Rollenspiel

Rollenspiel

"Videospiele sind überflüssig", sagt ausgerechnet Keita Takahashi. Mit seinem Spiel "Katamari Damacy" verbuchte er einen Riesenerfolg. Jetzt erscheint mit "We ♥ Katamari" der zweite Teil des Spiels. Und wieder macht man darin nichts anderes, als einen klebrigen Ball durch die Gegend zu rollen. Klingt alles ein wenig merkwürdig? Nicht, wenn man Takahashi kennt

Videospiele sind überflüssig“, sagt Keita Takahashi, der Mann, dessen Spiel „Katamari Damacy“ die Überraschung schlechthin der letzen Jahre war. Ein Spiel, das auf einer einzigen, einfachen Idee basiert. Eine Art Ball, ein so genannter Katamari, wird gerollt. Und alles, was kleiner ist als der Ball, bleibt dran kleben. So wird der Ball immer größer, und immer größere Dinge bleiben daran kleben. Erst Büroklammern, dann Kleingeld, Radiergummis, Kekse, Stifte, Kassetten, Bauklötze, Doughnuts, Schuhe, Tauben, Bücher, Ananas, Katzen, Hunde, Schweine, Regenschirme, Pokale, Stühle, Tische, Sträucher, Fahrräder, Kinderwagen, Marktstände, Absperrgitter, Autos, Fußballtore, Bäume, Giraffen, Laster, Häuser, Schiffe, Inseln, Wolken und so weiter. All das rollt ein winziges Männchen mit seinen spiddeligen Ärmchen durch eine knallbunte, stilisierte Fantasiewelt. Das ist schon alles. Und doch nur ein ganz kleiner Teil der Faszination „Katamari Damacy“. Für Takahashi selbst war es dabei noch nicht einmal besonders wichtig, eine simple wie geniale Spielidee zu schaffen. Er wollte einfach etwas schaffen, was den Menschen Freude macht. Das war schon früher so, als er Bildhauerei studierte und Skulpturen fabrizierte. Zum Beispiel eine riesige Kleenex-Box in der Gestalt eines Nilpferds. Oder einen Blumentopf in Ziegenform, der, wenn die Blumen gegossen wurden, lospinkelte. Beides mindestens so überflüssig wie Videospiele. Das fand auch Takahashi selbst. So wie ihm die ganze Kunstwelt im Grunde nutzlos vorkam. „Ich fragte mich, ob Künstler überhaupt etwas zur Gesellschaft beitragen. Ich fürchtete, sie sind nur für sich selbst relevant“, erinnert er sich. Aber immer wenn er sah, wie jemand seine Skulpturen berührte und dabei lächelte, dann erfüllte ihn das mit dem Gefühl, etwas Sinnvolles geschaffen zu haben. Trotzdem wandte er der Bildhauerei den Rücken zu, um fortan in Videospielen Figuren zu formen. Er sah in Games „eine besondere Medienform, die es vielen Menschen über alle Grenzen hinweg ermöglicht, Spaß zu haben.“ Allerdings blieb das lange Zeit pure Wunschvorstellung, denn keines der Spiele, an denen er in seiner Anfangszeit als Grafiker bei Namco arbeitete, wurde jemals fertig gestellt. Andere Titel, die sich in der Entwicklung befanden, waren ihm zu gewöhnlich, zu ähnlich oder Fortsetzungen. Und auf Fortsetzungen hat er aus Prinzip keine Lust. Die sind nämlich für ihn ein Grund dafür, dass es „der Games-Branche an Innovation fehlt und immer nur die gleichen Zielgruppen angesprochen werden“. Wer superrealistische Sportspiele spiele, könne doch besser rausgehen und wirklichen Sport machen. Er selbst spielt schon gar nicht mehr, „weil es zu langweilig ist". Also beschloss er, sein eigenes Spielprojekt zu starten. Ein Projekt, an das er glauben konnte. Denn „wenn du etwas machst, ohne Spaß daran zu haben, kannst du genauso gut tot sein“. Um nicht ein weiteres bedeutungsloses Videospiel zu machen, überlegte er, worauf es ankommt. „Stimulierend müssen Spiele sein“, sagt Takahashi, „sie müssen Gefühle wecken in den Menschen.“ Schöne Gefühle. Und das passiere nicht durch das Töten anderer oder das Rundendrehen im hunderttausendsten Rennspiel. Schöne Gefühle würden schon durch die einfachsten Dinge im Leben ausgelöst. „Jeder Tag ist voll davon“, ist Takahashi überzeugt. „Radfahren zum Beispiel ist toll oder am Meer barfuß durch den Sand laufen oder einfach mal hüpfen.“ Und natürlich Bälle rollen. Auf der Games Developer Conference im vergangenen Jahr hat Takahashi behauptet, die Idee zu „Katamari“ sei ihm im Zoo gekommen. „Ich sah, wie eine Pandamutter ihre Jungen durch die Gegend kugelte.“ Eine Lüge, wie er gleich darauf zugab. In Wirklichkeit habe er einfach an die unschuldige Freude gedacht, die ein Kind empfindet, wenn es einen Ball vor sich herrollt. Und wahrscheinlich hat er auch an seine Schulzeit gedacht. Denn tatsächlich gibt es bei den einmal im Jahr stattfindenden Sportfesten an japanischen Schulen den so genannten Undoukai, einen großen Ball, der von Kindern durch einen Parcours gerollt wird. Tamakorogashi heißt die Disziplin. Auch wenn Takahashi das nicht als direkte Inspirationsquelle angibt, so ist den Kindern der Spaß dabei doch deutlich anzusehen. Und das war es ja, wonach er für „Katamari Damacy“ gesucht hatte: die einfache Freude, die einen beim Rollen eines Balles erfüllt. Mit dieser Idee allein konnte er die Entscheidungsträger bei Namco allerdings nicht überzeugen. Im Sommer 2001 wurde seine Spielidee abgelehnt. Aber Takahashi glaubte so fest daran, dass er außerhalb der Firma, zusammen mit Studenten der Akademie „Digital Hollywood“, einen ersten spielbaren Prototypen entwickelte. Den legte er im Frühling 2003 erneut bei Namco vor. Die Verantwortlichen spielten und staunten. Denn tatsächlich machte „Katamari Damacy“ einen Riesenspaß. So bekam Takahishi grünes Licht für das Projekt. Und im März 2004 war das Spiel fertig. Um die Grundidee seines kosmischen Katamaris herum hatte er eine abstruse Geschichte gestrickt. Vom großen König des Kosmos, der im Suff alle Sterne vom Himmel gefegt hat, und dem fünf Zentimeter kleinen Prinzensohn, der mit dem Katamari auf der Erde genug Zeug aufrollen muss, dass sein Vater daraus neue Sterne machen kann. Völlig durchgeknallt das Ganze und fast schon psychedelisch. Auch der Introfilm erinnert mit seinem abgedrehten Collagestil inklusive Cancan tanzender Pandabären angenehm an das „Yellow Submarine“ der Beatles. Parallel zu der Vater-Sohn-Geschichte werden noch die Erlebnisse der Familie eines Astronauten erzählt, dessen Flug zum Mond abgesagt wurde, weil auch der nicht mehr am Himmel ist. Selbstverständlich steht auch dieser Nebenschauplatz dem Hauptplot in Sachen Merkwürdigkeit in nichts nach. Der Spieler übernimmt natürlich die Rolle des kleinen Prinzen und versucht mit seinem Katamari alles aufzurollen, was ihm vor die Kugel kommt. Immer wieder entdeckt er dabei neue amüsante Kleinigkeiten und komplett absurde Arrangements in den Levels: Brathähnchen, die es sich auf einem Zaun gemütlich gemacht haben, Wrestler im Badeurlaub und an der Reckstange turnende Leningrad Cowboys. Das Rollen geht aufgrund der einfachen Steuerung sehr leicht von der Hand beziehungsweise den Daumen, denn gesteuert wird ausschließlich mit den beiden Analogsticks des Playstation-Controllers. Und zwar in etwa so, wie man einen Bagger steuert. Beide Sticks nach vorn, und der Katamari rollt voraus. Einen vor und einen zurück, und der Katamari dreht auf der Stelle. Beide links und beide rechts sowie alles dazwischen geht natürlich auch. Die einfache und simple Steuerung wurde von Namco sogar explizit beworben „No Buttons to press, no combos to cause distress“ – keine Knöpfe müssen gedrückt werden, keine verwirrenden Combos. Dieses Prinzip wurde so konsequent durchgehalten, dass sogar die Spielstände mit den Analogsticks angewählt werden. Kein Problem für niemand also. Den König des Kosmos zufrieden zu stellen ist allerdings weit weniger einfach. Aber dazu später mehr. Das Spiel schlug in Japan ein wie ein vom Himmel gefegter Stern. Nicht zuletzt wegen des Soundtracks. Ein Mix aus Videospielmusik, Jazz, Samba und Summen ergibt eine Fülle angenehmer Ohrwürmer, die nur schwer aus dem Kopf zu kriegen sind. Der Soundtrack, auf dem auch diverse zumindest in Japan bekannte J-Pop-Sänger zu hören sind, wurde dort sogar separat auf CD veröffentlicht. Der Erfolg des Spiels in Japan und Amerika  hat Takahashi ebenso wie Namco eiskalt überrascht. Und trotz der weltweiten Lobgesänge auf sein Spiel wollte er zunächst von einer Fortsetzung nichts wissen. Genau das war es ja, was er an der Games-Branche so furchtbar fand: den Fortsetzungswahn. „Würde man ab in zwei Jahren Fortsetzungen verbieten, wären die meisten Entwickler nach kurzer Zeit pleite“, witzelt er. Seiner Meinung nach sollte viel mehr Energie, Aufwand und Geld in neue, unbekannte Spielkonzepte gesteckt werden, um Videospiele als Ganzes weiterzuentwickeln. Doch er hatte seine Rechnung ohne Namco gemacht. Die begannen nämlich einfach mit den Arbeiten an einer Fortsetzung – auch ohne ihn. „Als ich das Konzept zur ,Katamari Weihnachts- Edition‘ in die Finger bekam, fühlte ich mich schlecht, geradezu schuldig, Ich dachte, dass ich den Fans von ,Katamari‘ so eine Abzocke nicht zumuten kann.“ Entgegen seiner Antipathie gegenüber Sequels entschloss er sich also doch, eine Fortsetzung zu machen: „We § Katamari“. Und er hat es tatsächlich geschafft, noch einen draufzusetzen. „We §  Katamari“ nimmt sich selbst überhaupt nicht ernst, ständig wird auch mit der Fortsetzungsthematik gespielt. Im Spiel sind lauter Fans zu finden, die gehört haben, wie toll „Katamari Damacy“ sein soll, und jetzt mal sehen wollen, wie der Prinz so rollt. Manche haben Extrawünsche und wollen Katamaris nur mit Autos drin oder Blumen oder Tieren. Andere müssen für die Uni lernen und bitten den Prinzen, ganz viele Glühwürmchen einzurollen, damit sie auch im Dunkeln lesen können. Oder sie wollen einfach nur Ordnung schaffen, und der Prinz soll mit seinem Zauberball das im Zimmer verstreute Zeug einsammeln. Und wenn man mit dem Katamari die gewünschte Größe innerhalb des Zeitlimits erreicht, sind sie immer ganz enttäuscht. Total langweilig sei das Spiel, und sie hätten sich das viel aufregender vorgestellt, und Katamari sei ja wohl ein riesen Reinfall und die Idee sowieso abgeguckt vom Schneemannbauen. Auch der König ist, wie schon im ersten Teil, selbstverliebt und nie zufrieden mit dem Ergebnis und macht den ohnehin schon kleinen Prinzen mit entmutigenden Worten noch kleiner. Nur wer wirklich viel mehr schafft, als am Anfang verlangt wird, bekommt mal ein paar gnädige Worte zu hören. Die Geschichten in den ab und an eingestreuten Zwischensequenzen sind kein Stück weniger skurril als im ersten Teil. Diesmal wird von der Kindheit des Königs des Kosmos erzählt und wie er seine Frau kennen lernte. Nur so viel sei verraten: Ein halbes Brot und eine abgeschnittene Haartolle spielen eine wichtige Rolle für den Beginn der Romanze. Trotz des Erfolgs des zweiten „Katamari“-Spiels in Japan und Amerika und eines neuen, streng geheimen Projekts in Arbeit sieht Takahashi für sich auf lange Sicht keine Zukunft in der Games-Industrie. Das liegt aber eher an seiner LebensPhilosophie als an einem speziellen Problem mit seiner Arbeit: „Wer die ganze Zeit am selben Fleck bleibt, verliert die Übersicht“, meint er. Eine Weisheit, die auf subtile Art auch in sein Spiel gefunden hat. Am Anfang eines Levels ist der Katamari klein. Manchmal sehen schon Tische, Stühle und Menschen riesig aus, was noch weiter oben passiert, ist gar nicht zu sehen. Nur wer seinen Katamari in Bewegung hält, lässt ihn wachsen und bekommt immer neue Einblicke. Je größer der Ball wird, desto größer wird der Blickwinkel des Spielers auf die Welt. Was vorher riesig schien, wird plötzlich einfach aufgerollt. Insgeheim hoffen wir, dass die Videospielindustrie doch noch genug Herausforderungen bereithält, dass es Takahashi reizt, sich in ihr noch weiter zu entwickeln. Oder, mit anderen Worten: dass Keita Takahashi seinen Katamari noch ein paar Spiele lang in Entwicklerstudios wachsen lässt. Text: Moses Grohé
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von Volker Hansch / Februar 10th, 2006 /

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