"Vor allem unsere Spiele
Er hat Microsofts Windows mitentwickelt und „Half-Life“ geschaffen – für viele das beste PC-Spiel aller Zeiten. Ein Star sei er trotzdem nicht, findet Gabe Newell selbst. Sondern eher ein langweiliger Typ. Stimmt gar nicht, wie sich beim Interview herausstellte
Bei der Recherche zu diesem Interview haben wir sehr viel über "Half-Life" und "Half-Life 2" erfahren, aber so gut wie nichts über dich. Kannst du dir das erklären? Gabe Newell: Ich gehe davon aus, dass sich unsere Kunden vor allem für unsere Spiele interessieren. Und nicht unbedingt für mich. Deswegen rede ich auch meistens nur über die Spiele. Ist das so eine verschrobene Firmenpolitik, nach dem Motto "Das Spiel ist der Star"? Nein, eigentlich nicht. Es ist nur so: Ich denke einfach, dass ich kein besonders spannender Mensch bin, über den es viel zu erzählen gibt. Immerhin hast du lange Jahre bei Microsoft gearbeitet, und zwar in der Pionierzeit von Computern. War das nicht spannend? Doch, das war eine interessante Zeit. Auch wenn ich nie die Absicht hatte, in die Computerindustrie zu gehen, es geschah eher zufällig. Während meines Studiums in Harvard machte ich irgendwann einmal Urlaub bei meinem Bruder, dem eine kleine Softwarefirma in einem Vorort von Seattle gehörte. Irgendwann musste er beruflich zu Microsoft, und ich kam einfach mit, weil ich sowieso die ganze Zeit mit ihm abgehangen habe. Bei Microsoft sprach mich dann ein Typ an, ob ich nicht ein halbes Jahr bei ihnen arbeiten wolle, ich sei ja wohl intelligent genug, und zu tun hätte ich eh nichts. Mein Einstellungsgespräch hatte ich bei Steve Balmer (Heute Geschäftsführer von Microsoft, Anm. d. Red.). Nach Harvard bin ich dann nicht mehr zurückgekehrt. Sondern hast was gemacht? Zuerst habe ich an einem Programm für den ersten Macintosh-Computer gearbeitet. Dann habe ich das Programmierteam geleitet, das an der ersten Version von Windows gearbeitet hat. Interessiert hat mich aber schon damals eigentlich etwas ganz anderes: der PC als Plattform für Videospiele. Denn der PC hatte zu dieser Zeit einen extrem schlechten Ruf als Spieleplattform. Und das wollte ich ändern. Also kontaktierte ich die Jungs von Id Software und fragte, ob sie uns nicht den Code von "Doom" zu Testzwecken zur Verfügung stellen könnten. "Doom", das war damals der letzte Schrei, ein extrem erfolgreiches Spiel mit herausragender Technik. Genau das richtige Spiel also, um die Leistungsfähigkeit von Windows als Spieleplattform unter Beweis zu stellen. Wie wurde denn dein Vorhaben vom Rest der Microsoft-Belegschaft aufgenommen? Mit gemischten Gefühlen. Damals glaubten die meisten Leute bei Microsoft selbst nicht daran, dass sich der PC besonders gut zum Spielen eignen würde. Gleichzeitig wussten wir aber, wie viel Potenzial in diesem Markt steckt. Bei einer Befragung hatten wir nämlich etwas Interessantes herausgefunden: Windows hatte sich zu diesem Zeitpunkt weltweit 27 Millionen Mal verkauft. Von "Doom" gab es zur gleichen Zeit weltweit 30 Millionen Kopien. Id Software, ein zwölfköpfiges Programmierteam aus Texas, hatte es also geschafft, mehr Versionen von seinem Programm unter das Volk zu bringen als Microsoft. Uns war klar: Wir mussten in diesem Sektor Fuß fassen. Haben wir es also dir zu verdanken, dass wir heute auf unseren PCs auch spielen können? Na ja, nicht mir alleine, so etwas würde ich niemals behaupten. Deine Bescheidenheit in Ehren, aber findest du nicht auch, dass die Gamesbranche ein paar Stars vertragen könnten? Bei Musik und Film stehen doch auch nicht nur die Schauspieler und Musiker im Rampenlicht, sondern ebenso die Köpfe dahinter, die Produzenten und Regisseure. Und mal ehrlich: Mit "Half-Life" und "Half-Life 2" hast du immerhin eines der erfolgreichsten PC-Spiele überhaupt geschaffen. Wenn nicht du, wer … Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Ich meine, über Peter Jackson wird man auch nicht viel finden … Mehr als über dich, jede Wette. Ja, kann ja sein. Aber es ist auch nicht meine Motivation, tolle Sachen über mich in Zeitungen zu lesen. Meine Motivation sind die Leute, mit denen ich jeden Tag zusammenarbeiten darf. Ich meine, ich hatte doch ein Riesenglück. Ich habe bei Microsoft gearbeitet, ich konnte da tun und lassen, was ich wollte. Als ich aufgehört habe, hatte ich so viel Geld, dass ich mich sofort zur Ruhe setzen und den Rest meines Lebens auf einem Liegestuhl am Strand hätte verbringen können. Das Problem ist: Das würde ich genau drei Tage lang aushalten. Und dann verrückt werden. Ich gehe jeden, wirklich jeden Tag gerne zur Arbeit, weil ich es liebe, mit meinen Leuten zusammenzuarbeiten. Das bedeutet mir etwas. Interviews zu geben und meinen Namen gedruckt zu sehen hingegen bedeutet mir nichts. Aber ist es nicht verlockend, mal ein Statement abzugeben? Denn mit einem Spiel, genau wie mit jeder anderen Form von Kunst im weiteren Sinne, gibt man ja auch ein Statement ab. Dazu kann ich nur eins sagen: Als wir Gordon Freeman, den Hauptcharakter von "Half-Life", erdacht haben, gab es lange Diskussionen bei uns. Sollte Freeman eine Stimme erhalten, seine Dialoge also gesprochen werden, oder sollte er stumm bleiben? Wir haben uns am Ende gegen eine Synchronisation entschieden. Der Spieler sollte das Spiel unvoreingenommen erleben, er sollte so viel seiner eigenen Persönlichkeit in das Spiel hineinbringen können wie möglich. Die Stimme des Spielers, sie sollte die Stimme von Gordon Freeman werden. Und in einem gewissen Sinne ist das dann wohl doch so etwas wie eine Firmenphilosophie: Die Leute sollen uns durch unsere Games kennen lernen, nicht darüber, was wir in Interwiews sagen. Und das ist für mich keine hohle Phrase. Ich erlebe das selbst so. Wenn ich ein Spiel von Peter Molyneux spiele, habe ich das Gefühl, ihn kennen zu lernen. Ich kann auch genau sagen, an welchem Nintendo-Spiel Shigeru Miyamoto mitgewirkt hat, weil ich ihn über die Jahre Spiel für Spiel kennen gelernt habe. Das wünsche ich mir auch für unsere Spiele. Der "Half-Life"-Community gegenüber bist du aber sehr aufgeschlossen. Es heißt, du würdest jede E-Mail beantworten und wer fragt, ob er euch mal im Studio besuchen darf, kann durchaus mit einem Ja von dir rechnen. Steht das nicht im Widerspruch zu deiner sonstigen Zurückhaltung? Nein, überhaupt nicht. Ich fühle mich einfach unwohl, wenn man mich zu einem Star hochstilisieren will. Als Teil einer Community dagegen fühle ich mich sehr wohl. Der Community-Gedanke ist eine der Säulen von Valve, dort kommen wir her, und wir wissen das Potenzial einer treuen und starken Community zu schätzen. Als wir "Half-Life. Episode 1" herausgebracht haben, bekam ich mehr als 7000 E-Mails von Spielern, die mir sagten, was ihnen daran gefallen oder auch nicht gefallen hatte. Hast du sie alle gelesen? Natürlich. So ein Feedback ist doch von unschätzbarem Wert. Hast du eigentlich tatsächlich schon mal jemanden in euer Studio eingeladen? Ja, schon öfter. Und, was war das so für eine Erfahrung? Irgendetwas Aufregendes dabei? Überraschungen, auf jeden Fall. Einmal hatte ich zwei Jungs bei uns im Studio. Der eine zwölf, sein Bruder vierzehn und die vierzigjährige Mutter als Begleitung. Ich frage: "Na, wer von euch beiden ist denn der Fan?", und sie sagen: "Unsere Mutter." Da habe ich natürlich blöd geguckt. Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, nach deinem Ausscheiden bei Microsoft ein eigenes Games-Studio aufzumachen? War dieser Plan schon länger in dir gereift, oder war es eher eine spontane Idee? Ich hatte schon länger darüber nachgedacht, insofern war es nicht wirklich ein Sprung ins kalte Wasser. Was mich überrascht hat, war der unglaubliche Erfolg unseres, das darf man nicht vergessen, ersten Spiels. Gut, einen Großteil des späteren Mitarbeiterkerns von Valve kannte ich schon seit Jahren. Dario Casali zum Beispiel, oder John Guthrie, wegen ihrer Fähigkeiten als Mapper aus der PC-Gamer-Community. Ich wusste, dass sie fabelhafte Leveldesigner abgeben würden. Oder Yahn Bernier, ein Anwalt. In der Community kannte ich ihn als extrem versierten Programmierer. Ich holte ihn ins Team, und er baute uns den Leveleditor. Das war und ist ein echter Vorteil, ein Team aus vertrauten und kompetenten Personen zusammenstellen zu können. Dein ehemaliger Partner Mike Harrington, mit dem du Valve Software gegründet hast, ist aber nicht mehr dabei. Es heißt, er würde jetzt mit seiner Frau in einer Segelyacht um die Welt segeln. Warum habt ihr euch getrennt? Mike wollte einfach ein Boot bauen. Das hat er gemacht, er hat sein Segelboot gebaut, und als er fertig war, ist er losgesegelt. So einfach war das. Ihr habt euch also nicht im Streit getrennt? Überhaupt nicht. Mike wollte unbedingt ein Video-spiel entwickeln. Und als "Half-Life" fertig war, wollte er eben unbedingt ein Boot bauen. Er ist jemand, der immer neue Herausforderungen braucht. Hast du auch schon mal darüber nachgedacht, alles stehen und liegen zu lassen und etwas ganz anderes zu machen? Ehrlich gesagt: nein. Ich bin ein sehr geselliger Mensch, für mich ist es wirklich das Größte, mit den Leuten zusammenarbeiten zu können, mit denen ich zurzeit zusammenarbeite. Außerdem ist mein Job unglaublich herausfordernd. Künstliche Intelligenz, Gamedesign, Storytelling, Grafik, Physik - meine Aufgaben sind so vielschichtig, dass mir einfach nie langweilig wird. So ziemlich die einzige Sache, die man über dich herausfinden kann - außer, dass du mal bei Microsoft gearbeitet hast -, ist, dass du Messer sammelst. Was fasziniert dich so an Messern? Dass sie sich auf einem schmalen Grat zwischen Funktionalität und Kunst bewegen. Ein Messer kann gleichzeitig wunderschön und unglaublich praktisch sein. Dietmar Kressler, ein deutscher Messermacher, fertigt zum Beispiel Messer aus einem einzigen Stück Stahl. Klinge, Griff, Handschutz - das alles aus einem Werkstück herauszuarbeiten erfordert Kunstfertigkeit auf höchstem Niveau. Es gibt weltweit nur eine Hand voll Leute, die das können. Gleichzeitig ist ein auf diese Art gefertigtes Messer aber auch so stabil und robust wie kaum ein anderes - es trägt Ästhetik und Funktionalität zu gleichen Teilen in sich. Benutzt du solche Messer denn dann auch? Klar. Im Regal sind sie ja zu nichts nutze. Ich bin in der Messerszene bekannt dafür, dass ich selbst teuerste Messer tagtäglich benutze. Was, bitte, ist denn die Messerszene? Ein kleiner, erlauchter Kreis von Messersammlern eben. Ich bin da ziemlich aktiv, verfolge täglich die Diskussionen im brancheninternen Forum, wo sich die Elite der Messermacher über neue Techniken austauscht. Gibt es zum Beispiel einen neuen Stahl, eine neue Legierung, kaufe ich meistens sofort ein Stück davon und lasse daraus ein Messer anfertigen. Ich unterstütze darüber hinaus auch die Forschung, zum Beispiel im Bereich Stahlhärtung. Ich kann nur sagen: Da wird sich einiges tun in den nächsten Jahren. Bald wird es möglich sein, Stahl Atom für Atom aufzubauen. Was das für die Messermacher bedeutet, kann noch keiner sagen … in Sachen Klingenschärfe, Materialhärte und und und. Bist du also wenigstens in der Messerszene so was wie ein Star? Nein, "bunter Hund" trifft es eher. Was wahrscheinlich hauptsächlich an den Wettbewerben für Messermacher liegt, die ich ab und zu veranstalte. Einmal habe ich einen gemacht, wo die Messermacher ein Messer machen sollten, mit dem ich die Rinde vom Toastbrot ideal abschneiden kann. Ich hasse nämlich die Rinde bei Toastbrot. Da gab es interessante Resultate. Einer der Kombattanten hatte eine Miniatur-Guillotine entwickelt, mit der ich die Rinde abtrennen konnte. Ein anderer entwarf ein Messer mit quadratisch angeordneten Klingen, mit dem ich den Toast quasi ausstanzen konnte. Wie viele Messer hast du? Ungefähr 600. Und welches ist dein liebstes Stück? Ein Messer, bei dem der Knauf aus meteoritischem Metall geformt ist. Dieses Stück Meteor wurde in Afrika gefunden und ist mehrere Millionen Jahre alt. Eine besondere Beziehung habe ich auch zu dem Messer aus "Counter- Strike", denn es gibt zu diesem Messer ein real existierendes Vorbild, und zwar von einem amerikanischen Messermacher Namens Mick Strider. Er hat ein spezielles Verfahren entwickelt, mit der er Titan mit einer ultraharten Kobalt-Chrom-Legierung verbinden kann. Griff und Rücken der Klinge sind aus Titan, die Schneide ist aus dieser Legierung. Wenn man sich das Messer in "Counter-Strike" genau anguckt, kann man darauf eine feine Linie erkennen. Das ist die Trennlinie zwischen den beiden Metallen. Man stellt dann auch fest, dass das Messer aus "Counter-Strike" überhaupt nicht wie ein Kampfmesser aussieht. Das war einer der raren Momente, wo ich mir einen kleinen Moment des Egoismus, ein kleines Stückchen Genusssucht geleistet habe. Vorhin hast du gesagt, dass du in einem Spiel oft auch den Spieledesigner erkennen würdest. Welches Spiel oder welchen Spieldesigner bewunderst du denn besonders? Shigeru Miyamoto. Für mich ist "Mario 64" immer noch das beste Videospiel aller Zeiten. Miyamoto hat mit diesem Spiel nicht einfach nur den Übergang von der zweiten in die dritte Videospieldimension vollzogen, sondern auch noch ein Spiel abgeliefert, welches die Möglichkeiten, die in einem 3D-Spiel zur Verfügung standen, so viel besser genutzt hat als alle anderen vor ihm erschienenen 3D-Spiele. In "Mario 64" steckt so viel Überlegung, so viel Liebe zum Detail, dass es auch heute noch einzigartig ist. Wen mag ich noch? Warren Spector auf jeden Fall, mit dem habe ich mich auch schon ein paar Mal unterhalten. Peter Molyneux, Richard Garriot, Will Wright, die Typen halt, die schon lange dabei sind. Trotzdem, Miyamoto ist für mich einzigartig. Hast du Miyamoto schon mal getroffen? Ja, ich habe ihn einmal kurz gesehen, und wir haben uns kurz unterhalten, aber ich hatte keine Gelegenheit, ihn Sachen zu fragen wie "Warum hast du das da so gemacht?" oder "Wie bist du auf die Idee zu der Sache gekommen?". Würdest du wirklich genau das fragen? Nein, wahrscheinlich nicht. Ich würde vermutlich genau das tun, was alle Fanboys machen. Knallrot werden, auf die Knie fallen und sagen: "Du bist der Beste, wir sind unwürdig." Irgendwie so was. Ich versuche aber darüber hinwegzukommen. Interview: Michail Hengstenberg, Fotos: Tim Kubach