Jägermeister

Jägermeister

Das Prinzp Sammeln kennt jeder. Möglichst viele möglichst exklusive Objekte in seinen Besitzzu bringen. Doch nur wenige Leute wissen wirklich, was es heißt, ein echter Sammler zu sein. Welches Glück und welche Entbehrungen damit verbunden sind. Wir haben Menschen getroffem, für die Sammeln eine Lebensweise ist

„Sammeln, das ist, wenn du nachts wach liegst. An die Decke starrst, nicht einschlafen kannst, dein Gehirn auf Hochtouren arbeitet. Dann stehst du auf, blätterst in Zeitschriften. Guckst deine Sammlung an, rufst ab, was du schon hast und was dir noch fehlt. Du bist immer auf der Suche.“ Florian Weber blickt nachdenklich auf die Regale in seinem Spielzimmer. Sie reichen vom Boden bis zur Decke und sind voll gestellt. Mit Spielen, Konsolen, Handhelds. So wie es aussieht, hat er nicht viel geschlafen in den letzten Jahren. Das Prinzip Sammeln kennt jeder. Den Wunsch, von etwas alles zu besitzen. Alle Platten von einer Band, natürlich mit Sonderpressungen, Japan-Versionen und Picturediscs. Turnschuhe, am besten nur limitierte Editionen. Actionfiguren, in ihrer Verpackung gefangen, an die Wand genagelt in endlosen Reihen, wie in einem Spielzeugladen für nur einen Kunden. Bei den meisten Leuten bleibt es bei kurz aufwallenden Fantasien. Die wenigsten tun den ersten Schritt, und noch weniger gehen den Weg zu Ende. Sammeln kann Gefängnis und Paradies in einem sein. Zufluchtsstätte und Belastung zugleich. Florian Weber ist im richtigen Leben freier Art-Director. Er arbeitet unter anderem für die renommierte Hamburger Werbeagentur Springer&Jacobi. Was für andere Menschen eine Erfüllung wäre, das Ziel aller Karriereträume, ist für ihn nur Mittel zum Zweck. Erst wenn er seine Gedanken um Videospiele kreisen lassen kann, ergeben die Dinge für Florian Sinn. Wenn er Feierabend hat, geht er ins Internetcafé und surft in eine andere Welt. Weil er weiß, welchen Sog sein Hobby auf ihn ausübt, hat er sich bewusst keinen Computer zu Hause hingestellt. „1982 schenkten mir meine Eltern zu Ostern ein LCD-Pinball. Ich schaltete es an und verschwand in einer anderen Welt. Am selben Tag starb mein Großvater. Um mich herum weinten meine Verwandten. Aber ich saß nur da, meine Augen auf den kleinen Screen geheftet. Ich bekam von alldem nichts mit. Nachts lag ich im Bett und hatte immer noch das Tüdelüdelüt in den Ohren.“ Seit diesem Tag spielte und sammelte Florian Videospiele. Was er sich leisten konnte, kaufte er sich und verkaufte es nie wieder. Was er sich früher nicht leisten konnte, kauft er heute. „Ich sammle nicht des Sammelns wegen. Sondern wegen der Erinnerungen und Geschichten, die ich mit einzelnen Spielen oder Konsolen verbinde.“ Das ist längst nicht bei allen Sammlern so. Wer sich durch die Retro-Ecke von Ebay klickt, kann nur staunen. Da werden Spiele auf einmal für den doppelten oder dreifachen Kurs gehandelt, nur weil sie noch eingeschweißt sind. Schon leichte Kratzer auf Gehäuse oder Display von Handhelds mindern den Wert dagegen dramatisch, und Objekte ohne Originalverpackung sind für die meisten Sammler ohnehin tabu. Was für normale Menschen nur schwer nachvollziehbar ist, hat im geschlossenen System Sammeln durchaus Sinn. Am Anfang sucht man noch eher diffus, lässt sich von emotionalen Beziehungen oder optischen Eindrücken zu und von den Objekten leiten. Meistens benutzt man sie in dieser Phase auch noch, die erbeuteten Stücke. Doch mit jedem Tag erweitert sich der Horizont, wird das System aus Begehrlichkeit und Erfolgserlebnis immer komplexer. Mehr und mehr vertieft man sich in die Materie, lernt jeden Tag dazu. Fängt an, auf Details zu achten, von denen man vor wenigen Monaten noch nicht einmal etwas geahnt hat. Aus der naiven Suche nach extravagantem Spielzeug wird ein lebensbestimmendes Bedürfnis, das perfekte Objekt zu finden. Meistens wird dann das Sammelobjekt auch seiner Funktion beraubt. Oldtimer-Liebhaber bewegen ihre besten Stücke oft keinen Meter mehr, weil das den Wert mindern und ihre mühevolle Arbeit zerstören würde. Sie laden sie auf Anhänger und fahren von Ausstellung zu Ausstellung. Freude am Fahren? Sammelzwang! Ganz so extrem ist es bei Florian nicht. Seine Konsolen stehen ohne Verpackung im Regal, und er scheut sich nicht, mit Freunden auf seinem Atari 2600 alte Zeiten aufleben zu lassen. Trotzdem ist auch für ihn seine Leidenschaft bestimmender Teil des Alltags. Wann immer er seine Gedanken schweifen lässt, tauchen neue Wünsche in seinem Kopf auf. Haben sie sich dort erst mal festgesetzt, gibt es kein Zurück mehr, dann dreht sich alles nur noch um: Wie schnell, wo, für wie viel Geld bekomme ich es? Dann wird der Alltag zur Last, zu einem Hindernis auf dem Weg zum Ziel. „Meine Freundin merkt das. Dann nimmt sie mich an die Hand, und sagt: Komm, lass uns mal rausgehen. Das ist okay, aber eigentlich will ich die ganze Zeit nur zurück nach Hause. Zurück zu meinen Spielsachen.“ Sammeln bedeutet Fanatismus. Nur wer sich der Suche wirklich hingibt, wird auch irgendwann sein Ziel erreichen. Wie das aussieht, definiert jeder Sammler für sich selbst. Und das immer wieder neu. Auf jeden Fall aber ist der Weg dahin gespickt mit Entbehrungen. „Es kommt schon vor, dass ich ein paar Wochen lang nur Graubrot mit Schoko-Nuss-Creme esse, wenn ich mal wieder zu viel Geld für Spiele ausgegeben habe“, erzählt Hannes Bohm aus Berlin. Was es heißt, sein Leben seiner Leidenschaft unterzuordnen, davon kann er trotz seines zarten Sammleralters von 21 Jahren schon ein Lied singen. Mit einem Gameboy fing alles an, später kam das Megadrive, dann das SNES. Und irgendwann „Final Fantasy“. Und dann war Hannes klar, was er wollte: nur noch Spiele auf Japanisch spielen. „Irgendwie kam in der deutschen Version die Atmosphäre nicht so richtig rüber. Ich wusste, im Original wäre das Spielerlebnis ganz anders.“ Als in der neunten Klasse Japanisch als Unterrichtsfach angeboten wurde, zögerte er keine Sekunde. Von nun an büffelte er fleißig japanische Kanjis und versammelte japanische Austauschschüler vor seiner Konsole. Nächtelang spielte er mit ihnen und ließ sich schwierige Textpassagen erklären. Heute studiert er Japanologie und unterhält eine innige Beziehung zu seinem Importhändler. Seine Freizeit widmet er fast ausschließlich seinen Spielen. „Meine Freunde können mit meiner Vorliebe für japanische Spiele wenig anfangen. Das geht auch meiner Freundin so. Deswegen sitze ich meistens alleine vor dem Fernseher“, sagt er. Alleine – das sind die meisten Sammler mit ihrer Leidenschaft. Natürlich, man kennt sich vielleicht, aus dem Internet. Doch wenn auf Ebay geboten wird, ist jeder sich selbst der nächste. Wer kann schon verstehen, warum man horrende Summen ausgibt für verstaubtes altes Plastikspielzeug, das aus technischer Sicht vollkommen veraltet ist? Warum man Japanisch lernt, nur um Spiele im Original spielen zu können, wenn es sie doch auch auf Deutsch gibt? Warum man sich etwas kauft, es später wieder verkauft, um es noch einmal, aber mit Verpackung, zu kaufen? Dass man sich nächtelang den Kopf zerbricht über Dinge, die bei nüchterner Betrachtung bedeutungslos sind? An vielen Tagen neben sich steht, nicht ansprechbar ist, weil alle Gedanken nur um die eine Sache kreisen? Die meisten Freunde wohl kaum. Deswegen haben Jörg Lennhof und Christian Keller auch einen Verein gegründet. Sie und die anderen 20 zahlenden Mitglieder des Retrogaming e. V. haben sich dem Zusammentragen alter Spielautomaten verschrieben. Wer ihre Vereinsräume betritt, versinkt sofort in einer dichten Soundkulisse aus Arcade-Tönen. Seite an Seite stehen dort alte Spielhallenklassiker, dreißig weitere warten im hinteren Teil der Vereinsräume auf ihre Restaurierung. Jeden Dienstag treffen sich die Vereinsmitglieder zum Restaurieren der alten Geräte, zum Fachsimpeln oder auch einfach nur zum Spielen. Es ist ein gutes Gefühl, sein Hobby mit anderen Menschen teilen zu können, sagen sie. Eines Tages entdeckte Ralf Bensiger, ein Mitglied des Clubs, einen „Asteroids“-Automaten. Kaputt, aber günstig. „Ich habe keinen Moment gezögert“, erzählt Jörg, „sondern bin in meinen Wagen gestiegen, um mit ihm den Automaten aus einem kleinen Dorf abzuholen, das gut und gerne fünf Stunden entfernt war.“ Nicht alleine mit sich und dem Sammeln zu sein, erdet. Statt sich in Details zu verlieren, beschäftigen Jörg, Christian und die anderen Mitglieder viel bodenständigere Fragen. „Wo kriegen wir einen Kleinlaster her, damit wir eine Ladung Automaten abholen können?“ „Wie kommen wir an neuen Lagerraum, am besten kostenlos?“ „Wer besorgt das Bier für den nächsten Vereinsabend?“ Doch natürlich sind auch sie nur Sammler. „Ich warte schon seit Jahren darauf, einen alten ,Space Invaders‘-Automaten zu finden. Früher habe ich immer danach gesucht. Heute warte ich darauf, dass er mir über den Weg läuft. Und das wird irgendwann passieren“, sagt Jörg. Einen Zustand derartiger Gelassenheit hat auch Jaro Gielens erreicht. Der in Düsseldorf lebende Interaction-Designer ist der Guru vieler Sammler. Er besitzt eine der komplettesten Handheld-Sammlungen der Welt. In seiner eher unscheinbaren Wohnung residiert sie in einem eigenen Zimmer. Auf sechs Meter Breite stapelt sich die komplette Pionierzeit des Mobile Gaming, nebst einiger Konsolenklassiker der siebziger und achtziger Jahre. Vor vier Jahren erschien sein Bildband „Electronic Plastic“, der dem Handheld-Design und ihren Verpackungen ein Denkmal setzte. In dem Oversize-Bildband finden sich rund 200 Handhelds, was in etwa dem damaligen Stand seiner Sammlung entsprach. „Zwei Jahre lang habe ich mich mit nichts anderem beschäftigt“, erinnert sich Jaro. Und eigentlich war das Buch als Abschluss gedacht. Doch auch er konnte nicht vom Sammeln lassen. „Heute sind es ungefähr 700 Handhelds und Tabletops“, rechnet Jaro. „Die letzten vier Jahre habe ich vor allem damit verbracht, Spiele, zu denen ich keine Verpackung hatte, zu verkaufen und Exemplare mit Verpackung zurückzukaufen.“ Was sich wie das typische Suchtverhalten eines Sammlers anhört, folgt bei Jaro der Logik eines etwas anderen Sammelkonzepts. „Mir sind die Verpackungen der Handhelds genauso wichtig wie die Geräte selbst“, erklärt er. „Mit ihrem Design, ihren Bildern und ihrer Werbebotschaft sind sie Zeugen ihrer Zeit.“ So eine differenzierte Sichtweise fehlt vielen seiner Glaubensbrüder. „Ich verstehe nicht, warum sich so viele Leute auf die Game-&-Watch-Serie versteifen“ wundert sich Jaro. Die kleinen LCD-Handhelds überschwemmten in den Achtzigern mit Stückzahlen im zweistelligen Millionenbereich die ganze Welt. Heute sind sie eins der gefragtesten Sammel-Items überhaupt. „Die Leute zahlen horrende Summen dafür. Dabei findet man in kleineren Spielwarengeschäften noch immer alte Restposten. In Belgien habe ich einmal einen ganzen Stapel gekauft, für zehn Euro das Stück. Für bis zu 350 Euro habe ich sie dann wieder verkauft. Dabei gibt es so viele andere Handhelds, die vom Spielkonzept und Design-Aspekt viel interessanter sind.“ Heute widmet Jaro nur noch paar Stunden pro Woche seinem Plastikspielzeug. Ab und zu kommt noch ein Paket an, wenn er auf einer japanischen Sammlerseite doch noch ein Handheld gefunden hat, das ihm fehlte. Für ihn geht es jetzt um etwas anderes. Die Loslösung vom Sammeln an sich, das Erreichen einer neuen Stufe. „Im Grunde genommen ist meine Sammlung überkomplett. Jetzt kommt es darauf an, etwas Sinnvolles damit zu machen. Austellungsprojekte zum Beispiel“, sagt er. Viele Sammler befällt an einem bestimmten Punkt eine elementare Leere. Wenn die Belastung zu groß wird, die Lebensqualität im gleichen Maße abnimmt wie die Anzahl der Exponate zu, andere Dinge, etwa ein Kind, ins Leben treten und sich die Prioritäten verschieben. Oft werden dann ganze Sammlungen auf einmal verkauft, und nicht selten empfinden das die um ihren Lebensinhalt gebrachten Sammler als eine Erleichterung. Auch wenn Florian oder Hannes sich das jetzt noch nicht vorstellen können. Aber sie haben ihr Ziel ja noch nicht erreicht. „Ich kann mir durchaus vorstellen, meine Sammlung auch an ein Museum zu verkaufen“, sagt Jaro. „Aber wahrscheinlich würde ich mir dann bald ein neues Steckenpferd zulegen. Ein altes Auto etwa, an dem ich dann immer rumschrauben könnte.“ Einmal Sammler, immer Sammler. www.handhelden.com, retrogames.info Text: Michail Hengstenberg, Fotos: Benne Ochs
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von Volker Hansch / August 10th, 2004 /

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