Nicht wirklich
Vor zehn Jahren erlebte das Spielen in der virtuellen Realität seinen Höhepunkt, mitbekommen hat das keiner so richtig. Der Nachfolger Augmented Reality soll das jetzt ändern
In James Camerons Film „Terminator“ gibt es eine Szene, in der Schwarzenegger auf einem Parkplatz steht und seine Widersacher sondiert. Der Terminator fixiert die Gefahr, in seinen Augen erscheinen Infos: wie schwer ist der Gegner, wie weit entfernt von der rechten Faust und wie gefährlich. Dies alles flimmert diagrammartig über dem Kopf des Opfers. Ähnlich wie in „Rambo“. Dort ist in der Konsole des Hubschraubers im Sichtfeld des Piloten ein kleiner Schirm eingelassen. Dieser ist durchsichtig und gibt den Blick auf die Ebenen Afghanistans frei. Doch über der eigentlichen Landschaft blendet der Bildschirm Zusatzinformationen ein. Dinge wie: „Panzer, hinter dem Hügel“ oder „Kommis verschanzen sich im Busch fünf Kilometer nördlich.“ Diese Head-up-Displays, kurz HuDs – sie heißen so, weil man so nicht auf Instrumente runtergucken muss, um notwendige Infos zu bekommen –, geistern seit Jahrzehnten durch die Kinofilme. Tom Cruise benutzt eins in „Mission: Impossible“, Will Smith hat ein HuD in seinem Superaudi in „I, Robot“, und so ziemlich jeder Kinoroboter hat’s serienmäßig eingebaut – selbst die Uralt-Blechkiste Nummer 5. Das, was diese HuDs zeigen, kennt also praktisch jeder aus Hollywood. Aber mal ehrlich: Wer weiß schon, wie das heißt, was er da zu sehen bekommt? Die Darstellung von zusätzlichen Informationen in einer realen Umgebung mithilfe eines HuDs heißt „Augmented Reality“, erweiterte Wirklichkeit – und ist nichts anderes als die Zukunft des Spielens. Versprochen. So futuristisch die Technik aus den Hollywoodfilmen auch scheint, unrealistisch ist sie auf keinen Fall. Nur ist sie eben noch nicht allgegenwärtig. Während in der Zukunftsvision „Minority Report“ bereits ganze Büros mit Augmented Reality ausgestattet werden, sind es im Hier und Jetzt in erster Linie Ingenieure, Ärzte und das Militär, die mit der erweiterten Realität arbeiten. In der Medizin zum Beispiel erhalten Ärzte mittels einer Augmented-Reality-Brille Infos über den zu operierenden Körper. So ähnlich ist das auch in der Autoindustrie. Mit einer Augmented-Reality-Brille sehen Ingenieure im Labor beispielsweise die Schrauben, die sie zu lösen haben, rot markiert. Immer wenn die richtige Schraube gelöst wurde, leuchtet diese grün. Und im letzten Irakkrieg hatten Soldaten die Möglichkeit, per AR-Brille Informationen über die Entfernung von Feinden und zivilen Einrichtungen zu bekommen. Auch wenn diese drei Anwendungsgebiete unterschiedlicher nicht sein können, spielt die Augmented Reality immer dieselbe Rolle. Sie soll die Realität um Informationen aus dem Computer erweitern. Die Idee, auf diese Weise auch Spiele in die Realität zu integrieren, ist nahe liegend, aber nicht neu. Wie oft wurde in den letzten Jahren von der virtuellen Realität als Zukunft des Videospiels gesprochen? Und wie oft kamen dabei lediglich Absurditäten für die Trophäenwände der Konsolensammler heraus? Man denke an den „Virtual Boy“ oder den „Power Glove“ von Nintendo. Wo sind die rot-schwarze VR-Brille und der Datenhandschuh hin, wenn diese Gerätschaften so zukunftsweisend waren? Und wo sind die VR-Spielhallen, die Mitte der neunziger Jahre in allen größeren Städten zu finden waren? Was ist passiert mit den Plänen der großen Firmen, die virtuelle Realität für den Hausgebrauch zu produzieren? Die Antwort auf all diese Fragen hat Michael Rueger. Er berät Gameentwickler und Agenturen dabei, für welche medialen Plattformen sich ihre Produkte eignen könnten, Crossplattformvermittler nennt sich dieser Beruf. Nebenbei ist er ein Augmented-Reality-Visionär. Er hat bereits verschiedenen großen Firmen Konzepte für die Nutzung von Augmented Reality angeboten. „Es geht bei zukünftigen technischen Neuerungen nicht um das Gerät und was man damit Aufregendes machen kann, sondern um Inhalte. Das wurde früher einfach vergessen.“ Stimmt. Richtige Inhalte haben dem Virtual Boy, dem Power Glove und den VR-Brillen gefehlt. Was bringt es dem Spieler, Technik zu besitzen, für die es nur mittelmäßige oder gar keine Software gibt? Nichts, außer dass auf seinem Wohnzimmertisch ein teures Technikgadget liegt. Als 1968 der amerikanische Wissenschaftler Ivan Sutherland die erste wirkliche VR-Brille entwickelte, war klar, dass sich diese Technik noch nicht würde durchsetzen können. Die Computer allein füllten bereits ganze Räume, was sollte man dann noch mit einer Steuerungseinheit, deren Peripherie ebenso groß war? Erst als sich die Industrie und das Militär der Technik annahmen, wurde den Ingenieuren bewusst, welches Potenzial sich hinter der virtuellen Realität verbirgt. Und welche Probleme. „Die frühen VR-Brillen waren teuer, schwer und viel zu fragil, als dass sie sich zu Hause einsetzen ließen, aber das schlimmste Problem war die so genannte Motion Sickness“, erklärt Michael Rueger. Denn man schaute per Kopfdrehung nach links und rechts, bewegte sich aber nur auf Knopfdruck fort. Und der Gleichgewichtssinn des Menschen erlaubt es nicht, eine Bewegung über die Augen wahrzunehmen, und doch dabei mit dem Körper still zu stehen. Die Folge: Der Magen protestiert – und entleert sich. Wenn Rueger an die glorreiche Zeit der ersten VR-Spiele denkt, ist das auch immer eine Erinnerung, die er mit Nackenschmerzen und Übelkeit in Verbindung bringt. „Und genau hier kommt Augmented Reality ins Spiel“, sagt Rueger und meint die Zukunft der virtuellen Realität. „Augmented Reality ist ein bisschen wie eine halbe virtuelle Realität.“ Eigentlich ist Augmented Reality sogar das komplette Gegenteil von virtueller Realität. Haben die Brillen und Handschuhe den Benutzer in eine vollständig synthetische Welt entführt, so versucht die Augmented Reality, die echte Welt mit Informationen aus dem Computer anzureichern. „Grob kann man zwischen zwei verschiedenen Systemen in der Augmented Reality unterscheiden. Der Benutzer hat eine Brille auf, durch die er, wie bei einer normalen Brille, hindurchsehen kann. Ein kleine Kamera schießt Bilder, die dann sofort in einem Computer verarbeitet und mit Informationen belegt werden. Diese Informationen werden dann, wie ein Filter, über die Wirklichkeit gelegt.“ Für Michael Rueger ist das aber Zukunftsmusik. „Die gegenwärtige Technik erinnert noch an die alten VR-Brillen. Man kann nicht hindurchsehen, stattdessen gaukeln zwei kleine LCD-Screens dem Benutzer einen Blick in die Wirklichkeit vor. Eine Kamera, die sich auf Augenhöhe befindet, filmt die Umgebung und schickt die Daten an einen Computer. Dieser verarbeitet dann die Bilder. Das, was der Benutzer sieht, ist dann zwar nicht mehr die Realität, es ist ja abgefilmt, aber eine perfekte Illusion.“ Diese simplere, zweite Variante ist technisch bereits heute möglich und wird in Hunderten Labors auf der ganzen Welt erforscht und auf den Einsatz in Museen, Wohnzimmern und der Industrie vorbereitet. Wie es aussieht, wenn Ingenieure mit Augmented Reality herumexperimentieren, konnte man vor wenigen Monaten im Internet verfolgen. Da kursierte ein Videoclip, der ein Auto, einen Hubschrauber und mehrere virtuelle Gebäude auf einer Tischplatte zeigte. Das Faszinierende war, dass die virtuellen Objekte mit realen Gegenständen kollidierten. Das Auto rammte eine echte Tasse oder überquerte Hindernisse aus Pappmaché, die auf dem Tisch standen. Produziert wurde dieser Clip von der europäischen AR-Firma überhaupt, T-Immersion. Die Software, die das Verkehrschaos auf dem Tisch ermöglichte, heißt „Dfusion“. Doch das Problem bei „Dfusion“ ist dasselbe, das es schon mit der ersten Virtual Reality gab. Denn sie ist keine für den Endverbraucher entwickelte Anwendung. Sondern eine Software für geschulte Entwickler, die über die Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen, um mit der Software von T-Immerson eigene virtuelle Welten zu erzeugen. Der Chef von T-Immersion, Bruno Uzzan, ist sich dieses Problems bewusst. „Wir sind darauf erpicht, eine Technologie zu generieren, die von jedem verstanden wird und von jedem benutzt werden kann. Was wir jetzt noch brauchen, sind große Partner. Produzenten von Webcams und Konsolen.“ Nur: Wenn sich für „Dfusion“ kein Produzent begeistern kann, wird von seiner Idee vielleicht gar nichts übrig bleiben. Eine Vision braucht eben praktische Anwendungen. Uzzan sieht darin allerdings keine wirkliche Hürde. Für ihn ist klar, dass in fünf bis zehn Jahren der normale Controller einer Konsole durch ein Augmented Device abgelöst wird. „Selbst heute ist Augmented Reality schon allgegenwärtig. In Vergnügungsparks wird es benutzt, um virtuelle Achterbahnen zu simulieren, in der Medizin werden komplizierte Operationen mit VR-Brillen vollzogen oder in der Autoindustrie Autos mit AR-Technologie gebaut und präsentiert. Warum also diese Technik nicht auch in Privathaushalten einführen?“ Den großen Durchbruch sieht Uzzan, wenn die Gerätschaften für Augmented Reality kleiner und preiswerter werden. Aber das ist Zukunftsmusik. Oder auch nicht. Denn rein theoretisch hat jetzt schon die halbe Welt ein Augmented Device in der Hosentasche: ein Handy mit Kamera. Wenn man einfach das Kamerafeature in ein Spiel integrieren würde, so hätte jeder überall eine neue spielerische Erfahrung. Auf der Straße, zu Hause oder in einem Restaurant. Michael Rueger hat auch schon einige Spielkonzepte parat. Angefangen bei virtuellen Stadtführungen mit dem Handy – man hält einfach das Handy auf ein Gebäude und bekommt die wichtigsten Daten zur Sehenswürdigkeit angezeigt – bis hin zur virtuellen Stripshow, bei der man auf einen leeren, echten Stuhl das Handy richtet, und auf dem Display dann eine virtuelle Schönheit auf ebendiesem Stuhl erscheint. Augmented Reality mit einem Handy ist also gar nicht so unrealistisch. Schon jetzt haben einige Unternehmen Spiele entwickelt, die mit der eingebauten Kamera herumexperimentieren. Der Marktführer unter den Augmented-Reality-Handyspielherstellern ist die Firma Ojom. Ihr Spiel „Attack Of The Killer Virus“ bindet die Umwelt mit der eingebauten Handykamera direkt ins Gameplay ein. Einfach die Funke in eine beliebige Richtung halten, und auf dem Display sieht man dann, zum Beispiel hinter der echten Freundin, ein unechtes Virus, das flugs erschossen werden muss, sonst muss sie dran glauben. Natürlich nur virtuell. Aber die Vermischung der Realitäten geht noch weiter. Hat man eine hohe Raumtiefe, also beispielsweise einen langen Flur, werden die Monster kleiner und schlechter zu treffen. Für den Spieler heißt das, näher an das Virus heranzugehen, also in der echten Welt vorwärts zu laufen, damit es größer wird. Damit ist das erste Augmented-Reality-Spiel zwar ziemlich einfach gestrickt. Könnte aber die Zukunft der Videospiele einläuten. Warum nicht? „Pong“ war ja auch nicht gerade ein Knaller, was die Spieltiefe betraf. Noch weiter sind die MXR Labs in Asien. „Die MXR Labs machen es richtig, im Gegensatz zu T-Immersion lassen sie Technik und Software im Hintergrund und entwickeln stattdessen richtige Anwendungen“, sagt Rueger. Ihre Technik basiert auf einer Kamera, die die Umgebung aus der Perspektive des Benutzers abfilmt und das Bild simultan auf auf zwei kleine LCDs hinter den Gläsern einer blickundurchlässigen Brille projiziert. Eigentlich also dasselbe Prinzip wie beim Fotohandy, aber umfassender, da der Benutzer nicht mehr das Gefühl hat, auf einen Schirm zu schauen. Die Anwendungsbereiche für diese Technik sind schier unerschöpflich. Besonders beeindruckend sind die dazugehörigen Magic Books, die, wenn sie aufgeschlagen werden, dreidimensionale Objekte darstellen, die sich bewegen, manipuliert werden können – und das Wichtigste: mit denen man spielen kann. Aufgenommen werden diese Objekte im so genannten Magic Room. Über diese aufwendige Motion-Capturing-Methode können sogar echte Menschen digitalisiert und in die Magic Books oder verschiedenste andere Anwendungen hineingesetzt werden. Einfach gesagt: Man filmt Schauspieler dabei, wie sie beispielsweise „Romeo und Julia“ spielen. Würde man jetzt ein Magic Book von Shakespears Drama aufschlagen, würden die Schauspieler als Miniatur-3D-Bild aufpoppen und das, was auf der Seite steht, szenisch darstellen. Dreidimensional und in Farbe, wie das Hologramm von Prinzessin Leia im ersten Teil von „Star Wars“. Und das Ende der Fahnenstange ist noch lange nicht erreicht, die Möglichkeiten noch nicht einmal annähernd alle erdacht. Die Versprechen der Firmen werden immer waghalsiger und futuristischer. Vernetzte Städte, in denen, trägt man eine AR-Brille, überall Dinge passieren, und Kinofilme, in denen man mit den Schauspielern interagieren kann. Vielleicht sind das alles nur Luftschlösser, die die Firmen bauen, um ihre Position am neuen Markt der vermischten Realität zu untermauern oder ihren Erfinderdrang zu präsentieren. Wahrscheinlicher aber ist, dass sie wirklich an die Augmented Reality mit all ihren Möglichkeiten glauben. Michael Rueger, Bruno Uzzan und Adrian David Cheok, der Chef der MXR Labs, haben verschiedene Standpunkte zum Thema Augmented Reality, aber sie alle haben dasselbe Ziel: die vollständige Vereinigung von Realität und Virtualität. „Total Immersion“ heißt das in der Fachsprache, „Holodeck“ bei „Star Trek“. Doch bis es wirklich möglich ist, sich frei und ohne technische Hilfsmittel, also Brillen und Datenhandschuhe, in einem virtuellen Raum zu bewegen, wird noch einiges an technischer Entwicklung vonnöten sein. Glaubt man Michael Rueger, ist die Menschheit bereits in 20 Jahren in der Lage, Holodecks zu bauen. Glaubt man Captain Picard und Data, dann dauert es noch 318 Jahre. Text: Thilo Mischke, Illustration: Anne Imig