Zurück im Ring
Seit drei Jahren reiben sich alle Besitzer einer Xbox die Hände, wenn sie den Namen "Halo 2" hören. Legen dann noch mal den ersten Teil ein. Beharken sich ein paar Runden im Multiplayer oder spielen ein paar Level allein. Kein anderes Spiel für die Xbox übt eine derartige Faszination aus wie Bungies Geschichte vom Master Chief, der auf einer Ringwelt im Weltraum die menschliche Zivilisation retten will. Aber was begeistert so sehr an "Halo"? Und vor allem: Was kann "Halo 2"? Wir haben die Fakten zusammengetragen und ein paar "Halo"-Experten nach ihrer Meinung gefragt
Los Angeles, im Mai dieses Jahres. Zwei Tage vor der Eröffnung der E3, der weltgrößten Fachmesse für Videospiele, haben sich Journalisten aus der ganzen Welt im Shrine Auditorium versammelt. Noch vor zwei Jahren wurden hier die Oscars verliehen. Jetzt hat Microsoft zur Pressekonferenz geladen. Es geht um das SpieleLine-up für die kommenden Monate. Es geht um Geld, Marktposition, die Zukunft der Xbox. Doch für die meisten der anwesenden Journalisten geht es nur um eins: „Halo 2“. Als zwei Mitarbeiter von Bungie, dem Entwickler von „Halo“, die Bühne betreten, verstummt das sonst die Veranstaltung begleitende Gemurmel. Es herrscht angespannte Stille, während die beiden ein Demo hochladen. Dann verwandelt sich das Auditorium in einen Hexenkessel. Tosender Applaus brandet durch die Halle, die Leute springen von ihren Plätzen auf, schreien, pfeifen. Auf der Kinoleinwand ist der Master Chief zu sehen, der Protagonist von „Halo“. Was folgt, ist eine zehnminütige Belohnung für drei Jahre nicht enden wollenden Wartens. Die zwei Bungies führen den Multiplayer vor, zeigen, was anders ist beim zweiten Teil. Zumindest ein bisschen davon. Es wird erklärt, wie man sich seinen Master Chief für die Online-Gefechte „customizen“, also äußerlich verändern kann. Und dass alle Vehikel, wie zum Beispiel der Warthog, jetzt in ihre Einzelteile zerlegt werden können. Anschließend betritt Peter Moore die Bühne. Er ist Vizepräsident von Xbox Amerika und sagt: „Ich habe das, worauf ihr alle wartet.“ Dann krempelt er sich den rechten Ärmel hoch. Auf seinem Arm stehen zwei Zahlen: eine Neun und eine Elf. Ein Datum. Der neunte November. Er kann gerade noch sagen: „Und wir reden von diesem Jahr“, bevor eine neue Welle der Begeisterung das Auditorium erfasst. Am Ende der E3 nimmt Bungie drei Awards für „Halo 2“ mit nach Hause: „Bestes Konsolenspiel“, „Bestes Actionspiel“ und „Bestes Online-Multiplayerspiel“. Und das nur aufgrund des zehnminütigen Demos. Die Auszeichnungen spiegeln dabei aber nur ansatzweise wider, was für ein Erwartungsdruck auf „Halo 2“ lastet. Kein anderes Spiel wird von Xbox-Besitzern – und Microsoft – sehnlicher herbeigewünscht. Denn ähnlich wie „GTA: San Andreas“ für die PS2 ist „Halo 2“ für die Xbox ein Heilsbringer, ein Hardwareverkäufer. Und kein anderes Spiel steht so sehr für die Microsoft-Konsole wie der Egoshooter von Bungie. Noch Monate, ja: Jahre nach dem Erstverkaufstag der Xbox war der erste Platz für die Xbox-Software-Verkaufscharts praktisch für den ersten Teil von „Halo“ reserviert. Wie wichtig der Titel bei Microsoft genommen wird, zeigt indes nicht nur die Art der Präsentation auf der diesjährigen E3-Pressekonferenz, sondern auch die Tatsache, dass nur wenige Videospiele weltweit am gleichen Tag erscheinen. Der neunte November ist als Release-Tag für „Halo 2“ in Stein gemeißelt (die einzige Ausnahme: Deutschland. Hier erscheint das Spiel aus Gründen des Vertriebs erst am 11. November). Genauso hoch wie die Erwartungen der Spieler auf der ganzen Welt war allerdings auch die Geheimhaltungsstufe in Bezug auf Informationen zu Bungies neuem Meisterwerk. Bereits 2001, direkt nach dem Release von „Halo“, machte man sich bei Bungie daran, den Nachfolger zu entwickeln. Doch zu sehen gab es all die Jahre nichts, und auch Informationen drangen, wenn überhaupt, nur spärlich nach draußen. Erst seit einigen Monaten, genau genommen seit der besagten E3, gibt es Handfestes über den neuen Egoshooter zu berichten. Allerdings auch nur zu dessen Multiplayer-Mode. Denn anders als der erste Teil, der erschien, bevor das Xbox-Live-Netzwerk installiert war, spielt die Musik bei „Halo 2“ mindestens genauso laut im NetzwerkGame wie alleine in der Kampagne. Musste man sich bei „Halo“ noch entweder mit Splitscreen-Duellen begnügen oder Fernseher und Xboxen für System-Link-Battles zusammentragen, können beim Nachfolger bequem 16 Kämpfer vom heimischen Sofa aus per Xbox Live in die Schlacht ziehen. In welcher Größenordnung sich dabei die Dimensionen zwischen dem ersten und dem zweiten Teil verschoben haben, erklärt Chris Carney, Environment Designer bei Bungie: „Alle Multiplayer-Areale von Halo passen in einen einzigen Canyon von Halo 2“, sagt er. Doch mit einem simplen Aufblasen der Dimensionen begnügte man sich nicht bei Bungie, sondern setzte ein reibungslos ablaufendes Spielerlebnis auf den obersten Platz der Prioritätenliste. Aus diesem Grund gibt es bei „Halo 2“ im Live-Modus keine richtigen Hosts. Stattdessen scannt der Live-Server die Teilnehmer eines Spiels und sucht sich automatisch den besten Host für die Gruppe – ohne dass dieser etwas davon weiß. Scheidet der aus dem Spiel aus, wechselt der Server automatisch zum nächstbesten Host. Herzlich willkommen im ununterbrochenen Spielfluss. Wichtig war den Entwicklern bei Bungie zudem, dass der Spieler im Online-Modus die größtmögliche Freiheit hat. „Du kannst dir jede beliebige Art von Spiel zusammenstellen. Du wählst die Karte, du bestimmst die Regeln“, doziert Frank O’Connor, bei Bungie zuständig für den Online-Content. Dabei war es den Entwicklern besonders wichtig, das Gefühl der unglaublich beliebten System-Link-Battles des ersten Teils auch im Nachfolger zu ermöglichen. „Die Partygames sind das große Ding bei ,Halo 2‘“, erklärt O’Connor. „Du kannst die Leute von deiner Kumpel-Liste einladen, und die können mit einem Knopfdruck in dein Spiel einsteigen. Dann könnt ihr den ganzen Abend als Team durch die Gegend ziehen, und hast du irgendwann keine Lust mehr, übernimmt ein anderer Spieler deines Teams automatisch die Führung.“ So redselig die Bungie-Mitarbeiter in Sachen Multiplayer-Features sind, so wenig lassen sie zur Single-Player-Kampagne verlauten. Selbst wenige Wochen vor Release des Spiels tappt man in Bezug auf den Story-Mode von „Halo 2“ noch komplett im Dunkeln. Dabei war vor allem auch die unglaublich gut inszenierte Geschichte maßgeblich für den Erfolg von „Halo“ verantwortlich. Denn nüchtern betrachtet war der erste Teil an einigen Stellen nur Durchschnitt. Die Architektur der Innenlevel, die sich im späteren Spielverlauf einfach wiederholte, und die teilweise eher dröge gestalteten Texturen standen im krassen Gegensatz zu den Lobeshymnen, die überall auf der Welt auf „Halo“ angestimmt wurden. Ob man „Halo“ mochte, war vor allem auch eine Bauchentscheidung – und ein Verdienst der Story. Denn erst die Geschichte vom Übersoldaten Master Chief, der gegen die Aliens zu Felde zog, um die Menschheit zu retten, verband die anderen Elemente des Spiels zu einer konsistenten Einheit – die Ringwelt Halo, die einem mit ihren großzügig gestalteten Außenleveln tatsächlich das Gefühl vermittelte, irgendwo im Weltall zu schweben; die liebevoll und intelligent gestalteten Gegner wie die tumben und nervigen Grunts, die mutigen Elitekämpfer, die erschreckenden Hunter und die einfach nur gruseligen Flood; die verschiedenen Vehikel, die man entern konnte, und die einen völlig anderen Zugriff auf das „Halo“-Universum ermöglichten; und nicht zuletzt die verschiedenen Waffen, die perfekt in die Geschichte integriert waren. Das alles wird sich hoffentlich auch in „Halo 2“ wiederfinden. Dies und vieles mehr. Denn für Bungie geht es um einiges. Darum, einen würdigen Nachfolger für das heißeste Spiel, den meisterwarteten Titel und nebenbei eines der erfolgreichsten Videogame-Franchises auf der Xbox rauszubringen. Und es geht auch darum, das Mutterschiff zu stärken: die Xbox-Konsole. Aber letzten Endes geht es für Bungie wohl vor allem um eins: den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden – den bestmöglichen Nachfolger für einen der besten Shooter der Videospielgeschichte abzuliefern.