Irgendwie anders

Irgendwie anders

Erdbeer-MGs in "Counter-Strike"? Aggressive Rentner in "Unreal Tournament 2004"? Teddybärsoldaten in "Battlefield Vietnam"? Mit Level-Editoren geben Entwickler Spielern die Möglichkeit, die Games nach ihren Vorstellungen zu modifizieren. Die bedanken sich – und überflügeln mit ihren Kreationen manchmal sogar das Original

Zunächst einmal für alle, die bei dem Wort „Mod“ bestenfalls an Kurzhaarschnitte, Armeeparkas und Motorroller denken: „Mod“ ist die Abkürzung für „Modifikation“, also die Veränderung von Computerspielen. Modder greifen in die Grundstruktur von Games ein - mithilfe von spieleigenen Editoren für Levels und Figuren, oder mittels externer Tools. So bauen sie neue virtuelle Spielkarten (Maps), neue Spielfiguren (Models) und Outfits für diese (Skins). Oder basteln gleich ein komplett neues Spiel aus dem Titel (Total Conversions). Entwickler liefern mittlerweile immer leistungsfähigere Editoren für ihre Spiele, und die Spieler liefern im Gegenzug immer aufwendigere Modifikationen der Originalspiele. Zwar wird meist das Ursprungsthema der Vorlage beibehalten, aber so mancher Modder stellt das Ursprungskonzept gehörig auf den Kopf. Urvater des Mod-Booms ist „Half-Life“, dessen Mod „Counter-Strike“ bis heute ungebrochene Faszination auf viele Spieler ausübt. Doch so beliebt „Counter- Strike“ als Spiel auch sein mag, das Szenario ist vielleicht doch etwas … na ja: Böse Terroristen legen Bombe, gutes Antiterrorkommando soll Bombe entschärfen, so geht es hin und her, bis einer gewinnt. Schon bald zeigten die ersten Modder, dass ihnen diese Terroristenhatz einfach nicht schräg genug war. So wurde aus „Counter-Strike“ „Monkeystrike“. Statt Terroristen und Antiterrorkommandos steuert man hier Lemuren, Schimpansen oder Gorillas. Wobei das taktische Element bereits bei der Wahl der richtigen Primatenklasse nicht zu kurz kommt: Die kleinen, zappeligen Lemuren etwa bewegen sich blitzschnell durchs Gehölz, können allerdings auch nicht besonders viel Schaden wegstecken, die kräftigen Gorillas hingegen sind wesentlich robuster, bieten aber auch mehr Angriffsfläche und bewegen sich behäbiger. Passend zur tropischen Szenerie gibt's jede Menge biologisch voll abbaubarer Schießprügel. So befeuert man sich im Polygondschungel gegenseitig per Erdbeer-MG, Grapefruit-Flinte, Melonenscheibengewehr oder Kokosnusswerfer mit allerlei schmackhaften Südfrüchten. Oder nutzt Stinktiere als lebende Biogasbomben. Wer tropischen Früchten eher Liebesäpfel und Zuckerwatte vorzieht, dürfte sich in der „Bumper Cars“- Mod wohler fühlen, die für alle Liebhaber von Culture Beat und Vokuhila-Frisuren wie geschaffen ist: Von Gordon Freeman bis zum verrückten Black-Mesa- Wissenschaftler erhält hier das gesamte „Half-Life“- Personal einen passenden Autoscooter, um sich gegenseitig ins virtuelle Ableben zu schubsen. Während Gordon Freeman mit einem Minihubschrauber herumgleitet und Wissenschaftler auf überdimensionalen Headcrabs, ähnlich den Face-Huggern aus „Aliens“, durch die Gegend düsen, versuchen tollkühne Black- Mesa-Wachmänner in ihren flitzenden Doughnut- Schachteln, „Counter-Strike“-Antiterrorkommandos auf italienischen Riesenhühnern ins digitale Jenseits zu befördern. Selbst die Figuren anderer „Half-Life“-Mods dürfen hier noch einmal ihre Runden drehen - vom Papageien reitenden Piratenkapitän bis zum in seinem Sarg herumcruisenden Vampir ist für jeden Geschmack etwas dabei. Allerdings sollten die Spieler neben ihren Gegnern auch die Fahrbahn stets im Auge behalten, denn wer versehentlich ein Bierglas-Icon einsammelt, muss mit bedenklich verminderter Seh- und Lenkfähigkeit rechnen. Don't drink and drive! Pünktlich zum Fest der Liebe stimmt uns „Hammy Bob's Christmas Special“ schon mal auf die weiße Jahreszeit ein. Headcrabs hüpfen possierlich als in buntes Papier eingeschlagene Weihnachtsgeschenke durch das malerische Schneetreiben, Zombies tragen rote Zipfelmützen oder Rentierverkleidungen, die Armee rückt mit Schneemännern an und die Außerirdischen mit Lebkuchenmonstern. Statt blauer Bohnen fliegen allerlei Süßigkeiten, Schneebälle und Weihnachtspäckchen mit Fernzünder (hübsch ordentlich etikettiert mit „To: Enemies“ - damit nicht versehentlich der Falsche beschenkt wird). Alles ist etwas besinnlicher: Zur Feier des Tages trägt Der G-Man ein Geschenkpäckchen statt seiner Aktentasche und Freeman eine rot-weiße Zuckerstange anstelle eines Brecheisens. Nur unter die weihnachtlich geschmückten Mistelzweige sollte sich hier niemand stellen. Sie könnten versuchen, ihn anzusaugen und ihm den Kopf abzubeißen. Und das Ende der Fahnenstange ist mit diesen abstrusen Mods noch lange nicht erreicht. „Boxwars“ schickt die Spieler als Kisten in eine Welt aus Kisten, um andere Kisten im unerbittlichen Zweikampf den Weg allen Holzes gehen zu lassen. Als Health-Powerups gibt's Holzkleber und als Waffen raketengetriebene Sprengstoffkisten sowie natürlich den ultimativen Albtraum aller vernunftbegabten Holzbehältnisse: Termiten. In der „Yodamod“ hingegen ist alles Yoda. Die Leute sind Yoda. Die Munition ist Yoda. Die Kisten, in denen die Munition ist, ist ebenfalls Yoda. Die Waffen sind Yoda. Und die Sounds stammen selbstverständlich ebenfalls vom kleinen Jedimeister. Das eröffnet dem Spieler ganz neue taktische Möglichkeiten: Er kann beispielsweise einen Haufen der kleinen Käfer aus „Half-Life“ (die nun natürlich alle aussehen wie Yoda) auf den Gegner loslassen und sich unerkannt unter sie mischen. Ungekrönter König der beknackten Mod-Figuren ist aber fraglos „Sex, Drugs & Beer Can“. Gordon Freeman wurde hier zu einer jamaikanischen Bierdose mit Afrofrisur, die gemeinsam mit ihrem Dealer und einer Killer-Kaffeebohne versucht, die Welt vor einem fliegenden Gehirn zu retten. Dieses wiederum wird unterstützt von einer Armee genetisch manipulierten Gemüses - von Feuer spuckenden Chilischoten, Säure spritzenden Knoblauchknollen und Schrotflinten tragendem Porree. Glücklicherweise kann Beer Can im Kampf gegen diese Übermacht biologisch bedenklicher Lebensmittel die elektrostatische Aufladung seines Afros in tödliche Blitze umwandeln. Natürlich beschränken sich schräge Mods nicht auf „Half-Life“. Aus der „Quake“-Reihe zum Beispiel ist im Laufe der Jahre ein Laufvogelfangspiel („Capture The Chicken“), eine Pong-Neuauflage („Qpong“), ein virtueller Stierkampf („Cow Arena“) und ein Auf-Bananenschalen- Ausrutsch-Deathmatch („Banana Peel Mod“) gemacht worden. Oft genug wird das Originalspiel von den Mods gehörig auf die Schippe genommen. Nehmen wir einmal die pathetische Geschichte des desillusionierten New Yorker Undercover-Cops „Max Payne“, der sich nach der grausamen Ermordung seiner Familie auf einen verzweifelten Rachefeldzug gegen die Drogenmafia begibt. „Sketchbook Sam“ macht ihn zu einem zweidimensionalen Strichmännchen, das in einem linierten Schulheft zwischen falsch geschriebenen Graffiti gegen gekrakelte Monster kämpft und über (von der „Havoc“-Engine physikalisch korrekt dargestellte) Fässer hüpft. In der Mod „Polar Payne“ wird aus Max Payne der Eisbär Dinky, dessen Bärenfrau und Bärenkinder brutal von einer Bande von Eskimos ermordet wurden, die berauscht waren von einer neuartigen Designerdroge namens Valkyr. So tapst Dinky, begleitet von einem ihm still hinterherwatschelnden Pinguin, los in die klirrende arktische Kälte, um das Massaker an seiner Eisbärenfamilie zu rächen. Überhaupt zeigen sich viele Mods ausgesprochen tierlieb. In dem noch unvollendeten „Doom“-Ableger „Chicken Rising“ wird beispielsweise das freudlose Dasein und die Unterdrückung sinnlos geknechteter Zuchthühner thematisiert. Zur Geschichte: Eine Gruppe todgeweihter Hühner sieht auf ihrem letzten Gefangenentransport bereits einer finsteren Zukunft zwischen zwei pappigen Brötchenhälften entgegen, da ereignet sich ein glücklicher Zwischenfall: Der Fahrer des Lastwagens erleidet einen Infarkt durch Herzverfettung infolge zu vieler Big Macs und rast in einen entgegenkommenden Lastwagen. Der hat ganz zufällig tonnenweise radioaktiven Schleim geladen, und was dabei herauskommen muss, liegt auf der Hand: mutierte Riesenhühner, vernunftbegabt und in der Lage, vollautomatische Handfeuerwaffen mit den ihnen auf wundersame Weise gewachsenen Armen zu bedienen. Das aufgebrachte Federvieh widmet sich fortan einem unerbittlichen Guerillakrieg gegen Massentierhaltung und Chickenburger. Auf ganz ähnliche Weise erheben sich in „Unreal Tournament 2004: Hamster Bash“ niedliche kleine Nagetiere gegen die Tyrannei der Zweibeiner. Die spenderausweise, mit denen man die Mitspieler um lebenswichtige Körperteile bringt. Spätestens explodierende Kolotomiebeutel und Windeln als Rüstung kratzen dann allerdings doch merklich an der Grenze des guten Geschmacks. Besondere Beachtung verdient eine noch relativ junge Mod zu „Half-Life 2“, die völlig anders funktioniert als übliche Total Conversions und uns in ungeahnte Dimensionen des Schwachsinns entführt: „Garry's Mod“ verwandelt den Kult-Egoshooter in eine Art virtuellen Sandkasten. Alle Gegenstände und Figuren des Spiels können aus gewohnter Shooterperspektive in den Levels positioniert, miteinander verschweißt, mit Scharnieren oder Seilzügen verbunden oder auch mit steuerbaren Raketentriebwerken versehen werden. Figuren können mit der Gravity-Gun in beliebigen Posen aufgestellt und ihre Mimik nach den eigenen Wünschen verzerrt werden, Gegenstände können auch einfach mitten in die Luft gesetzt oder mit Luftballons verbunden werden, die sie in die Höhe ziehen. Viel interessanter als die Mod selbst ist allerdings die Bandbreite des Unsinns, den sie hervorgebracht hat: Viele User nutzen die Mod zum Beispiel, um damit Comics zu machen: Eine Comicreihe mit dem schönen Namen „Afrozombie“ erzählt etwa von den Abenteuern eines geistig minderbemittelten „Halferniedrigenden Plexiglas-Laufbälle, in welche die Hamster seit Ewigkeiten eingesperrt waren, werden zu „Balls Of Destruction“, die den Ausbruch aus der Internierung der Zooläden ermöglichen. In ihren vernichtenden Kugeln planieren die frustrierten Kleintiere alles, was ihnen vor die Schnurrhaare kommt, um am Ende vielleicht einmal „Grand Master Hamster“ zu werden. Aber auch wer als Kind kein Haustier hatte, findet geeignete Mods: So macht „Toy Warz“ aus „Battlefield Vietnam“ eine Schlacht zwischen Teddybären und Spielzeugsoldaten, die Salzstreuer als taktische Deckung nutzen, Deosprays als Flammenwerfer einsetzen und mit Keksschachteln als Schlachtschiffen aufbrechen, die heimische Badewanne zu überqueren. Und im thematisch verwandten „Lego Warz“ treten statt der Soldaten von „Operation Flashpoint“ kleine dänische Plastikkerlchen gegeneinander an. In der düsteren Zukunftswelt dieser Mod ist die Legoproduktion eingestellt worden, und die Legomenschen müssen um den begehrten Rohstoff der Legosteine kämpfen, in welche sie sich fortan gegenseitig zu zerlegen trachten. Vollends grotesk wird es schließlich in der - sich noch in der Frühphase befindlichen - „Golden Years“-Mod zu „Unreal Tournament 2004“. Senioren-Skins, Shopping- Mode und Bingo-Deathmatch versuchen scheinbar, auch die Zielgruppe 60+ mit dem Egoshooter zu versöhnen. Als Waffen soll es neben Spazierstöcken und den dritten Zähnen (als Wurfgeschosse) auch Spezial- Items wie die Alzheimer-Gun geben, die die Tastaturbelegung des Gegners durcheinander bringt, oder Organ-Life“-Zombies mit Afrofrisur, der von einem Combine- Soldaten ins Herz geschlossen und adoptiert wird und ihn fortan mit seinem ständigen Geplapper in den Wahnsinn treibt. Schließlich wird der kuchensüchtige Zombie sogar in die Polizeitruppe von City17 aufgenommen. Spätestens wenn dann der G-Man ebenfalls mit einem (regenbogenfarbenen!) Afro auftaucht und mit den Combine-Soldaten und Afrozombie zu einer Musicalnummer über die Mutter des Zombies zu tanzen beginnt, stellt sich besorgtes Stirnrunzeln ein. In „Pimp My Mingebag“ übernimmt der G-Man derweil die Moderation einer beliebten MTV-Sendung und lässt die Schrottkarren von Onlinezocker-Proleten in der Werkstatt „Lost Coast Customs“ aufmotzen. Im Comic „Why Combine Don't Run McDonald's“ erfahren wir endlich, warum Mutantensoldaten keine vernünftigen Cheeseburger zubereiten können und der „Half-Life“-Oberbösewicht Breen allergisch gegen eingelegtes Gemüse ist. „Secret Agent Melon“ erzählt von den Abenteuern einer gewaltbereiten Melone, die als Doppelnull-Agent des Secret Service ihren Lebensunterhalt bestreitet. Vor allem aber hat „Garry's Mod“ eine schier unüberschaubare Vielzahl an neuen Minigames und Mod- Mods hervorgebracht: Spieler bauten sich düsengetriebene Snowboards oder schweißten NPCs auf Holzbretter, um mit ihnen Ski-Wettrennen zu veranstalten. Andere fingen an, sich aus Schrott Kricketfelder zu bauen und Online-Gravity-Gun-Kricketmatches abzuhalten. Wieder andere spielten per Internet Verstecken und tarnten sich, indem sie sich gegenseitig in der Farbe des Raumes ansprühten. Wieder andere schweißten Anhänger auf riesige Antlion-Guards, um auf ihnen wie auf Elefanten reiten zu können, oder veranstalteten Online-Völkerballturniere mit Dynamitstangen. Beim Container-Weitsprengen misst ein unabhängiger Schiedsrichter die Flugweite von um die Wette gesprengten Müllcontainern, und beim Airsurfing-Deathmatch versuchen auf fliegenden Türen reitende Spieler, sich über einem Feld voller rotierender Sägeblätter gegenseitig den Garaus zu machen. Ein paar Kreative stellten „Donkey Kong“ nach und ließen einen Spieler in der Rolle Marios Leitern hinauflaufen, auf denen ein anderer Spieler von oben in der Rolle des wilden Affen explosive Fässer hinunterrollen ließ. Egal ob Melonen-Basketball, Duelle mit selbst gebastelten Lichtsäbeln, Memory-Spiele mit explosiven Fässern oder Online-Gesangscontests per Headset: Der Fantasie scheinen in „Garry's Mod“ keine Grenzen gesetzt zu sein, Zocker werden zu Moddern. Und für die kommende Version 8.4 hat Garry bereits jetzt ein besonders schönes Feature angekündigt: Die Spieler können sich in Melonen verwandeln und zum Deathmatch gegen Headcrabs antreten. Text: Danny Kringiel
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von Volker Hansch / November 10th, 2005 /

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