Little Big Planet

Little Big Planet

Eine Mischung aus Pupentheater und Werkzeugkasten soll die Playstation 3 endlich zum Leben erwecken. Als eines der ersten Spielemagazine weltweit hat GEE den kleinen großen Planeten bereist Am 29. Oktober erscheint mit "Little Big Planet" ein Game, das unsere Vorstellungen von einem Konsolenspiel vollkommen umkrempeln will. Die Idee dahinter haben die Macher von Media Molecule, einem kleinen Entwicklungsstudio aus England, in drei Wörtern prägnant zusammengefasst: "Play, Create, Share" - spielen, erschaffen, teilen. Das Gaming selbst ist also nur noch eine der drei tragenden Säulen von "Little Big Planet". Ebenso wichtig soll es sein, mit dem Leveleditor eigene Spielwelten entstehen zu lassen und mit diesen Schöpfungen anderen Spielern Freude zu machen. Shuhei Yoshida, Präsident der weltweiten Entwicklungsstudios von Sony Computer Entertainment, sieht in "Little Big Planet" nicht nur einen möglichen Schub für den schwerfälligen Verkauf der Playstation 3, sondern gar ein Modell für die Zukunft der Konsolenspiele: "Von Spielern erstellte Inhalte gab es bislang zwar auf dem PC, aber in dieser Qualität noch nie auf einer Konsole", sagt Yoshida, "und noch interessanter als das Spiel selbst wird, was die Spieler mit 'Little Big Planet' anfangen." Das klingt viel versprechend. Aber auch nach Arbeit. Setzen wir also unseren Fuß auf den kleinen großen Planeten und lassen uns überraschen, ob bei all der Kreativität, die uns abverlangt wird, der Spielspaß nicht auf der Strecke bleibt. Die ersten Zweifel verschwinden bereits nach ein paar Minuten während der spielbaren Eröffnungssequenz. Denn dort machen wir die Bekanntschaft von Sackboy, einer kleinen Stoffpuppe mit breitem, einnehmendem Grinsen, die wir sofort ins Herz schließen und von nun an durch die kunterbunte Welt von "Little Big Planet" schicken. Wir lassen sie von links nach rechts über den Bildschirm flitzen, während im Hintergrund die Namen und Gesichter des Entwicklerteams vorbeihuschen. Unterwegs lernen wir, wie wir den kleinen Kerl neu einkleiden, Grimassen schneiden und tanzen lassen. Die Steuerung geht dabei sehr leicht von der Hand: Der Bewegungssensor des Controllers lässt den Kopf oder die Hüften des Sackboys kreisen, während wir bei gedrückten Triggertasten die Analogsticks bewegen und somit seine Arme schwenken. Gefühle wie Wut, Angst oder Freude zeigt unser Stoffkamerad, wenn wir das Steuerkreuz in die entsprechende Richtung drücken. Derart herumzualbern ist nicht wirklich notwendig, um "Little Big Planet" zu spielen, macht aber immer wieder Laune. Nach dieser Grundausbildung zum Puppenspieler landet unser Sackboy oder -girl im "Pod", einer Raumkapsel aus Wellpappe, die ihm als Basis dient. Von hier aus unternimmt er Ausflüge zu dem an einem Bindfaden herabbaumelnden Little Big Planet oder zu einem seiner zwei Monde. Der rechte Trabant beherbergt alle Level, die vom Spieler selbst erstellt wurden, während der linke Mond uns mit dem Playstation-Network verbindet, aus dem wir die Kreationen anderer Spieler herunterladen können.

"Play": das Spiel als Spiel

Bevor wir nach und nach alle vorgefertigten Level von "Little Big Planet" freispielen können und gemeinsam mit Sackboy exotische Länder bereisen dürfen, müssen wir zunächst drei Trainigslevel absolvieren. Dazu besuchen wir den König des alten Europas, einen aus Spanplatten herausgesägten Hampelmann. Dessen Reich trägt den Namen "The Gardens", und genauso sieht es auch aus: als hätten Kinder für ihre Spielzeugpuppen und Matchboxautos ein Hindernisparcours im heimischen Garten errichtet mit bekritzelten Pappkulissen, Knetgummi, Bauklötzen, kleinen Steinen und Muschelschalen, ein paar Schrauben, Federn und Draht sowie anderen Alltagsgegenständen, die zufällig herumlagen. Es ist der Stil von "Little Big Planet", der einen sofort verzaubert und zeigt, wie viel spielerisches -Potenzial in den gewöhnlichsten, unscheinbarsten Dingen schlummert. Sackboy selbst macht sich in dieser Kulisse zielstrebig auf den Weg. Wir lassen ihn im Auftrag des Königs wetzen und hüpfen, Abgründe überwinden und wertvolle Punktblasen einsammeln. Unterwegs lauern heulende Gespenster, deren Berührung die Wiedergeburt am letzten Checkpoint oder nach vierfacher Reinkarnation den Levelneustart zur Folge hat. Ein klassisches Jump'n'Run-Szenario, könnte man meinen - wäre da nicht der wundervoll chaotische Mehrspielermodus: Bis zu vier Sackboys und Sackgirls können gleichzeitig durchs Spiel tollen und in jedem einzelnen Level um den Highscore kämpfen. Dabei geht es nicht nur um Schnelligkeit. Dank der Puppenspielersteuerung und der gelungenen Physiksimulation können die Stoffzwerge sich gegenseitig festhalten, schubsen oder sogar Ohrfeigen verteilen. Das endet nicht selten in einer Rauferei. An anderer Stelle können die Puppen einander helfen, um an schwer erreichbare Schätze wie ausgefallene Kostüme oder Aufkleber heranzukommen. Letztere können dazu benutzt werden, die Level im Vorbeigehen mit Fratzen, Slogans und Farbklecksen zuzukleistern. Dieses heillose Durcheinander und die kontrollierte Willkür im Gamplay lassen ständig eine Brise freundlicher Anarchie und harmlosen Vandalismus' durch das Spiel wehen. Hat Sackboy die Aufnahmeprüfung des Königs bestanden, zieht er hinaus in die weite Welt. In Afrika, Amerika und Asien kennt die Obskurität keine Grenzen mehr: In der Savanne trifft er auf riesige Holzkrokodile, in Japan auf Ninja-Roboter, und in Brasilien veranstaltet das leidenschaftliche Skelettpärchen Frida und Don Lu eine feurige Mischung aus Hochzeitsbankett und Totentanz. Nun verschwimmen selbst die Genregrenzen. Was als Jump'n'Run begann, verwandelt sich im New-York-Level "Lowrider" in einen Flipperautomaten oder an der Westküste Mexikos in ein Puzzlespiel. Am Nordpol fliegt Sackboy per Jetpack durch einen langen, unter Starkstrom gesetzten Tunnel, auf Jamaika nimmt er an einem Rodeo teil, und in Sibirien geht er Schlitten fahren. In 60 Leveln zeigen uns die Entwickler von Media Molecule, was mit "Little Big Planet" machbar ist. "Und jeder einzelne dieser Spielabschnitte wurde mit genau jenem Leveleditor erstellt, der auch dem Spieler zur Verfügung steht", sagt Chefdesigner Mark Healy. Zeit also, endlich kreativ zu werden.

"Create": das Spiel als Werkzeug

Das Spiel und der Editor sind eng miteinander verbunden. Denn auf seiner Weltreise sammelt Sackboy nicht nur dekoratives Tamtam, sondern auch Materialien, Werkzeuge und Fähigkeiten, mit denen wir eigene Level entstehen lassen können. Wie das funktioniert, wird uns erklärt, wenn wir Sackboy auf seinem Bastelmond landen lassen. Anhand 20 einfacher Übungen erlernen wir dort unser Handwerk. Zu Beginn jedes Probelevels erklärt uns ein älterer, exzentrischer und sehr britisch klingender Herr in einem Kurzfilm, was zu tun ist. Sackboy, der uns auch im Editor als Verbindung zur Spielwelt erhalten bleibt, schwebt dabei über der Landschaft. Per Knopfdruck erscheint neben ihm das "Popit", ein interaktives Sprechblasenmenü, aus dem wir all das auswählen können, das wir zum Basteln benötigen. Das wichtigste Werkzeug, das zur Wahl steht, ist der Popit-Cursor. Der funktioniert ähnlich wie der Mauszeiger am PC, wird jedoch von den Analogsticks des PS3-Controllers gesteuert. Mit seiner Hilfe platzieren wir Gegenstände aus unserer Sammlung im Level, kopieren sie, verändern ihre Form und lassen sie verschwinden. Nachdem wir ein Material wie Holz, Glas, Gummi oder Metall ausgewählt haben, können wir dem Cursor dazu verwenden, wie mit einem Pinsel dreidimensionale Figuren in die Landschaft zu malen. So entsteht die Grundstruktur jedes Levels. Treppen, Rampen, Hindernisse, Berge, Häuser und sogar die grobe Gestalt eines Endgegners erschaffen wir innerhalb weniger Minuten. Zur Nachbearbeitung steht weiteres Werkzeug zur Verfügung: Die Formen können eingefärbt, verziert, beklebt, untereinander mit virtuellem Draht, Klebstoff oder Gummiband verbunden und auf viele Arten verändert werden. "Wir wollten den Spielern die Möglichkeit geben, genau das zu bauen, was ihnen vorschwebt", sagt Technical Director Alex Evans. Das ist den Entwicklern gelungen. Da sich alle Materialien und Objekte so verhalten wie in Wirklichkeit, gestaltet sich das Levelbasteln sehr intuitiv. Gegenstände aus Holz sind schwerer als solche aus Pappkarton und lassen sich dementsprechend auch im fertigen Level nicht so einfach von den Stoffpuppen zur Seite schieben. Möchten wir, dass sich im Spiel etwas von allein bewegt, müssen wir einen kleinen Motor anbringen, den wir ebenfalls aus unserem Popit-Menü hervorzaubern. Soll an einer bestimmten Stelle Musik oder ein Geräusch zu hören sein, montieren wir einen Lautsprecher. Alles genau so wie in der Hobbywerkstatt im Keller. Auch Hebel und Schalter lassen sich einfach installieren, Aufzüge und Falltüren zu bauen ist ein Kinderspiel. Und sogar auf künstliche Intelligenz müssen wir nicht verzichten. Ohne die geringste Ahnung vom Programmieren erschaffen wir Kreaturen, die den Sackboys das Leben schwer machen oder ihnen als Gefährten nicht von der Seite weichen. Hierzu pflanzen wir einer Figur, die wir aus diversen Materialien und Gegenständen zusammengeschustert haben, ein einfach gestricktes Gehirn ein. Das unterscheidet zwar lediglich zwischen Verfolgen, Flüchten und Ignorieren, aber das reicht für unsere Zwecke vollkommen aus. Zu jedem Zeitpunkt können wir unser Projekt speichern und probespielen. Müssen wir an der einen Stelle noch mehr Feuer legen, um den Sprung zur Herausforderung zu machen? Ist der Level schwierig oder einfach genug? Benötigt der Abschnitt eine erklärende Texttafel? Stimmt die Beleuchtung? Solche Fragen können geklärt werden, wenn wir den unerschrockenen Sackboy wieder und wieder durch unseren ersten eigenen Level scheuchen.

"Share": das Spiel als Tauschbörse

Sind wir schließlich mit unserem Werk zufrieden, steht einer Veröffentlichung nichts mehr im Wege. Nachdem wir unserem Level einen Namen gegeben und ihn mit einer Beschreibung und einem Bildchen versehen haben, stellen wir ihn ins Playstation-Network. Gefällt anderen Spielern, was wir gebaut haben, können sie uns eine Nachricht schicken und unsere Kreation bewerten. Das dient nicht nur als Rückmeldung für uns, sondern auch als Empfehlung - oder Warnung - für weitere Spieler. Die Entwickler haben damit ein Auswahlverfahren eingebaut, das die Spreu vom Weizen trennt und dem Spieler somit die Auswahl erleichtert. Als Belohnung können wir in unseren Leveln sogar selbst gebastelte Figuren und Objekte sowie eigene Aufkleberkreationen verstecken, die andere Spieler beim Erschaffen ihrer Welten verwenden dürfen. Es kann also passieren, dass wir uns eines Tages einen Spielabschnitt herunterladen, in dem unser Sackboy von Teddybären angefallen wird, die wir selbst als knuffiges Geschenk in unserem Level versteckt hatten und die von einem anderen Spieler zu blutrünstigen Monstern umprogrammiert wurden. So findet ein stetiger Austausch statt, der ständig Abwechslung bietet. Es bleibt abzuwarten, ob das Angebot zur kreativen Selbstverwirklichung und Zusammenarbeit in jenem Ausmaß angenommen wird, wie von den Entwicklern erhofft. Die Möglichkeiten jedenfalls scheinen endlos. Ist die Modding-Szene auf dem PC ein Anhaltspunkt, dann sollte es schon wenige Wochen nach der Veröffentlichung von unterschiedlichen Genre- und Stilmixturen nur so wimmeln. Spieler werden Level zu Action-Adventures oder Rollenspielen zusammenfügen, Rennstrecken und Labyrinthe errichten, Hommagen an ihr Lieblingsspiel oder ihre Freundin veröffentlichen, komplexe Maschinen bauen oder einfach nur mit der Fotofunktion des Spiels angefertigte Screenshots zu interaktive Collagen zusammenfügen. Und immer mittendrin: unser Sackboy mit seinem breiten, kompromisslosen Grinsen als Spiegel unserer eigenen kindlichen Freude am Spiel.

Das Spiel

"Little Big Planet" könnte tatsächlich das lang erwartete Spiel sein, das der Playstation 3 zum Durchbruch verhilft. So viel Mut zur Einbindung des Spielers und zum kreativen Experiment haben die anderen Konsolenhersteller bisher nicht gezeigt. Einzig "Spore" bietet auf dem PC etwas Vergleichbares. Doch während wir in Will Wrights Evolutionssimulator die Lebewesen, Fortbewegungsmittel und Bauwerke nach unserem Willen gestalten, dreht "Little Big Planet" den Spieß um: Hier haben wir weniger Einfluss auf die Spielfiguren, denn unsere Stoffpuppen bleiben trotz fantasievoller Verkleidung und Make-up im Kern immer gleich. Stattdessen machen wir uns mit "Little Big Planet" unser eigenes Spiel. Und das ist eine ganze Spur radikaler als "Spore". Zudem setzt "Little Big Planet" auch auf all jene Stärken, die Nintendo und Microsoft derzeit für ihre Konsolen beanspruchen. Die liebenswerten Figuren und die naiven, leicht meschuggen Traumwelten des Spiels würden auch jeden Nintendo-Titel von "Super Mario" bis "Animal Crossing" schmücken. Das Spiel ist familienfreundlich und verzaubert jeden, der nur einen kurzen Blick darauf wirft. Gleichzeitig wendet es sich aber auch an den erfahrenen Gamer, denn einige der Level sind erstaunlich schwierig und wecken Hoffnungen auf noch größere Herausforderungen in den Werken anderer Spieler. Und sogar Highscore-Fetischisten können Beute machen: In beinahe jedem Level geht es darum, die Höchstzahl an Punkten zu sammeln und unterwegs womöglich die eine oder andere "Trophäe" einzuheimsen, das frisch eingeführte Playstation-3-Equivalent zu den Achievements der Xbox 360. Der schönste und wichtigste Highscore aber ist ein anderer: die Anzahl an positiven Bewertungen und die begeisterten Kommentare, die wir von anderen Spielern für unsere eigenen, in liebevoller Handarbeit erschaffenen Kreationen erhalten.
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2008 /

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