Spiel noch einmal Sam
Mit "Splinter Cell: Double Agent" will Publisher Ubisoft Sam Fisher eine Persönlichkeit geben. Und nebenbei das Geschichtenerzählen in Videospielen neu erfinden. Wie das funktionieren soll, haben wir uns im Ubisoft-Studio Montreal erklären lassen
Der knackige Hintern von Sam Fisher!“ Das kommt dabei raus, wenn man eine Kollegin unbedarft danach fragt, weshalb sie „Splinter Cell“ spielt. Eine Antwort, die bei Thomas Geffroyd vom „Splinter Cell: Double Agent“-Team ein kurzes Kichern hervorruft: „Das wissen wir. Bei einer internen Umfrage wurde Sam Fisher als Sexsymbol Nummer eins gewählt. Die Frauen stehen auf seinen Arsch.“ Der Marketing-Manager ist entspannt. Und das, obwohl er an diesem Freitag einer der wenigen im Team ist, die arbeiten. Die meisten seiner Kollegen haben einen freien Tag und genießen die Sonne, die durch die zugezogenen Vorhänge in den vierten Stock des Ubisoft-Studios in Montreal blinzelt. Grund für die unerwartete Freizeit: Ein kurzes Durchatmen, nachdem am Vortag die Verschiebung des Titels bekannt gegeben wurde. Eigentlich sollte „Double Agent“ im April erscheinen, gemeinsam mit „Splinter Cell Essentials“, Sam Fishers erstem Auftritt auf Sonys PSP. Jetzt wird es wohl Herbst, wahrscheinlich September. Grund für die Verschiebung sind die Qualitätsansprüche, die man an ein neues „Splinter Cell“ hat. Kein Wunder, gehört die Reihe doch zu den erfolgreichsten von Ubisoft. Und da sollte man vorsichtig sein. Mit den Fans sollte man es sich nicht verscherzen. Vor allem, wenn man etwas Neues wagt: Sam Fisher soll zum Star werden, eine Persönlichkeit bekommen. Und die soll nicht nur durch ein hübsches Hinterteil, sondern vor allem durch einen neuen Ansatz im Gameplay definiert werden: Erstmals soll die Geschichte, das Storytelling, durch den Spieler selbst gestaltet werden. Und dadurch soll sich nicht nur die Handlung, sondern auch das Spielerlebnis selbst ändern. Wenn Producer John Stafford das erklärt, klingt das erst einmal banal berechnend: „Die Hardcore-Gamer hätten es wahrscheinlich auch gut gefunden, wenn wir so weitergemacht hätten wie bisher. Aber natürlich wollen wir, dass mehr Leute das Spiel kaufen. Also haben wir Umfragen gemacht, Marktforschung betrieben. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich viele Leute eine Geschichte wünschen, einen starken Charakter, mehr Tiefe. Mit der Kombination aus ,Double Agent‘ und ,Essentials‘ versuchen wir diese Bedürfnisse zu befriedigen.“ Beide sind Teil einer Geschichte, „Essentials“ erzählt, wie Sam Fisher zu der Person geworden ist, die man kennt. Erzählt von seiner Zeit als Navy-Seal, davon, was zwischen den bisherigen Teilen geschah, und bringt für Nostalgiker drei alte Level unter. „Double Agent“ baut darauf auf. Nimmt die Geschichte von Fisher und macht ihn zu einer Person mit Ecken und Kanten: „Bisher hat man immer nur diesen Typen mit den komischen Sichtgeräten auf dem Kopf gesehen, jetzt wird es persönlich. Das siehst du schon an unserer Kampagne: Wir zeigen das Gesicht ohne Brille, den ganzen Kopf, kahl geschoren. Und wir bekommen entsprechende Reaktionen von Leuten, die nicht viel mit Spielen anfangen können. Wer ist der Typ?, werden wir gefragt.“ Dabei hätte man es belassen können. Ubisoft hätte behaupten können, dass jetzt alles anders sei, Sam Fisher ein Star und die Geschichte so gut wie ein Spielfilm. Das hätten viele erst mal geglaubt, der Masse wäre es wahrscheinlich egal gewesen, und außerdem: Man wäre in einer Industrie, die täglich Revolutionen verkündet und nicht liefert, nicht sonderlich überrascht gewesen, wäre es so gekommen. Dennoch hat man diesen einfachen Weg nicht eingeschlagen, sondern den Entwicklern die Chance gegeben, etwas Neues auszuprobieren. Und die haben sie genutzt, weshalb „Splinter Cell: Double Agent“ tatsächlich das Potenzial für ein wegweisendes Spiel hat. Thomas Geffroyd: „,Splinter Cell‘ Teil 4, Teil 5, Teil 6 – wir hätten auch weitermachen können wie bisher, aber das wäre nicht nur für die Spieler, sondern auch für uns langweilig geworden. Wir sind froh, dass wir etwas Neues machen können. Und ich glaube, dass wir etwas machen, was es auf diese Art vorher noch nicht in Spielen gegeben hat. Das beginnt damit, dass wir Sam Fisher einen Charakter geben können. Bisher war er eine recht eindimensionale Figur. Das wird nun anders.“ Der gute Mensch von der National Security Agency war er, angetreten, um den bösen Terroristen in den Hintern zu treten. Oder besser gesagt: Sich an sie ranzuschleichen und sie kaltzumachen. Zwischendurch blitzte mal etwas Charme auf, aber eigentlich war er so holzschnittartig wie die meisten Figuren aus dem Tom-Clancy-Universum: Da, wo die Welt noch in die Guten und die Bösen aufgeteilt ist. „Diesmal wird das anders werden“, sagt Geffroyd. „Die Missionen sind nicht eindeutig. Sam wird sich entscheiden müssen, wird seinen Charakter enthüllen müssen. Ob er seinen Freund rettet und dafür Tausende von Menschen sterben müssen zum Beispiel.“ Und die Konsequenzen? „Die wirst du spüren, wenn du spielst.“ Soll Sam Fisher damit zur Spiel-Ikone aufgebaut werden? Thomas Geffroyd ist vorsichtig: „Wir schaffen die Grundlagen, auf denen das geschehen könnte. Aber es gibt dafür leider kein Patentrezept. Du kannst solche Figuren nicht einfach erfinden, sonst würde das ja jeder machen. Mario oder Lara Croft haben ihren Status bekommen, weil sie die ersten waren, weil sie Genres definiert haben. Das ist heute schwieriger. Selbst so eine tolle Figur wie der Prinz in ,Katamari Damacy‘ wird es schwer haben. Und der sollte ja auf jeden Fall eine Spiel-Ikone sein.“ Wichtiger als der Celebrity-Status des Superstars ist die Charakterbildung von Sam Fisher für das neue Spielprinzip von „Splinter Cell“: „Bisher war Sam Fisher nicht sonderlich wichtig. Wenn du dir die ersten drei Teile anschaust, wirst du feststellen, dass es da eigentlich nicht um ihn ging. Er war einfach eine Figur, mit der du tolle Sachen machen konntest. Letztlich war das Gameplay der Star, die Gadgets, die coolen Moves.“ Das Heranschleichen an die Gegner, das Herzklopfen, wenn man im Dunkeln darauf lauert, dass der nächste Gegner vorbeikommt – und der Adrenalinstoß, nachdem man ihn mit einem schnellen Angriff außer Gefecht gesetzt hat. „Es ging hauptsächlich um die Mechanik, und damit war es im Prinzip nichts anderes als ,Tetris‘. Jetzt ist das anders: Wir machen ein ,Tetris‘ mit einer guten Geschichte dahinter. Eine Geschichte, die zu einem Teil des Gameplays wird. Du schleichst nicht nur durch die Level, um Gegner zu besiegen, sondern du schleichst auch durch die Geschichte, um dort die Persönlichkeit von Sam Fisher zu finden. Sie ist da, und du kannst sie selbst definieren. Und du wirst das tun müssen, um durch das Spiel zu kommen.“ Die neue Richtung zeigt sich früh im Spiel. Obwohl „Double Agent“ so beginnt, wie die bisherigen Spiele der Reihe: „Das ist ein Level, der auf Island spielt. Der ist aber hauptsächlich ein Trainingslevel. Du bekommst erklärt, wie das Spiel funktioniert, und musst noch nicht so auf die Geschichte achten.“ Doch schon im zweiten Level zeigt sich ein anderer Sam Fisher: Einer der zweifelt, weil die Aufgabe, die er bekommen hat, zu seinen schwersten gehört. „Sie beginnt in einem Gefängnis“, Geffroyd zeigt auf den Bildschirm, wo Sam Fisher in einer Zelle sitzt und nach einem Ausweg sucht. Der findet sich unter dem Bett, denn hier hat die NSA netterweise ein Loch gelassen und auch schon einen anderen Ausbrecher hingestellt. Jamie heißt er, und er ist Terrorist. Mit ihm muss Fisher Freundschaft schließen, weil er dessen Organisation unterwandern will. Dazu müssen sie erst einmal gemeinsam ausbrechen. Wobei der Terrorist und der Geheimagent zusammenarbeiten. Manche Hindernisse können nur überwunden werden, wenn beide anpacken. Elemente aus dem Koop-Modus von „Splinter Cell: Chaos Theory“ finden sich hier wieder: die Räuberleiter, das Sich-aneinander-Hochhangeln. Wer also bereits Angst um die coolen Moves hatte, kann unbesorgt sein: Die gibt es weiterhin. Und mehr als zuvor. Was Sam Fisher hier bereits ahnt: Er wird Jamie verraten müssen, vielleicht sogar töten. Wird Entscheidungen treffen müssen, die seinen Auftrag beeinflussen – und das Spiel. Und je nachdem, wie er sich entscheidet, wird das Spiel ausgehen. Sechs verschiedene Enden gibt es. „Von total schlecht bis total gut“, sagt Geffroyd und grinst, „natürlich werden wir dir nicht sofort sagen, was Erfolg und Misserfolg ist. Das musst du selbst herausfinden – und du wirst es herausfinden. Nur eins kann ich sagen: Als Terrorist kannst du das Spiel nicht beenden. Sam ist schließlich ein Guter. Er hat die bösen Kriminellen schon lange Jahre bekämpft.“ Die Definition von Erfolg ist Auslegungssache: „Klar, wir haben unsere Vorstellung davon, wie sich Sam Fisher entwickeln soll. Und die werden wir den Spielern auch zeigen. Spätestens am Schluss.“ Aber auch schon zwischendrin, denn wer sich nicht konform verhält, wird auf Schwierigkeiten stoßen: „Das Spiel wird härter, wenn du etwas tust, was wir nicht wollen. Wir lassen es dich zwar machen, aber du kannst sicher sein: Wir werden dich bestrafen.“ Ein Level wird schwieriger, wenn man etwas falsch macht. Wenn man die Terroristen zum falschen Zeitpunkt hintergeht, werden sie misstrauisch sein. Das kann durchaus dazu führen, dass man ein Level nicht mehr schafft und von vorne anfangen muss. Aber das ist die Ausnahme – und kommt auch ein bisschen auf das Können des Spielers an. Meist sind es Konsequenzen, die in der Zeit liegen, die man hat, um eine Aufgabe zu schaffen. Oder ob man offen oder versteckt agieren muss. Man kann den Verlauf der Geschichte allerdings noch viel entscheidender beeinflussen. Wer eine Hauptfigur ausschaltet, wird sie nicht mehr zu sehen bekommen. Wer einen Verrat begangen hat, dem wird so schnell nicht mehr vertraut werden. Nicht nur im aktuellen Level, sondern im ganzen Spiel. „Natürlich kannst du da eine starke moralische Komponente drin sehen. Aber eigentlich geht es eher um Möglichkeiten, um Entscheidungen. Du sollst dir die Frage stellen: ,Was würde ich jetzt tun?‘ Und danach handeln. Oder auch nicht – wenn du andere Wege finden willst zu spielen. Deshalb ist es auch selten eindeutig, was die richtige Entscheidung in der Situation ist. Wie gesagt: Wirst du deinen Freund opfern oder Tausende von Menschen?“ Die Konsequenzen wird man spüren – vielleicht auch erst viel später im Spiel. Und vielleicht wird man erst dann feststellen, dass das vorher eigentlich Undenkbare die bessere Wahl gewesen wäre. Damit das Spiel auch funktioniert, muss die Geschichte stimmen. Mit den bisherigen Drehbüchern der Reihe hätte man das nicht machen können. Die waren wenig mehr als Ausreden dafür, Sam Fisher in möglichst interessante Umgebungen schicken zu können. „Ich werde dir jetzt nicht sagen, dass die Geschichte von ,Double Agent‘ die größte Geschichte ist, die jemals erzählt wurde. Aber das braucht man für ein Spiel auch nicht. Wichtig ist, dass sie stimmig ist und so wie hier noch nie in ein Spiel integriert wurde.“ Damit das funktioniert, haben die Entwickler Leute an das Script gelassen, die sich mit so etwas auskennen: Hollywoodschreiber zum Beispiel. Und Tom Clancy? Über seine Firma haben die Mitglieder des Teams Kontakt zu einem Mossad-Agenten aufnehmen können. Mit dem haben sie ihre Ideen mit der Realität abgeglichen – und versucht herauszufinden, was man als Agent wirklich fühlt, wenn man im Einsatz ist. So wurden Missionen in das Spiel eingebaut, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Geffroyd erzählt davon, wie sie über E-Mail Kontakt aufgenommen haben: „Der ist schwer zu erreichen. Manchmal antwortet er monatelang nicht, manchmal sofort. Und, nein, getroffen haben wir ihn nicht. Ich weiß nicht mal, ob der Name, den wir haben, der richtige ist. Das macht aber auch nichts, denn ich dürfte den sowieso nicht nennen. Wahrscheinlich müsste er mich sofort töten, wenn ich es täte.“ Dem kurzen Lächeln folgt ein besorgter Blick mit Achselzucken: „Manchmal bin ich mir nicht so sicher, ob das wirklich ein Scherz ist.“ Langsam beginnt man zu ahnen, dass das, was hier eher beiläufig gezeigt wird, tatsächlich ein großer Schritt für die „Splinter Cell“-Reihe sein könnte. Und auch für das Erzählen von Geschichten in Spielen. Es deutet Wege an, die tatsächlich dahin führen könnten, wo aus Spielen interaktive Filme werden. Spiele, in denen man seine eigene Geschichte schreiben kann. Ein neuer Start also für „Splinter Cell“? „Nein, aber ein ziemlich großer Schritt nach vorn. Das Spielprinzip ist immer noch das Schleichen, das Infiltrieren, Spionieren und Kaltstellen von Terroristen. Aber es soll so geschehen, dass du viel mehr Einfluss darauf hast, wie und wann das im Spiel geschieht“, sagt Geffroyd und zeigt einen weiteren Level, einen Level, in dem Sam Fisher das Lager der Terroristen durchsuchen muss. Und weil an anderer Stelle etwas schief gegangen ist, funktioniert der eingeübte Lösungsweg nicht mehr. Anstatt einfach durch die Tür zu gehen, muss er sich jetzt durch Kanäle robben, wird gestellt, und ein „Game Over“ erscheint. „Alles ist möglich – oder zumindest: sehr viel mehr, als du bisher machen konntest“, kommentiert Geffroyd grinsend. Nur der Hintern ist der gleiche geblieben. Text: Carsten Görig