Stranglehold

Stranglehold

Der Regisseur John Woo ist der Altmeister des Hongkong-Actionkinos. Ohne ihn gäbe es keinen Tarantino und kein "Matrix". Sein erstes Videospiel knüpft nahtlos an die Brillanz seiner Filme an

Im Mittelpunkt der Filme John Woos - der guten Filmen, die er gedreht hat, bevor es ihn von Hongkong nach Hollywood zog - steht meist ein ebenso ehrenhafter wie tragischer Held. Eine Person, die hin- und hergerissen wird zwischen treuer Pflichterfüllung und ihrem Gewissen, das ihr dabei im Weg steht. In "The Killer" von 1989 ist es der Auftragsmörder Ah Jong, der wenigstens einmal in seinem Leben etwas Gutes tun möchte. In "Hard Boiled" aus dem Jahre 1992 heißt der Held Inspektor Yuen alias Tequila, der sich über alle Dienstvorschriften hinwegsetzt, um seinen von der Mafia getöteten Kollegen zu rächen. Beide werden von dem chinesischen Schauspieler Chow Yun-Fat verkörpert, der den Figuren trotz seiner personifizierten Coolness immer auch jenes Maß an Seele verleiht, von der jeder James-Bond-Darsteller von Roger Moore bis Daniel Craig nur träumen kann. Auch in "Stranglehold" spielt Yun-Fat die Hauptrolle. "Stranglehold" ist nicht nur seine erste Zusammenarbeit mit John Woo seit "Hard Boiled", sondern auch die Fortsetzung dieses filmischen Meisterwerks in einem für Regisseur wie Schauspieler gleichermaßen unbekannten Medium. Für das Spiel schlüpft Yun-Fat erneut in die Rolle des Draufgängers Tequila, der es eigenhändig mit mehreren Fraktionen der chinesischen Mafia aufnimmt, um seine entführte Ex-Geliebte und die gemeinsame Tochter zu retten. Aber obwohl Yun-Fat für den bis auf die Haarspitzen detailgetreu nachempfundenen Hauptcharakter Modell stand und ihm in der englischen Sprachfassung sogar seine Stimme schenkt, ist es leider nur sein Englisch, das an dieser Figur gebrochen wirkt. Von jenen inneren Widersprüchen und Qualen, von jener zutiefst menschlichen Verzweiflung, die ihm im Kino die Sympathie des Publikums einbrachte, spürt man im Videospiel wirklich gar nichts. Ist "Stranglehold" als Weiterführung der Filmsprache John Woos mit anderen Mitteln also von vornherein zum Scheitern verurteilt?

Zeit ist relativ

Die Antwort ist ein klares Nein! Denn die Poesie von Woos Filmen ergibt sich nur zu einem Bruchteil aus der Charakterzeichnung und der Schauspielkunst seiner Darsteller. Mindestens ebenso wichtig ist die Art und Weise, in der er Pistolenduelle und Massenszenen, akrobatische Stunts und Mexican Standoffs inszeniert. Schließlich ist Woo immer noch und zuallererst ein Action-Regisseur. Und "Stranglehold" ein Action-Game, wie es lange keins gab. Das bekommt der Spieler schon im ersten Level zu spüren. Auf einem chinesischen Markt zwischen heruntergekommenen Wohnhäusern und dampfenden Großküchen erhält Tequila eine makabre Nachricht: das Foto eines brutal ermordeten Kollegen, dessen durchlöcherte Dienstmarke und den Hinweis, dass es ihn als nächstes treffen könnte. Unmittelbar darauf stürmen von allen Seiten Gangster auf den Platz und nehmen Tequila unter Beschuss. Sofort muss man lernen, die Umgebung zu seinem Vorteil zu nutzen und die unschätzbar wertvolle "Tequila Time" geschickt einzusetzen: einen Zeitlupenmodus, der immer dann aktiviert wird, wenn Tequila einen waghalsigen Sprung hinlegt oder sich zur Seite wirft, um gegnerischen Kugeln auszuweichen. Während dieser Sekunden, in denen sich die Angreifer und ihre Geschosse viel langsamer bewegen als das eigene Fadenkreuz, kann man sie in Normalgeschwindigkeit aufs Korn nehmen. Alles nichts Neues, mag man einwenden. Das kennen wir schon aus "Max Payne". Dieser Einwand wiegt jedoch wenig, denn schließlich wurden die "Max Payne"-Spiele durch die Filme John Woos maßgeblich beeinflusst. Und außerdem kann "Stranglehold" etwas, das kein anderes Spiel vor ihm richtig gut konnte: Zerstörung.

Die Vergänglichkeit der Dinge

Schmutzige Neonschilder mit chinesischen Schriftzeichen zerbersten zu Scherben und Funken. Obst und Gemüse, Schweinefleisch und Fensterglas fliegt einem um die Ohren. Tische werden umgeworfen, Marktstände brechen zusammen. Das Holz eines wackeligen Baugerüsts gibt nach, stürzt ein und begräbt die Angreifer, die eben noch draufstanden und siegessicher auf einen herabsahen. Vieles davon geschieht gleichzeitig und das meiste in Zeitlupe. Die Zerstörung besitzt ihre ganz eigene Schönheit und sorgt schon gleich zu Anfang für ungläubiges Staunen. Noch mehr Lust an der Verwüstung verspürt man jedoch, wenn man im fortgeschrittenen Spielverlauf nicht mehr nur in ohnehin ziemlich heruntergekommenen Außenleveln unterwegs ist, sondern auch einem Edelrestaurant, einem Casino, einem historischen Museum und einer Ausstellung für moderne Kunst mit so wertvollen wie geschmacklosen Exponaten einen Besuch abstattet, um sich an diesen Orten mit modebewussten Mafiosi eine Materialschlacht zu liefern. Kronleuchter zerspritzen, Aquarien platzen, Spielautomaten erbrechen den Jackpot, antike Säulen und kolossale Statuen zerbröseln unter Bleisalven zu Staub. Man rutscht ein Treppengeländer hinunter, während man das gegnerische Sperrfeuer erwidert, oder wirft sich bäuchlings auf einen Servierwagen und surft auf ihm direkt hinein in die feindlichen Reihen. Und nach überstandenem Angriff ist man umgeben von Schutt und Schrott, schaut sich ungläubig um und fragt sich, wann das alles passiert ist. Meistens wartet dann noch ein widerstandsfähiger Endgegner. Zum Beispiel ein Muskelberg mit blondiertem Haar und Goldanzug, wie man ihn schon in zahllosen Räuberpistolen aus Fernost gesehen hat. Er stirbt auch dann nicht, wenn man ihm fünf Mal ins Hirn schießt. Das ist unrealistisch und sorgt erst für Frust. Doch dann erinnert man sich: Man ist ja in einem John-Woo-Spiel! Und in dessen Filmen gibt es auch immer diesen einen Schurken, der jeden Kampf und jede Explosion wie durch ein Wunder überlebt und erst ganz am Ende ins Gras beißt. Und auf einmal wird einem klar: Die Zeitlupe, die Stunts, der nie abreißenden Strom von Angreifern, die imposanten Schauplätze, die Musik und die Tauben, das alles ist genau wie in einem Film von John Woo. Nur dass man, anstatt vor der Leinwand zu sitzen und zuzuschauen, mittendrin ist im dichtesten Kugelhagel - und dabei verdammt cool aussieht.

Das Spiel

Die Skepsis war zunächst groß. Müssen erfolgreiche Filmregisseure sich unbedingt auch als Gamedesigner versuchen? Neben John Woo basteln zurzeit auch Peter Jackson und Steven Spielberg an ihren jeweiligen Visionen von filmreifem Gameplay. Das ist einerseits gut, denn große Namen bringen viel Aufmerksamkeit und veranlassen mit Sicherheit auch so manchen eingefleischten Cineasten zum Kauf einer Konsole. Anderserseits wissen wir aber: Die meisten Spiele, die auf einer Filmhandlung basieren und parallel zum Kinostart auf den Markt geworfen werden, sind ziemlicher Müll. Selbst bei der Umsetzung von zeitlosen Klassikern wie "Der Pate" oder "Scarface" sind bisher nur "GTA"-Klone rausgekommen, die zwar oftmals die Atmosphäre der Vorlagen gut einfangen, in puncto Spielmechanik und Orginalität aber den Kürzeren ziehen. John Woo und sein Entwicklerteam haben gezeigt, dass dem nicht zwangsläufig so sein muss. Zumindest für das Action-Genre wurde mit "Stranglehold" die Messlatte sehr hoch gelegt. Woo wollte nach eigenen Aussagen erreichen, dass sich der Spieler nicht nur wie der Held in einem Action-Epos vorkommt, sondern sich auch als Regisseur fühlt. Das Spiel schafft genau dies, indem es zum Beispiel Stilpunkte für besonders spektakuläre Stunts und kunstvolle Kills verteilt. Je filmreifer man die Action auf dem Bildschirm gestaltet, desto mehr füllt sich die kreisförmige Energieleiste des Helden. Diese Energie kann man dann einsetzen, um Spezial-fähigkeiten wie einen Amok-Modus oder eine "Spinning Attack" auszulösen, die das Spiel wiederum um einiges cineastischer werden lassen. Und was zeigt uns das? Filmreife Inszenierung und gutes Gameplay müssen sich eben doch nicht ausschließen.

Fazit

Endlich ein Game mit Filmbezug, das einen nicht denken lässt, man wäre im falschen Film. Der Stil John Woos wurde eins zu eins auf das Spiel übertragen. Nur für gute Storys gehen wir lieber ins Kino. Für Freunde von "Max Payne 2: The Fall Of Max Payne", "Enter The Matrix", "Black" Text: Oliver Klatt
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2007 / 1 Kommentar

1 Kommentar

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