Erfolg im Spiel

Erfolg im Spiel

Im Fernsehen zählen Serien zu den stärksten Publikumsmagneten überhaupt. Sie binden den Zuschauer durch geschickt gesetzte Cliffhanger, lange und kurze ineinander verwobene Handlungsstränge und die ständige Weiterentwicklung der Charaktere. Mit "SiN Episodes" setzt nun erstmals auch ein großes Videospielprojekt konsequent auf das Format Serie. Ist das die Zukunft des Gaming?

Fernsehserien sind faszinierend. Sie sind eine wöchentlich erscheinende Parallelwelt zum Eintauchen und Mitfühlen. Wer keine Folge seiner Lieblingsserie auslässt, weiß genau, wie welcher der Charaktere gerade drauf ist, fiebert mit, ahnt Schlimmes, weiß Bescheid, versteht Insider-Witze und Anspielungen, ärgert sich über manche Charaktere, hasst andere geradezu und wird oft auf dem Höhepunkt der Dramatik mit dem Abspann konfrontiert, was sich in der Fachsprache „Cliffhanger“ nennt. Dann heißt es eine Woche lang warten. Auf die Auflösung und eine neue Folge. So geht es vielen Serienfans über Jahre hinweg. Auch Videospiele enden manchmal mit einem Cliffhanger, aber das Warten auf die Auflösung dauert meist mehrere Jahre. Das offene Ende von „Halo“ zum Beispiel wurde mit „Halo 2“ erst drei Jahre später fortgeführt. Und wenn ein Spiel nicht so gut ankommt wie erwartet, fällt die Fortsetzung komplett flach, wie beim Celshade-Shooter „XIII“. Und das obwohl der erste Teil mit den Worten „To be continued“ endete. Das Eintauchen in die Welt eines Videospiels ist mit dem Abspann meistens vorbei. Danach gerät das Spielgefühl in Vergessenheit und lebt erst wieder auf, wenn, oft Jahre später, ein neuer Teil erscheint. Bis jetzt. Denn der Entwickler Ritual Entertainment will Kontinuität und Faszination einer Fernsehserie nun mit „SiN Episodes“ auf das Medium Videospiel übertragen. Innerhalb der nächsten Jahre sollen insgesamt neun Episoden des First-Person-Shooters veröffentlicht werden. Folge eins mit dem Titel „Emergence“ noch im ersten Drittel 2006. Darauf soll ungefähr alle sechs Monate eine weitere mit je vier bis sechs Stunden Spielzeit erscheinen, zum Preis von jeweils unter 20 Euro. Jede Episode erzählt dabei eine in sich abgeschlossene Handlung. Führt aber auch Handlungsstränge aus früheren Teilen fort und beginnt neue. Trotzdem macht es nichts, wenn man mal eine Folge verpasst. „Das soll sein wie bei Serien wie ‚24‘ und ‚Lost‘“, erklärt Richard „Levelord“ Grey, Leveldesigner und einer der Inhaber von Ritual Entertainment, „jede Folge ist ein solides Paket Unterhaltung, das aber Teil einer größeren Story ist. Am Ende jeder Folge werde ich mit dem Verlangen nach der nächsten Episode zurückgelassen. Soap-Operas wie ,Springfield Story‘ haben mit diesem Konzept sogar mehr als 50 Jahre lang erfolgreich mehrere Generationen erreicht.“ Sinn macht diese Idee aber nur, wenn mehr Elemente als nur die Darbietung in kleinen Dosen vom TV-Format übernommen wird. Fersehserien leben nicht von beeindruckenden Kulissen, den neusten Special Effects und atemberaubenden Actionszenen, sondern von ihren Geschichten, von zwischenmenschlichen Beziehungen, von Gefühlen, von Charakteren. Alles Dinge, die bei Videospielen bis jetzt oftmals noch arg vernachlässigt wurden. Wie schön wäre es, wenn Videospiele all dies von Serien lernen würden? Dann würden wir vielleicht bald nicht mehr Storys wie aus einem schlechten Chuck-Norris-Film präsentiert bekommen. Womöglich darf man demnächst sogar jemanden spielen, der einem sympathisch ist, jemanden, der schlaue oder witzige oder interessante Dinge sagt und keine platten Leersätze bringt. Und vielleicht trifft man in Serienspielen dann auch Leute, die man wirklich am liebsten jede Woche wiedersehen würde. „Gutes Storytelling ist für jedes Spiel wichtig“, meint Grey, „aber unsere Story muss die Spieler wirklich packen und nach der ersten Episode mit dem Verlangen nach mehr zurücklassen. Das erreicht man natürlich nicht mit simpler Schieß-und-renn-Mechanik. Wie im Fernsehen werden wir mit der ersten Folge die Basis schaffen und die Intensität und Spannung von Folge zu Folge weiter anziehen.“ Mit der raubeinigen Hauptfigur John R. Blade, seiner heißspornigen Assistentin Jessica Cannon, der rücksichtslosen Gegenspielerin Elexis Sinclaire und dem Hacker JC bewegt sich die Besetzung von „SiN Episodes“ zwar auf den ersten Blick auf Chuck-Norris-Film-Niveau, aber wenn man genau überlegt, haben die meisten unserer Lieblingsserien auch keine oscarreifen Charaktere. Man denke nur an „Knight Rider“, „Ein Colt für alle Fälle“ oder „Star Trek“. Da Games, anders als die meisten Fernsehserien, nicht gratis verteilt werden, ist das Übertragen des Prinzips Serie auf Videospiele natürlich eine tolle Vorstellung für die ganze Branche. Wer es schafft, ein erfolgreiches Serienkonzept am Markt zu etablieren, hat eine hübsche kleine Geldmaschine. Versuche in die Richtung gab es schon. Das Videospiel „Fahrenheit“, das kürzlich erschien, war ursprünglich als Serie geplant. Zwölf Episoden sollten innerhalb eines Jahres veröffentlicht werden. Guillaume de Fondaumiere vom Entwickler Quantic Dream erinnert sich in einem Interview: „2002 wurde das noch als zu großes Risiko für einen Publisher angesehen. Vivendi Universal Games allerdings mochte die Story und das gesamte Konzept sehr gerne und bat uns, das Spiel als einen interaktiven Film statt als interaktive Serie neu zu designen.“ Man glaubte einfach noch nicht an den Erfolg von Online-Vertriebswegen. Und die Gewinnspannen auf dem normalen Vertriebsweg sind nicht hoch genug, denn auch eine Folge für 15 Euro muss auf eine DVD gepresst, verpackt und verschifft werden. Da bleibt nicht so viel hängen wie bei Vollpreistiteln für über 50 Euro. Das Spiel erschien schlussendlich bei Atari und wurde auch ohne das Serienformat mit mehreren Auszeichnungen bedacht. Doch nun haben die „Half-Life“-Macher Valve mit ihrem Download-Service Steam bewiesen, dass der Spielverkauf über das Netz massentauglich ist. Und hoch profitabel. Doug Lombardi, Marketingdirektor von Valve, freut sich: „Wenn jemand ,Half-Life 2‘ übers Internet kauft, geben wir keinen Pfennig vom Erlös ab. Nicht an einen Publisher, nicht an einen Vertrieb. Den Löwenanteil der Verkäufe machen zwar noch die Retailversionen aus, aber mit den Downloads machen wir viel mehr Gewinn.“ Inzwischen werden über Steam, den Online-Vertrieb von „Half-Life“, auch diverse andere Games wie „Rag-Doll Kung-Fu“ und „Darwinia“ erfolgreich verkauft. Mit dem XBox-Live-Marketplace steht außerdem ein weiterer Service bereit, der perfekt für den digitalen Vertrieb von Videospielen geeignet ist. Das Spielen der neuesten Folge wäre damit wirklich schon fast so einfach wie Fernsehen gucken. Und das muss es sein, denn natürlich sollen mit dem neuen Format auch neue Käuferschichten gewonnen werden. Die Serienfans will auch Kevin Bruner von Telltale Games erreichen. Und der amerikanische Entwickler bringt die besten Voraussetzungen mit. Für die Macher von Spielen wie „Grim Fandango“, „Monkey Island“ und „Sam & Max“ waren Geschichten schon immer wichtiger als Technik. Mit „Out From Boneville“, dem ersten Teil der Comicumsetzung „Bone“, bieten sie nun für 20 Dollar pro Folge ein als Serie angelegtes Spiel über ihre Webseite Telltalegames.com an. Für Bruner liegen die Vorteile auf der Hand: „Wir glauben, dass Adventure-Gamer öfter neuen Input wollen. Statt drei oder vier Mal in zehn Jahren ein ,Grim Fandango‘ oder ,Monkey Island‘ zu bekommen, erreichen wir diese Leute mit ,Bone‘ jetzt drei oder vier Mal im Jahr.“ Unter den gegebenen Vorzeichen sieht er seine Firma sogar schon zu einer Art Fernsehsender werden, wie HBO („Sex And The City“, „Six Feet Under“, „Die Sopranos“), und jeden Monat je eine Folge verschiedener Serien rausbringen. Inzwischen ist auch Valve selbst aufgesprungen auf den Episodenzug: Das ursprünglich als „Half-Life 2: Aftermath“ geplante Expansion-Pack wurde kürzlich umbenannt in „Half-Life 2: Episode 1“, die erste Folge einer Serie. Vertrieben wird natürlich über Steam. Neben den finanziellen Vorteilen, die eine gut laufende Serie verspricht, sehen alle drei Anbieter in dem Serienmodell auch die Chance, bessere Spiele zu machen: „Wir wollen nicht wieder drei Jahre lang an einem Spiel arbeiten. Man steckt da so viel von sich rein. Wir wollen diese ganze Kreativität mehr auf den Punkt bringen. Denn es wesentlich einfacher, ein kleines, wirklich gutes Spiel zu machen“, erklärt Bruner. Das glaubt auch Gabe Newell, der Chef von Valve: „Die kommenden Extra-Missionen zu, Half-Life 2‘ werden noch besser als das Spiel. Sie werden zwar kürzer sein, aber der Inhalt an sich wird konsitenter sein als in ,H-L2‘. Er wird sich viel schneller von Folge zu Folge weiterentwickeln, als es mit unseren groß angelegten Veröffentlichungen jemals möglich war.“ Ein Grund dafür: Die Entwickler können auf das Feedback der Spieler viel direkter reagieren. Auf Vorschläge, Wünsche und Kritik kann von einer Folge zur nächsten eingegangen werden. Zudem können die Entwickler freier mit neuen Elementen und Ideen experimentieren. Funktionieren sie nicht, können sie schon in der nächsten Folge wieder gekippt werden. So werden den Spieler von Serien wohl einige interessante Features erwarten. Denn Erfolg oder Misserfolg eines Spiels hängt nicht mehr von einer zu gewagten Gameplay-Entscheidung ab. Aber wird mit der geplanten sechsmonatigen Fortsetzung von „SiN Episodes“ wirklich schon das TV-Serienkonzept umgesetzt? Oder ist das im Grunde wie die Fortsetzungen von „Halo“, bloß ein wenig schneller? Das Mitfiebern, das sich beim ernsthaften Verfolgen einer Fernsehserie einstellt, das Gefühl, die Charaktere zu kennen, lässt sich über einen Zeitraum von mehreren Monaten ohne neuen Input kaum halten. Da müsste schon extrem viel geboten beziehungsweise erlebt werden in sechs Stunden. Damit die Publisher die Erscheinungsfrequenz erhöhen, muss sich das Konzept Serie für Videospiele mit „SiN Episodes“, „Bone“ oder den „H-L2“-Episoden erst einmal bewähren. Und dann? Kommt es so weit, dass wir dienstags ab 23 Uhr das Telefon nicht mehr abnehmen, weil die neueste Folge „GTA“ kommt? Unterhalten wir uns mit Kollegen jeden Donnerstag über die „Mario“-Serie vom Vorabend, lästern wir  über das unmöglich affektierte Verhalten von Prinzessin Peach? Wird aus „Sims“ eine Daily Soap, mit neuen spannenden Alltagsproblemen jeden Tag für einen Euro? „Ich persönlich fände es am besten, wenn wir einen Rhythmus wie im Fernsehen fahren. Jeden Freitagnachmittag eine neue Folge mit ein bis zwei Stunden guter Unterhaltung“, resümiert Richard Grey. Wie schnell wir dahin kommen, wird die Zukunft zeigen, aber eins ist jetzt schon sicher: Am Schluss erwartet uns immer ein Cliffhanger. Text: Moses Grohé
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von Volker Hansch / April 10th, 2006 /

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