Liebesspiele

Liebesspiele

"Videospiele sind erwachsen geworden", heißt es schon seit Jahren. Klar, man kann Leuten superrealistisch in den Kopf schießen und ausgewachsene Rennwagen fahren. Nur in einer Sache sind sie bestenfalls pubertär: wenn es um Sex geht. Oder etwa nicht? Unser Special klärt auf

Sex in Videospielen ist ein heikles Thema. Das heißt, eigentlich nicht. Denn eigentlich existiert Sex in Videospielen gar  nicht. Vielleicht finden wir die Brüste, die sich unter dem engen Shirt von Lara Croft abzeichnen, oder die breiten Schultern von Sam Fisher irgendwie sexy. Vielleicht spielen wir Kasumis „Dead Or Alive“ nicht nur wegen seiner filigranen Moves oder Tommy Vercetti, weil er so gut Autos klauen kann. Und, ja, vielleicht macht es uns sogar ein bisschen an, uns vorzustellen, was passiert, wenn in „God Of War“ die Kamera auf eine immer heftiger wackelnde Vase blendet, während der Kriegsgott Kratos mit zwei Frauen im Bett ist. Aber Sex im Videospiel, richtiger Sex zum Angucken und Mitmachen, ist kein Thema. Der letzte große Erfolg eines Videospieles, in dem Sex stattfand, war eigentlich in den Achtzigern auf dem C64, als das Spiel „Sex Games“ durch die Kinderzimmer gereicht wurde und die Pubertierenden kichernd beim pixeligen Gruppensex den Knüppel aus dem Joystick rausrüttelten.  Doch seit einigen Wochen wird verstärkt über Sex in Videospielen debattiert - sogar im Weißen Haus in Washington. Auslöser dafür ist die so genannte Hot- Coffee-Mod. Die schrieb der Holländer Patrick Wildenborg, nachdem er beim Herumstöbern in den Programmdaten von „GTA San Andreas“ auf einen normalerweise nicht aufrufbaren Programmteil stieß. Durch minimale Manipulationen im Code lässt er sich freischalten und ist dann spielbar. Doch was lässt sich da Gefährliches freischalten, das den Senat mit einer Mehrheit von 355 zu 21 Stimmen dazu bewog, eine Untersuchung gegen den „GTA“-Publisher Take Two einzuleiten? Antiamerikanische Inhalte? Präsidentenhäme? Nein. Die Mod ermöglicht es dem Spieler lediglich, mit den Mädchen, mit denen Carl Johnson im Spiel flirtet, auch ins Bett zu steigen und mit ihnen in verschiedenen Stellungen Sex zu haben. Dabei behält „CJ“ übrigens Jeans und Shirt und seine Partnerin die Unterhosen an. In einer Eilaktion erhielt das Spiel mit der nur für Computerfüchse spielbaren Sexszene trotzdem ein „Ab 18“-Rating. Mehrere große Supermarktketten in den USA, unter anderem Walmart, nahmen „GTA San Andreas“ daraufhin aus dem Programm - für Take Two entstand ein Schaden in Milionenhöhe. So viel Aufhebens um ein bisschen Sex. Dabei verkaufen sich doch eigentlich eine Menge Spiele über Sex. Oder eben zumindest über ein Versprechen von Sex. Da wären zum Beispiel die dürftig bekleideten Mädels in Beat'em-ups mit ihren wackelnden Brüsten und den immer wieder aufblitzenden Höschen, ein Phänomen, das in dem schlammcatch-Spiel „Rumble Roses“, wo die Frauen praktisch am laufenden Band ihren Schritt in die Kamera halten, seinen absurden Höhepunkt erreichte. Oder bei „Playboy: The Mansion“. Da behalten Herr wie Hase bei etwas, das mehr wie Hoppe-Hoppe-Reiter als wie der fantasievolle Sex eines Erotikweisen aussieht, die Unterhosen an. Heavy Petting für Hugh Hefner, den Besitzer des größten Sexmagazins der Welt? Bitte. Dann gibt es natürlich noch den letzten Teil der „Larry“-Serie, wo man irgendwie schon Sex hat - wenn Sex bedeutet, als Pflock verkleidet einen Cheerleader zu vermöbeln, während man wie bei einem Tanzspiel hektisch auf die Buttons prügelt. Während die Entwickler sich also alle Mühe geben, das Töten in Videospielen, das Zerfetzen von Körpern mit Schrotflinten, Maschinengewehren und Handgranaten, immer realistischer werden zu lassen, ist die Darstellung von Sex, der „natürlichsten Sache der Welt“, eine pubertäre Lachnummer. Die Industrie bedient mit ihren Sexspielchen ein Klischee von kindsköpfigen Spannern und schmerbäuchigen Voyeuren, nicht erwachsene Videospieler mit gutem Geschmack - und vor allem echten, befriedigenden sexuellen Erfahrungen. Interessant ist da, dass es bei den wirklich guten Ansätzen für Sex im Videospiel eigentlich gar nicht um Sex geht, sondern um Liebe. Zum Beispiel bei dem Nintendo-DS-Spiel „Projekt Rub“. Dort besteht die Aufgabe des Spielers oder der Spielerin nämlich darin, ein Mädchen in sich verliebt zu machen. Heldenhafte Prüfungen müssen dafür bestanden werden, wie zum Beispiel, das Mädchen vor einer Stampede wild gewordener Büffel zu beschützen. Aber es geht auch um sanfte Berührungen. An einer Stelle des Spiels ist sie schmutzig geworden, und der Spieler muss mit vorsichtigen Berührungen des Touch-Screens den Schmutz fortwischen. Wer eklig oder unsanft antatscht, verliert das Spiel und die Gunst des Mädchens. Durch das Touchpad wird es dem Spieler möglich, eine Erfahrung zu machen, ähnlich der der schüchternen Berührungen beim ersten Date. Das zweite Beispiel ist das „Sims“-Expansion-Pack „Hot Date“. Auch hier geht es nicht darum, das Gegenüber ins Bett zu bekommen, sondern vielmehr darum, es zu heiraten. Trotzdem zeigt das Gameplay bravourös, wie viele Gedanken sich hier über die Komplexität menschlicher Gefühle gemacht wurden. Anstatt jemanden einfach nur zu grüßen, kann man nun erstmals in der Welt der Sims wie im Alltagsleben entscheiden, ob man jemandem von weitem zuwinken oder hingehen und ihm die Hand geben will. Anstatt seinen Nachbarn einfach kurz an sich zu drücken, muss man nun überlegen, ob man ihn kumpelig umarmen oder romantisch an sich pressen möchte. Dies alles ist besonders wichtig bei einem Date. Denn hier kommt es darauf an, nichts Unangemessenes zu tun oder zu sagen. Sonst steht der potenzielle Partner, wie im richtigen Leben, auf und geht. Und damit sich die Sims auch etwas zu erzählen haben, wurde außerdem ein neues Atribut hinzugefügt: Interessen. Die Sims können Magazine lesen, um ihr Wissen über Themen wie Geld, Wetter oder die sechziger Jahre zu vertiefen. Denn, wieder wie im richtigen Leben, wenn die Interessen nicht zumindest ein wenig übereinstimmen, wird auch die engagierteste Unterhaltung über kurz oder lang fade. Das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrungen Sowohl „Projekt Rub“ als auch „Sims: Hot Date“ zeigen, auch wenn sie bestenfalls sexy sind, was möglich und was nötig ist in Sachen Sex in Games. Natürlich gibt es auch zur Genüge Pornospiele, die auf Webseiten wie Adultgamerreviews.com danach bewertet werden ob Analsex im Kerker möglich ist und wie rabiat sich der First-Person-Penis einführen läßt. Das kann Spaß machen. Doch das ist Porno - nicht Sex. Denn Sex im Spiel sollte nicht geile Grafik und explizite Zurschaustellung, also kein Selbstzweck, sein. Sex im Spiel sollte dem Charakter etwas hinzufügen, den man lenkt. Sex im Spiel sollte eine romantische und erotische Herausforderung sein oder auch ein schneller, harter Fick im Fahrstuhl - je nachdem, was dem Charakter entspricht, denn schließlich geht es in Videospielen doch immer mehr darum, eine Welt zu kreieren, die das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrungen widerspiegelt. Hierbei ist die Fantasie der Entwickler gefragt. Denn Sex ist kein Tanzspiel, bei dem man rhythmisch auf die Tasten haut, und er gleicht in den seltensten Fällen dem tumben Hin- und Herrütteln eines Joysticks. Außerdem sollte man nicht vergessen, dass große Produktionen wie „GTA San Andreas“ Spiele für ein Massenpublikum sind. Die Darstellung von Sex sollte also geschmackvoll bleiben. Der „Hot Coffee“-Sex, in dem Johnson mit dem Feingefühl eines Teenagers pimpert, verhält sich zum Rest des Spiels ein bisschen so, als hätte jemand eine Pornofilmszene in „Der Pate“ reingeschnitten. Es gibt doch heute in fast jedem Hollywoodfilm Sex, der dezent und trotzdem nicht prüde wirkt. Unter hauchdünnen Bettdecken, in geschmackvollen Perspektiven und respektvollen Anschnitten. Explizite Sexszenen könnte es natürlich auch geben. In Spielen mit künstlerischem Anspruch wie „Killer 7“, wo eine der Pornografie entlehnte Sex- oder sogar Vergewaltigungsszene dem Universum vielleicht etwas hätte hinzufügen können. Schließlich feiern auch Filme wie Larry Clarks „Ken Park“ oder der Skandalkunstfilm „Baise Moi“ Erfolge bei einem kleinen, aber verständigen Publikum. Erwachsene Videospiele Sex in Videospielen als Teil eines schlüssigen virtuellen Universums zu integrieren, ist also eine Aufgabe, der sich die Entwickler stellen müssen. Dabei sollten sie es sich nicht einfach machen und aus Angst vor 18er-Ratings oder gar Indizierung jeden Versuch unterbinden. Schließlich ist es ihnen ja auch über die Jahre gelungen auszutarieren, wie blutig die Körper der Gegner in einem Videospiel ableben dürfen, damit man ein 16er- oder sogar 12er-Rating erhält. Bisher gibt es eigentlich nur ein Spiel, das zumindest den erzählerischen Anforderungen von Sex im Spiel gerecht wird. In "Fahrenheit“ schlafen der Protagonist Lucas Kane und die Ermittlerin Carla sehr einfühlsam miteinander, nachdem sie über ihre Ängste vor einem möglichen Weltuntergang gesprochen haben. Dies ist ein erster Schritt. Allerdings noch sehr filmisch, eine Szene zum Anschauen, die den Charakteren etwas hinzufügt. Worauf wir warten, ist richtiger interaktiver Sex in Videospielen. Bei dem wir das Feingefühl oder die Härte bestimmen können, bei dem wir uns am Joypad als einfühlsame Liebhaber und Liebhaberinnen beweisen oder miese Rauf-rein-runter-Männer und -Frauen herausstellen können. Also, liebe Entwickler. Es wird Zeit. Wenn alle darüber reden, dass Games erwachsen werden, dann wollen wir Spieler und Spielerinnen auch nicht mehr behandelt werden wie pubertierende Gaffer. Gebt euch einen Ruck. Denn wir wollen Sex haben, vögeln, beischlafen, bumsen, kopulieren, Liebe machen! Text: Benjamin Maack
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von Volker Hansch / November 10th, 2005 /

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