Taktik und Seele

Wir waren in Moskau, um mit Spielentwicklern aus der ehemaligen UdSSR über die dortigen Arbeitsbedingungen und eigenwillige Ansätze im Game Design zu sprechen. Den Bericht lest ihr in der neuen GEE, die ab Montag am Kiosk liegt. Exklusiv auf geemag.de erzählt Videospielproduzent Wolfang Walk, 48, von seinen Erfahrungen mit dem Moskauer Entwicklerstudio Ice-Pick Lodge und den Besonderheiten des russischen Marktes Herr Walk, Sie haben die europäische Fassung von „The Void“, einem Kunst-Spiel des Moskauer Studios Ice-Pick Lodge produziert. Wie verlief die erste Begegnung mit den Entwicklern? Nikolay Dybowskiy, der kreative Kopf hinter „The Void“ hat mich bei meinem ersten Besuch in Moskau zuerst ins Museum geschleift, um mir einige seiner Lieblingsbilder zu zeigen und zu sehen, wie ich auf diese reagiere. Das war wie eine Art Aufnahmeprüfung. Ich hatte das starke Gefühl: Jetzt wirst du getestet. Offenbar habe ich bestanden, denn unsere Zusammenarbeit lief sehr gut. Ich war nicht der eiskalte Produzent aus dem Westen, der ihr Spiel komplett umprogrammiert, um es markttauglich zu machen. Wir werden auch in Zukunft zusammenarbeiten. Dennoch haben Sie ein halbes Jahr an der Übersetzung des Spiels und den Änderungen im Gameplay gearbeitet. Es musste etwas verändert werden, weil „The Void“ zu Anfang gar kein Spiel war. In den ersten 40 Minuten musste der Spieler zweimal klicken, das war alles an Interaktion. Und auch die Spielmechanik, die danach kam, hat Probleme bereitet. Das Spiel war unheimlich schwer, und viele Dinge ließen sich nur sehr umständlich handhaben. Man musste viermal mit der Maus etwas machen, was man genauso gut mit einem Mausklick erledigen könnte. In diesem Punkt war man meinen Änderungswünschen gegenüber sehr offen. Am Ende fanden die Jungs von Ice-Pick Lodge das Spiel nach meiner Bearbeitung auch besser als vorher. Im Interview (GEE 47) betonen Nikolay Dybowskiy und Alexsey Luchin von Ice-Pick Lodge, wie wichtig es ihnen ist, dass ein Spiel den Spieler durch eine Art Initiationsritus führt. Vor allem Luchin vertritt diese Haltung. Es steckt tief in dem russischen Verständnis eines Spiels, dass es nicht einfach sein darf. Ein Spiel muss einen an die eigenen Grenzen bringen, und ein Spiel muss man auch verlieren können. Für die ist Schach, was für uns Tic Tac Toe ist. In Deutschland gab es diese Haltung auch. Das hat sich aber gelegt. Hierzulande produzierte Spiele werden immer einfacher. Dybowskiy hingegen geht es weniger um den Schwierigkeitsgrad. Er ist mehr daran interessiert, dass ein Spiel eine Erfahrung, ein Erlebnis bietet, dass der Spieler vorher noch nicht erlebt hat. Wenn es den Spieler nicht verändert, ist es eine Zeitverschwendung. Als man mir die russische Fassung von „The Void“ zum ersten Mal gezeigt hat, wusste ich schon beim ersten Bild: So etwas hast du noch nie gesehen. Und wenn du die Fähigkeit besitzt, den Menschen etwas zu zeigen, was sie noch nicht kennen, ist das auch auf dem internationalen Markt Gold wert. Immerhin hat sich auch die schwerere Original-Version von „The Void“ in Russland rund 50 000 Mal verkauft. Warum mag man im Osten schwere Spiele so gerne? Viele Menschen in den ehemaligen Ostblockstaaten langweilen sich intellektuell. Sie suchen nach Herausforderungen und Tiefe. Auch in Computerspielen. In Russland liebt man Videospiele mit Taktik und Seele. Der Begriff „intellektuelle Tiefe“ ist noch nicht so in den Verruf gekommen. Ein kluger und weiser Mann gilt in Russland mehr als bei uns im Westen. Wie beurteilen Sie die Situation der russischen Videospielindustrie? An Talent und Anspruch mangelt es dort auf keinen Fall. Entwickler in Russland sind qualifiziert, bereit hart zu arbeiten und zu lernen. Die Jungs von Ice-Pick Lodge haben sich nicht weniger zum Ziel gesetzt, als die russische Videospielästhetik zu definieren. Und sie sind auf einem guten Weg, wie ich finde. Das fundamentale Problem des russischen Videospielmarktes ist jedoch das Verhältnis zwischen den Entwicklern und den russischen Publishern. Letztere betrachten die Entwickler mehr oder weniger als Arbeitssklaven. Als Leute, die für möglichst wenig Geld Inhalte zu liefern haben, wobei auf deren Qualität so gut wie gar nicht geachtet wird. Und der russische Markt erlaubt das zurzeit leider auch noch. Das ist verheerend. Wenn man sich vor Augen führt, unter welchen Bedingungen „The Void“ entstanden ist, bekommt man Hochachtung vor den Jungs. Lange Zeit saßen sie in einem Kellerloch ohne Fenster, in einem 15 qm-Raum mit acht bis zehn Leuten. Zudem war das noch ein Durchgangszimmer, durch das ständig Mitarbeiter einer anderen Firma liefen. Trotzdem gehen die Entwickler im Osten immer wieder Geschäfte mit östlichen Publishern ein, weil sie hoffen, dass jemand aus dem Westen so auf sie aufmerksam wird, ihr Spiel herausbringt und es dadurch zu einem weltweiten Erfolg wird.
von Oliver Klatt / Dezember 11th, 2009 /

Comments are closed.