Games aus der Hood

Games aus der Hood

2005 ist das Jahr der HipHop-Games. Die Crème de la Crème steht Schlange hinter dem Synchronmikrofon. Stars wie Snoop Dogg und 50 Cent bekommen sogar ihr eigenes Videospiel. Doch wieviel haben diese Games wirklich mit HipHop zu tun?

Jahrzehntelang war Musik in Videospielen entweder Japan-Techno-Gedudel oder elektronische Klassikinterpretation. Europäer und Amerikaner sahen einen popkulturellen Widerspruch, aber die Japaner beriefen sich auf ihre Entwicklerhoheit und den Absatzmarkt Asien und machten einfach weiter. Erst seit ein paar Jahren tut sich was. Vor allem eine Musikrichtung dringt mit aller Macht in die Videospielwelt vor: HipHop. Doch während sich die Kollaboration zwischen Videospielen und Rap lange darauf beschränkte, dass einzelne Künstler im Soundtrack eines Games gefeaturet wurden, hält HipHop nun als Gesamtkultur Einzug bei den Videospielen. Die Release-Listen der Spielehersteller belegen das: 50 Cent erhält mit „Bulletproof“ sein eigenes Videospiel. Snoop Dogg ist in Bild und Ton bei „Fear & Respect“ zu erleben. Eminems HipHop-Crew D12 rappt sich als Teil einer Streetgang durch „Crime Life: Gang Wars“. Und HipHop-Fashion-Guru Marc Ecko erinnert mit „Getting Up. Contents Under Pressure“ daran, wie alles angefangen hat. Verwunderlich ist dabei eigentlich nur eine Sache: dass es so lange gedauert hat. Denn tatsächlich gehört Videogaming für HipHopper seit ihren Kindertagen zum Lebensgefühl. Kaum eine andere Musikszene geht derart selbstverständlich, unverkrampft und offensiv mit dem Thema um. Sei es, dass man bei den US-HipHop-Produktionen von Timbaland oder DJ Premiere (von Gang Starr) Videospielsounds aus „Pac-Man“ oder „Super Mario“ hört oder dass Rahzel von der HipHop-Band The Roots live on stage ganze Videospiel-Generationen per Beatboxing vor dem inneren Auge vorbeiziehen lässt. Wer schon einmal einen Blick in die mehr oder weniger intime Lebenswelt der Rap-Größen in TV-Sendungen wie „MTV Cribs“ gewagt hat, der weiß, dass der Enthusiasmus der HipHopper für neueste Videogame-Technik keine Grenzen kennt: ein Hummer-Jeep mit vollautomatisch ausfahrbarem Flatscreen-Panel im Kofferraum und eingebauter Xbox oder PS2 gehört zum guten Ton. Doch trotz dieser offenkundigen Begeisterung für das Thema nahmen HipHopper jahrelang die Position des Endverbrauchers ein. Oder die eines Verwerters. Alle Nase lang tauchten Videospiele in Lyrics auf, dienten als nahezu unendliche Munition in Metaphernketten, deren Bildsprache und teilweise comichaft reduzierte Art sich natürlich erstklassig mit der Ästhetik eines Videospiels vertrug. Das surreale, aber dennoch interaktive Moment, das jedem Videospiel innewohnt, aber auch der Competition-Gedanke, reflektiert sich auch in der Funktionsweise eines gelungenen Raps. Sei es live auf der Bühne in Form eines Freestyle-Raps oder in anderen Disziplinen des HipHop, wie im Breakdance oder Graffiti. Betrachtet man das künstlerische Potenzial der gesamten HipHop-Kultur, könnte sie ein idealer Ideengeber für die Videospielwelt sein. Genutzt wurde das Potenzial bis heute kaum. Und wenn, dann waren die Ergebnisse qualitativ meist alles andere als überzeugend. So veröffentlichte Eidos zum Beispiel im November vergangenen Jahres mit „Get On Da Mic“ ein PS2-Videogame „zum Mitrappen“ – der eigenen Rapkarriere hätte eigentlich nichts mehr im Wege stehen dürfen, denn das benötigte Mikro war gleich im Package enthalten. Was vollmundig als „erstes HipHop-Spiel der Welt“ unter dem Motto „kontrolliere das Rap-Game“ verkauft wurde, erwies sich in der Praxis als technisch ziemlich schwachbrüstig: Egal welche Laute man im Karaoke-Style von sich gab – man war immer ein 1A-Freestyle-Rapper. Ein Umstand, wie man ihn aus vielen Jugendzentren bereits kennt. Peinlich war auch, dass der hoch geschätzte The Lox-MC Jadakiss auf dem Cover des Spiels lockte, innerhalb des Games aber nirgends mehr auftauchte. Und die Tatsache, dass alle enthaltenen „namhaften HipHop-Songs“ lediglich in nachgespielter Klingeltonqualität abgenudelt wurden, enttäuschte alle Fans der Szene. Authentizität zählte bislang bei der Partnerschaft HipHop/Games wenig – Pragmatismus rulte. Die Vermählung der Jugendkultur HipHop mit dem Unterhaltungsmedium Videospiele war bisher vor allem eins: eine Geldhochzeit. Forciert durch die stark rückläufigen Verkaufszahlen im Musikgeschäft, wollen nicht nur die Musikkonzerne, sondern auch die Künstler selbst ihr Produkt, also sich selbst, so vielfältig wie möglich verkaufen. Und so wird wahrscheinlich schon bald zur eigenen Klamottenkollektion und sonstigem Merchandising das eigene Videospiel zum aktuellen Album erscheinen. Bestes Beispiel: 50 Cents „Bulletproof“ – quasi das Spiel zum Soundtrack seines Lebens. Pünktlich zum Release seines Albums „The Massacre“ wurden die ersten Meldungen zu den Arbeiten an seinem Videospiel lanciert. An Selbstbewusstsein mangelte es Fifty bei den ersten Schritten auf unbekanntem Territorium nicht: „Das Spiel stellt eine Fantasieversion meines Lebens dar, dennoch ist es mein Plan, die Welt der Videospiele genauso in ihren Grundfesten zu erschüttern wie die Rap-Welt.“ Stichwort Fantasie: Eigentlich sind Rapper und Videospiele eine perfekte Kombination. Denn in kaum einem anderen Zweig des Popgeschäfts haben die einzelnen Künstler ein derartig komplexes und ausgefeiltes Image, das sie mit einer Mischung aus Fakten, Halbwahrheiten und erfundenen Geschichten zu fast schon artifiziellen Überfiguren verklärt. So auch 50 Cent, dem erst die Geschichte von einem mit neun Kugeln im Leib überlebten Anschlag den großen Durchbruch verschaffte. 50 Cents Image als gestählter Schussfänger, der nahezu unbesiegbar durch die Straßen New Yorks wandelt, scheint die ideale Grundlage für die Story eines Spiels zu sein – weit authentischer, als „Tekken“ oder „Mortal Kombat“ es jemals sein könnten. Wie sehr dabei die einzelnen Zahnräder der Vermarktungsmaschinerie ineinandergreifen, belegt indes auch die Wahl des Autoren: Terry Winter, der Emmy-Award-ausgezeichnete Executive Producer der Kult-Crime-Serie „Die Sopranos“, zeichnet sowohl für die Story des 50-Cent-Spiels verantwortlich als auch für die des 50-Cent-Filmdebüts „Get Rich Or Die Tryin’“. Schade ist nur, dass das Spiel wohl die einmalige Gelegenheit auslässt, das 50-Cent-Universum um Aspekte zu bereichern, die uns seine Image-PR-Maschinerie bisher vorenthalten hat. Denn eigentlich – wäre es wirklich authentisch – müsste man als virtueller Fifty auch mal von Sozialhilfe leben oder reihenweise Plattendeals verlieren. Denn das war bis zu den Überhits „Wanksta“ und „In Da Club“ seine persönliche Lebensrealität. Doch davon wird in dem Action-Shooter sicher nichts zu sehen sein. Stattdessen gibt der erste offizielle Trailer einen ziemlich deutlichen Eindruck davon, was uns erwartet: Stereotype … und vor allem Gewalt. Denn auch in dieser Hinsicht passen Videospiele und HipHop wunderbar, oder wie auch immer, zusammen. In beiden Medien spielt Gewalt eine wichtige Rolle, ist Stilmittel und Inhalt zugleich. Dass dabei manchmal auch die Moral einzelner Künstler unter die Räder kommt, beweist das Prügelspiel „Def Jam Fight for NY“. Auch hier geht es darum „die Straßen und die HipHop-Unterwelt zu kontrollieren“. Doch bei „Fight For N.Y.“ stehen insgesamt 40 ausschließlich vom Plattenlabel Def Jam gemanagte Künstler als Kämpfer bereit. Beschäftigt man sich eingehender mit deren Biografien, stellt sich durchaus die Frage, ob jeder von ihnen mit denen im Spiel vermittelten (Nicht-)Werten übereinstimmt. Der eine oder andere MC gibt sich nämlich außerhalb der virtuellen Prügelei als gläubiger Christ. Wie, bitte, sind durch Autotüren abgetrennte Körperteile mit dem Glauben vereinbar? Jesse Jackson, amerikanischer Bürgerrechtler und Aktivist der „Rainbow Coalition“, bezeichnete bereits in späten Achtzigern die „Glorifizierung von Gewalt und Ghettoisierung“, im Gangsta-Rap-Genre seit jeher en vogue, als Schande für die Black Community. Doch die Anziehungskraft ist ungebrochen. Dicke-Hose- und Kleinkriminellenmentalität besitzen vor allem in der größtenteils weißen Mittelschicht der Käufer einen exotischen Charme. Entsprechend groß ist auch die Zahl gewaltgetriebener Videospieltitel, die derzeit in den Markt drücken. Die Frage, ob in den kommenden Jahren auch Spiele mit reiferen, differenzierteren und über das HipHop-Klischee hinausgehenden Inhalten erscheinen werden, kann heute noch nicht beantwortet werden. Im Moment sieht es nicht danach aus. Spiele wie Konamis für diesen Herbst angepeilte „Crime Life: Gang Wars“, in dem man sich „Final Fight“-gleich durch die Straßen der fiktiven Stadt Grand Central City prügelt, Eidos’ „25 To Life“, einem „Socom“ für Rapper, oder Ubisofts „187 Ride Or Die“, ein „Burnout“-Verschnitt im Baggy-Dress, bedie-nen sich leider auch nur der Klischees, die ohnehin schon allgegenwärtig sind. Das soll nicht heißen, dass sie als Spiel nicht wunderbar funktionieren und unterhalten. Jedoch weiden sie das Phänomen HipHop lediglich aus, anstatt dem allgemeingültigen Bild etwas hinzuzufügen beziehungsweise dem Konsumenten einen Einblick in die andere Seite, die dunkle Seite des Ghettolebens zu geben. Es scheint, als wären die Videospiele zum Thema HipHop vor allem durch die in den Rap-Videos inszenierte Lebenswelt inspiriert – nicht aber von der HipHop-Realität. Nun könnte man das einfach der Tatsache zuschreiben, dass die meisten dieser Spiele von Leuten entwickelt werden, die in ihrem Leben noch kein Ghetto gesehen, geschweige denn eine Ahnung davon haben, wie es sich lebt in einem Alltag, der vor allem aus Armut besteht. Und, ja: Der Versammlung von Weißbroten auf den meisten Gruppenfotos der Entwickler würde man auf Anhieb eher die nächste „Star Wars“-Umsetzung anvertrauen als ein HipHop-Game mit Authentizitätsanspruch. Doch dass man nicht im Ghetto aufgewachsen sein muss, um eine konsistente, in der HipHop-Kultur verwurzelte Videospielwelt zu kreieren, bewiesen zuletzt die Entwickler von Rockstar Games. Die schufen mit „GTA: San Andreas“ eine ziemlich überzeugende digitale Version vom Leben in der Hood, die mit den Klischees eher spielte und dem Spieler zudem stellenweise auch aufzeigte, dass ein Leben als Gangster mitnichten nur aus Glanz und Gloria besteht. Und das alles wurde maßgeblich in einem Studio in Edinburgh erschaffen – dort sind Ghettos bekanntermaßen Mangelware. Außerdem ist ein persönlicher HipHop-Background der Entwickler noch lange kein Garant dafür, dass ein Spiel auch tatsächlich authentisch wird. Im Fall von „187 Ride Or Die“ kann man sagen, dass der aus Brooklyn stammende Drehbuchautor Matty Rich zumindest über einen entsprechenden Background verfügt. Sein „Tupac Shakur“-Projekt für HBO und seine aktuelle Funktion als Executive Producer einer einstündigen Talkshow mit Rap-Legende Kool Moe Dee lassen eine gewisse Credibility im Genre erahnen. Doch außer der vermeintlich neuen Genre-Bezeichnung „Combat Car Racing“ bietet „187 Ride Or Die“ leider auch keinen wirklich neuen Beitrag zur Debatte. Gespannt sein darf man hingegen bei Midways neuem Projekt „Fear And Respect“. Dieses Spiel rankt sich um die lebende HipHop-Legende Snoop Dogg. Der Spieler erlebt einen Tag im Leben des 22-jährigen Goldie (quasi Snoop Dogg in jungen Jahren), in einem dem Vorbild exakt nachgebauten virtuellen LA. Verantwortlich für Story und Dramaturgie zeichnet dabei niemand Gerin- geres als John Singleton, Regisseur des Ghettofilmklassikers „Boyz ’N The Hood“. Sein Filmdebüt aus dem Jahr 1991 gilt unter Filmkritikern bis heute als beste Beschreibung eines hoffnungslosen Lebens in der Hood. Seine Filme lösten einen Boom aus und trugen gleichzeitig maßgeblich zur Diskussion über die undifferenzierte Verherrlichung von Ghettogewalt bei – gerade die Kopien seines Blueprints bildeten ein relativ festgefahrenes, einseitiges und auf Action-Kino ausgelegtes Klischee. Singleton ist als Urheber dieser Bilder selbstverständlich allererste Wahl für ein Spiel wie „Fear And Respect“, ob er es tatsächlich schafft, sich von den durch ihn selbst ins Leben gerufenen Klischees und Schemata zu lösen, bleibt abzuwarten. Die große Frage ist: wie könnten neue Visionen aussehen, Visionen, die direkt aus der HipHop-Szene heraus entstehen und in denen der Künstler nicht nur als Aushängeschild für eine bereits vorgefertigte Spielidee fungiert? Anders gefragt: Wer könnte das Videospiel-technische Gegenstück zu einem revolutionären HipHop-Produzententeam wie The Neptunes bilden? Die Kreativität des Produzentendreigestirns aus Virginia Beach hat nicht nur die Hip-Hop-Szene, sondern in der Folge auch gleich das gesamte Popbusiness neu beflügelt. Diese Rolle könnte – vergleicht man die Konzepte der für dieses Jahr geplanten Spiele – HipHop-Fashion-Mogul Marc Ecko zufallen. Der Chef hinter dem Label Ecko Ult. und Ideengeber hinter Ataris „Getting Up: Contents Under Pressure“ bringt zumindest gute Voraussetzungen mit, um etwas zu ändern: Er ist Videospielfan von Kindesbeinen an, er hat gleichzeitig aber genügend Distanz zum Videospielbusiness, und er hat so viel Geld, dass er nicht gezwungen ist, Kompromisse einzugehen. In der fiktiven Welt von „Getting Up: Contents Under Pressure“ schlüpft der Spieler in die Rolle des jungen Graffiti-Künstlers Trane – gesprochen von dem Rapper Talib Kweli –, der gegen das diktatorische Regime aufbegehrt. Sowohl visuell als auch inhaltlich hebt sich „Getting Up“ deutlich von allen andern erwähnten Spielen ab. Und zollt als einziger Titel den ideologischen Grundgedanken der HipHop-Kultur Tribut. Ansonsten, das muss man leider angesichts der in Aussicht stehenden Titel deutlich sagen, präsentiert sich die HipHop-Kultur innerhalb des für sie neuen Mediums mit einer fast schon beängstigenden, erdrückenden Humorlosigkeit. Die in den meisten Spielen abgebildeten Charaktere und Szenarios sind zum Verzweifeln (gefühls-)kalt und unnahbar, menschliche Regungen führen unweigerlich zum „Game Over“. Sollte das das zukünftige Bild der HipHop-Szene sein? Als hätten ein Afrika Bambaataa mit seiner Zulu Nation oder ein Chuck D und Public Enemy nie existiert? Dann würden die subkulturellen Werte des HipHop, etwa der Unity-Gedanke oder auch das revolutionäre Potenzial, einem Gangsta-Klischee geopfert, das sich von Medium zu Medium in seiner Eindimensionalität immer wieder selbst befruchtet. Text: Chris Maruhn
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von Volker Hansch / Juni 10th, 2005 /

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