Zurück in die Zukunft

Zurück in die Zukunft

Vor drei Jahren war Sega so gut wie tot. Dann kaufte sich der japanische Glücksspielautomaten-Hersteller Sammy ein. Seitdem heißt das Ziel: ab in die Weltspitze der Videospiel-Publisher. Doch wie viel Vernunft verträgt ein Spielentwickler wie Sega? Wird die Kreativität dem Erfolg geopfert? Wir sind nach Japan gefahren, um genau das herauszufinden. Und die Spiele zu sehen, mit denen Sega unsere Herzen zurückerobern will

Die letzten Jahre waren nicht gut zu Sega. Vom ehemals zweitgrößten Player im Videospielbusiness, ernsthaften Konkurrenten von Nintendo und überhaupt Inbegriff des lässigen Daddelns war vor drei Jahren nicht mehr viel übrig. Zwei Konsolen, Sega Saturn und Sega Dreamcast, gescheitert. "Shen Mue", das bis dato teuerste Game der Videospielgeschichte von Entwicklerlegende Yu Suzuki, ein finanzielles Desaster. Spiele wie "Jet Set Radio Future", "Space Channel 5", "Rez" oder "Panzer Dragoon Orta" zwar innovativ und dafür von der Fachpresse weltweit dankbar gefeiert, kommerziell aber ein Reinfall. Selbst beim Firmenmaskottchen Sonic, ehemals die einzige Alternative zu Mario und Co, hatte der Lack reichlich Patina angesetzt angesichts neuer Helden wie Solid Snake aus "Metal Gear Solid", Dante aus "Devil May Cry" oder Tommy Vercetti aus "GTA". Zumindest in Europa und den USA. Denn während dort der Sega-Stern langsam, aber unaufhaltsam gesunken war, konnte sich der Konzern auf der Geschmacksinsel Japan auch weiterhin in der Gunst des Kunden sonnen - und weitermachen wie bisher. Währenddessen wanderten in Europa und den USA die Käufer scharenweise zur Konkurrenz ab. Japan allein konnte diese Entwicklung nicht kompensieren. Das Ergebnis: Vom Ende der Neunziger bis 2003 fuhr Sega jährlich Verluste in dreistelliger Millionenhöhe ein. Wer damals prophezeit hätte, dass der japanische Spielehersteller die nächsten drei Jahre überleben, sich erholen und sogar über die alte Stärke hinauswachsen würde, wäre wohl herzlich ausgelacht worden. Doch der finanziell strauchelnde Konzern stabilisierte sich in überraschend kurzer Zeit - und schickt sich jetzt sogar an, in den Kreis der Big Player der Videospielindustrie zurückzukehren. "Wir sind für die Zukunft gut aufgestellt", bestätigt Markus L. Wiedemann, Geschäftsführer der im letzten Jahr wiedereröffneten Sega-Deutschland-Niederlassung (Siehe auch Interview Seite 32). Grund dafür ist nicht zuletzt die Fusion von Sega mit dem japanischen Slot-Machine-Hersteller Sammy. Der kaufte im Dezember 2003, knapp zwei Jahre nach dem Scheitern der Dreamcast, für runde 350 Millionen Euro 22 Prozent der Sega-Anteile - und verschmolz wenige Monate später gänzlich mit dem Software-Hersteller. Aus den Motiven für den Einstieg bei Sega macht Sammy auf der firmeneigenen Homepage im Übrigen keinen Hehl: Expansion. So nüchtern und unromantisch diese Einstellung sein mag, für Sega ist sie ein absoluter Glücksfall. Denn seit dem Engagement von Sammy geht es mit Sega steil bergauf. Vor allem auch, weil der ehemalige Software-Gigant nun durch Kapital von Sammy zum ersten Mal seit Jahren wieder über eine ansehnliche Kriegskasse verfügt - und umgehend davon Gebrauch machte. Im März kauft Sega Creative Assembly, das Studio hinter der erfolgreichen "Total War"-Strategiespielreihe. Im April dieses Jahres folgt sowohl Sport Interactive, Entwickler der "Football Manager", als auch Secret Level. Letzteres hat sich vor allem durch die Portierung der "Unreal"-Engine auf PS2 und Gamecube einen Namen gemacht, aber auch durch Spiele wie "America's Army" und "Star Wars: Starfighter". Zudem schließt Sega weitere Verträge mit namhaften Entwicklerstudios für zukünftige Projekte ab: Monolith ("Tron 2.0", "F.E.A.R.", "Condemned"), Silicon Knights ("Metal Gear Solid: Twin Snakes", "Blood Omen: Legacy Of Kain", "Too Human"), Bizarre Creations ("Project Gotham Racing 3"), Petroglyph ("Star Wars: Empire At War"), Sumo Digital ("Outrun 2006", "Virtua Tennis: World Tour"), Obsidian ("Star Wars: Knights Of The Old Republic") und Traveller's Tales ("Lego Star Wars") - sie alle entwickeln zurzeit für Sega neue Projekte. Dabei muss man kein Hellseher sein, um aus der Auswahl der Kooperationspartner und Neuakquisitionen seine Schlüsse zu ziehen. Die Marschrichtung bei Sega ist klar: Westen. "Die Zeit des ,hier Japan, da der Rest' ist vorbei", freut sich auch Wiedemann. Beim ersten Ortstermin im Sega-Hauptquartier ist allerdings von der neuen Firmenphilosophie nicht viel zu spüren. Toshihiro Nagoshi, Schöpfer von Sega-Perlen wie "Super Monkey Ball" und "F-Zero GX", schläft fast ein bei der Präsentation seines neuen Spiels. Mit unbewegter Miene und halb geschlossenen Augen sitzt er da, während einer seiner Kollegen den versammelten Journalisten das Action-Spiel "Yakuza" vorführt. Spielt demonstrativ desinteressiert mit seinem Handy herum, schreibt eine SMS, klappt das Handy wieder zu, schließt die Augen. Am Ende der zehnminütigen Vorführung hat Toshihiro Nagoshi kein einziges Mal aufgeguckt. Auch in der anschließenden Fragerunde zu seinem neuen Werk gibt er sich schwer gelangweilt. Die neue "westliche Unternehmensausrichtung", die in Sega-Pressemitteilungen der letzten Zeit gerne betont wird - bei der japanischen Basis zählt sie wenig. Dieser Eindruck bestätigt sich auch bei der nächsten Spielepräsentation. Gezeigt wird "Let's Make A Soccer Team", ein in Japan sehr erfolgreicher Fußballmanager, der jetzt auch nach Europa kommen soll. Zwar geben sich die beiden "Let's Make A Soccer Team"-Mitarbeiter, anders als Toshihiro Nagoshi, alle Mühe mit ihrer Vorführung. Haben den Präsentationsraum liebevoll mit Merchandise, Pappaufstellern und Hüllen der bisher in der Serie erschienen Spiele dekoriert. Und präsentieren fast eine Dreiviertelstunde lang ihr Spiel in allen Facetten. Doch kaum geht es daran, die Fragen der Journalisten zu beantworten, fühlen sich die beiden deutlich unwohl, rutschen unruhig mit verschränkten Armen auf ihren Stühlen hin und her, ihre Antworten werden zunehmend knapper. Der Supergau kommt in Form der Frage eines englischen Journalisten. Ob man denn in Zukunft auch mit den Leuten von Sports Interactive zusammenarbeiten werde, jenem Studio, das den "Sega Football Manager" entwickelt. Schließlich verfüge Sports Interactive ja über eine der umfangreichsten Fußballspielerdatenbanken auf der ganzen Welt (siehe GEE 21), und wo man nun zum selben Konzern gehöre …? "Immer machst du Ärger", seufzt der englische PR-Vertreter in Richtung des Journalisten, während Übersetzerin, "Let's Make A Soccer Team"-Mitarbeiter und andere Sega-PR-Vetreter die Antwort diskutieren. Nach einer ganzen Weile kommt sie, kurz und knapp: "Mal sehen, kann schon sein." Was wir mitnehmen, ist der Eindruck, dass die Entscheidung für eine Öffnung gen Westen bei Sega Japan vor allem in der Vorstandsetage verinnerlicht wurde - der gemeine Entwickler, Producer, was auch immer, aber am liebsten weiter ungestört an Spielen für den japanischen Markt werkeln möchte. Das ist überhaupt nicht schlimm, solange jemand über das Gesamtbild wacht - und das scheint jetzt, im Gegensatz zu früher, gegeben. Beweis gefällig? "Sega Rally", geschaffen ebenfalls von Yu Suzuki und ein Ur-Franchise der Japaner. Der neue Teil wurde nach schwachen letzten Auflagen den neuen Sega Driving Studios zugeschanzt - ein englisches Studio unter der Leitung von Guy Wilding, vorher maßgeblich beteiligt an der "Colin McRae Rally"-Serie. "Solche Entscheidungen werden natürlich immer noch lange diskutiert und gründlich abgewogen. Aber heute siegt zum Glück die Vernunft", beschreibt Wiedemann die neue Rationalität beim japanischen Publisher. "Wenn wir hier einige der erfahrensten Entwickler und Producer im Bereich Rennspiele haben, warum sollen wir ihnen dann nicht auch eine starke Marke geben? Am Ende sitzen wir doch alle in einem Boot, wie der Ausblick auf das kommende Geschäftsjahr zeigt. Da wird Europa den größten Teil der verkauften Spiele beisteuern." Wie stark dieser Tatsache bei Sega Rechnung getragen wird, offenbart sich bei einem genaueren Blick auf die veröffentlichten Sega-Titel der letzten Monate, die Studio-Akquisitionen und die abgeschlossenen Partnerschaften. Hier zeigt sich ein Publishing-Modell, das mit dem alten Sega nicht mehr viel gemein, sondern vor allem Ähnlichkeit mit dem eines anderen Spieleherstellers hat: Electronic Arts. Der Marktführer. Denn Titel wie die durch den Kauf von Creative Assembly dem Sega-Konzern einverleibte "Total War"-Serie wird wohl niemand als typisch Sega bezeichnen. Typisch Sega, das waren eben jene Spiele wie "Shen Mue", "Rez" oder "Space Channel 5". Diese finanziellen Millionengräber, die trotzdem aber von einer unglaublichen Reinheit waren, einer Qualität, einem Purismus, voll des Mutes, den nur wahre Kenner zu schätzen wissen - nicht aber die Masse. Ein "Rome: Total War" dagegen ist vor allem eins: Kalkül. Millionenfach verkauft, erprobt bei Activision, einem anderen Publisher, dann dem Sega-Portfolio hinzugekauft. Kein schlechtes Spiel, um Gottes Willen, im Gegenteil. Aber eben nichts Aufregendes, Verspieltes und Verrücktes. Sondern eine sichere Wette, die sicheren Gewinn verspricht. Trotzdem braucht Sega, das neue Sega, auch diese Spiele, um überleben und somit zumindest einen Teil des alten Sega konservieren zu können. "Mit der Entscheidung, europäische und amerikanische Themen wie ‚Condemned', ‚Full Auto' oder ‚Total War' europäischen oder amerikanischen Entwicklern in die Hand zu geben, halten wir den japanischen Sega-Inhouse-Studios den Rücken frei", erklärt Wiedemann. "Wir brauchen nämlich starke japanische Titel ‚Made by Sega'". Spiele wie "Project Rub" für den Nintendo DS oder das neue "Sonic" für Xbox 360 und PS3. Spiele, typisch Sega eben, voll von japanischer Schrulligkeit. Und plötzlich passt alles zusammen. Die Verschlossenheit der Japaner und das Streben von Sega nach Westen - was vorher wie ein Widerspruch erschien, ergibt auf einmal Sinn. Zu gegensätzlich sind die Märkte, als dass Sega mit nur einer Strategie erfolgreich sein könnte. Wie schwer es ist, die klaffende Lücke im Geschmack zwischen Ost und West zu überbrücken, erfährt seit Jahren auch der Software-Marktführer Electronic Arts, der sich noch immer schwer damit tut, in Japan Fuß zu fassen. Mit seiner "Ich bin zwei Segas"-Strategie, die natürlich niemand bei Sega jemals so formulieren würde, könnte der Konzern ein entscheidendes Ass auf dem Weg an die Weltspitze im Ärmel haben. Sega ist also zurück. Gesund, stark, gerüstet für die nächsten Jahre. Steht mit Spielen wie "Rome: Total War" oder dem "Fußball Manager" auf Beinen, die stark genug sind, um den Kopf frei zu haben für Spiele wie "Super Monkey Ball: Banana Blitz" oder "Sonic Wild Fire" für die neue Nintendo- Konsole Wii. Und ein Ende der Entwicklung ist nicht in Sicht. Erst kürzlich ließ Mike Hayes, Geschäftsführer bei Sega Europa, im Zusammenhang mit eventuellen zukünftigen Studiokäufen verlauten: "Wir sind noch hungrig." Und wer weiß, vielleicht ist ja irgendwann einmal genug Geld da, um wieder total irrationale Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel Sega-Urgestein Yu Suzuki und den vielen Sega-Aficionados auf der ganzen Welt ihren größten Traum zu erfüllen: den dritten Teil von "Shen Mue". Text: Michail Hengstenberg
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von Volker Hansch / Juli 10th, 2006 /

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