer Abwärtsbewegung der Wiimote lassen wir ihn hüpfen. Leider ist Blob etwas träge. Bei Combo-Versuchen klatscht er eher gegen die Wände, als dass er springt. Auch die halb automatische Zielerfassung mit der Z-Taste wirkt unausgereift, visiert man doch häufig die falschen Dinge an. "De Blob" ist aber auch ein sehr einfaches Spiel. Es will uns nicht fordern, sondern in einen Spielfluss versetzen. Das gelingt sofort, auch dank des funkigen Instrumental-Soundtracks. Zudem ist der Deathmatch-Modus für bis zu vier Spieler unverhofft gemein und witzig. Insgesamt ist "De Blob" sicherlich eines der besten Wii-Spiele des Jahres.
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2008 /

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