Das Burnout-Syndrom
"Gran Turismo" ist das beliebteste Rennspiel der Welt. Nirgendwo sonst wird dem Automobil so gehuldigt, Tuning so zelebriert, die Ideallinie so gefeiert wie in "Gran Tursimo, das diesen Winter in seiner vierten Auflage erscheint. Wie sehr muss man vom Wahnsinn Auto besessen sein, um so ein Spiel zu erschaffen? Wir haben seinem Schöpfer Kazunori Yamauchi diese Frage gestellt
GEE: Mit wie viel Jahren darf man in Japan Auto fahren? Kazunori Yamauchi: Mit 18. Wie haben Sie denn all die Jahre bis dahin ertragen? Oder waren Autos vorher gar kein Thema? Doch, doch, ich war schon immer sehr interessiert an Autos. Mit drei Jahren konnte ich jedes Auto benennen, das auf der Straße fuhr. Und als ich lesen konnte, habe ich alle Autozeitschriften verschlungen und so viel Wissen angehäuft wie möglich. Dass man in „Gran Turismo“ mit so vielen verschiedenen Automodellen beschäftigt ist, dass man an ihnen herumbasteln und sie tunen muss – ist das Ausdruck Ihrer frühen Leidenschaft für alles, was vier Räder hat? Ja, ursprünglich habe ich „Gran Turismo“ nur für mich selbst gemacht. Und, mal ehrlich, es geht doch gar nicht so sehr um das Fahren, oder? Denn von einem Rennspiel-Standpunkt aus gesehen ist es doch eher lästig, mit einem kleinen Wagen zu starten und sich langsam von Modell zu Modell hocharbeiten zu müssen. Da wäre ein perfektes Rennauto, in das man sich einfach reinsetzen und losfahren kann, doch passender. Stimmt. Dann würden aber viele Autos im Spiel fehlen. Und das ist mein Ziel gewesen: Nicht bloß das Rennen zu ermöglichen, sondern Autos in all ihren Facetten einzufangen und darzustellen. Ist das Computerspiel dann gewissermaßen eine Sprache, mittels derer Sie sich mit anderen Menschen über Autos unterhalten und austauschen können? Das trifft den Kern des Spiels, seine Idee genau. Haben Sie jemals daran gedacht, anders mit Autos zu tun zu haben? Autos zu bauen oder Autos professionell zu fahren? Einmal im Jahr fahre ich ja bei einem Rennen mit. Und ich würde auch sehr gern Autos bauen, allerdings ist das mit einem sehr langen Prozess verbunden und verlangt enormes Fachwissen. Die Leute, die in der Produktion sind, haben einen ganz anderen Hintergrund. Es wäre schön, wenn ich dazu auch mal in der Lage wäre, aber ich weiß auch, dass das nur mit erheblichem Aufwand möglich gemacht werden könnte. In einem Artikel hat mal jemand beschrieben, wie Sie über die Autos sprechen, die Sie besitzen – den Honda S 2000, den Mitsubishi Lancer Evolution V, den Porsche GT3, den Nissan 350Z, den Mercedes AMG SL55. Und für ihn klang das so, als ob Sie all Ihre wunderschönen Geliebten aufzählen. Was sagt Ihre Frau zu diesen Nebenbuhlerinnen? Es kann schon sein, dass sie eifersüchtig ist ... (lacht) Wie unterscheiden sich denn Ihre Autos voneinander? Was macht jedes einzelne so besonders? Der Lancer ist ein Rallyewagen, und das merkt man auch. Der Rallye-Spirit steckt in jedem Teil. Der Porsche ist ein Wagen, mit dem ich auch wirklich Strecken fahre, ein richtiger Rennwagen. Meinen Nissan habe ich als Tuning-Car. Bei dem macht es einfach Spaß, die ganze Zeit an ihm zu basteln. Und ich habe auch den Mercedes. Das ist ein sehr luxuriöser, sehr stylischer Wagen. Ich habe ihn gekauft, weil ich Mercedes Benz besser verstehen wollte – erfahren, was das überhaupt für ein Auto ist. Meine Autos fallen also jeweils in ihren speziellen Bereich. Sie haben für sich die gesamte Skala der Autokultur abgedeckt. Genau das war der Plan. „Gran Turismo“ trug schon immer den Untertitel „The Real Driving Simulator“. Das suggeriert Realismus. Aber sind Computerspiele nicht inzwischen realer als die Realität? So perfekt leuchtet die Sonne den Grand Canyon doch nur einmal in zehn Jahren aus. Und selbst der Regen im Spiel ist eine Freude, was man von dem inkonsequenten Wettermischmasch da draußen nicht gerade behaupten kann. Wären Spieler nicht eher enttäuscht, wenn das Spiel tatsächlich realistisch wäre? Es gibt gar keinen speziellen Wunsch, es so realistisch wie möglich zu machen. Ich weiß, dass es diese Diskussion gibt: Was hat man davon, wenn ein Spiel noch realistischer wird? Es gibt dennoch relativ wenig Firmen, die diesen Realismus wirklich verfolgen und wirklich erreichen wollen. Ab einem bestimmen Punkt sagen viele: Ach, ganz so wichtig ist es nun auch nicht. Deswegen bin ich sehr daran interessiert, dass es mal wirklich zur Perfektion getrieben wird. Trotzdem bin ich gespannt, wie weit wir den Realismus in Zukunft überhaupt noch treiben können. Das ist sehr spannend. „GT3“ zu machen war ja wahrscheinlich relativ einfach, weil die Playstation 2 eine neue Konsole war. Da sah es eben zwangsläufig schon anders und besser aus als „GT2“ auf der PSone. Dass „GT4“ auf derselben Konsole nun anders aussieht, haben Sie mal gesagt, liegt daran, dass die Designer sich weiterentwickelt haben, weil sie mehr Zeit hatten, sich mit der Hardware zu beschäftigen und sie auszureizen. Das ist ein interessantes Argument. Ist das nicht eigentlich ein Plädoyer dafür, das Hardware-Wettrüsten aufzugeben und viel länger am selben System festzuhalten, um das kreative Potenzial der Programmierer zu entfalten? Dem stimme ich zu. Das wäre schön. Aber wir können den Wettbewerb nicht ignorieren, es weht ein harter Wind im Videospiel-Business. Natürlich hat der Konkurrenzkampf auch sehr viel Positives, weil er den Hardware-Fortschritt enorm beschleunigt hat. Dem standzuhalten und da auch mitzuhalten ist eine Herausforderung. Aber für das Programmieren wäre es sehr gut, wenn man sich intensiver mit einem System beschäftigen könnte. Können einem Rennspiele das Autofahren beibringen? Man spielt gewissermaßen lange genug an der Konsole, und dann setzt man sich ins Auto und fährt los? So wohl nicht. Aber wenn durch das Training am Bildschirm die Fahrfähigkeit verbessert würde, wäre das eine gute Sache. Denn Autofahren ist eben anders als zum Beispiel Tennisspielen. Wenn man sich da mal vertut, ist es nicht so schlimm. Beim Autofahren hängt davon schon mein Leben ab, ob ich einen Fehler mache. Und Fehler können natürlich durch das üben vermieden werden. Das sehe ich ganz positiv. Sie haben jetzt schon Tausende von Stunden „Gran Turismo“ gespielt. Wie stark färbt das auf Ihr reales Autofahren ab? Wie viele Strafzettel wegen Raserei bekommen Sie denn so? Bisher habe ich erst zweimal einen bekommen. Wenn man weiß, wie das Auto funktioniert, macht man eigentlich nicht mehr so komische, unnötige Fehler. Und muss auch keine gefährlichen Aktionen mehr probieren. Waren die Polizisten „Gran Turismo“-Fans? Hat man Sie erkannt? Nein, zum Glück nicht. Wovor ich vor allem Angst habe, ist, einen großen Unfall zu haben. Dann würde nämlich überall stehen: „,Gran Turismo‘-Macher baut Unfall. Er hat Realität und Spiel verwechselt.“ Deswegen achte ich beim Fahren schon mehr als andere darauf, dass ich auch wirklich sicher fahre. Aber einmal hatten Sie doch einen Crash. Das war vor „Gran Turismo“. Was ist passiert? Mein Auto hatte kein Vorne und kein Hinten mehr. Bei mir gab es allerdings keine größeren Verletzungen, bis auf die Abdrücke von den Sicherheitsgurten. Aber das war die Art von Autounfall, wo es am wahrscheinlichsten ist, dass man umkommt. Warum ist der Schaden am Auto im Spiel für die Fans ein so großes Thema? Da ist er wieder, der Wunsch nach Realitätsnähe. Ich würde das auch gern in Gran Turismo integrieren. Darunter würde allerdings die Qualität der Autos leiden. Es ist innerhalb der Hardware dieser Konsole nicht einfach zu realisieren. Die Leistung, die für das Schadensmodell benötigt wird, fehlt dann an anderen Stellen. Da muss man sich entscheiden. Was kann man bei einem Autorennspiel eigentlich so anders machen, dass man von einem neuen Spiel sprechen kann? Es sind diesmal sehr feine Unterscheide. Nicht so wie von Teil zwei zu Teil drei, weil wir einfach das Glück und die Zeit hatten, uns noch mal mit dem ganzen Programm auseinanderzusetzen. Es sind eher die Details: die Verbesserung der Auto-Physik, die Grafik. Letzten Endes ist es jetzt eine Sache des Users, diesen Unterschied wirklich am eigenen Leib zu erleben und festzustellen. Kürzlich hat ein deutscher Rennsport- und „GT“-Fan seinen Firmenbulli an einer Rennstrecke in „GT4 Prologue“ stehen sehen. Hat er sich gefreut? Er war völlig aus dem Häuschen. Auf der Rennstrecke? Ja, an der Seite. Der muss beim Foto-Shooting irgendwo dabeigewesen sein. Aber mit einem besonderen Ziel haben wir das nicht gemacht. Da haben wir wohl gar nicht drüber nachgedacht, was für Auswirkungen das hat. Könnte das nicht für die Zukunft ein Modell sein? Statt die Möglichkeit zum Customizing zu schaffen, packt man einfach den Customer ins Produkt. Eine bessere Publikumsbindung kann man doch gar nicht schaffen. Grundsätzlich wird schon versucht, die Distanz zum Endverbraucher zu verringern. Aber letzten Endes hat ja jeder seine eigene Geschichte mit Autos und seine eigene Beziehung zu ihnen. Würde das sonst verhindern, dass sich jeder individuell mit dem Spiel identifizieren kann? Wenn jemand Einzelnes abgebildet ist, sind die anderen alle draußen? Im Mittelpunkt stehen eben die Autos. Jeder einzelne Spieler hat bestimmte Vorlieben, und jedes Auto hat somit eine bestimmte Usergruppe hinter sich. Über die Autos möchte ich die Spieler erreichen. Und je perfekter diese Autos sind, desto mehr. Weil das der „Gran Turismo“-Weg ist. Es geht um Autos? Es geht um Autos. Interview: Mathias Mertens, Fotos: SCEJ