Irgendwie Deutsch

Irgendwie Deutsch

Gold schürfen, Felder beackern, Häuser bauen: So funktionieren Aufbaustrategiespiele, und die Deutschen lieben sie. Woher kommt diese Leidenschaft? Benedikt Grindel, Producer von "Die Siedler: Das Erbe der Könige" hat ein paar Antworten

GEE: Euer erstes Game bei Blue Byte war „Great Courts“, ein ziemlich erfolgreiches Tennisspiel. Anfang der Neunziger habt ihr euch dann auf Strategiespiele spezialisiert. Wie kam es zu diesem Sinneswandel? Benedikt Grindel: Für solche Fragen bin ich eigentlich nicht der richtige Ansprechpartner, weil ich erst seit drei Jahren bei Blue Byte arbeite. So weit ich weiß, begann diese Entwicklung genau genommen mit dem ersten „Siedler“-Spiel, von dessen Erfolg Blue Byte wohl selbst am meisten überrascht war. Durch „Siedler“ und auch durch „Battle Isle“ haben wir uns dann recht schnell einen Namen als Experten für Strategiespiele in Deutschland gemacht. Ihr verkauft gut 90 Prozent eurer Spiele in Deutschland, nur 10 Prozent im Ausland. Sind Aufbaustrategiespiele ein deutsches Phänomen? Nein und ja. Aufbaustrategiespiele sind in Deutschland sehr erfolgreich, aber auch in anderen Ländern gibt es sie. Doch während Spiele wie „Rollercoaster Tycoon“ oder „Tropico“ überall auf der Welt gespielt werden, sind in Deutschland entwickelte Aufbaustrategiespiele vor allem in Deutschland sehr populär und finden im Ausland eher wenig Beachtung. Insofern kann man in Sachen deutscher Aufbaustrategiespiele auch von einem deutschen Phänomen sprechen, ja. Warum sind Aufbaustrategiespiele denn gerade in Deutschland so ein Verkaufsschlager? Ist das die deutsche Krämerseele? Man sagt den Deutschen ja nach, dass sie sehr akribisch seien, sehr detailversessen arbeiten und gute Organisation lieben. All diese Attribute kann man als Spieler in einem Aufbaustrategiespiel wunderbar entfalten. Man muss sich um viele Details kümmern, darum, dass alles gut zusammenläuft und vernünftig strukturiert ist. Ich kann mir schon vorstellen, dass diese überproportionale Beliebtheit des Genres in Deutschland kulturell bedingt ist. Bist du eigentlich selbst auch Aufbaustrategiespielfan? Auf jeden Fall. Ich habe zwar auch schon mal „Medal Of Honor“ auf dem PC gespielt, und es hat mir durchaus gefallen, doch mein bevorzugtes Genre sind ganz klar Aufbaustrategiespiele. Was fasziniert dich als Spieler denn so daran? Das ist eine gute Frage. Ehrlich gesagt habe ich mir noch nie große Gedanken darüber gemacht. Aber ich glaube, der Satz von Bruce Shelly, einem der bekanntesten Designer von Strategiespielen („Age Of Mythology“, „Civilization“, Anm. d. Red.), bringt es auf den Punkt: „Strategy games are about making decisions“ – bei Strategiespielen geht es darum, Entscheidungen zu treffen. Zu gucken, ob eine Entscheidung gut oder schlecht war, dann die nächste zu treffen und dabei zu lernen. Ich bin kein Fan von Action. Also Spielen, in denen es darum geht, wer am schnellsten seine Finger bewegen kann. Das ist zwar oft auch bei Strategiespielen wie „Warcraft“ wichtig, das online gespielt wird und wo die Finger auch über die Tasten fliegen müssen, aber mein Ding ist das nicht. Ich möchte gern in Ruhe vor mich hinspielen und etwas aufbauen. Ein bisschen wie beim Schach. Wird denn ein Spiel wie „Siedler“ im Ausland als typisch deutsch empfunden? Das ist schwierig zu sagen. Ich denke schon, dass vor allem Spiele wie „Siedler III“, „Siedler IV“ oder „Anno“ im Ausland als eher deutsch empfunden wurden. Dass sie sich dort eher schleppend verkauft haben, liegt meiner Meinung nach aber an etwas anderem. Knallhart gesagt haben viele Spieler aus anderen Ländern nicht verstanden, was man bei so einem Spiel machen muss. Die Einstiegshürde war extrem hoch. Dabei ist es gerade für amerikanische und japanische Spieler immens wichtig, dass sie schnell in ein Spiel hineinfinden. Das war bei den genannten Spielen nicht unbedingt gegeben. Und so wurde zwar festgestellt, dass die Spiele gut aussehen und gut gemacht sind, aber der Funke ist nicht übergesprungen. Zumindest bei weitem nicht so wie in Deutschland. Diese Geschichte erzählen auch die Verkaufszahlen der bisherigen „Siedler“-Teile im Ausland. Jetzt soll mit „Siedler 5“ aber alles anders werden, ihr wollt den Weltmarkt erobern. Was musstet ihr am Spiel ändern? Also erst mal muss ich festhalten, dass wir nichts geändert haben, was deutschen Spielern missfallen würde. Wir wollten ein Spiel machen, das überall funktioniert. Unsere oberste Priorität bei „Siedler V“ war die Erhöhung der Zugänglichkeit. Der Spieler kommt jetzt schneller ins Spiel. Und das kommt ja nicht nur den Spielern anderer Länder entgegen, sondern auch den Deutschen. Außerdem haben wir das „Mikromanagement“ erheblich reduziert. Ich muss nicht mehr tausend Entscheidungen treffen, die mich im Spiel nicht wirklich weiterbringen. So erhält der Spieler viel schneller Rückmeldung vom Spiel beziehungsweise kommt viel schneller zu seinen Erfolgserlebnissen. Ich denke, dieser Punkt wird vor allem den Spielern anderer Nationen entgegenkommen, die mit dieser sich im Unendlichen verlierenden Detailfülle überhaupt nichts anfangen konnten. Ob die Deutschen es vermissen werden? Ich glaube nicht. Wenn man es überspitzt formuliert, könnte man „Siedler“ das Spiel zur Deutschen „Schaffe, schaffe, Häusle baue“-Mentalität nennen. Wie will man das etwa einem Spanier oder Portugiesen vermitteln, die teilweise ein ganz anderes Verhältnis zu materiellem Besitz haben als wir? Na ja, also, am Ende ist „Siedler“ ja immer noch ein Spiel. Und ich denke, dass es unabhängig von Nationalität oder Mentalität Spaß macht, spielerisch etwas zu erschaffen. Außerdem: Auch Amerikaner bauen Häuser! Allerdings gehe ich trotz aller Maßnahmen, die wir getroffen haben, um das Spiel auf internationalen Erfolg zu trimmen, immer noch davon aus, dass es sich hier in Deutschland mit Abstand am besten verkauft. Wenn „Siedler“ ein typisch deutsches Spiel ist, was sind dann typische Spiele anderer Nationen? „Rayman“ zum Beispiel ist für mich ein typisch französisches Spiel. Diese knallbunten Farben, die abgefahrenen Charaktere – die Franzosen haben ein komplett anderes Verhältnis zu Comics und Illustrationen als die Deutschen, beides ist ein fester Bestandteil der französischen Kultur. Und dieses ästhetische Empfinden schlägt sich eben auch in vielen in Frankreich entwickelten Spielen wieder. Die Engländer bevorzugen dagegen deutlich actionlastigere Spiele, ähnlich wie die Amerikaner. Es ist zwar problematisch, Ego-Shooter als typisch amerikanisch zu bezeichnen, weil sie überall auf der Welt sehr beliebt sind, aber immerhin wurde das Genre mit „Doom“ in den USA begründet. Die kulturell speziellsten Spiele kommen allerdings aus Japan. Wie viele Spiele erscheinen dort bitte, die man nirgends, außer in Japan, an den Mann bringen kann, einfach weil keiner sie versteht? Besonders interessant ist dabei der Vergleich von Strategiespielen aus Japan und Strategiespielen aus Deutschland. Wenn man „Pikmin“ neben „Siedler“ oder „Anno“ stellt, erübrigt sich eigentlich jede weitere Analyse. Es scheint, als könnten wir uns von Klischee des Immer-etwas-verwalten-Müssens nicht lösen. Sind wir eine Nation von beamteten Spielern? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall wird es in Deutschland viel eher akzeptiert, wenn dir jemand sagt: „Okay, das hier ist eine Regel, und die befolgst du jetzt auch, egal ob sie Sinn macht oder nicht.“ So etwas verzeiht dir kein amerikanischer Spieler. Ertappt ihr euch manchmal auch bei solchem Regelfetischismus? Ja, auf jeden Fall. Deswegen haben wir auch immer Leute anderer Nationalität im Team, die uns darauf aufmerksam machen, wenn wir uns zu sehr an unseren Stiefel halten. Internationalität im Entwicklerteam ist heutzutage der einzige Weg, um international erfolgreiche Spiele zu machen. Guck dir doch „Far Cry“ an. Da waren die Deutschen im Entwicklerteam auf jeden Fall in der Unterzahl. Was nicht heißt, dass Deutsche keine Computerspiele machen könnten. Diesen Beweis haben sie schon oft genug erbracht, außerdem sind deutsche Programmierer bei Top-Entwicklern auf der ganzen Welt angestellt. Aber ich denke, dass multikulturelle Entwicklungsteams, wie in den USA gang und gäbe, der einzige Weg sind, einseitig kulturell geprägtes Gameplay zu verhindern. Ist denn die nationale Monokultur bei deutschen Entwicklern wirklich der einzige Grund dafür, dass sich deutsche Spiele vor allem in Deutschland verkaufen? Nein. Man darf nicht vergessen, dass in anderen Ländern ganz andere Maßstäbe gelten, das Entwickeln von Spielen viel mehr Business ist als hierzulande. In den USA sind Entwicklungsstudios mit 1000 Mitarbeitern keine Seltenheit, ganze Bürohäuser voll mit Leuten, die nichts anderes machen als Spiele zu programmieren – an so was ist in Deutschland überhaupt nicht zu denken. Stimmt also die Mär vom Spieleentwicklungsland Deutschland? Zurzeit schon. Wir müssen auf der internationalen Bühne beweisen, dass wir gute Spiele machen können. Dann ergibt sich der Rest von alleine. Wie ist denn im Moment das Renommee deutscher Spiele im Ausland? Wie gesagt, viele Leute im Ausland empfinden deutsche Spiele als zu unverständlich und kompliziert. Davon kann man leider auch die ersten Teile der „Siedler“-Reihe nicht ausnehmen, allerdings waren die eben auch nicht für den internationalen Markt geplant. Ihr habt ja den aktuellen Teil von „Siedler“ bestimmt auch in anderen Ländern präsentiert. Wie waren die Reaktionen? Ich war vor kurzem in den USA, um „Siedler V“ der amerikanischen Lifestyle-Presse vorzustellen. Das ist natürlich noch mal ein bisschen anders, als es der Videospielfachpresse vorzustellen, aber trotzdem recht aufschlussreich. Die meisten Journalisten haben wir mit der Grafik gekriegt. Sie waren erstaunt, wie nah man an das Geschehen heranzoomen kann und wie detailreich das Spiel gestaltet ist. Noch viel mehr haben die Leute aber auf das Kampfsystem reagiert. Kämpfen ist immer sehr wichtig in den USA, und es war die richtige Entscheidung, das Kampfsystem für „Siedler V“ komplett zu überarbeiten. Du konntest zwar auch schon bei „Siedler III“ und „Siedler IV“ Kampfeinheiten steuern, doch in erster Linie ging es ums Aufbauen. In den USA ist das eben anders. Aufbaustrategiespiele haben es schwer gegen Strategiespiele, vor allem, wenn sie zeitlich im Mittelalter angesiedelt sind. Damit können die Amerikaner meist wenig anfangen. Kannten die Leute denn die „Siedler“-Serie? Nein, nicht wirklich, was allerdings auch damit zusammenhängt, dass dort Lifestyle-Journalisten vor Ort waren. Wir haben ihnen einfach gesagt, es sei ein bisschen wie „Sim City“, man müsse eben aufpassen, dass die Dinge, die man sich aufgebaut hat, auch erhalten bleiben. Und das haben sie sofort verstanden. Okay, mal ehrlich: All dieses Aufbauen und Verwalten, das hört sich nicht gerade nach Rock’n’Roll an. Stehen euch bei Blue Byte nicht manchmal die Strategiespiele bis zum Hals? Das ist eine gute Frage (lacht). Ich denke, dass Rock’n’Roll-Spiele, also Spiele, bei denen es so richtig abgeht, eher ein Konsolending sind. Aber abgesehen davon verlassen wir uns bei Blue Byte natürlich erst mal auf unsere Stärken, und das sind Strategiespiele. Aber im Grunde genommen bauen auch Rock’n’Roll-Spiele auf das Gefühl, dass der Spieler im Spiel etwas schafft, ein Erfolgserlebnis hat. Und insofern funktionieren unsere Spiele genau wie die Rock’n’Roll-Spiele. Nur etwas langsamer. Interview: Michail Hengstenberg, Fotos: Benne Ochs
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von Volker Hansch / Januar 10th, 2005 /

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