„Lauf jetzt“

"Lauf jetzt"

In den Sprachkanälen von Onlinespielen trifft man erstaunliche Menschen, hört Dinge, die man nie hören wollte und kann prima psychologische Feldstudien betreiben. Gernot Gricksch vergisst vor lauter Zuhören manchmal glatt das Ballern Neulich bei einem Online-Gefecht in "Call Of Duty: World At War": Spieler Fackface199 macht seinem Namen alle Ehre. Nonstop quakt, kreischt und pöbelt er via Headset auf die Mitspieler ein. Bei einem von ihm gezielt platzierten Kopfschuss jubelt er sich fast besinnungslos ("Got ya, you f***ing, c***sucking motherf***!"), wenn er selbst getroffen wird, kennt sein Ärger dagegen keine Grenzen: "I f***ing hate ya f***ing, assf***ing snipers! F*** you all, you f***ing assf***!". Fackface199 ist seiner Stimmfrequenz nach zu urteilen höchstens zwölf Jahre alt und irgendwo in Nordengland zu Hause. Drei Maps lang erdulden alle Mitspieler seufzend das grelle Gekreische des präpubertären Knaben mit dem unterentwickelten Wortschatz. Dann hat einer von ihnen die Nase voll. In distinguiertem Oxford-Englisch sagt er: "Mein Gott, das ist ja wie in einem dieser Fernsehdramen über verwahrloste Kinder. Ist deine Mutter eine Prostituierte, Kleiner? Ist dein Bruder im Gefängnis? Können wir dir irgendwie helfen?" Zehn Gamer lachen. Fackface199 pöbelt nun noch hysterischer als vorher. Zehn Gamer lachen nun noch lauter. Dann beginnt der kleine Motzer plötzlich zu weinen und klinkt sich aus dem Spiel aus. Für mich war das die erschreckendste, dramatischste und tragischste Szene, die ich je in einem "Call Of Duty"-Spiel erlebt habe. Die Bombar-dierung Berlins war nichts dagegen. Der Sprachchannel im Online-Modus ist Fluch und Segen zugleich. -Einerseits kann man im verbalen Austausch vernünftige Taktiken entwickeln, sich gegenseitig vor lauernden Campern warnen und blitzschnelle Rollkommandos starten. Andererseits zerstört dieses akkustische Zusatzelement regelmäßig die von den Entwicklern mühsam aufgebaute Atmosphäre und virtuelle Wirklichkeit eines Spiels. Wie desillusionierend, wenn sich der knallharte Erzfeind in "Ghost Recon", mit dem man sich atemlose Harte-Männer-Duelle geliefert hatte, am Ende einer Partie plötzlich als kindischer Sprücheklopfer entpuppt, der peinliche Atze-Schröder-Kalauer absondert. Eigentlich will ich auch gar nicht wissen, wer sich hinter Namen wie [SS]Landser33 und [69]Jowblob verbirgt - doch wenn man zuhört, was solche Leute von sich geben, taucht man mitunter in Welten ein, die unglaublicher, -bizarrer und erschreckender sind als jedes indizierte Rollenspiel. "Teamspeak" bietet eine Faszination der ganz eigenen Art. Von dem praktischen Nutzen, ohne großen Aufwand populäre Flüche in fünf verschiedenen Sprachen zu lernen, ganz zu schweigen. Während der Sprachmodus in Online-Gefechten noch vor wenigen Jahren zumeist mit technischen Problemen behaftet und eher ein Gimmick für Hardcore-Gamer war, hat mittlerweile das Gros der Xbox- 360- und Playstation-3-Nutzer ein Headset auf, während es im Netz spielt. Und alle reden. Doch die Motivation der Online-Sprecher ist dabei höchst unterschiedlich. Nach ausgiebigen Feldstudien habe ich die verbal aktiven Spieler in vier Hauptgruppen aufteilen können.

1. Der Möchtegern-General

Er dirigiert sein Team mit knappen, präzisen Befehlen. Leider jedoch hat niemand dem Team mitgeteilt, dass er der Chef ist. Der Möchtegern-General ruft sich in Ermangelung freier Wahlen kurzentschlossen selbst zum Befehlshaber aus und hofft, dass irgendjemand darauf hört, wenn er mit bellender Stimme Befehle blökt wie "Drei zu B, einer bleibt bei C und sichert!" Wenn er Pech hat, interessiert's niemanden. Wenn er doppelt Pech hat, rennen alle gleichzeitig zu B, während C -widerstandslos fällt, oder alle gemeinsam sichern in einem großen undurchdringlichen Block Postion C, während B vor die feindlichen Hunde geht. Der Möchtegern-General hat die Selbsteinschätzung von Til Schweiger und Thomas Gottschalk: Wenn alles gut läuft, ist es sein Verdienst. Wenn es schief geht, hat das Team versagt. Der Möchtegern-General versteht keinen Spaß, pöbelt aber auch nicht. Er glaubt an die Ehre des Schlachtfeldes. Er ist ein Clappcouch-Held. Im wirklichen Leben wird dieser Spielertyp aller Wahrscheinlichkeit nach von seiner Freundin zum Sitzpinkeln gezwungen.

2. Der Hedonist

Spaß um jeden Preis - das ist das, worum es ihm geht. Der Hedonist will zwar natürlich schon irgendwie gewinnen, quittiert aber auch bravouröse Attacken und geschickte Strategien seines Gegners mit anerkennendem Gelächter und einem fröhlichem Gegröle. "Aua!", -kichert der Hedonist, wenn er von einer heimtückisch platzierten feindlichen Sprengladung püriert wird. Er ist ein höchst unterhaltsamer Mensch und in seiner Freude am Zerstören und zerstört werden fast ansteckend. Den Hedonisten erkennt man am schrillen, oft unmotivierten Gelächter im Headset und daran, dass er in der Ladephase zwischen den einzelnen Maps oft sinnlose, hyperaktive Geräusche macht oder laut und schlecht singt. Den Hedonisten findet man fast nur bei Shootern, die wenig Strategie erfordern. Er kämpft, als wäre er auf dem Rummelplatz: schnell, juchzend und immer mitten rein ins Getümmel. Ein Promillegehalt von über 1,0 ist bei ihm nicht zwangsläufig - aber wahrscheinlich. Meistens steht der Hedonist in der Rangliste ziemlich weit unten. Aber, hey: Darum geht's doch auch gar nicht.

3. Der Aggro

Er findet das alles überhaupt nicht lustig. Ob Strategiegefecht, martialischer Shooter und Großschlacht im Rollenspiel: Der Aggro ist immer ein Pitbull. Mitspieler, die ihm im Wege stehen oder Fehler begehen, blafft er via Mikro hemmungslos an. Gegner, die die Unverschämtheit besitzen, auf ihn zu schießen, sind alle "Ärsche". Zum Lieblinsgvokabular des Aggro zählt neben "Scheiße" und "Fuck" noch: "Mach schon!", "Was soll das denn jetzt?!", "Spinnt ihr!", "Neeiiiin!" und "Los jetzt!". Der -Aggro ist weit verbreitet, oft ein verteufelt guter Spieler, aber sowohl in Sachen Unterhaltungspotenzial als auch psychologischer Denkwürdigkeit eine Null. Wenn er groß ist, wird der Aggro Hausmeister oder Sportlehrer an einer Berufsschule.

4. Der Normalo

Der Normalo bildet natürlich die größte Gruppe der gesprächigen Online-Welt. Er redet nur sporadisch, flucht manchmal, lacht gelegentlich und sagt hin und wieder sinnvolle Dinge wie "Jungs, da ist ein Typ mit 'ner Panzerfaust auf dem Wasserturm". Manchmal unternimmt er auch zaghafte Plauderversuche ("Und? Alle schöne Weihnachten gehabt? Oh, Scheiße. Das war 'ne Handgranate") oder gibt Strategieanstöße, die er zu vage formuliert, als dass sie irgendetwas bringen könnten: "He, wie wär's, wenn wir jetzt alle mal von hinten durch den Wald ins Dorf ..." Ich haben nichts gegen Normalos. Ich bin selbst einer. Tatsache ist: Wenn man nicht mit einem festen Clan unterwegs ist oder sich in einem Spiel befindet, das extrem auf Taktik fixiert ist, ist der spielinterne Sprachchat entbehrlich. Ich treibe mich am liebsten in den Einzelkämpfer-tauglichen Modi von "Call Of Duty", "Resistance" und "Frontlines" herum, und mir hat bislang kaum ein gesprochenes Wort im Spiel irgendwie geholfen. Dafür aber oft prächtig amüsiert. Unvergesslich, als ich einmal als einziger Solist in einen Clan aus vier quietschvergnügten Berlinern geriet, die eine Map in "Call Of Duty 4" mit gigantischem Punktabstand gewannen, während sie gleichzeitig Backrezepte austauschten: "Ey, Digga. So janz ohne Eier geht det nicht. Und meine Alte macht da immer noch so'n geilen Baiser-Scheiß obendruff". Rührend, wie die rare Anwesenheit einer weiblichen Shooter-Spielerin in "Battlefield" einen offenbar frisch pubertierenden Mitspieler zu goldigen und tollpatschigen Flirt-Versuchen animierte: "The next one, I will shoot only for you." Mein ewiger Favorit aber ist der Spieler in einer anderen "Call Of Duty"-Partie, der über sieben Einzelgefechte hinweg -eisern eine tadellose Stimmimitation von George W. Bush durchhielt und ständig auf Englisch lustige Dinge sagte wie: "Ich bin so froh, dass das alles nur ein Spiel ist. So wie der Irak-Krieg." Da ist man sprachlos.
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2009 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. […] Call of Duty: Modern Warfare 2 bricht wie vermutet bereits in den ersten Wochen Rekorde, was die Verkaufzahlen angeht. Während die Actionsequenzen im Spiel immer lebensechter wirken und auch die Geräusche der benutzbaren Waffen denen der Originale zum Verwechseln ähneln, wird das kurz zugerufene Wort zu einem der wichtigsten Elemente der Kommunikation zwischen Computerspielern. Da sich im hyperrealistischen Gefecht keine Sekunde mehr bleibt, ein paar Worte in die Tastatur zu hämmern, lautet das Zauberwort „TeamSpeak“. Dieser Sprachkanal ermöglicht Gamern den zeitgleichen Austausch von Informationen, die man sich per Headset leger zuwirft. Dass solch flüchtige Unterhaltungen zwischen zwei Schusswechseln sowohl verbale Ausfälle als auch Kochrezepte enthalten können, bemerkte Gernot Gricksch unlängst im GEE-Magazin. […]