Starschnitt

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Bislang wurden die Stars der Videospielindustrie, die Entwickler, von den Studios streng unter Verschluss gehalten. Dieses Jahr waren sie erstmals in Scharen auf der Games Convention anzutreffen – und bereit für Interviews. Wir haben die Gelegenheit genutzt und mit ihnen gesprochen

"Das Ende der Dreamcast war ein Verlust für mich“ - Yuji Naka
GEE: Die Geschichte von Sega ist geprägt von Höhen und Tiefen. Wo steht die Firma im Jahre 2005? Yuji Naka: Die Next-Generation-Maschinen klopfen an die Tür. Eine sehr interessante Zeit also, um originelle Spiele mit frischen Ideen zu verwirklichen. Es ist ein großer Spaß, mit den Geräten zu experimentieren und herauszufinden, welche neue Möglichkeiten sie bieten. Sega wird mehr Spiele veröffentlichen als jemals zuvor. Sega scheint seine thematische Ausrichtung derzeit ein wenig zu verändern. Neben Charakteren wie Sonic und Ulala, für welche die Firma gemeinhin geliebt wird, finden sich immer mehr eher realistische Spiele im Line-up. Denken Sie, Sega braucht solche Titel, um heutzutage erfolgreich zu sein? Ein global operierender Konzern muss sich der Herausforderung stellen, lokale Vorlieben zu verstehen. Neben den überall beliebten Spielen, die wir weltweit veröffentlichen, produzieren wir nun auch verstärkt Titel für einzelne Regionen. Das ist nicht ganz neu: Bereits früher gab es Spiele, die in Japan entwickelt wurden und dort geblieben sind. Nun bringen wir auch Titel wie „Spartan: Total Warrior“ raus, die speziell für Europa oder Amerika gemacht sind. Auch Sonic hat sich mit seinem dunklen Zwilling Shadow ein wenig verändert. Der blaue Igel fasziniert sicher immer noch. Doch Videospiele haben sich über die Jahre stark verändert, sodass sich Sonic einfach öffnen musste. Sonst verschwände er in der Versenkung wie die 2D-Shooter. War es ein Schock für Sie, als klar wurde, dass Sega aus der Hardware-Branche aussteigen muss? Oder spielte auch Erleichterung mit, sich nun ohne Belastung wieder auf die Produktion von Spielen konzentrieren zu können? Ich bin, ehrlich gesagt, eher ein Hardware-Typ, der am liebsten ganz tief in die Maschinen eintaucht. In der Konsolenentwicklung bei Sega war es meine Aufgabe, mir Gedanken darüber zu machen, wie Spielhardware aussehen muss, damit brillante Games darauf entstehen können. Dasselbe gilt fürs Zubehör- oder Controller-Design. Das Ende der Dreamcast war daher natürlich ein echter Verlust für mich. Ebenso der Umstand, die kommende Generation in dieser Hinsicht nicht mehr mitgestalten zu können. Was wünschen Sie sich von einer Spielehardware der Zukunft? Zwischen der Xbox 360 und der Playstation 3 bestehen leider kaum Unterschiede. Deshalb bin ich auf Nintendos Revolution-Konsole ganz besonders neugierig. Wenn ich für die Zukunft einen Wunsch frei hätte, würde ich irgendwann gern komplett auf den Fernseher verzichten. Man denke nur an das Holo-Schachspiel in „Star Wars“. Hey, wir sind im 21. Jahrhundert! Spiele sollten immer Innovationen wagen. Wenn Game-Designer älter und erfahrener werden, sind sie oftmals an diversen Titeln gleichzeitig beteiligt. Zusätzlich nimmt die Schreibtischarbeit einen immer größeren Teil ein. Wie sieht es bei Ihnen und der Arbeit in Ihrem Sonic Team aus? Ich bin in all meinen Projekten vom Anfang bis zum Ende involviert, weil ich weiterhin eine große Leidenschaft für Videospiele verspüre. Seit 30 Jahren arbeite ich nicht nur als Designer, sondern auch als Programmierer. Wenn ich noch die Zeit hätte, würde ich meine eigenen Spiele sogar weiterhin selbst mitprogrammieren. Sonic Team entwickelt jedoch so viele Titel parallel, dass ich leider nicht bei allen Details selbst Hand anlegen kann. Sind Sie eigentlich immer noch nervös, wenn ein neues Spiel erscheint? Definitiv. Ich liebe es, am ersten Verkaufstag durch die Geschäfte zu schlendern und die Blicke der Kinder zu beobachten, wenn sie die Verpackung das erste Mal in der Hand halten. Yuji Naka, 40, gehört zu den wichtigsten Spielentwicklern Japans. Seine Karriere bei Sega begann bereits vor 20 Jahren mit Arcade-Umsetzungen für das Master-System, später war er an der Entwicklung des Mega Drive, des Saturn und der Dreamcast beteiligt. Weltruhm erlangte Naka mit der Schöpfung des flinken Igels aus „Sonic: The Hedgehog“. Seit 2000 ist er Leiter des Sonic Teams, seit 2004 Forschungs- und Entwicklungsleiter bei Sega. Weitere berühmte Spiele: die „Phantasy Star“-Serie (seit 1987), „Nights“ (1996), „Samba de Amigo“ (1999) und „Project Rub“ (2004). „Ich liebe historische Spiele“ - Bruce Shelley GEE: Bevor Sie anfingen, Computerspiele zu entwickeln, haben Sie Brettspiele entworfen. Sehen Sie Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Medien? Bruce Shelley: Die hauptsächliche Ähnlichkeit liegt im Entwicklungsprozess des Gameplay: Brettspiele werden schon ganz früh mit einem selbst gebastelten Prototyp getestet. Genauso machen wir es auch: Lange bevor die eigentliche Grafik steht, setzen wir unsere Ideen in einer lauffähigen Version um. Wenn ein Entwickler seine Konzepte nicht selbst spielt, kann er immer nur Vermutungen anstellen. Wir spielen das neue „Age Of Empires“ bereits seit über zwei Jahren bei uns im Büro und sind aktuell bei der dreitausendneunzigsten Entwicklungsversion. So ein Prozess dauert lange und geht ganz schön ins Geld, aber früher oder später kommt stets ein großartiges Spiel dabei heraus. Dieses Erfolgsgeheimnis habe ich von Brettspielen gelernt. Bei uns im Studio kaufen wir übrigens viele Brettspiele aus Deutschland und spielen sie in der Mittagspause. Deutsche Brettspiele wie „Die Siedler von Catan“ oder „Carcaçonne“ stehen weltweit in den Bestsellerlisten. Computer- und Videospiele aus Deutschland sind dagegen international bis auf wenige Ausnahmen völlig unbekannt. Deutsche Strategie-Computerspiele arbeiten sehr indirekt. In „Die Siedler“ baut man beispielsweise hier eine Straße und da ein Haus. Dann wuseln ganz viele Leute in der Gegend herum, und das Spiel läuft quasi von selbst ab. In vergleichbaren amerikanischen Titeln schnappe ich mir dagegen einfach eine Figur und lasse sie sofort Dinge tun. Das ist ein viel direktes Verhältnis zwischen Aktion und Resultat. Je weiter man sich von Deutschland entfernt, desto mehr stehen die Spieler auf unmittelbare Kontrolle und Action. Es scheint mir, dass alle Ihre Spiele ein mehr oder weniger realistisches Setting besitzen. Freilich ergibt sich in „Age Of Empires“ manchmal eine wilde Mixtur aus verschiedenen historischen Perioden, aber trotzdem bleibt es sehr konkret. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, etwas Futuristisches oder Abstraktes zu machen? Natürlich, aber ich liebe historische Spiele! Als wir damals die „Age Of Empires“-Serie anfingen, traten wir in die Fußstapfen von „Command & Conquer“, also eines Science-Fiction-Titels. Niemand hat zu dem Zeitpunkt historische Echtzeitstrategie gemacht. Das war offensichtlich eine gute Idee, denn wir haben mittlerweile weltweit um die 60 Millionen Stück davon verkauft. Die meisten Strategiespiele laufen heutzutage in Echtzeit ab. Dabei beweisen rundenbasierte Titel wie „Advance Wars“ immer wieder, dass sie eine größere strategische Tiefe besitzen. Sie ähneln eher dem Schachspiel. Durchaus, aber der Markt für Echtzeitstrategie ist einfach viel größer, besonders im Bereich der Gelegenheitsspieler. Es gehört zu den populärsten Genres auf der ganzen Welt. Nehmen wir Schach als Beispiel: Es läuft ganz anders ab, wenn man mit der Uhr spielt. Echtzeitstrategie ist wie Schach unter Zeitdruck. Die Sekunden fließen nur so vorüber, und du kannst einfach nicht den ganzen Tag überlegen. Das macht Aktionen im Spiel meiner Meinung nach bedeutungsvoller, als wenn man alle Zeit der Welt hat, um einen Move zu tätigen. Rundenbasierte Strategie ist deshalb auch schwieriger zu designen. Ihr Publisher Microsoft versucht, mit der Xbox 360 neue Zielgruppen anzusprechen. Was halten Sie für notwendig, um neue Menschen an Videospiele heranzuführen? Ich denke, man sollte mehr an den sozialen Aspekten von Spielen arbeiten: nicht immer nur gegeneinander, sondern auch miteinander spielen! Das schafft Geselligkeit und Kommunikation. Online-Rollenspiele gehen schon ein wenig in diese Richtung. Oder „The Sims“. Wenn wir beide gegeneinander antreten, ist es ein Nullsummenspiel: Damit ich gewinnen kann, musst du verlieren. Ich glaube, es würden mehr Menschen spielen, wenn alle gemeinsam Erfolg haben oder scheitern. Bruce Shelley verrät sein genaues Alter nicht gern. Shelley entwirft und produziert aber bereits seit Anfang der achtziger Jahre Spiele aller Art. Nachdem er sich zunächst mit Pen&Paper-Rollenspielen und Brettspielen beschäftigte, arbeitete der Amerikaner mit Sid Meier an dessen Klassikern „Railroad Tycoon“ und „Civilization“. Mit der Gründung von Ensemble Studios brachte Shelley eine der kommerziell erfolgreichsten PC-Spieleserien der jüngeren Vergangenheit auf den Weg: „Age Of Empires“.
„Es ist schwieriger geworden, Ideen umzusetzen“ - Keiji Inafune
GEE: Was ist Ihr persönlicher Antrieb: Kreativität oder Technik? Keiji Inafune: Im Grunde genommen beides. Man braucht Kreativität, um neue Technik zu nutzen. Und neue technologische Entwicklungen, um die Vorstellungskraft zu stimulieren. Am Ende des Tages zählt natürlich primär die Inspiration. Heute ist es schwieriger geworden als früher, Ideen umzusetzen. In einem Fünf-Personen-Team einigt man sich schnell über gewisse Dinge. Sind aber 60 Menschen an einem Projekt beteiligt, müssen Kompromisse eingegangen werden, denn nicht jeder kann seinen Kopf durchsetzen. Dadurch verändert sich ein Spiel nicht immer zum Positiven. Welchen Aspekt Ihrer Arbeit hassen Sie am meisten? Leider spielt der Aspekt des Geldes bei der Produktion von Videospielen eine große Rolle. Auch wenn ich mittlerweile keine unwichtige Position bei Capcom einnehme, muss ich immer noch zum Chef laufen und meine Ideen genehmigen lassen. Das fällt mir besonders schwer. Meistens bekomme ich ein niedrigeres Budget, als ich eigentlich bräuchte, um alles zu realisieren. Wenn man ein Spiel entwickelt, ist es ein Teil von einem selbst. Es dann aus finanziellen Gründen zu beschneiden, tut mir geradezu körperlich weh. Keiji Inafune ist zwar schon 40 Jahre alt, wirkt im direkten Gegenüber aber gut 15 Jahre jünger. Er entwickelt seit fast 20 Jahren Videospiele für Capcom, unter anderem die „Megaman“- und „Onimusha“-Serien (seit 1987 beziehungsweise 2001).
„Ich mache keine Spiele, die allen gefallen“ - Michel Ancel
GEE:  Stimmt es, dass Peter Jackson für die Videospiel-Umsetzung seines neuen Films „King Kong“ speziell nach deiner Beteiligung gefragt hat? Michel Ancel: Ja. Sehr zu meiner eigenen Überraschung. Beim ersten Anklopfen von Ubisoft wusste ich noch gar nicht, dass Peter Jackson meinen letzten Titel „Beyond Good & Evil“ gespielt hatte. Als ich ihn dann im Januar 2004 in Los Angeles zum ersten Mal traf, war ich ziemlich überrascht, dass er Videospiele im Allgemeinen und mein Spiel im Speziellen sehr interessant findet. Es ist sehr eindrucksvoll, mit ihm zu arbeiten. Jackson hat in den letzten Jahren ja so einige Preise abgeräumt. Aber da er selbst Spieler ist, gestaltete sich die Kollaboration unterm Strich ganz einfach. Wie hoch ist der Druck, an einem Titel zu arbeiten, der ein unumstößliches Erscheinungsdatum hat? Videospielveröffentlichungen werden ja sonst gern mal verschoben. Das ist in der Tat sehr schwierig. Normalerweise brauche ich die doppelte Zeit, um ein Spiel zu machen. Aber da „King Kong“ keine sonderlich lange Spielzeit besitzt, nur zehn Stunden oder so, erwarte ich trotzdem einen hohen Qualitätsstandard. Mit „King Kong“ versuchst du einerseits, eine festgelegte Filmvorlage umzusetzen, andererseits aber ein freieres, nonlineares Gameplay zu verwenden. Ist das nicht ein Widerspruch? Nicht wirklich. Es ist alles eine Frage des Maßstabs: Manche Titel wirken mit ihren großen Arealen wirklich offen und nonlinear. Aber die Aktionen, die du als Spieler ausführst, gleichen sich wie ein Ei dem anderen. Andererseits gibt es Spiele wie „Crash Bandicoot“: Es erscheint zwar sehr vorgegeben, aber jeder Moment, jede Aktion fühlt sich immer wieder anders an. Genauso funktioniert „King Kong“. „Beyond Good & Evil“ war kein großer kommerzieller Erfolg. War das eine Riesenenttäuschung? Oder bist du mehr der Typ, der sagt: „Dies ist mein persönliches Kunstwerk. Und es ist großartig, also kratzt es mich nicht die Bohne, wie viele Leute es tatsächlich spielen?” Ich hätte die Kamera im Spiel durch eine Waffe ersetzen und der Frau mehr Sex-Appeal verpassen können. Vielleicht hätte sich das Game dann besser verkauft. Aber ich wäre auf das Resultat einfach nicht stolz gewesen. Ich mache halt keine Spiele, die allen gefallen. „King Kong“ ist im Gegensatz dazu freilich ein sehr kommerzieller Titel, der möglichst vielen Leuten zusagen muss. Verraten uns die Spiele, die du entwickelst, etwas über deine Persönlichkeit? Als ich vor mehr als zehn Jahren am ersten „Rayman“ gearbeitet habe, war ich im Rückspiegel betrachtet schon ein wenig wie er: 21 oder 22 Jahre alt, hibbelig, ein wenig plemplem und noch ziemlich einfach gestrickt. Während der Entwicklungsphase von „Beyond Good & Evil“ fühlte ich mich dagegen sehr nachdenklich. Überall kursierten Berichte über den Irak-Krieg mit seiner ganzen Propagandamaschine in den Medien. Herausgekommen ist schließlich ein Titel, dessen Hauptfigur eine Journalistin ist, die sich mit Zensurmaßnahmen auseinandersetzen muss. Können Videospiele politische Fragen thematisieren? Eindeutig. Videospiele sind ein virtuelles Alles, also können sie uns auch ermöglichen, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Neulich habe ich mir ein kleines Flash-Spiel zum Irak-Krieg angeschaut: Der Spieler wirft Bomben auf Terroristen, um sie zu eliminieren, erwischt dabei früher oder später aber unweigerlich auch Zivilisten. Hat er Erfolg, kommt sofort eine größere Gruppe, die auf Rache sinnt. Ist auch die abserviert, erscheint eine noch höhere Anzahl von Terroristen. Und immer so weiter. Man kann nicht gewinnen. Meiner Meinung nach ist das ein politisches Spiel: Wenn der Spieler den Mechanismus durchschaut, ergibt sich eine Aussage. Der Autodidakt Michel Ancel, 33, verließ bereits mit 16 Jahren die Schule, um sich fortan voll auf seine Leidenschaft für Videospiele konzentrieren zu können. Heute ist er der bekannteste Kopf der florierenden Entwicklerszene Frankreichs, auf dessen Konto Kreationen wie die arm- und beinlose Jump’n’Run-Figur „Rayman“ (1995) gehen. Aktuell versucht er mit „King Kong“ die These zu beweisen, dass Videospiele zu einem Kinofilm mehr sein können als bloße Merchandiseprodukte.
„Spiele werden immer einfacher zu verstehen“ - Mike Verdu
GEE: Manche Leute behaupten, ein Großteil der heutigen Games sei für Neueinsteiger viel zu komplex. Wie stehst du als Entwickler von Strategietiteln zu dieser Frage? Mike Verdu: Du sprichst mit jemandem, der aus der Old-School-PC-Szene stammt! Und ich kann dir sagen, dass Strategiespiele vor zehn Jahren noch ein Kontrollfeld auf dem Bildschirm hatten, das dem Cockpit einer Boeing 747 nahe gekommen ist. Zumindest bei PC-Titeln beobachte ich also das genaue Gegenteil: Sie werden immer einfacher zu verstehen. In der besten aller Welten gäbe es beides: leichtes Handling und Tiefe. Sodass jeder es sofort versteht, aber trotzdem ganz tief einsteigen kann. Was denkst du über die deutsche Spieleszene? Ihr steht ziemlich auf Strategietitel. Und da mir diese sehr am Herzen liegen, fühle ich mich hier wie zu Hause. Gestern bin ich durch Leipzig geschlendert und in einen Spieleladen gegangen. Die Hälfte der Regale war voller PC-Spiele! Ich war total erstaunt. Denn in den Staaten haben viele Gameshops ausschließlich Konsolengames im Angebot. Michael Verdu ist ein Tausendsassa: In seiner 15-jährigen Karriere war er in diversen Firmen für so unterschiedliche Bereiche wie Game-Design, Produktion oder Programmierung zuständig. Berühmte Spiele: „Unreal II“ (2003) und „Command & Conquer: Generals“ (2003). Aktuell produziert er den Nachfolger zum  „Herr der Ringe“-Strategiespiel „Schlacht um Mittelerde 2“.
„Lara hat endlich wieder das Zeug zum Covergirl“ - Morgan Gray
GEE: Wie ist dein persönliches Verhältnis zu Lara Croft? Morgan Gray: Wie alle bei uns im Team liebe ich Lara. Obwohl sie eigentlich eine erfundene Figur ist, reden wir über Lara, als würde sie leben. Was würde sie anziehen? Wie würde sich Lara in dieser oder jener Situation verhalten? Das zeigt doch eigentlich recht deutlich, wie ernsthaft und respektvoll wir den Charakter behandeln. Aber mal ganz ehrlich: Reißt ihr auf ihre Kosten nicht manchmal auch dreckige Witze? Äh … ja. Aber versteh das bitte nicht falsch: Wir betrachten uns schon als emanzipiert und haben im Verhältnis zur restlichen Spielebranche auch eine Menge Frauen in unserem Team. Und zwar nicht nur im Marketing, sondern auch auf der Entwicklungsseite. Und es ergeben sich immer mal wieder Bugs in der Produktion, die wirklich sehr lustig sind. Laras Stern ist in der letzten Zeit ziemlich gesunken. Welche Maßnahmen unternehmt ihr, um ihn wieder steigen zu lassen? Da stimme ich dir zu. Für Crystal Dynamics ist es aber das erste „Tomb Raider“. Insofern begannen wir frisch von vorn: Alle Festplatten waren leer, keine Zeile Code geschrieben. Für uns fühlt es sich komplett neu an. Zudem haben wir uns umgehört, was die Menschen an Lara so faszinierend finden und was an dem letzten Teil so schlecht. Mit „Legend“ bringen wir Lara zurück in die Labyrinthe und Höhlen voller trickreicher Fallen mit klasse Physik. Also raus aus der Stadt. Denn Lara ist einfach eine Abenteuerin, keine Detektivin. Was stimmte die Fans an den letzten Teilen denn so missmutig? Verschiedenes: Sie fanden es langweilig, dass die beidhändige Bewaffnung nicht von Anfang an verfügbar war. Sie mochten den dunkleren Look nicht, der sich zu weit von Lara als cooler Actionheldin entfernt hat. Außerdem scheint die Balance zwischen Erforschung und Kampf zugunsten des letzteren aus dem Gleichgewicht geraten zu sein. Auch ihre Figur wurde einer Frischzellenkur unterworfen: Lara trägt wieder längere Hosen und besitzt eine geringere Oberweite. Ist das eine Reaktion auf die Kritik vieler Frauen, welche sich durch die alte Lara als reines Sexobjekt abgestempelt sahen? „Frauenfreundlich“ zu werden war niemals ein erklärtes Ziel. Die neue Lara sollte einfach athletisch aussehen. Weder wie ein Spielzeug noch zu fotorealistisch. Aber auf eine stilisierte Art und Weise real. Und, ja: Wir haben ihre Oberweite verkleinert. Die kommt aber immer noch stattlich rüber. Wenn sich jetzt mehr Frauen angesprochen fühlen, ist das ein angenehmer Nebeneffekt. Es war aber keine Intention von uns. Denkst du, dass Lara wieder eine Ikone sein wird? Lara besitzt mehr Persönlichkeit und Ausdruck als früher, in ihren Augen zum Beispiel. Sie wirkt nun weniger wie ein Sexobjekt, sondern eher wie ein Model oder eine hübsche Schauspielerin. Meiner Meinung nach ist Lara absolut bereit, wieder ein Covergirl zu sein. Überall. Was ist dein Lieblingsspiel der letzten zehn Jahre? Im Bereich der Action Adventures ist es definitiv das erste „Tomb Raider“, glaub mir. Es ist einer der wenigen Titel, die ich nicht gespielt habe, um zu gewinnen. Ich bin einfach nur mit Lara rumgelaufen, an Wände gesprungen und habe die Gegenden erkundet. Fantastisch. Ist es nicht ein großer persönlicher Druck, eine ehemalige Hitserie wieder zu beleben? Daran habe ich noch nie gedacht (lacht). Klar, es gibt sehr viel Druck. Die Sache wird für mich aber dadurch leichter, dass so viele Leute ein tolles neues „Tomb Raider“ wollen. Trotz der Enttäuschung durch die letzte Episode. Das hält mich bei der Stange. Wir setzen unsere Ansprüche ziemlich hoch an: Wir wollen nicht nur das beste „Tomb Raider“ machen, sondern eines der herausragendsten Spiele der aktuellen Konsolengeneration. Daran lassen wir uns messen. Vor seiner Aufgabe, den „Tomb Raider“ Karren aus dem Dreck der letzten Folge zu ziehen, war Morgan Gray, 29, einige Jahre als Produzent für Lucas Arts tätig – unter anderem für so bekannte Serien wie „Star Wars: Jedi Knight“ oder „The Secret Of Monkey Island“. Mittlerweile arbeitet er für Crystal Dynamics in San Francisco, wo er zuletzt den Shooter „Project Snowblind“ (2005) produzierte.
„Deutsche Entwickler verlieren gleich die Nerven“ - Gerald Köhler
GEE: Ihr seid das einzige Team, das für EA in Deutschland entwickelt. Wieso spielen deutsche Games international keine Rolle? Gerald Köhler: Immer wenn deutsche Studios in der Vergangenheit Erfolg hatten, haben sie gleich die Nerven verloren und das verdiente Geld für Unfug ausgegeben. Dementsprechend sind die Firmen fast alle wieder verschwunden. So konnte sich hier keine längerfristige Struktur etablieren. Zudem beschränkten sich die meisten Studios darauf, sich abzuschotten und nur für Deutschland zu entwickeln. Dem Wettbewerb hat man sich nie wirklich gestellt. Er-schwerend kommt hinzu, dass die Finanzierung von Games in Deutschland sehr schwierig war und ist. Denkst du, dass eine staatliche Förderung hier Abhilfe schaffen könnte, oder sollte es alleine dem Markt überlassen werden, welche Spiele sich durchsetzen? Mir ist das Modell bekannt, bei dem von jedem verkauften Spiel eine kleine Gebühr genommen und in einen Förderungspool gesteckt wird. Das heißt letztendlich: Wenn wir ein erfolgreiches Spiel herausbringen, finanzieren wir auch noch andere und womöglich unsere eigene Konkurrenz mit. So sollte es jedenfalls nicht gehen. Gerald Köhler, 36, qualifizierte sich durch sein BWL-Studium schon früh für die Produktion von Fußballmanagern. Seit mehr als einem Jahrzehnt forscht er nun in seinem Labor an immer ausgefeilteren Versionen der beliebten Wirtschafterei, zunächst für die „Anstoß“-Serie und aktuell für EA-Sports.
„Spiele für Frauen sind herablassend“ - Sophie Blackmore
GEE: Ich rede auf der Games Convention mit einem Haufen Menschen aus der Spielebranche. Du bist hier jedoch weit und breit die einzige Frau, die tatsächlich Spiele entwickelt. Wie fühlst du dich dabei? Sophie Blackmore: Manchmal kommt es ziemlich hart, immer nur von Männern umgeben zu sein. Aber ich sehe es eher als Herausforderung. Ich fühle mich nicht wie ein typischer „Girl Gamer“, denn ich zocke dieselben Spiele wie meine männlichen Freunde: Actiongames oder Shooter wie „Battlefield“ und „Counter-Strike“. Konzeptionell arbeite ich auch nicht anders als sie. Aber vielleicht gelingt es mir, ein neues Verständnis von Character-Design oder der Erzählweise von Videospielen zu etablieren. Das könnte im Umkehrschluss wiederum andere Frauen interessieren. In den Neunzigern versuchten im Amerika Firmen wie „Purple Moon“, Videospiele speziell für Frauen zu entwickeln. Denkst du, es gibt so etwas wie geschlechtsspezifische Interessen? Früher dachte ich selbst daran, Spiele für Frauen zu konzipieren. Aber das kommt viel zu herablassend rüber. Und ein wenig verletzend. Frauen mögen es nicht, wenn etwas speziell für sie gemacht wird. Das ist so ähnlich wie Spiele für Kinder. Die lieben einfach dieselben Titel wie wir Erwachsenen. Frauen finden in der aktuellen Marktsituation schon genug spannende Sachen. Man sollte aber auf jeden Fall daran arbeiten, mehr Frauen in die Spieleindustrie zu lotsen. Durch die voranschreitende Technologie gibt es ein zunehmend breiteres Feld von Games, die nicht von der Stange sind. Das animiert vielleicht vermehrt Frauen, Teil dieser Industrie zu werden. Sega hat eure Firma Creative Assembly vor kurzem übernommen. Ihre japanischen Studios sind für ihren hohen Anteil an Entwicklerinnen bekannt. „Skies Of Arcadia“ hatte zum Beispiel weibliche Lead-Designer. Ja, in Japan ist die Situation schon eine andere. Da redet keiner von Spielen für Frauen. Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass sie dort nicht so sehr in Genres denken. In Japan heißt es nicht: Dies ist ein Shooter oder ein Renntitel, sondern man spricht schlicht und einfach von einem Spiel und den Erfahrungen, die man beim Spielen machen kann. Im Moment lässt sich eine gewisse Vereinheitlichung im Aussehen von Videospielen beobachten. Weil der wirtschaftliche Druck enorm groß geworden ist, werden viele Titel auf eine möglichst breite Zielgruppe hin konzipiert. Europäische und amerikanische Spiele besitzen im Zuge dessen zunehmend Einflüsse aus Fernost, genauso wie östliche Spiele immer westlicher geprägt sind. Hältst du das für eine notwendige Tendenz, oder denkst du, dass Spiele dadurch ihre Einzigartigkeit verlieren könnten? Es ist eine Schande, dass diese ganze Gleichschaltung passiert. Schau dir einige japanische Spiele an: Sie wirken einfach so wundervoll schrullig! Die sind anders als alles, was du dir jemals erträumt hast. Auch vom Game-Design her. Wie „Project Rub“ für das Nintendo DS, was ich sehr liebe. Dieses Zusammenfügen von kulturell unterschiedlichen Einflüssen kann meiner Meinung nach nicht erfolgreich funktionieren, weil viele Spiele einzigartig sind. Wenn es nach mir ginge, sollten japanische und westliche Games jeweils so bleiben, wie sie sind. Das bedeutet natürlich, dass wir weiterhin einige japanische Titel nicht verstehen werden. Genauso wie die vielleicht die Spielmechanik mancher Games aus Europa oder Amerika nicht schnallen. Was ist deine Rolle bei der Entwicklung von „Spartan: Total Warrior“? Ich arbeite am Game-Design, bin aber relativ spät ins Team eingestiegen. Als ich kam, waren meine Kollegen schon zweieinhalb Jahre dabei. Ich bin hauptsächlich für die Erzählung zuständig: Geschichte, Skript, Dialog, also beispielsweise die Zwischensequenzen, die ihr alle gleich wegdrückt. Aber macht’s nicht: Das sind meine Babys! Welche anderen Spiele erzählen deiner Meinung nach besonders gut? „Ico“! An der Geschichte ist etwas, das einen absolut packt und hineinzieht. Es ist so verführerisch, dass der Spieler nichts über die Vergangenheit der weiblichen Hauptperson erfährt. Dabei will man doch so gern wissen, wieso all das mit ihr passiert. „Ico“ lässt viel offen. In anderen Videospielen sagt der Hauptcharakter gerne strunzdummes Zeug, das man selbst nie und nimmer gesagt hätte. Dadurch wird die Identifikation schwierig. Genau. Es gibt fast keinen Dialog, keine Sprache. Es dreht sich allein darum, was sich in deinem Kopf abspielt. Dadurch erreicht es eine emotionale und persönliche Ebene, die anderen Titeln abgeht. An welchem Spiel aus den letzten fünf Jahren hättest du gern mitgearbeitet? Vielleicht „Super Monkey Ball“. So etwas Verrücktes wäre mir nie in den Sinn gekommen. Was für eine Grundidee: Wir nehmen einen Affen, packen ihn in eine Kugel und schubsen ihn den Berg herunter. Fantastisch! Und „Counter-Strike“ natürlich. Dann hätte es von Anfang an auch eine weibliche Hauptperson gegeben. Bevor sie in die Spielebranche reinschlidderte, studierte Sophie Blackmore, 28, Theologie und Religionswissenschaften. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als freie Journalistin, hauptsächlich für britische TV-Sendungen über Videospiele. Mit „Spartan: Total Warrior“ erscheint nach einigen Games für mobile Plattformen ihr erster großer Titel. Interview: Heiko Gogolin, Fotos: Tim Kubach
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2005 /

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