„Innerlich wachsen“

"Innerlich wachsen"

Der 30 Jahre junge Vater von "Far Cry" und "Crysis" hat mit seinen Brüdern Avni und Faruk Deutschlands erfolgreichste Entwicklerfirma Crytek aufgebaut, beschäftigt weltweit 280 Mitarbeiter und ist jetzt schon eine Legende. Ein Gespräch mit Cevat Yerli – einem Getriebenen, der dennoch in sich ruht

Die Geschichte der Yerli-Brüder klingt wie ein Märchen: von der C64-Bastelei im Kinder- zimmer zum Aushängeschild der deutschen Spieleindustrie - und das als Söhne türkischer Einwanderer aus kleinen Verhältnissen. Nervt dich, dass Letzteres so oft erwähnt wird? Prinzipiell stört mich das nicht, obschon diese Betonung in der Tat bis in viele persönliche Gespräche hineinwirkt - fast schon, als sei das was Negatives. Aber im Grunde kümmert es mich nicht. Ich bin ein sehr umgänglicher Mensch. Stimmt die Legende denn überhaupt? Mein Vater kam als Gastarbeiter hierher, und zu Beginn waren die Verhältnisse ziemlich ärmlich. Aber weil er immer gespart hat, anstatt auszugeben, schuf er in wenigen Jahren normale Verhältnisse und ermöglichte uns eine gute Bildung. Wenn man überlegt, dass meine Eltern aus einem türkischen Dorf kamen, in dem es kaum Elektrizität gab, und schaut, wo wir jetzt stehen, ist das eine enorme Entwicklung. Wann haben sie erkannt, dass ihre Söhne ein Talent besitzen, Spiele zu programmieren? Spät. Wir mussten sie von C64 über Amiga bis zum PC immer wieder überzeugen, die Geräte anzuschaffen. Als wir im Jahr 2000 mit Prototypen von "Far Cry" zur Spielemesse in Los Angeles flogen, haben unsere Eltern sehr gehofft, dass daraus was wird - hatten aber auch Angst, dass wir derart enttäuscht werden könnten, dass wir durchdrehen. Wir hatten ja alles auf eine Karte gesetzt, finanziell wie emotional. Als wir von großem Interesse berichten konnten, verstanden sie zwar immer noch nicht ganz, worum es ging, aber dass auf jeden Fall endlich das Potenzial für eine Karriere gegeben war. Zehn Monate später war der Deal mit Ubisoft perfekt. Während dieser Zeit gingt ihr parallel noch Berufen und Studium nach? Ich studierte BWL, Avni war Bauingenieur, und Faruk hatte ein Werbebüro. BWL habe ich nach dem Vordiplom abgebrochen, weil dann klar war, dass nur eines geht: Crytek oder Studium. Jetzt bist du gerade mal 30 Jahre jung und stehst dem erfolgreichsten deutschen Spielunternehmen mit weltweit 280 Mitarbeitern vor. Wirkt das für dich nicht unwirklich? Je unwirklicher es mir vorkommt, desto besser. Je mehr das in mein Bewusstsein geriete, desto mehr würde es bei Entscheidungen hemmen. Deine Brüder sind beide Familienväter, du nicht. Arbeitest du zu viel im Büro? Ich war ein Workaholic. Alles habe ich lieber drei Mal überprüft, um nur keine Fehler zu machen, ich stresste mich und legte gewichtsmäßig ordentlich zu. Mittlerweile habe ich aber eine andere Leidenschaft gefunden, und meine private Situation wird sich sehr bald ändern. Wir sprechen von der Liebe? Riiiiichtig! Die ist natürlich der beste Ausgleich. Ansonsten sollst du auch Sportler sein? Die Firma spielt alle zwei Wochen in einer nahe gelegenen Soccerhalle Fußball. Da versuche ich, einigermaßen regelmäßig mitzubolzen. Bist du in einem Egoshooter eher der Stealth-Spieler, der sich anschleicht, oder stürmst du mit Pauken und Trompeten nach vorne? Und wie verhält sich das im echten Leben? Im Spiel bin ich vorsichtig, im Geschäftsleben arbeite ich riskant. Es ist sehr wichtig, in dieser Industrie Neues zu probieren. Wer etwas erreichen will, kommt mit Altmetall nicht weit. Ich will immer besser werden. Nicht im Sinne von "mehr arbeiten", sondern von "anders arbeiten". Sich wandeln, auch innerlich wachsen. Experten sagen, der Erfolg von Crytek basiere auf drei Säulen: Perfektionismus, Orientierung an den Wünschen der Community - und der Cry-Engine und ihrer Lizenzierung. Für mich ist entscheidend, dass wir uns niemals bloß von Schritt zu Schritt hangeln, sondern im Vorfeld das Konzept bis zur letzten -offenen Frage durchdenken. Und Technik ist wichtig, weil wir eine Sparte der IT-Industrie sind. Daher lautete das Motto immer: Wenn wir unser Fahrwerk selbst kontrollieren, haben wir die Zukunft in eigener Hand. Würden wir bloß Technologie anderer Entwickler lizenzieren, könnten wir auch nur maximal so gut sein wie sie, nie besser. Es gibt Programmiertechniken, die etwas komplexer aussehen lassen, als es in der Berechnung tatsächlich ist. Die Details simulieren, wo keine Details sind. Überträgt man das auf das Leben, ließe sich dann sagen, dass die Spielindustrie ähnlich funktioniert? Dass sie manchmal auf dicke Hose macht, obwohl die Entwickler noch längst nicht so weit sind? (lacht) In der Vergangenheit haben wir viel zu früh viel zu viel auf den Tisch gepackt. Wir haben bei "Crysis" zu Beginn Features angekündigt, die wir teuer wieder revidieren mussten. Das schafft Misstrauen und Probleme. Dabei ist dieser Prozess intern völlig normal: Man entwickelt und interveniert, entwickelt und interveniert. Das wird sich ändern, bei uns wie bei allen anderen. Die Entwickler werden in den nächsten Jahren schweigsamer werden. Zu viel steht auf dem Spiel, zu gravierend können die Folgen sein. Man schaut voneinander ab. Wir haben schon Ende 2005 Grafiken von "Crysis" gezeigt. Ich wage zu behaupten, dass die gesamte Industrie in Sachen grafischer Effekte heute nicht so weit wäre, wie sie ist, hätten wir den Stand der Dinge erst im März 2007 öffentlich gemacht. Existieren unter Entwicklern ungeschriebene Gesetze, wie man miteinander umgeht? Schließlich gibt es Stars und Hierarchien. Obwohl es mittlerweile um Gelder geht, die den Budgets von Kinofilmen gleichen, ist die Industrie noch recht bodenständig. Das liegt auch daran, dass über uns nicht ansatzweise so berichtet wird wie über Regisseure oder Schauspieler. Seht ihr zu manchen Entwicklerlegenden auf, so wie ein Filmemacher zu Alfred Hitchcock oder Stanley Kubrik aufsehen würde? Wir schauen niemals rauf, wir schauen nach links und rechts, um zu sehen, was die anderen machen. Entscheidend ist dabei für uns, dass wir uns in unserer Qualität und unsem Produktionsdesign so wenig wie möglich von externen Einflüssen ablenken lassen. Eins eurer Ziele für "Crysis" war, den Weltrekord von 52 Titelgeschichten in der Presse zu knacken. Hat das geklappt? Wir hatten 56 Cover. Wir hatten gedroht, nicht zu releasen, wenn wir unter 50 bleiben. Das war zwar ein interner Scherz, hat aber funktioniert. Das zweite Ziel war eine Durchschnittswertung von 95 Prozent. Warum ist das in der Spielebranche so wichtig? In der Musikindustrie klafft das, was Kritiker mögen und das, was die Leute kaufen, oft sehr auseinander. In der Regel kann man Rating und Verkaufszahlen interpolieren. Die Ausnahme bilden Lizenzprodukte von Kinofilmen. Die können trotz bloß mittelguter Ratings locker mit "Crysis" konkurrieren, was zugegebenermaßen ärgerlich ist. Du hast gesagt, ihr denkt bei einem neuen Projekt alles vorher durch. Was ist eure Ur- Inspiration? Ein Killerfeature? Die Story? Ein Killerfeature ist bei First-Person-Shootern meist nicht der Keim, sondern eine eher abstraktere Kernidee, die dann das Gameplay nach sich zieht. Spiele, die komplett aus einem Feature resultieren, sind eher Puzzlespiele oder Minigames, bei denen die Mechanik im Vordergrund steht. Die Story wurde bislang stets nur in groben Zügen skizziert - in Zukunft wird sie von Tag eins an wichtig sein, im vollem Umfang. Du sollst dich für Verschwörungstheorien interessieren. Hat das Einfluss auf eure Storys? Ich recherchiere gerne Mysterien hinterher, zum Beispiel dem Bermudadreieck, Stonehenge oder den ganzen verschiedenen Zeitreisetheorien. Mystery ist gut, weil sie voller Fragen steckt. Und die können ein Keim für Spiele sein. Politische Verschwörungstheorien sind zwar auch interessant, aber ich werde öffentlich nichts dazu sagen, was bei 9/11 passiert sein könnte, falls du darauf hinauswillst. Darüber spekuliere ich nur privat. Bist du religiös aufgewachsen? Mein Background ist religiös, ich würde sagen: progressiv religiös. Der Zusammenhalt in unserer Familie ist wahnsinnig gut. Was meine Eltern geleistet haben, ist für mich ein Weltwunder. Das hat mich geprägt. Bist du gläubig? Ja. Das spielt in meinem Berufsalltag allerdings keine Rolle. Wobei: Ich sehe die Dinge sehr klar, egal, ob das religiös motiviert ist oder einfach nur mental. Ich bin jetzt nicht erleuchtet oder so, aber Einstein hat mal gesagt: Je mehr ich verstehe, desto mehr glaube ich. Ein gesunder Charakter hat einen gewissen Glauben, denn nicht alles in dieser Welt ist rational erklärbar. Dieser Glaube kollidiert aber nicht mit dem Erschaffen von Egoshootern? Nein. Klar, nach einer strengen Auslegung des Islam dürfte man nicht mal Musik hören, geschweige denn Spiele entwickeln, weil das alles als negative Ablenkung gilt. Ich sehe das nicht so. Ich denke, ich erschaffe Unterhaltung, die im besten Fall dazu führt, dass die Kids lieber meine Spiele spielen als auf die Straße zu gehen und dort etwas Schlimmes anzustellen. Du und deine Brüder werden gerne als Vorbilder dargestellt, auch und gerade für die türkische Community in Deutschland. Ja, auch Freunde und Verwandte fragen mich manchmal: Wie hast du das geschafft? Kannst du das meinem Sohn erklären? Ich finde, man kann einen Menschen nur ermutigen: Jeder kann alles schaffen, jeder ist nur durch seine eigenen Handlungen beschränkt. Auch die 18-Jährigen, die bei Crytek anfangen, schauen zu mir auf, aber ich behandele sie wie einen Buddy. Ich bin bloß ein älterer Kollege, der mehr Erfahrung gesammelt hat. Man kann einem Menschen nicht den Weg zeigen, nur ein Ziel. Den Weg wird er finden, indem er ihn selber sucht. Cevat Yerli, 30, verwirklichte mit seinen Brüdern Avni und Faruk Yerli eine Aufstiegsgeschichte wie aus dem Lehrbuch: Der Sohn eines türkischen Gastarbeiters begann ab den Achtzigern, sich an C64, Amiga und PC selbst auszubilden. 1997 gründete Yerli noch aus der elterlichen Wohnung in Coburg heraus die Firma Crytek, 1999 wurde sie als offizielles Unternehmen registriert. 2000 gaben die Brüder im wahrsten Sinne des Wortes ihr letztes Hemd, um sich die Reise zur Spielemesse "Electronic Entertainment Expo" (E3) in Los Angeles leisten zu können und dort den Prototypen von "Far Cry" vorzustellen. Das Spiel gilt heute als Meilenstein des Genres und hat ähnlich wie der atemberaubende, 2007 erschienene indirekte Nachfolger "Crysis" eine passionierte Modding-Riege um sich geschart. Mit Niederlassungen in Frankfurt, Kiew und Budapest beschäftigt Crytek mittlerweile 280 Mitarbeiter und ist der erfolgreichste deutsche Entwickler. Cevat Yerli lebt in Frankfurt am Main. Interview: Oliver Uschmann
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von Volker Hansch / September 10th, 2008 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. bumbumboom sagt:

    Ich war hier