In Spector
Fragt man einen echten Videospielfan nach den wirklich großen Namen unter den Spiele-Designern, fällt seiner ganz bestimmt. Warren Spector und die von ihm geschaffenen Spiele stehen für Innovation und inhaltliche Tiefe. Sein neuestes Werk macht da keine Ausnahme. Wir haben mit dem Mann hinter "Deus Ex 2: Invisible War" gesprochen
Eine vermummte Gestalt betritt die Straße. In der Hand hält sie einen blinkenden Zylinder, aus dem plötzlich eine seltsame Masse austritt: ein tödliches Virus, das niemandem eine Chance lässt. Wie eine Schockwelle breitet es sich in den Straßen aus und vernichtet alles Leben. Die Stadt Chicago existiert nicht mehr … Mit diesem beängstigend realen Szenario startet „Deus Ex 2 – Invisible War“, das neue Action-Adventure von Warren Spector. Der Name des Amerikaners steht seit Jahren für Innovation auf dem Videospielemarkt. Die Spielideen des ehemaligen Filmstudenten haben fast immer ihre Spuren im Verständnis von Gamedesign hinterlassen. Mit der „Wing Commander“-Serie (1990) etablierte er Cut-Scenes und völlig neue Interaktionsmöglichkeiten. Mit „Ultima Underworld“ (1992) perfektionierte er das Rollenspiel für PC-Multiplayer, mit „System Shock“ (1994) erstellte Spector eine fantastische Cyberpunkgeschichte. Mit „Thief – The Dark Projekt“ (1998) schuf er den prägenden Titel des tealth-Genres. Wenn in heute gekauften Spielen eine Figur um die Ecke schaut oder ein interaktives Display bedient, gehen diese Ideen direkt auf Warren Spector zurück. Im Herbst 1997 holte ihn „Doom“-Erfinder John Romero nach Austin/Texas, um bei der Firma Ion Storm aus einigen einfachen Beobachtungen ein geniales Spiel zu entwickeln: Inmitten von Meldungen über die ersten geklonten Tiere und der Y2K-Paranoia kurz vor der Jahrtausendwende bemerkte Spector die Faszination seiner Frau für jede neue Sonntagabendfolge der „X-Files“. Und so kämpfte auch der Hauptcharakter J.C. Denton in „Deus Ex“ in einer Welt aus Verschwörungen, Biomods und politischen Interessen. Und obwohl Spectors Geschichten im Jahr 2052 spielen, ist er selber kein SciFi-Nerd. Er liebt Western von John Ford, frühe Filme von Jean Renoir und nennt als Lieblingsfilm David O. Selznicks „Vom Winde verweht“. Vielleicht macht gerade dieser Kontrast den Reiz seiner spielbaren Geschichten aus. Im März erscheint in Deutschland mit „Deus Ex 2 – Invisible War“ wieder ein Spector-Spiel, das Realität und Fiktion in einer faszinierenden Erlebniswelt vermengt. GEE: Verschwörungen und Religionskriege sind ein wichtiger Teil von „Deus Ex 2“. Wie haben Sie die Zeit des 11. September erlebt? Warren Spector: Ich war am 11. September in New York und habe die Twin Towers vom neunten Stockwerk eines anderen Hochhauses aus einstürzen sehen. Danach saß ich zwei Wochen in der Stadt fest. Es war eine sehr beängstigende Zeit, die ich nicht vergessen werde. Haben diese Erlebnisse Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst? Ganz bestimmt, obwohl ich auf Anhieb kein konkretes Beispiel benennen kann. So etwas passiert wohl eher unbewusst. Es werden sich in „Deus Ex 2“ mit Sicherheit Aspekte finden, die mit der weltpolitischen Entwicklung der vergangenen zwei Jahre in Verbindung gebracht werden können, obwohl wir offensichtliche Verweise auf reale Ereignisse bewusst vermieden haben. So etwas würde für mein Empfinden das Spiel in seiner Aussage zu sehr einengen. Trotzdem könnten viele News oder Meldungen in „Deus Ex 2“ auch im realen Leben existieren. Erst kürzlich las ich auf einem Flug zwei Artikel. In dem einen ging es um Sanktionen der Welthandelsorganisation WTO gegen die USA, der andere befasste sich mit der Angst vor Genversuchen am Menschen. Beide Themen finden sich auch im Spiel. Sie sind zwar anders verpackt, regen die Leute aber trotzdem zum Nachdenken an. Sollen Ihre Spiele zum Nachdenken bewegen? Auf jeden Fall. Wenn der Spieler beim Spielen begreift, welche Konsequenzen gewisse Handlungen haben können, dann bin ich zufrieden. Ein „Warren-Spector-Spiel“ steht also immer mit einem Bein in der Realität? Ich wehre mich ein bisschen gegen den Begriff „Warren-Spector-Spiel“. Gamedesign ist eine kooperative Aufgabe, an der bei „Deus Ex 2“ mehr als 60 Leute gearbeitet haben. Jeder bringt sich und seine Ideen ein. Meine Ideen sind also nur ein Teil des fertigen Spiels. Die Produktionsfirma der „Spiderman“-Filme will „Deus Ex“ ins Kino bringen. Wo sehen Sie bei der Filmumsetzung eines Videospiels die große Herausforderung? Jedes Medium funktioniert auf seine eigene Art und Weise. Es werden nächstes Jahr auch Bücher von „Deus Ex“ veröffentlicht, in denen die psychologischen Tiefen eines Charakters wie J.C. Denton viel intensiver ausgelotet werden können. Im Film dagegen kann man die vielen Untergeschichten von „Deus Ex“ in bewegten Bildern darstellen. Die Drehbuchautorin sagte mir kürzlich, dass alleine das erste Spiel genug Stoff für fünf Filme biete. Ist „Deus Ex 2“ ein Spiel für Erwachsene? In den USA wird „Deus Ex 2“ mit einem „M“-Rating erscheinen, was einer Alters-freigabe ab 17 Jahren entspricht. In Deutschland wird das Spiel wohl eine 16er Wertung bekommen. Ich selbst würde nicht wollen, dass Kinder mein Spiel spielen. Es geht mir dabei aber weniger um Gewalt oder sexuelle Inhalte. In „Deus Ex 2“ werden vorwiegend erwachsene Themen behandelt: Terrorismus, Religionsfreiheit, moralische Fragen. Ein Charakter zum Beispiel hält an einer bestimmten Stelle im Spiel eine Rede über den Sinn der Demokratie. Ich weiß nicht, ob das für Kinder das Richtige ist. Ich will erwachsenen Menschen zeigen, dass reale, ernste Themen auch durchaus in Videospielen vorkommen können. Werden Videospiele in den USA denn als eigenes Kulturgut verstanden? Na ja. Es wird ja oft behauptet, dass Videospiele den Durchbruch zum Massenmedium längst vollzogen hätten. Meiner Meinung nach belügen wir uns da ein wenig. Die populärsten Videospiele wurden weltweit vielleicht 15 Millionen Mal verkauft. Die gleiche Anzahl an Zuschauern würde im Fernsehen dazu führen, dass eine Show nach drei Folgen abgesetzt wird. Daher bin ich der Meinung, dass Videospiele noch lange kein Massenmedium sind. Ihre Spiele versinken also in der medialen Bedeutungslosigkeit? Nein, ganz so drastisch sehe ich das nicht. Computerspiele üben mit Sicherheit ihren Einfluss aus und werden inzwischen fast überall auf der industrialisierten Welt als kulturelles Phänomen und Ausdrucksform wahrgenommen. Heute werden zum Beispiel in „Newsweek“ Videospiele besprochen. Das war vor wenigen Jahren noch undenkbar. In den USA werden, genau wie in Deutschland, Stimmen aus der Politik laut, die bestimmte Computerspiele verbieten wollen. Wie sehen Sie als Familienvater und Gamedesigner diese Diskussion? Ich habe überhaupt kein Problem mit dieser Diskussion. Ich sehe das so: Gesetze und Politik werden meistens von älteren Menschen gemacht. Ältere Menschen fürchten sich sehr oft vor neuen Dingen, die sie nicht verstehen. Das war schon immer so. Auch Shakespeares Theaterstücke waren zu seinen Lebzeiten für viele Menschen skandalös, heute sind seine Werke fester Bestandteil des kulturellen Kanons. Comics, Filme, Rock’n’Roll – über alle diese Dinge haben sich die Leute echauffiert. Heute sind sie normal. Sie erwähnten in Interviews des Öfteren, dass der PS2-Titel „Ico“ eins ihrer absoluten Lieblingsspiele sei. Was finden Sie so besonders an diesem Action-Adventure? Ich liebe dieses Spiel, obwohl ich Action-Adventures normalerweise hasse. „Ico“ ist total linear, und man muss die ganze Zeit Puzzles lösen. Trotzdem entwickelt man im Spiel das Bedürfnis, die beiden Hauptcharaktere zu beschützen und sie sicher in die Freiheit zu geleiten. Diese emotionale Bindung zu den Spielcharakteren ist für ein Videospiel sehr ungewöhnlich. Ist Emotionalität für Sie die Zukunft des Videospiels? Absolut. Es gibt in dieser Sache einen großen Nachholbedarf. Spieleentwickler sollten in Zukunft vor allem daran arbeiten, menschliches Verhalten besser und flexibler darzustellen. Meistens kann man den Spielcharakteren gar nicht ansehen, ob sie glücklich oder unglücklich, verletzt oder aggressiv sind. Bei „Half Life 2“ sind die Entwickler in diesem Punkt schon sehr weit gekommen, doch ansonsten stecken wir da noch in unseren Kinderschuhen. Wo sehen Sie sonst noch Potenzial für große Schritte? Vor allem in zwei Punkten: Textqualität und künstliche Intelligenz. Was nützt die beste Grafik, wenn die Spielfiguren, mit denen wir uns identifizieren sollen, total schwachsinnige Dialoge führen? Und erst durch eine echte künstliche Intelligenz werden Computerspiele real wirken. Greifst du an? Bist du freundlich? Läufst du weg? Erst wenn CPU-Gegner oder andere Spielcharaktere individuell auf das Verhalten des jeweiligen Spielers vor dem Bildschirm reagieren, werden Computerspiele anfangen zu leben. Sie beschäftigen sich jetzt seit mehr als zwanzig Jahren mit Videospielen. Gibt es eine goldene Warren-Spector-Regel für das Entwickeln von Spielen? Das Wichtigste an einem Spiel ist für mich die Erfahrung, die der Spieler mit diesem Spiel macht. Ich nenne das „escape and teach“, entkommen und lernen. Es ist mir wichtig, dass der Spieler Spaß hat und trotzdem nachdenkt. Nur so kann er eine Bindung zum Spiel aufbauen. Hatten Sie schon mal die Gelegenheit, den Entwicklern von „Ico“ ihre besondere Liebe zu deren Spiel zu gestehen? Nein, leider trifft man andere Entwickler viel zu selten. Obwohl ich darüber auch ganz froh bin. Manche Leute möchte ich gar nicht treffen. Zum Beispiel? Ich glaube, ich möchte nie Shigeru Miyamoto treffen. Ich wüsste vermutlich überhaupt nicht, was ich sagen soll. Ich würde nur rot vor Verlegenheit werden, und mich total blamieren. Text: Gregor Wildermann, Fotos: Petra Kohl