Fable III

Fable III

Dass der Traum von Gerechtigkeit nach einem gewaltsamen Umsturz schnell ausgeträumt sein kann, hat die französische Revolution gezeigt. In „Fable III“ lernen wir es am eigenen Leib XBox 360 | Entwickler Lionhead | Publisher Microsoft | Termin erschienen | Preis 70–85 Euro | USK 16 | Spieler 1–2 Backsteinfabriken, Dampfmaschinen und hungernde Arbeiter: Die Industrialisierung ist ein schmutziger Teil europäischer Geschichte. In Großbritannien, wo im 18. Jahrhundert die ersten Fabriken das Zeitalter der Massenproduktion einläuteten, hat die künstlerische Auseinandersetzung damit Tradition: Ob die Lebensbedingungen der Unterschicht in Charles Dickens’ „Oliver Twist“, die Zerstörung der Umwelt in „Der Herr der Ringe“ oder Klassenprobleme wie im Film „This Is England“ – britische Künstler beschäftigen sich seit zweihundert Jahren mit den Auswirkungen der Kapitalisierung der Gesellschaft. Auch Entwickler Lionhead nimmt sich jetzt des Themas an, denn die Fantasy-Welt Albion der „Fable“-Spiele ist im Zeitalter der Dampfmaschine angekommen. Wo in den Vorgängern die florierende Mittelalterstadt Bowerstone stand, erhebt sich nun eine rauchverhangene Metropole. Ihre Bewohner: aschfahle Menschen, die zwischen Häuserschluchten und Kloaken umhertrotten. Das Spiel inszeniert diesen Moloch in einer grafischen Mischung aus Realismus und Comicstil. Doch Bowerstone ist mehr als Tristesse. Charaktere wie ein Gartenzwergsammler oder die Geisterbrüder Sam und Max unterstreichen, dass es bei allem Elend in Albion einiges zu lachen gibt. Diese sich ständig weiter entwickelnde Welt und das Wiedererkennen im Veränderten bindet „Fable“ auch im dritten Teil an seinen Spieler. Der schlüpft in die Rolle eines Prinzen, der angesichts der Unterdrückung der Bevölkerung durch seinen Bruder mit seiner Familie bricht, um eine Revolution anzuzetteln. Wie in „Fable II“ müssen rollenspieltypische Aufgaben absolviert werden, um das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Und obwohl die Moderne in Albion Einzug erhalten hat, wimmelt es in den kleinen Orten rings um Bowerstone immer noch von Banditen, Skeletten und anderen Monstern. Mit Schwert, Magie und Schusswaffen werden actionlastige Kämpfe bestritten, rhythmisches Buttondrücken löst Comboangriffe aus. Das ist wenig raffiniert, legt dafür die Einstiegshürde aber auch angenehm niedrig. Etwas taktischer wird das Game durch die Kombination dreier Angriffsstile: Nur mit einer ausgewogenen Mischung aus Nah- und Fernkampf sowie Zaubersprüchen lassen sich im späteren Spielverlauf große Gegnerscharen bezwingen. Je nachdem, welche Angriffe der Spieler präferiert, ändert sich dabei die Optik der Waffen: Tötet er viele Skelette, wird der Griff seines Schwerts zum Knochen, nutzt er Fernangriffe und Blitzzauber, beginnt die Steinschloss­pistole zu glühen. Der Ansatz der Vorgänger, per Visualisierung abstrakte Informationen zu vermitteln – wie schlechte Taten durch ein teuflisches Antlitz – wird in „Fable III“ auf die Spitze getrieben. Denn auch beim Interface verschmelzen visuelle und inhaltliche Ebene: Statt einen nüchternen Inventarbildschirm sucht der Spieler zum Beispiel beim Drücken der Start-Taste eine virtuelle Kleiderkammer auf, in der er Waffen und Ausrüs­tung begutachten und anlegen kann. In der Mitte des magischen Raumes steht ein Kartentisch, der als Questbuch fungiert und an jeden beliebigen Ort des Königreichs teleportiert. Auch der Spielfortschritt wird nicht wie in anderen Rollenspielen in Form von Zahlen und Statistiken präsentiert. Stattdessen symbolisiert eine Straße den Progress auf dem Weg zum Aufstand gegen den despotischen Bruder. Auf ihr zeigen geöffnete und verschlossene Tore, wie nahe der Spieler der Re­volution bereits gekommen ist, Kisten am Wegesrand enthalten neue Eigenschaften, und auch gewonnene Mitstreiter stehen hier. Diese Unterstützer zieht der Held in „Fable III“ durch Handlungen, aber auch durch Worte auf seine Seite. Denn nur wer Bevölkerungsgruppen wie den Arbeitern oder Bewohnern einer Kolonie verspricht, nach Erlangung der Macht für sie einzutreten, erhält genügend Gefolgsleute für einen Umsturz. Doch wenn die Krone nach der Entscheidungsschlacht endlich sitzt, fangen die Proble­me erst an. Der Bruder hat die Staatskasse geplündert, alle Parteien beharren auf Vorzugsbehandlung, und im Süden des Reiches entwickelt sich eine Bedrohung, gegen die zu kämpfen alle Ressourcen verschlingen wird. In diesem Abschnitt löst sich das Spiel vom plakativen Dualismus seiner Vorgänger, bei denen ein „Karmasystem“ die Aktionen des Spielers in ein simples Gut-Böse-Raster eingeteilt hatte. Jetzt dient jeder Einschnitt auf Kosten der Bevölkerung dem Überleben aller, und jedes soziale Projekt bringt die nationale Sicherheit zum Wanken. Zwar kann auch das persönliche Vermögen des Helden in den Haushalt eingebracht werden – „Fable III“ hat sogar ein eigenes, kleines Wirtschaftssystem –, doch mit der Vermietung einer Taverne und dem Heben von Schätzen lässt sich keine Armee finanzieren. Es ist ein Verdienst dieses Spiels, dass es den Spieler mit politischen Entscheidungsprozessen konfrontiert und dabei immer wieder hinterfragt, was „Gut“ und was „Böse“ ist. Manchmal muss es eben Bußgeld auf die Geburt von Kindern geben statt Kindergeld – wenn es zum Wohle aller ist. Oder? In solchen Momenten ist „Fable III“ ein Traum von einem Rollenspiel und eine albtraumhaft gute Politiksimulation. Für Freunde von „Arcanum“, „Mass Effect“, Maximilien Robespierre Jetzt im GEE-Shop bestellen [nggallery id=46]
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von Christian Neeb / November 12th, 2010 /

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