„Er war ein stiller Jäger“

„Er war ein stiller Jäger“

Viele Online-Rollenspieler haben eine sehr persönliche Beziehung zu ihrem Avatar. Sie erschaffen ihn, sie wachsen mit ihm, sie führen mit ihm ein zweites Leben – und sie wissen: Wenn sie aufhören zu spielen, stirbt ein Teil von ihnen für immer. Fünf Gamer teilen mit uns ihren Abschiedsschmerz

Alexander Zacher, 27, und sein Avatar „Kriegstreiber“

Online-Rollenspiele: diverse „Vor sechs Jahren habe ich einen Avatar entwickelt und seine Charakteristika durch all meine Online-Rollenspiele hindurch beibehalten. Er war für mich wie eine Konstante. Sein Name war immer ‚Kriegstreiber‘. Er war klein, hatte dunkle Haare und dunkle Haut und war stets ein stiller Jäger. Aufgehört habe ich, weil ich entweder spiele oder gar nicht – und nun gründe ich gerade ein Game-Developer-Studio und habe keine Zeit mehr, richtig dabei zu sein. Also musste ich mich von meiner Gilde verabschieden: Ich habe einen langen Foreneintrag geschrieben und danach ganz schnell alle Rollenspiele auf meinem Rechner gelöscht. Dieser Abschied von den Leuten und meinem Avatar fiel mir schwer. Schließlich war ‚Kriegstreiber‘ nicht nur eine Figur, sondern wie eine verlängerte Hand. Jetzt spiele ich nur noch Singleplayer-Spiele. Aber das muss ich auch. Ist ja jetzt mein Beruf.“

Yannick Schäfer, 18, und „Gastafa“

Online-Rollenspiel: „World of Warcraft“ „Seit Freitag, dem 13. März 2009, gegen Mitternacht spiele ich nicht mehr ‚WoW.‘ Das weiß ich so genau, weil ich Orchesterprobe hatte und danach gleich nach Hause bin, um die Gildenratssitzung nicht zu verpassen Da habe ich mich von meinen Leuten und von ‚Gastafa‘ verabschiedet. So heißt der Paladin, den ich mindestens acht Stunden am Tag gespielt hatte. Ich habe ihn so genannt, weil ich mal als Gabelstapler-fahrer ge-jobbt habe. Man durfte ihn übrigens nicht auf dem „sta“ betonen, da war ich eigen. Ich habe alle seine Items zerstört. Nur das Gold habe ich auf dem Account gelassen. Es soll ja keiner davon profitieren, dass ich meinen Charakter lösche. ‚Gastafa‘ ist für mich wie ein versunkener Schatz, der nie wieder auftauchen wird. Wir hatten eine geile Zeit. Dennoch bin ich froh, dass er weg ist. Seit ich kein ‚WoW‘ mehr spiele, ist mein Notenschnitt um 0,6 besser geworden.“

Veronika Stricker, 25, und ihr Avatar „Nereida“

Online-Rollenspiel: „Evergore“ „‚Nereida‘ war eine Menschen-Kriegerin. Ihr Name stammte von den Nereiden, das sind Wasser-nymphen aus der griechischen Mythologie. Für mich hat er außerdem nach Hoffnung und Liebenswürdigkeit geklungen. So habe ich sie auch gespielt. Sie war zur Hälfte ich – und sie würde heute noch da sein, wenn nicht der Server geschlossen worden wäre. Es war so hart, zu erfahren, dass ‚Nereida‘ aufhören würde zu leben. Es gab noch so vieles, das zu Ende gebracht werden musste. Als der Untergang nahte, sind wir mit anderen in den Norden der Welt gezogen und haben eine Stadt gegründet. Wir wollten ein Zeichen der Hoffnung setzen. Omnia vincit amor: Die Liebe besiegt alles. Als dann der Countdown lief, das Chaos herrschte und draußen jeder jeden tötete, genossen wir unsere letzten Minuten bei einem Tavernen-gespräch in unserer neuen Siedlung.“

Tobias Busch, 26, und „Abram der Weise“

Online-Rollenspiel: „Guild Wars“ „‚Abram der Weise‘ war einer meiner ersten Charaktere. Mein damaliger bester Freund hieß Abraham. Drei Jahre lang habe ich sehr viel mit meinem Avatar gespielt. Als ich dann einmal vier Wochen nicht online war, wurde ich aus der Gilde entfernt. Das verlief recht unspektakulär. Heute starte ich ‚Guild Wars‘ manchmal, um zu schauen, wer von meinen Freunden noch immer online ist. Es sind die meisten. Irgendwie ist das erschreckend. Dabei war es eine schöne, spaßige Zeit. Aber ‚Abram der Weise‘ und ich, wir mussten zu guter Letzt wohl getrennte Wege gehen. Wir hatten uns quasi auseinandergelebt. Das war ein wenig so, wie mit einer Freundin Schluss zu machen. Ich vermisse auch ‚Guild Wars‘ nicht: zu zeitintensiv, zu unreal. Stattdessen habe ich mir jetzt eine Playstation 3 zugelegt und spiele vor allem ‚Pro Evolution Soccer‘.“

Henry Schorradt, 30, und „Sinara“

Online-Rollenspiel: „World of Warcraft“ „Mein Avatar war ein weiblicher Untoter. Drei Jahre habe ich sie in ‚WoW‘ gespielt, dann musste ich aufhören, weil mir sämtliche Freunde weggebrochen sind. Meine jetzige Frau hat mir geholfen, das durchzuziehen. Der Moment des Aufhörens ist sauschwer, fast wie bei einer Droge. Erst wollte ich ‚Sinara‘ verkaufen. Bei Ebay wäre sie für 160 Euro weggegangen. Aber dann hat es mir in der Seele wehgetan, sie so zu verschleudern, und ich habe das Angebot zurückgezogen. Der emotio--nale Wert überstieg den materiellen. Bei 400 Euro wäre ich vielleicht schwach geworden, um es dann wohl im nächsten Moment wieder zu bereuen. Ich denke immer noch oft mit Wehmut an die Zeit, in der ich gespielt habe. Aber jetzt habe ich eine Frau und ein Kind, das ist ein Jahr alt. Ich kann gar nicht mehr zurück. Geht nicht.“
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von Tim Rittmann / November 8th, 2009 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Bjoern sagt:

    Hi,

    vielen Dank für diese eindrückliche und schöne Geschichte! Habe ich mit großem Vergnügen gelesen.