Steinzeit

Steinzeit

Ende Oktober erscheint mit „Lego Universe“ ein Online-Rollenspiel, das den Charme des bunten Plastikspielzeugs ins Internet hineintragen soll. GEE hat die Entwickler des Games im dänischen Lego-Hauptquartier besucht Eine knappe Autostunde von der deutschen Grenze entfernt liegt in der verschlafenen dänischen Kleinstadt Billund das Zentrum gleich mehrerer Universen. 6059 Menschen leben und arbeiten hier, viele von ihnen für Lego, den sechstgrößten Spielzeughersteller der Welt. Hier werden aus flüssigem Kunststoff die vielen Plastikbauklötze gegossen, die für Millionen von Kindern zu Grundsteinen ihrer Fantasiewelten werden. Und hier entsteht gerade – so jedenfalls hofft die Firma – der nächste Meilenstein in der Geschichte des Unternehmens: „Lego Universe“. Es soll das größte und sicherste an Kinder gerichtete Online-Rollenspiel werden, das es auf dem Markt gibt. Kleine Gamer aus aller Welt sollen sich in diesem Universum treffen, Abenteuer erleben und ihrer Kreativität freien Lauf lassen. Die Geschichte, vor deren Hintergrund sich „Lego Universe“ entfaltet, ist denkbar einfach: Ein riesiger, dunkler Strudel – der Malstrom – ist dabei, den Lego-Kosmos zu zerstören und jeden letzten Funken Vorstellungskraft in ein schwarzes Loch abzusaugen. Als kleine Lego-Figur, deren Aussehen der Spieler zu Beginn frei gestalten kann, muss er sich einer von vier Fraktionen anschließen, um mit viel Entdeckergeist und Fantasie befeuert in einer selbst zusammengeschusterten Rakete von Welt zu Welt zu fliegen und der Einfallslosigkeit die gelb glänzende Stirn zu bieten. Auf seinem Weg begegnet er Astronauten und Rittern, Piraten und Ninjas, feuerspeienden Drachen, zutraulichen Elefanten und einer Vielzahl anderer kubistischer Lebensformen. Seine Gegner sind die Stromlinge, die von der dunklen Macht des Malstroms erfassten Bewohner des Lego-Reichs. Die Grafik ist schlicht, aber farbenfroh; das Gameplay für erfahrene Spieler wohl schlichtweg zu leicht. Aber Erwachsene wird es ohnehin nur aus Nostalgie in das virtuelle Legoland verschlagen, die Hauptzielgruppe sind Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren. Bereits seit einem Jahrzehnt arbeitet Lego an diesem Projekt, mittlerweile auch gemeinsam mit dem amerikanischen Entwicklerstudio Netdevil. Begonnen hat alles aber noch früher – und zwar mit Müll. In der Wirtschaftskrise 1932 fing der dänische Schreiner Ole Christiansen in seiner Werkstatt in Billund an, aus Holzabfällen Spielzeugautos, Figuren und Jojos herzustellen. Von seinen Zunftgenossen verlacht und von Geschäftspartnern gemieden, gründete er gegen alle Vernunft eine Spielzeugfabrik. Nach und nach sprach sich herum, dass die Spielwaren des Familienunternehmens Lego von besserer Qualität waren als die vieler Konkurrenten. Der große Durchbruch kam jedoch erst mit der Entdeckung des Kunststoffs als schnell zu bearbeitendem Rohmaterial und der Markteinführung des flexiblen Lego-Systems. Wenn Kirsten Stadelhofer, die als Geschichtsschreiberin und Kuratorin bereits seit 35 Jahren für Lego tätig ist, heute einige dieser ersten Steine in die Hand nimmt, hat das beinahe etwas Zärtliches. „Diese 1949 hergestellten roten Steine passen noch immer ineinander“, sagt sie stolz, als sie einen davon herumreicht. „Und raten Sie mal, zu wie vielen unterschiedlichen Kombinationen man sechs davon mit ihren je acht Noppen zusammenstecken kann.“ Schweigen, Kopfrechnen. „915103765“ ist die richtige Antwort. Während eines Rundgangs durch das Lego-Museum, das genau an jener Stelle gebaut wurde, an der Ole Christiansen vor beinahe 80 Jahren seine Werkstatt errichtet hatte, wird deutlich, dass nicht nur Qualität und die unfassbare Zahl an Kombinationsmöglichkeiten der Schlüssel zum Erfolg der Marke Lego sind: Bei all der Besinnung auf traditionelle Werte hat man in Billund immer schon Gespür für die Zukunft bewiesen – sei es durch die Einführung von „Lego Technic“ im Jahre 1977, die programmierbaren Roboter der 1998 erstmals vorgestellten „Mindstorms“-Serie oder Computerspiele wie „Lego Star Wars“ oder „Lego Indiana Jones“. Hat der Konzern sich bisher darauf beschränkt, diese Produkte über den gesamten Planeten zu verteilen, will er mit „Lego Universe“ nun die Steinbegeisterten an einem einzigen, virtuellen Ort zusammenführen.

Der Baumeister

Mads Purup hat die Nachricht vom im Entstehen begriffenen „Lego Universe“ erreicht, als er vor zwei Jahren gerade als Rucksacktourist in den Bergen Kambodschas unterwegs war. „Der Empfang meines Handys war sehr schlecht“, erinnert sich der Dreißigjährige, „aber ich konnte aus dem Rauschen und Knistern heraushören, dass mich jemand fragte, ob ich Lust hätte, an einem Spiel namens ‚Lego Universe‘ mitzuwirken. Ich müsse mich innerhalb von 24 Stunden entscheiden.“ Natürlich hat er Ja gesagt. Der Däne hat seit seiner Schulzeit immer wieder als Designer für Lego gearbeitet. Er hat Modelle für „Lego Duplo“ und „Lego Technic“ entworfen und war an der Entwicklung der Programmiersprache von „Mindstorms“ beteiligt. „Eine der frühesten Erinnerungen meines Lebens ist die an den kleinen roten Lego-Traktor“, sagt Purup, „den hat mir meine Mutter eines Tages vom Einkaufen mitgebracht, und ich glaube, er bestand aus nicht mehr als zehn Einzelteilen. Ich war damals etwa drei Jahre alt und gleich völlig verliebt in das Ding.“ Seither haben ihn die bunten Steine nicht mehr losgelassen. Bei „Lego Universe“ ist Mads Purup nun Lead Designer in der Kategorie „Bauen“. Denn auch wenn das Spiel Kinder eine spannende und bisweilen lustige Geschichte erleben lässt und sie sich im Lego-Universum zum Chat verabreden können, ist es der ewige Kreislauf aus Aufbauen, Kaputtmachen und wieder zu etwas Neuem zusammensetzen, der die virtuelle Lego-Welt zusammenhält. Wie sehr das auch auf den Arbeitsprozess in Billund zutrifft, wird bei einem Blick in das Studio sichtbar, in dem Purup und seine Mitarbeiter gerade mit dem Feinschliff der Spielmechanik beschäftigt sind. Auf jedem Schreibtisch stehen Lego-Modelle; Schubladen und Kisten voller Steine türmen sich auf Regalen. Ständig wird das Geschehen auf dem Bildschirm mit einer aus Lego-Steinen konstruierten Wirklichkeit abgeglichen. „Das Bauen in ‚Lego Universe‘ geschieht auf dreierlei Art,“ erklärt Purup: „Während die Spieler ihre Figur durch die Spielwelt schicken, müssen sie immer wieder vom Computer gesteuerte Feinde sowie Kisten und andere Objekte zerschmettern. Einige von ihnen werden per Knopfdruck sofort wieder zu etwas Neuem zusammengebaut. Das geschieht ganz automatisch.“ Ein auf seine Einzelteile heruntergebrochener Malstrom-Roboter etwa wird so innerhalb von Sekunden zum freundlich gesinnten Geschützturm. „Unterwegs finden die Spieler aber auch Bauteile für Rennwagen und Raketen“, sagt Purup, „und die können sie ganz nach ihrem Geschmack zu Fortbewegungsmitteln zusammenschrauben, mit denen sie dann auf Rennstrecken gegen andere Spieler antreten oder von einem Ort zum nächsten reisen. Das erfordert ein wenig mehr Kreativität, ist aber immer noch kinderleicht.“ Wirklich interessant wird es, sobald ein Spieler auf seinem eigenen Grundstück im Lego-Universum eingezogen ist. Dort kann er dann nämlich nach Herzenslust bauen, also im alten, seit Generationen verwendeten Wortsinn „Lego spielen“ – und sogar Freunde dazu einladen. „Als Belohnung für erledigte Aufgaben dürfen sich die Spieler Abschnitte eines Lego-Modells wie etwa den Turm einer Ritterburg auswählen und sie auf ihrem Grundstück zu einem kompletten Gebäude zusammensetzen,“ sagt der Designer, „sie können die vorgefertigten Modelle aber auch in ihre Grundbausteine zerlegen und aus ihnen etwas ganz anderes entstehen lassen.“ Zudem lässt jeder vom Malstrom infizierte Feind, den man besiegt hat, Lego-Steine fallen, die ebenfalls verbaut werden können. Im leicht zu bedienenden Editor setzt der Spieler einfach Stein auf Stein, dreht und wendet das Gebildete und färbt es seinen Wünschen entsprechend ein. Außerdem können Elementen – ähnlich wie in „Little Big Planet“ – Verhaltensweisen wie „Bewege dich nach oben“ oder „Zerspringe in deine Einzelteile, wenn du berührt wirst“ zugewiesen werden. Jump’n’Run-Parcours, durch die man seine Freunde schickt, lassen sich dabei genau so einfach erschaffen wie interaktive Konstruktionen. „Das ist die rudimentäre Form einer Programmiersprache“, sagt Purup. „Indem die Kinder mehrere dieser Verhaltensweisen wie Lego-Steine aneinandersetzen und zu einer logischen Kette verknüpfen, erlernen sie also spielend, wie ein Computerspiel funktioniert.“

Das Lego-Prinzip

Schaut man genauer hin, erkennt man, dass das „Lego Universe“ selbst nach dem Lego-Prinzip zusammengesetzt ist. Nicht nur thematisch bedient sich das Spiel im Fundus der Firmengeschichte – gelbe Helden mit Ritterhelm kämpfen Seite an Seite mit Piraten und Raumfahrern –, auch die Mechanik des Spiels ist ein Sammelsurium aus bereits bestehender Lego-Software: Steuerung und Gameplay, Optik und Animationen des Rollenspiels wurden aus Games wie „Lego Star Wars“ übernommen, die andere Studios in Lizenz herausgebracht hatten. Die Verhaltensweisen, mit der die eigenen Kreationen im Lego-Universum zum Leben erweckt werden, basieren auf einer abgespeckten Version der Programmiersprache, die bereits den „Mindstorms“-Robotern das Laufen beibrachte. Und auch der Editor, der es den Spielern erlaubt, ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen und virtuelle Modelle zu bauen, kommt als „Easy Builder“ bei Lego bereits seit Jahren zum Einsatz, um die Zahl der in einem Modell verbauten Steine und die sich daraus ergebenden Kosten bereits im Vorfeld zu berechnen, Vorschauen anzufertigen oder Bauanleitungen zu bebildern. Als Freeware-Programm „Digital Designer“ steht er seit 2004 jedem zur Verfügung, der Lego-Modelle am Computer erstellen und sie mit anderen teilen will. „Wir planen, den Spielern von ‚Lego Universe‘ in Zukunft einen ganz ähnlichen Service anzubieten wie bereits beim ‚Digital Designer‘“, sagt Hermann Kudlich, 40 Jahre alt, Senior Manager für „Lego Universe“ und seit vier Jahren dabei. „Dann wird es möglich sein, sich alle Steine nebst Bauanleitung und individuell angefertigter Verpackung nach Hause schicken zu lassen, die man zum Nachbau der in der virtuellen Welt entstandenen Modelle benötigt.“ Der Kreis zwischen dem Lego-Universum und dem unseren wäre damit geschlossen. Wie aber will die Firma Eltern davon überzeugen, dass es eine gute Idee sein könnte, ihre Kinder gegen eine monatliche Gebühr von rund zehn Euro in eine virtuelle Welt zu schicken, anstatt sie mit echten Lego-Steinen auf dem Küchentisch oder draußen im Garten spielen zu lassen? Birgt ein Online-Rollenspiel nicht gerade für Kinder viel zu viele Gefahren – vom Suchtpotenzial bis zu gefährlichen Fremden, die mit bunten Plastikklötzen locken statt mit Bonbons? „Der Chat in ‚Lego Universe‘ wird durch ein Filtersystem überwacht, das bestimmte Wörter nicht zulässt und Gespräche automatisch daraufhin analysiert, ob sie in einem gefährlichen Kontext stehen“, sagt Hermann Kudlich und steckt zwei der roten Lego-Steine ineinander, die hier in jedem Konferenzraum in einer Glasschüssel auf dem Tisch stehen, um die Kreativität der Angestellten zu fördern. „Zudem muss jede Konstruktion, die jemand im Spiel gebaut hat, durch Moderatoren freigeschaltet werden, bevor andere Spieler sie zu Gesicht bekommen. Und nur dann, wenn die Eltern ihre Einverständnis dazu gegeben haben, können Kinder in ‚Lego Universe‘ Freunde werden und gemeinsam an einem Modell bauen.“ Sogar gegen ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Risiko – die Langeweile – will man sich abgesichert haben: „Wir werden monatlich neue Inhalte nachliefern, durch die wir die Geschichte vorantreiben“, sagt Kudlich, „und diese Welten und Missionen werden nicht nur von uns direkt stammen, sondern auch von den ‚World Builders‘ – von erwachsenen Lego-Begeisterten, die ihre Fanprojekte hochladen.“ Ob das ausreicht, um das Interesse der jungen Gamer auf Jahre an dieses Universum zu binden, oder ob sie nicht schon viel früher in die Welten von „Free Realms“ oder „Word Of Warcraft“ umsiedeln, wird sich zeigen. In der Lego-Fabrik von Billund purzeln derweil die Steine im Sekundentakt aus ihrer Gussform. Es sind die gleichen Steine, die sich seit 1949 zu unvorstellbar vielen Kombinationen zusammenfügen, Designer Mads Purup bereits als Dreijährigen verzaubert haben und Lego-Mitarbeiter immer wieder auf neue Ideen bringen. Vorstellung und Produkt, Erinnerung und Wirklichkeit sind in der verschlafenen dänischen Kleinstadt Billund nur wenige Schritte voneinander entfernt. „Lego Universe“ erscheint am 29. Oktober zum Preis von 40 Euro. Die Monatsgebühr beträgt 9,90 Euro. Mehr Informationen unter http://universe.lego.com
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von Chris Rotllan / Oktober 2nd, 2010 / 1 Kommentar

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