Game-Gier

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Angel Munoz, ehemaliger Investmentbanker aus Puerto Rico, kämpft dafür, dass Computerspielen als Sport anerkannt wird. Mit allen Mitteln

Angel Munoz sei der wichtigste Computerspieler der Welt, sagen manche Leute. Die Spiele, die er auswähle, sagen sie, zeigten seinen guten Draht zur Szene. Andere sagen, Munoz sei ein Diktator. Er versuche anderen Spielern seinen Geschmack aufzuzwingen, bade im Mainstream und wolle die Computerspielszene beherrschen. Die „Zeit“ bezeichnete ihn als „Mann, der in der Computerspielwelt die Fäden in der Hand hält“, und die „Dallas Morning News“ aus Texas nannte ihn kürzlich anerkennend den „Propheten“ aller Spieler. Munoz selbst sagt, er sei auf einer Mission. Angel Munoz ist der Präsident der Cyberathlete Professional League, kurz CPL, der, laut eigener Aussage, größten E-Sport-Liga der Welt. Er gründete die Organisation 1997 in Dallas. Er tat das, weil ihm langweilig war, weil er gern am Computer spielte, und weil er reich war. „Ich wollte mit meinem Geld etwas machen, was mir Spaß macht“, erzählt er. Dabei hatte er eigentlich nichts mit Computerspielen zu tun. 1960 in New York geboren und aufgewachsen in Puerto Rico, wollte er ursprünglich Arzt werden, ließ sich aber von einem Freund umstimmen, der ihm erzählte, dass man viel Geld mit Aktien verdienen könne. „Ich habe das Talent, Geld zu vermehren, wohl geerbt“, sagt er, „mein Vater und mein Großvater waren schon Inhaber erfolgreicher Geschäfte.“ Zwar gründete Munoz kein Geschäft, aber er wurde 1984 Broker in Florida. Genau zur richtigen Zeit. Als Ronald Reagan 1980 US-Präsident geworden war, pumpte er Unmengen von geliehenem Geld in den amerikanischen Wirtschaftskreislauf, zwar brach das Haushaltsdefizit einen Rekord nach dem anderen, aber die Wirtschaft wuchs. Die Achtziger waren ein einziges Jahrzehnt des Wirtschaftswachstums, die Aktienmärkte schossen in die Höhe. Der Handel mit Firmenpapieren war eine Lizenz zum Gelddrucken. Angel Munoz wurde reich. Und bald wurde ihm langweilig. 1987 verließ er Miami, er sah dort keine Möglichkeit mehr, sich weiter zu entwickeln. Außerdem wollte er der Familientradition folgen und ein eigenes Geschäft gründen. Er ging nach Dallas und eröffnete seine eigene Investmentbank, New World Investments. Die Firma spezialisierte sich auf die finanzielle Unterstützung von Elektronikfirmen. „Fernseher, Staubsauger, alles.“ Zwar spielte Munoz manchmal als Ausgleich zu seinem Job Arcadespiele wie „Afterburner“, „Pac-Man“ und „Out Run“, aber eigentlich betrachtete er Spielen als Zeitverschwendung. „Ich fand Spielen langweilig, ich wollte nicht meine Zeit damit verbringen, einen Geschwindigkeitsrekord aufzustellen oder gegen einen Computer zu spielen.“ Außerdem wollte er keiner von diesen Computerspielern werden, die den ganzen Tag nichts anderes tun. „Anfang der Neunziger hatte ich eine echte Abneigung gegen Spiele entwickelt“, erzählt er. Etwa zur selben Zeit mietete sich eine kleine, unbekannte Softwarefirma ein Büro genau neben dem Büro von New World. „Wir hatten unsere Eingänge fast nebeneinander, aber ich beachtete sie nicht besonders. Irgendwann gab mir ein Freund eine Diskette mit einem Spiel, er sagte, das hätten die Kollegen von nebenan gemacht. Das Spiel sei noch nicht fertig, es wäre nur eine Arbeitsversion, aber trotzdem, ich sollte es mal spielen.“ Das Spiel landete umgehend in einer Ecke. Dort lag es ein paar Wochen lang, bis Munoz es doch in seinen Rechner schob. „Das war der Moment, der für mich alles änderte“, erklärt er theatralisch. „Das Spiel war eine Revolution.“ Der Name des Spiels war „Doom“. Es ließ ihn nicht mehr los. Plötzlich war Spielen nicht mehr langweilig. Im Gegensatz zu den Arcadespielen konnte man hier gegeneinander antreten, man bekämpfte nicht mehr nur imaginäre Computerfeinde. „Der Unterschied zum Arcadespielen war für mich, dass ich immer nur in die Halle ging, wenn ich gerade Zeit hatte. Wenn ich es nicht tat, vermisste ich das Spielen nicht. Nach ,Doom‘ war ich regelrecht süchtig.“ In dem Moment, in dem Munoz das Spielprinzip erfasst hatte, stand sein Entschluss fest, Teil des Videospielgeschäfts zu werden. Der Weg dahin war allerdings weit beschwerlicher, als es sich der Multimilionär vorgestellt hatte. „Hör mal“, sagt Angel Munoz. „Ich wollte den Leuten von der Softwarefirma nebenan Geld geben für die weitere Entwicklung des Spiels, aber sie wollten nicht. Sie wollten kein Geld, kannst du dir das vorstellen? Als ich zu ihrem Büro ging, machte mir niemand die Tür auf. Also versuchte ich anzurufen. Es klingelte ein paarmal, und dann startete ein Anrufbeantworter. Er sagte: ,Falls du bei einer Investmentfirma angestellt bist, dann kannst du dir die Mühe sparen. Mit Leuten wie dir wollen wir nichts zu tun haben. Danke für deinen Anruf. Auf Wiederhören.‘“ Munoz lacht. Er sagt: „Es war schwer für mich, Zugang zu finden, weil ich ein kompletter Außenseiter war.“ Mit Bankern wollte niemand etwas zu tun haben. Aber er blieb dran, er versuchte es immer wieder, er ging auf die richtigen Partys, er spielte die Testversion von „Doom“, er wurde gut darin. Es nutzte alles nichts, id Software, die Firma, die den Egoshooter herstellte, finanzierte das Spiel ohne ihn. Mit der Zeit lernte Munoz allerdings viele Spieler und Softwarespezialisten kennen. Manche von ihnen spielten mit dem Ehrgeiz eines Leistungssportlers. Munoz war davon zutiefst beeindruckt, er fing an, sich intensiv mit Computerspielen zu beschäftigen. 1995 startete er eine eigene Webseite, avault.com. Er besprach dort Computerspiele. Anfangs war die Seite als Hobby gedacht, mehr nicht. Im Laufe kurzer Zeit wurde sie allerdings zu einer der bestbesuchten Games-Seiten im Internet, mittlerweile hat sie etwa 100000 Zugriffe täglich. Nachdem die Seite so gut angenommen wurde, hatte Munoz endgültig keine Lust mehr auf Investmentbanking. Er überlegte, was er stattdessen tun könnte. Etwas mit Computerspielen, das war klar. Irgendwann fiel ihm dann das Wort ein, einfach so. Cyberathlete. Der Begriff ist heute rechtlich geschützt. „Ich wollte Computerspielen als Sport etablieren. Ich wollte es so aufziehen wie die Football-Liga. Ich wollte, dass das Fernsehen Computerspiele überträgt.“ Angel Munoz wollte eine Computerspiel-Liga gründen. Er erzählte seinen neuen Freunden von dem Plan. Sie lachten ihn aus. „Spieler, potenzielle Sponsoren und Vertreter der Industrie sagten mir, dass ich ein größenwahnsinniger Trottel sei.“ Mitte der Neunziger gab es niemanden, der im großen Stil und dauerhaft Computerspielwettbewerbe organisierte. Vielleicht kann man ja erst mal ein Turnier veranstalten, dachte er. Irgendwann, war er sicher, werde es jemand tun, und dieser jemand werde Geld damit verdienen. Warum sollte er es nicht sein? Er sagt: „Stell dir vor, du hast eine gute Idee, und du unternimmst nichts. Du lässt die Idee Idee sein. Dann bekommst du mit, wie jemand anderes sie umsetzt, und fünf Jahre später ist es ein Riesentrend. Was kann es Schlimmeres geben? Abgesehen davon hatte ich keine Lust mehr, nur die Ideen von anderen Leuten zu finanzieren.“ Mittlerweile war es 1997. Munoz gründete die Cyberathlete Professional League. Die Liga gehörte ihm, und das tut sie immer noch, er ist ihr uneingeschränkter Chef, noch heute hält Munoz sechzig Prozent der Anteile an der CPL. Sie ist, genau wie die Website, Teil seiner Investmentfirma New World. Noch im selben Jahr startete das erste Turnier der CPL in Dallas mit 200 Spielern. Die Liga wurde schnell größer. Sie veranstaltet mittlerweile hoch dotierte Computerspielturniere auf allen fünf Kontinenten, große Lan-Partys, insgesamt 45 seit ihrer Gründung vor acht Jahren. Die Turniere erinnern an frühere Verabredungen im Freundeskreis, nur größer. 50000 Spieler haben seit 1997 um mehr als drei Millionen Dollar Preisgeld gekämpft, gestiftet von so namhaften Sponsoren wie Intel, Microsoft und Nvidia, erspielt mit Egoshootern. 300000 Spieler sind nach Ligaangaben weltweit im ständigen Wettkampf. Alleine bei den kommenden „Counter-Strike“-Winter-Championships im Dezember in Dallas geht es um ein Preisgeld von 60000 Dollar. Beim letzten Treffen in der texanischen Metropole waren mehr als 5000 Spieler vor Ort. Aber darum geht es ihm nicht, sagt Angel Munoz. „Ich weiß nicht, warum andere Leute morgens aufstehen, aber ich weiß, was mich antreibt. Ich bin besessen. Ich will, dass Spielen im Fernsehen übertragen wird, ich will, dass Computerspielen ein Massensport wird, ich will einen regelmäßigen Ligabetrieb. Ich bin besessen“, betont er noch mal. „Und wenn es zwanzig Jahre dauern sollte, diese Ziele zu erreichen, dann dauert es eben zwanzig Jahre.“ Vielleicht braucht es aber gar nicht mehr so lange. Erst vor kurzem hat die CPL Verträge mit MTV unterschrieben, der Musiksender überträgt in Zukunft Turniere der Liga. Munoz ist sich sicher: „Das ist nur ein erster Schritt“. „Es ist nicht so, dass nur PC-Nerds auf unseren Veranstaltungen sind, früher war das vielleicht so, früher sah ich selbst so aus. Ich war ziemlich fett, 130 Kilo. Ich konnte natürlich nicht überall erzählen, dass Spieler ganz normale Menschen sind, und selbst wie ein lebendes Klischee aussehen. Das Abnehmen hat drei Jahre gedauert, in der Zeit hat sich auch die Szene gewandelt, ich meine, ich bin jetzt 45 Jahre alt, noch vor kurzem hätte ich der Vater der meisten Teilnehmer auf unseren Turnieren sein können. Aber mittlerweile sind auch 40- und 50-jährige Spieler dort.“ Computerspielen sei auf dem Weg, aus seinem Ghetto auszubrechen, erklärt Munoz. Wenn Billard, Dart, Curling und Wettangeln im Fernsehen übertragen werde, „warum dann nicht auch ein ,Painkiller‘-Turnier?“, fragt er. „Mit welcher Berechtigung wird Computerspielen die Eignung als Sport abgesprochen?“ Aber nur mal angenommen, Herr Munoz, es klappt nicht? Angenommen, der Schritt von MTV zu CBS und NBC wird nicht gegangen? Was dann? „Das wird schon nicht passieren“, macht er sich selbst Mut. „Ich arbeite so lange weiter, bis es klappt. Schließlich habe ich die Unterstützung von Tausenden von Spielern und der gesamten Industrie.“ Außerdem, sagt er, werde sich die Frage nicht mehr stellen, wenn die Leute, die in den Achtziger und Neunzigern aufgewachsen sind und für die Spielen ein natürlicher Teil ihres Alltags war, in Machtpositionen gekommen sind. Einen Flop hat Munoz allerdings schon gelandet. Denn getreu seinem Vorbild, der National Football League, wollte er Teams gründen und diese dann an interessierte Werbekunden verkaufen. Die CPL sollte sich so über die ganzen USA ausdehnen, um einen permanenten Spielbetrieb zu gewährleisten, ein richtiges Ligasystem sollte entstehen, die Firmen als Franchise-Unternehmen funktionieren. Am Ende dieses Weges ständen Profispieler, bezahlt von Computerfirmen, die sich mit ihnen schmücken und die Spieler auf Turniere schicken. Organisiert wie ein Sport, wäre es nur noch ein kurzer Weg, Computerspielen als Sport im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern. So weit das Kalkül. Es klappte nicht. Denn so groß war das Interesse der Softwarefirmen dann doch wieder nicht. Bis heute sind die meisten Menschen über dreißig eben doch keine Computerspieler, geschweige denn haben sie ein Interesse daran, anderen Leuten beim Spielen zuzusehen. Zwar wird immer wieder behauptet, dass Spielsoftware mittlerweile mehr Geld umsetze als Hollywood, diese Rechnung geht allerdings nicht auf, da in solchen Zählungen immer nur die Erstveröffentlichung ausgewertet wird. Hollywood verdient noch an der DVD- und Fernsehverwertung. Spiele haben diese Möglichkeit nicht. Der Markt bleibt eine Nische, eine große zwar, aber trotzdem eine Nische. Und in dieser Nische wird um jeden Spieler gekämpft. Die CPL ist nicht die einzige Organisation dieser Art, die Konkurrenz unter den Turnierveranstaltern ist groß. Neben der CPL versuchen auch die Quakecon, die Association Of Gaming Professionals, die Electronic Sports League, die Major League Gaming und die World Cyber Games sich ein möglichst großes Stück am finanziellen Kuchen abzuschneiden. Letztere sagt von sich, sie sei die größte Organisation für Spieler. Das behauptet die CPL allerdings auch von sich. „Geschäft ist immer eine Form des Krieges“, sagt Munoz. „Deine Wettbewerber sind immer auch deine Feinde.“ Er hat das aus einem seiner Lieblinsbücher: Sun Tsus „The Art Of War“. Besser noch als den Widerstand der Gegner zu brechen sei es, ihn ohne Gewalt zu brechen. Man dürfe erst gar nicht in die Verlegenheit einer Auseinandersetzung kommen. Wenn es sich allerdings nicht vermeiden lasse, müsse man kompromisslos sein. Deswegen ist es für andere Veranstalter auch unmöglich, „Painkiller“-Turniere zu veranstalten, da die CPL einfach die Rechte an dem Spiel gekauft hat. Die CPL legte ihre Turniere zudem in diesem Jahr genau auf die Termine ihrer wenigen Konkurrenten. Trotz großer Empörung in der Szene hat Munoz bereits angekündigt, dass er diese Strategie auch im nächsten Jahr verfolgen werde. „Ich mache, was ich will, ich sehe nicht auf andere Leute“, erklärt Munoz. „Ich kann nicht erwarten, dass die Spieler das Geschäft verstehen, sie kümmern sich nur um das Spielen.“ Er müsse schließlich organisieren, das große Ganze im Auge behalten, er habe zwar Spaß an dem, was er tue, aber er wolle auch nicht untergehen. Ist Munoz also ein eiskalter Geschäftsmann? Oder ist er ein begeisterter Spieler? Die Antwort auf beide Fragen ist dieselbe. Munoz spielt, um zu gewinnen. Sowohl als Videospieler als auch als Geschäftsmann. „Jeder will schließlich die Nummer eins sein“, sagt er. Text: Philipp Kohlhöfer
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von Volker Hansch / Januar 10th, 2006 /

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