7 Tage, 7 Köpfe
In den letzten Teilen der "Resident Evil"-Reihe war man als Spieler eher von der Monotonie als von echtem Horror geschockt. Bei Teil 4 soll nun alles anders sein. Unser Autor Sven Herwig wagte den Selbstversuch
Tag 1
„Der beste Teil der ,Resident Evil‘-Serie.“ „Das beste Konsolenspiel seit drei Jahren.“ Die Entwickler von „Resident Evil 4“ müssen unglaublich stolz auf die Kritiken sein. Meine Laune ist auf dem Tiefpunkt, denn ich warte schon eine geschlagene Woche auf meine „Resident Evil 4“-Importversion. Plötzlich klappert was an meiner Wohnungstür. Durch den Briefschlitz fällt ein gelber Umschlag. Mein Freudenschrei hallt durch die ganze Wohnung, und meine Freundin fragt aus der Küche, ob wir im Lotto gewonnen haben. „Du nicht, aber ich“, denke ich, ignoriere sie und steuere wie ferngelenkt auf den Gamecube zu. Ich befreie das Spiel aus dem Cellophan, rieche an der Verpackung, die den unvergleichlichen Geruch eines fabrikneuen Spiels verbreitet, und lege die erste der beiden Disks in das Laufwerk ein. Als das Gamecube-Symbol erscheint, fühle mich wie ein Zwölfjähriger, der auf die Bescherung wartet. Der Anfangs-Screen erscheint, und ich starte voller Erwartung das Spiel, ohne zu wissen, dass dieser Knopfdruck mein Leben völlig auf den Kopf stellen wird.
Das erste Level: Ich komme in einem ziemlich heruntergekommenen Dorf in Spanien an und stelle fest, dass die dort lebende Landbevölkerung kein Begrüßungsfest für mich feiern. Stattdessen attackieren sie mich mit Mistga-beln und Äxten. Ich bin gewappnet und verringere die Population mit einigen gezielten Kopfschüssen. Ich zocke das Spiel fünf Stunden am Stück. Das ist schon lange nicht vorgekommen. Ich bin über die Jahre ein eher verdrossener Spieler geworden, der von sich glaubt, bereits alles gesehen und erlebt zu haben – zumindest was das Videospielen betrifft. „Resident Evil 4“ belehrt mich eines Besseren.
Tag 2
Erstaunlich, wie schnell und tief sich Bilder und Moves aus dem Spiel schon nach den ersten paar Stunden in mein Hirn gebrannt haben. Die ganze Nacht habe ich mich im Bett hin- und hergeworfen, um in eine bessere Schussposition zu gelangen. Als meine Munition alle ist, die Horde Zombies vor mir aber noch lange nicht, tauchen völlig unvermittelt zwei riesige Knöpfe vor mir auf. Ein roter und ein grüner. Ich fange an wie ein Irrer darauf einzuprügeln, dann wache ich auf, weil irgendjemand auf mich einprügelt. „Du hast im Schlaf geschrien und um dich getreten“, faucht mich meine Freundin an.
Es ist Sonntagmorgen. Ich habe so schlecht geschlafen wie schon lange nicht mehr. Und zu allem Übel steht noch ein Besuch bei meinen Eltern an. Das passt mir gar nicht. Ich will zurück ins spanische Dorf. Ich will die Präsidententochter retten und hirngewaschene Dorfbewohner mit der Schrotflinte erlösen. Doch versprochen ist versprochen. Meine Eltern wohnen auch in einem kleinen Dorf, allerdings in Friesland. Ich weiß nicht warum, aber neben einer Flasche Wasser landet noch ein langes Küchenmesser in meinem Rucksack.
Angekommen weht mir ein kalter Wind um die Ohren, der Ort ist wie ausgestorben, wirkt geradezu tot. Da taucht wie aus dem Nichts ein Bauer mit Forke vor mir auf und schmettert mir eine breitgezogenes „Moiiiin!“ entgegen. Panisch flüchte ich in mein Auto und fahre in die Stadt zurück.
Ich rufe meine Eltern an, entschuldige mein Nichterscheinen und sage ihnen, sie sollen die Augen offen und die Türen gut verschlossen halten. Dann geht es zurück zu meiner Mission.
Tag 3
Komme endlich wieder zum Spielen. „Resident Evil 4“ wischt atmosphärisch mit allem bisher Dagewesenen den Boden auf. Ich fühle mich wie eine Geisel des Spiels. Trotzdem knurrt mein Magen, und ich stelle fest, dass der Kühlschrank leer ist.
Unwillig schlurfe ich zum Supermarkt um die Ecke. Doch vorher brauche ich noch Geld. Die Bank-Mission ist ein Witz und das Pin-Nummern-Rätsel löse ich beim ersten Versuch. Im Supermarkt schnappe ich mir einen Korb, der natürlich wie immer viel zu klein ist. Durch geschicktes Hin- und Herschieben der Waren gelingt es mir dann aber am Ende doch, 5 Pizzen, 2 Sixpacks, ein paar Flaschen Wasser, einen Salatkopf und 500 Gramm Blutwurst hineinzubugsieren. An der Kasse angekommen vollführe ich dieses Kunststück ein weiteres Mal, nur dass ich diesmal alle meine Rationen in nur eine Plastiktüte packe. Von der Kassiererin ernte ich verblüffte Blicke und freue mich über meine neu erlernte Fähigkeit: Der Platz im Inventory will richtig genutzt sein. Jetzt schnell nach Hause. Denn dort wartet die Präsidententochter Ashley auf mich. Wenn man sie zu lange allein lässt, fängt sie an zu schreien.
Tag 4
Meine Freundin hat sich mit zwei Taschen zu ihrer Schwester verdrückt. Sie hat kein Verständnis für meine Mission. Mir egal, ich habe keine Zeit für derlei Diskussionen. Heute ist Schießtraining angesagt. Ich statte dem örtlichen Rummel einen Besuch ab, wo ich zielstrebig den erstbesten Schießstand ansteuere und dem Schnauzbartträger in der Bude einen Zehner über den Tresen schiebe. Er reicht mir ein Luftgewehr rüber, und ich frage ihn, ob er mich verarschen will. Er kann nicht ganz folgen. Detailliert erkläre ich ihm meinen Trainingsplan, lege einen weiteren Zehner auf den Tresen und bestehe darauf, das Gewehr mit Schrot zu laden. Leise, aber bestimmt erklärt mir der Standbesitzer, dass er keinen Bock auf Irre wie mich habe. Und wenn ich mich nicht gleich von allein verpisse, würde ich Bekannschaft mit seinen Söhnen machen. Verdammter Idiot, denke ich und beschließe, lieber wieder auf die Bewohner meines spanischen Dorfes zu schießen. Dort lassen sich Probleme irgendwie leichter aus der Welt schaffen, bekomme ich immer mehr das Gefühl. Doch aus irgendeinem Grund stehe ich einige Zeit später nicht vor meiner Haustür, sondern vor einem Ladenregal. In einem Baumarkt. In einem völlig anderen Stadtteil. Und halte eine Motorsäge in der Hand. Was mache ich hier?
„Und? Wie gefällt sie Ihnen?“, fragt mich der Verkäufer. „Liegt gut in der Hand und schafft ordentlich was weg. So, wie Sie es wollten, oder?“ Wie ich es wollte? Ich will nur so schnell wie möglich nach Hause. Aber irgendetwas zwingt mich dazu, mit dem Verkäufer noch ein halbstündiges Fachgespräch über Motorsägen zu führen. Anregend.
Tag 5
Heute bleibe ich der Arbeit fern. Das Spiel will es so. Ich ziehe den Telefonstecker aus der Buchse, vergesse aber, die Türklingel abzustellen. Natürlich schellt es mitten in einem Kampf. Ich denke nicht daran zu öffnen. Der ungebetene Gast ist allerdings von der hartnäckigen Sorte und hat es sich offenbar zum Ziel gemacht, mich mit arhythmischer Bimmelei in den Wahnsinn zu treiben. Von Hass getrieben, reiße ich die Tür auf. „Was ist denn, verdammte Scheiße?!“
Sie sieht mich an, als wäre ich ein Irrer. Und schaut an mir vorbei in die Wohnung, als wäre sie die eines Irren. Ich drehe mich um und schaue den Flur hinab. An den Wänden hängen Ausschnitte von Supermarktprospekten (der Fleischteil). Außerdem Werbeanzeigen aus Waffenmagazinen und herausgerissene Seiten aus einem WMF-Katalog (Küchenmesser). Auf dem Boden stehen Dutzende von Platikblumentöpfen voller heilsamer Kräuter, mit denen ich mir zur Erhaltung meiner Lebensenergie die Pizzen garniere. Keine Ahnung, was an diesem Flur merkwürdig sein soll. Als ich mich umdrehe, ist meine Freundin weg.
Tag 6
Je öfter ich bei den Händlern in „Resident Evil 4“ einkaufe und Waffen, Munition und Kräuter mit den Peseten der Umgenieteten zahle, desto mehr habe ich das Gefühl, dass der Euro nichts wert ist. Ich beschließe, meine gesamten Ersparnisse in Peseten umzutauschen. Auf der Bank will man mir tatsächlich weismachen, dass Peseten kein probates Zahlungsmittel seien. Lachhaft, denke ich mir und erzähle dem Mann hinter der Trennwand aus Panzerglas, dass ich erst vor einer Stunde ein Waffen-Upgrade für 25000 Peseten bei einem Händler im Bergwerk gekauft habe. Vielleicht könne er mir wenigsten 40000 Peseten für einen Raketenwerfer tauschen? Er droht mir mit der Polizei und komplimentiert mich aus der Bank. Okay, okay. Muss jetzt sowieso schnell nach Hause und weiter spielen.
Bin auf der zweiten Disk. Höre aus der Nebenwohnung lautes Stöhnen. Zombies? Sie kommen. Ob sie wissen, wo ich bin? Werde mir morgen eine Schutzweste besorgen. Sicher ist sicher. Verspüre einen Heißhunger auf Basilikum und pfeife mir fünf Rationen davon rein. Fühle mich fit. Die Nacht – wen auch immer sie mitbringen wird – kann kommen.
Tag 7
Draußen graut der Morgen. Auf dem Fernseher rauschen die Namen der „Resident Evil 4“-Macher vorbei. Ich hänge adrenalinüberströmt in den Seilen davor. Nur sehr langsam lasse ich den Controller sinken.
Ich traue dem Frieden nicht. Rechne noch immer mit einer fiesen Überraschung. Das habe ich in den letzten Tagen nicht nur einmal erlebt. Vielleicht die stöhnenden Zombies von nebenan?
Und tatsächlich: Es klopft! Aber der Bildschirm ist schwarz, das Spiel tatsächlich gelaufen. Es klopft wieder. Ich lege mein Ohr an die Lautsprecher des Fernsehers. Die Tür! Ich stehe auf. Stolpere über Kräutertöpfe und vertrocknete Pizzaränder zur Tür. Fliegen surren durch den Raum und klingen dabei fast wie kleine Kettensägen. Das Klopfen wird lauter. Ich gehe in die Küche und greife mir das größtmögliche Messer.
Bis unter die Hutkrempe voll mit Adrenalin erreiche ich die Tür. Sie lässt sich nicht öffnen. Wer zum Teufel hat sie zugenagelt? Von innen! Ich entferne die Bretter mit A und öffne die Tür. Meine Freundin steht vor mir. Sie zückt eine Schrotflinte und schießt mir in den Kopf.
Danke! Endlich kann ich wieder richtig schlafen. Auf einmal scheint es wahr, was ein Zombie mir gestern Nacht auf Spanisch ins Ohr geflüstert hat: "Sterben ist Leben!"
Text: Sven Herwig
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