Fanprojekt

Fanprojekt

Wie kommen Rockstar Games, die Macher von "GTA" dazu, sich ein 30 Jahre altes B-Movie als Vorbild für ein Videospiel zu nehmen? Ganz einfach, weil sie den Film lieben. Und sie beweisen mit "The Warriors", was für einen Unterschied Hingabe in Zeiten seelenloser Filmumsetzungen machen kann

Eigentlich hätte diese Geschichte ganz anders aussehen sollen. Und zwar ungefähr so: Es gibt einen Kultfilm aus den siebziger Jahren, nämlich „The Warriors“. Und jetzt machen Rockstar Games, die Entwickler von „GTA“, das Spiel dazu. In diesem Artikel hätte ziemlich viel zum Film gestanden, und eher wenig zum Spiel. Warum? Ganz einfach, weil Videospielumsetzungen von Filmen meistens nicht so toll sind. Es gibt sie, weil man mit ihnen schnelles Geld machen kann. Sie sind ein kleiner Teil einer großen Merchandise-Produktpalette, die vom T-Shirt bis zur Kaffeetasse reicht. Und meistens steckt im Spiel zum Film nicht mehr Liebe und Kreativität als in der Kaffeetasse. Deswegen. Doch diesmal ist alles anders. Und zwar nicht, weil sich Rockstar eine knapp 30 Jahre alte Lizenz gegriffen hat, um daraus ein Videospiel zu machen. Das tun auch andere. „Der Pate“, „Taxi Driver“, „Scarface“, „Liebesgrüße aus Moskau“ - alles alte Schinken, die zurzeit als Spiel umgesetzt werden. Nein, sondern weil die Leute, die mit „GTA“ das Videospielen revolutioniert haben, mit „The Warriors“ nicht weniger machen, als den Begriff Filmversoftung neu zu definieren. Die ersten Bilder, die über den übergroßen Bildschirm im Vorführraum des New Yorker Rockstar- Büros flimmern, verraten das noch nicht. Es ist eine Cutscene in Spielgrafik, die bis ins kleinste Detail der Filmvorlage gleicht. Doch das ist nichts Besonderes, das haben andere Filmumsetzungen auch schon geschafft. Es ist die Szene, in der die Warriors aus der sicheren U-Bahn flüchten müssen, weil ein Polizist den Waggon scannt, nur um dann beim Herauslaufen aus dem Bahnhof festzustellen, dass dort schon die Baseball Furies, eine feindliche Gang, auf sie warten. Und kaum setzen die Warriors zur Flucht an, übernimmt der Spieler, schlüpft in die Rolle von Ajax, einem der Warriors. Gibt Fersengeld, was das Zeug hält, eine wütende Meute von Schläger schwingenden Typen in Baseballuniformen in seinem Nacken. Mit dem Analogstick jagt er ihn durch eine enge Gasse, mit einem Knopfdruck schickt er ihn über die Maschendrahtzäune, die sich ihm zwischen den Häuserwänden immer wieder in den Weg stellen. Drückt er im richtigen Moment, hechtet Ajax behände über den Zaun, stimmt das Timing nicht, erklimmt er ihn ungelenk. Jeder falsche Knopfdruck verkürzt die Distanz zwischen Spieler und Verfolgern. Diese brechen, sobald sie in Reichweite kommen, in lautes Gebrüll aus und fangen an, nach Ajax zu schlagen, versuchen ihn an den Beinen herunterzuziehen, während er über den Zaun klettert. Dann eine kurze Zwischensequenz, in der Ajax und seine Warriors einen Dachvorsprung erklimmen, daraufhin geht es im ersten Stock weiter, unglaublich flüssig sind die Übergänge zwischen kurzen Cutscenes und dem Spiel. Plötzlich schwingt die Kamera herum, verharrt dann in einer Perspektive, die das Spiel aussehen lässt wie einen alten 2D-Sidescroller. Die Warriors hechten von Dachvorsprung zu Dachvorsprung, der Spieler als Ajax mittendrin, die Furies in wütender Verfolgung. Plötzlich geben die morschen Holzbohlen nach, Ajax bricht durch, landet auf der Straße, rennt weiter, die Kamera schwenkt wieder hinter ihn. Am Ende der Straße stoßen seine Warriors zu ihm, rennen um die Ecke, die Kamera schwenkt nach vorn, die Warriors rennen in sie hinein, Cut, Warriors rennen um die Ecke, Cut, Zwischensequenz: Warriors laufen die Treppe in den Park hinunter, Cut, Zwischensequenz: aufholende Furies, Cut, Zwischensequenz: Konfrontation Ajax und Anführer Furies, Cut, unglaublich wüste Prügelei gegen eine klare Überzahl von Furies, Cut. Puh, erst mal Luftholen. Devin Bennet von Rockstar New York freut sich. „Beeindruckend, oder?“, fragt er. Beeindruckend? Überwältigend! Faszinierend! Umwerfend! Unglaublich! So perfekt wurden Film und Videospiel noch nie zusammengebracht, Elemente aus beiden Disziplinen miteinander verwoben. Punktum. Nun könnte man sagen, dass „The Warriors“, obwohl 30 Jahre alt und außer in den USA wenig bekannt, ja auch die perfekte Vorlage für ein Videospiel sei. Immerhin verfügt der Film über eine Erzählstruktur, die der eines Videospiels nicht unähnlich ist. Es gibt einen Ausgangspunkt (das Treffen in der Bronx) und ein klares Ziel (ihr Heimatrevier, Coney Island). Die Aufeinandertreffen mit den verschiedenen Gangs auf ihrem Weg zum Ziel haben durchaus etwas von Leveln - das Turnbull-AC-Level, das Fury-Level, das Lizzie-Level. So etwas ist selbstverständlich einfacher umzusetzen als beispielsweise ein „Taxi Driver“, in dem das Scheitern des Protagonisten Travis Bickle zentrales Motiv ist, was ja ein kompletter Gegensatz ist zum Grundkonzept von Spielen: gewinnen. Ähnlichkeiten in der Struktur allein sind allerdings noch lange keine Garantie für eine derartig dichte und überzeugende Verflechtung von Film und Spiel. Schließlich hätten sich die Entwickler vom Rockstar- Studio Toronto auch darauf beschränken können, den Film in den Zwischensequenzen Film und das Spiel in den Leveln dazwischen Spiel sein zu lassen - so wie es bei den meisten Filmumsetzungen gemacht wird. Doch das taten sie nicht - aus einem einfachen Grund: „Wie viele Menschen zwischen 18 und 40 Jahren haben wir eine sehr persönliche Beziehung zu ,The Warriors'“, sagt Geronimo Berrara, der Produzent des Spiels (siehe Interview Seite 38). Stattdessen nahmen sie sich des Films mit allem Respekt an und verwandelten die 90-minütige apokalyptische Verfolgungsjagd quer durch New York in ein 40-stündiges Spielerlebnis, bei dem der Spieler in eine Welt hineingezogen wird, die zwar die des Films, gleichzeitig aber viel größer ist. „Wir wollten viel tiefer eintauchen, den einzelnen Gangs viel mehr Gewicht verleihen. Wir wollten, dass der Spieler begreift, was diese Strecke, die sie zurücklegen müssen, für die Warriors eigentlich bedeutet und wie gefährlich die Gangs tatsächlich sind, mit denen sie auf ihrem Weg konfrontiert werden“, erklärt Berrara. Und so passiert bei „The Warriors“ etwas, was eigentlich jede gute Filmumsetzung machen sollte: Sie fügt dem Film etwas hinzu. „The Warriors“, der Film, wird nie mehr derselbe sein für jemanden, der „The Warriors“, das Spiel, gespielt hat. Berrara bringt es auf den Punkt: „Wir haben alles zur Verfügung stehende Material zum Thema ,The Warriors' durchleuchtet - auch das Buch von Sol Yurick, auf dem der Film basiert. Es gibt einen guten Grund, warum die Orphans in der Geschichte nicht zum Treffen in die Bronx eingeladen wurden. Solche Geschichten zum Beispiel, die im Film ja gar nicht erzählt werden, erzählen wir jetzt im Spiel.“ Dieser liebevolle Umgang mit dem Vorbild findet aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene statt. Auch in Sachen Gameplay nahm man sich des Originals behutsam an, um es für das Spiel auszubauen. So erdachten die Rockstars aus Toronto für die vielen Kämpfe, die man gegen die feindlichen Gangs zu bestehen hat, die so genannten War Chief Commands, mit denen man die computergesteuerten Warriors, die einen auf den einzelnen Missionen begleiten, zum Beispiel in den Kampf, auf Standby oder auf Zerstörungstour durch die ganze Nachbarschaft schicken kann. Vor allem das „Wreck 'em all“-Kommando, bei dem sich die NPC-Kollegen auf jeden sich bewegenden Gegner stürzen, kann im Kampfgetümmel sehr hilfreich sein. Oder aber, wenn man in Ruhe die Tags der feindlichen Gangs übersprühen möchte - eine Tätigkeit, die im Film eher unterrepräsentiert ist, im Spiel aber zentrale Bedeutung bekommt. Dabei ist es erstaunlich, wie es Rockstar tatsächlich geschafft hat, einem das Gefühl zu vermitteln, Mitglied, Teil einer Gang zu sein. Die künstlichen Mitstreiter sind stets auf der Höhe des Geschehens, drängen sich aber nie in den Vordergrund. Ebenfalls als Addition muss man die vielen Minispielchen verstehen, die ins Spiel integriert wurden. So sieht man die Warriors im Film zwar zu keinem Zeitpunkt Passanten, Geschäfte oder auch einfach Autos ausrauben. Doch die zum Zweck der Geldgenerierung ins Spiel integrierten Gameplay-Mechanismen beißen sich mitnichten mit dem Warriors-Universum. Im Gegenteil - sie fügen sich nahtlos ein. In gewisser Weise hat „The Warriors“ etwas von einem hingebungsvollen Fanprojekt - nur dass es mit aller Professionalität umgesetzt wurde, die ein Entwickler wie Rockstar zu bieten hat. Denn auch wenn die Verehrung für das Vorbild aus jedem Detail des Videospiels spricht: Rockstar ist ein börsennotiertes Unternehmen und sich absolut darüber im Klaren, dass mit dem Kultpotenzial des Siebziger-Jahre-Films allein kein Staat zu machen ist. „Es war von Anfang an unser erklärtes Ziel, ein Spiel zu machen, das nicht nur Fans des Films gefällt, sondern auch Menschen, die ,The Warriors' noch nie gesehen haben“, sagt dann auch Bennet, während er das Pad herüberreicht. Und in der folgenden halben Stunde, in der der Anfang des Spiels, in dem Tutorial und erste Mission miteinander verschmelzen, gespielt werden darf, wird klar, wie streng man sich an diese Vorgabe gehalten hat. Denn der Einstieg in die Welt der Warriors ist mühelos, das Kampfsystem eingängig und komplex zugleich: relativ simple 2-Knopf-Schlag-und-Trittkombinationen ermöglichen einsteigenden Button-Smashern das Weiterkommen, Kenner der Materie können diese zu virtuosen Kombo-Ketten zusammenfügen, die dann schneller mit dem Rage-Mode belohnt werden. Dann färbt sich der Bildschirm rot, und die Schläge des Warriors haben noch mehr Wirkung. Zudem spielt man je nach Mission immer wieder andere Mitglieder der Warriors, die entsprechend auch mit anderen Fähigkeiten beziehungsweise Spezial- Kombos ausgestattet sind. Dieses Kampfkonzept ist gut - und wichtig. Schließlich lässt Rockstar keine Gelegenheit aus, zu betonen, dass man mit „The Warriors“ in erster Linie ein tot geglaubtes Videospiel-Genre wiederbeleben will. „Brawler fristen auf dieser Konsolengeneration schließlich ein klägliches Dasein“, sagt Bennet, während im Hintergrund einer seiner Kollegen zum zweiten Pad greift. Moment mal, Brawler, waren das nicht diese alten 2D-Sidescroller-Prügelspiele wie „Double Dragon“ und „Final Fight“, die Anfang der Neunziger in den Spielhallen dieser Welt ihre Hochzeit erlebten, dann auf Konsolen portiert wurden und mit den Jahren mehr und mehr in Vergessenheit gerieten? „Exakt!“, bestätigt Bennet, während er auf dem Screen ein paar Gegnern mit einer aufgesammelten Holzlatte Saures gibt. „Wir wollten mit ,The Warriors' noch einmal dieses Gefühl erzeugen, mit einem Freund in der Spielhalle zu stehen und Münze um Münze in dem Automaten zu versenken.“ Kaum hat sein Kollege die Starttaste gedrückt, übernimmt er die Kontrolle über einen der Warriors, die vorher vom Computer gesteuert wurden. Das Ganze läuft fast zu schnell ab, um es wirklich zu bemerken. Kein „Quit To Menu“? Kein neues 2-Player-Spiel starten? „Nein“, freut sich Bennet, „der Mitspieler kann zu jedem Zeitpunkt des Spiels ein- und auch wieder aussteigen, ohne dass ich dabei mein Spiel unterbrechen, beenden, geschweige denn ein eigenes Spiel starten muss.“ Wow. Und das ist noch nicht alles: Entfernen sich die beiden Spieler voneinander, teilt sich der Screen, und jeder der beiden sieht seinen eigenen Ausschnitt. Das ist nicht nur ein nettes Gimmick, sondern clever, weil man so nicht aneinandergekettet ist, sondern verschiedenen Aufgaben nachgehen kann. Während Player eins die Gegner vermöbelt, klettert Player zwei auf Häuser und sprüht ihre Grafitti über. Es ist immer schwer, persönliche Eindrücke in verlässliche Prognosen zu verwandeln. Aber eins ist klar: Während zwischen Rockstars Videospielmeilenstein „GTA“ und den übrigen Spielen in ihrer Bibliothek, sei es ein „Manhunt“ oder ein „Midnight Club“, immer ein Gefälle zu bemerken war, erwartet uns mit „The Warriors“ ein Spiel, das mit dem Vorzeigetitel auf Augenhöhe rangiert. Natürlich ist „The Warriors“ in vielen Dingen anders als „GTA“. Doch es hat ebenso wie „GTA“ das Potenzial, deutliche Spuren in Videospielen zu hinterlassen, und nicht nur, weil es quasi im Vorbeigehen ein tot geglaubtes Videospielgenre neu belebt. Denn so wie der Film „The Warriors“ mit den Dialogen, dem Storytelling und nicht zuletzt mit seiner Betonung auf dem Kampf Mann gegen Mann wie eine Blaupause für die Spiele aus dem Hause Rockstar scheint, könnte „The Warriors“, das Spiel, eine Blaupause für die Umsetzung von Filmen werden - eine, die beweist, was man in diesem Fach erreichen kann, wenn man die Quelle respektvoll behandelt, statt sie einfach nur emotionslos auszuschlachten. Text: Michail Hengstenberg
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2005 /

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