Rosige Zeiten
Auto fahren, Prinzessinnen retten, Monster töten: Computerspiele waren bis jetzt vor allem Jungskram. Nun will die Industrie vermehrt auch Frauen für Games begeistern. Mit anderen Spielkonzepten? Oder doch denselben? Und helfen pinkfarbene Konsolen wirklich weiter? Ein Blick auf die Emanzipation in Videospielen
Crunsher ist passionierter „Counter-Strike“-Spieler. Gerade ist er mit seinem Team in die oberste Liga der Electronic Sports League aufgestiegen. Doch nicht allein deshalb interessieren sich neuerdings immer mehr Zeitschriften für Crunsher und wollen über ihn berichten. Der wahre Grund ist: Er ist eine sie. Und damit die erste „Counter-Strike“-Spielerin der Geschichte, die in die ESL Pro Series aufgerückt ist. Ginge es nach dem Willen der Computerspielindustrie, so wäre Julia Numberger – so Crunshers Name außerhalb des Spiels – Vorreiterin einer Revolution der gesamten Games-Welt. Diese Revolution, die unter anderem Nintendo mit seiner Revolution – pardon: Wii – einleiten will, ist eine sexuelle. Denn ganz offiziell ist eines der wichtigsten Ziele des japanischen Unternehmens, mit dem Nintendo-DS-Handheld und nun auch mit der neuen Spielkonsole Frauen als neue Zielgruppe zu erschließen. Kaufbereite Konsumenten aller Geschlechter, vereint in einem neuen Wii-Gefühl – eine Vision, die offenbar nicht nur von reinem Emanzipationswillen getragen wird. Seit „The Sims“ sich mit mehr als 6,3 Millionen verkauften Einheiten zum meistverkauften Computerspiel aller Zeiten aufschwingen konnte, woran der ungewöhnlich hohe Anteil weiblicher Käufer nicht ganz unschuldig gewesen sein dürfte, ist die Spieleindustrie aufmerksam geworden auf das Geld, das mit einer potenziellen weiblichen Zielgruppe zu machen ist. Selbst Nintendos Erzkonkurrent Sony will plötzlich entdeckt haben, was Frauen wünschen: Eine pinkfarbene Playstation 2 und eine nicht minder pinke Version der Playstation Portable, die dem kürzlich erschienenen Nintendo DS – ebenfalls in Pink – die Stirn bieten sollen. Nahen also rosige Zeiten für weibliche Gamer? Betrachtet man die Rolle, die Frauen in der Vergangenheit in der Gameszene spielten, so hat man jedenfalls den Eindruck, dass es für sie eigentlich nur besser werden kann. Denn bisher hatten die meisten mit Computerspielen so gut wie nichts am Hut. Die JIM-Studie 2005 des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest hat ergeben, dass zwar 61 Prozent der befragten männlichen Jugendlichen mehrmals wöchentlich Computerspiele spielen, aber nur 15 Prozent der Mädchen. Eigentlich kaum verblüffend, wirft man einmal einen Blick darauf, welche Identifikationsangebote die meisten Computerspiele weiblichen Spielern bisher zu bieten hatten: Schwer vorstellbar, dass eine junge Frau sich begeistert in den Feinrippunterhemden und Goldkettchen tragenden Gangster Carl Johnson einfühlen möchte, der in „GTA: San Andreas“ mit einem Dildo Passanten totschlägt oder seiner masochistischen Freundin den Hintern versohlt, um ihre Erregungs-Anzeige nach oben zu treiben. Auch der Machosprüche klopfende Muskelberg Duke Nukem, der auf dem „Planet Of The Babes“ knapp bekleidete Latex-Schönheiten mit dem Maschinengewehr vor Außerirdischen rettet, die diese zur Prostitution zwingen wollen, bietet wenig Identifikationspotenzial. Frauen tauchen in diesen Welten nur selten auf. Und wenn, dann in aller Regel als 90-20-90-Schönheiten in Hot Pants oder Metall-Bikini, die den Wunschträumen junger, männlicher und vor allem sehr einsamer Spielentwickler entsprungen zu sein scheinen. Zockerin Nelly fordert: „Gamedesigner müssen anfangen, mehr weibliche Charaktere in Spielen anzubieten und die Rollen weiblicher Figuren zu ändern. Mit Sicherheit würde ein Großteil der Mädels, die ,Halo 2‘ spielen, ihren Gegnern liebend gern als weiblicher Master-Chief in den Hintern treten. Spieler wollen eine persönliche Beziehung zu ihrer Figur aufbauen können – dazu wäre es für Frauen natürlich hilfreich, wenn es auch weibliche Spielfiguren geben würde.“ Doch nicht nur die Figurengestaltung, auch die Spielaufgaben orientieren sich noch immer stark an Wünschen und Fantasien, die man traditionell als urmännlich einordnen würde. Wer Videospiele spielt, muss stärker boxen, präziser schießen und sein Auto besser tunen als alle anderen. Und natürlich immer wieder seine entführte Freundin aus den Klauen eines finsteren Unholds retten. Nellys Freundin Alyson jedenfalls kann sich dafür kaum begeistern: „Gamedesign muss kreativer werden, sich an offeneren Enden orientieren, um Frauen wirklich zu begeistern. Wenn Games wie etwa ,Die Sims‘ oder ,Nintendogs‘ menschlicher und stärker sandkistenartig werden, wird auch die Zahl weiblicher Gamer steigen.“ Genau dieser Trend zu sandkistenartigeren Spielen ist ja in den vergangenen Jahren durchaus im Gamedesign zu bemerken. „The Movies“, „Animal Crossing“, „Spore“ – offenere Spielmechanismen haben sich im Mainstream längst ihren Platz erobern können. Anschei-nend stehen also Spiele zur Verfügung, die Alysons Forderung nach weiblicherem Gameplay genügen können. Doch damit allein ist das Problem eben noch nicht gelöst. Denn um Computerspiele einem weiblichen Publikum näher zu bringen, reicht es nicht, Details im Gamedesign zu verändern. Woher sollte eine Frau, die bisher nicht das Geringste mit Videospielen zu tun hatte, wissen, dass es neuerdings auch Spiele gibt, die ihr gefallen könnten? Den potenziellen weiblichen Spieler müssen diese Veränderungen erst nahe gebracht werden: indem die Marketingabteilungen anfangen, die Veränderungen zu kommunizieren. Alyson und Nelly sind selbst Teil einer solchen Marketingmaßnahme. Unter dem Namen „Calyber“ und „Psyche“ spielen sie bei den „Frag Dolls“ – einem rein weiblichen Gamer-Team, laut Website-Info „vom Publisher Ubisoft rekrutiert, um die Präsenz von Frauen in der Computerspielindustrie zu fördern“. Eine Aufgabe, die sich bisher nicht immer einfach gestaltet hat. Alyson berichtet: „Wenn andere Spieler mitbekommen haben, dass man ein Mädchen ist, passierte es schon mal, dass sie einen beschimpft haben als ,abstoßende, 200 Kilo schwere Stubenhockerin, die niemals das Haus verlässt‘.“ Dabei kann man das der at-traktiven jungen Blondine wohl kaum nachsagen. Und genau hier liegt ein Kritikpunkt, der den „Frag Dolls“ immer wieder entgegengehalten wird. Böse Zungen werfen dem gecasteten Team vor, keine Umwälzung zu bringen, sondern eine bloße Bestätigung traditioneller Rollenbilder, mit der man sich die Aufmerksamkeit männlicher Gamer sichern will: eine Gruppe auffäl- lig gut aussehender junger Mädchen, deren Website zu großen Teilen aus stupsnäsigen Cartoonversionen der Dolls im Barbie-Style sowie aus Bildergalerien der fotogenen Spielerinnen besteht. Ein Gräuel für echte „Game Grrrls“. Unter diesem Namen schlossen sich schon vor Jahren Frauen-Gamer zusammen, die Computerspielbilder von kriegerischen und sexuell aufreizenden Frauen nicht als sexistisch verdammen, sondern sie zu einem Vehikel der weiblichen Selbstbefreiung umfunktionieren wollten. Der Name der Bewegung lehnt sich an den Begriff der „Riot Grrrls“ an, einer feministisch orientierten Musik-Subkulturbewegung der neunziger Jahre. Dem Patriarchat die „Big Fucking Gun“ unter die virtuelle Nase halten und den Jungs zeigen, wer im Deathmatch die Hosen anhat – das war in etwa die Marschrichtung der „Game Grrrls“. Zugegeben – viel ist nicht geblieben von dieser Punk-Attitüde, wenn man sich die pastellfarbenen Comic-Avatare der „Frag Dolls“ anschaut, die auf Bildern gemeinsam auf dem Sofa kichern und sich mit Popcorn bewerfen. Eher Pyjama-Party als Monsterkill. Vielleicht ist sie ja hier schon wieder zu Ende, die viel beschworene Welle, die einst von der frauenfreundlichen Spielwelt von „Die Sims“ angestoßen wurde. Im Grunde wäre sie dann genau dort verebbt, wo sie einst aufbrandete – denn schon „Sims“-Schöpfer Will Wright sprach von seiner Spielwelt als einem „digitalen Puppenhaus“. Und genau dazu scheint die Softwareindustrie weibliche Gamer mit dem Marketingtrick der gecasteten Frauenteams wie- der zu degradieren: hübsch anzuschauende Püppchen. Eine Beleidigung für alle „richtigen“ Clan-Zockerinnen? „Toll finde ich das Ganze natürlich nicht“, erklärt die 21-jährige Doréen, die unter dem Nickname „mia“ für den deutschen „Counter-Strike“-Girlsclan maedchenblu.t spielt. „Mit spielerischem Können hat die Aufnahme in so ein gecastetes Team doch nichts zu tun. Im E-Sport findet sich so eine Gruppe normalerweise nach dem Spielniveau zusammen, aber auch danach, wie die Mädels miteinander auskommen. Eine Firma will einfach nur Dinge verkaufen, und das funktioniert mit attraktiven Mädels wie den Frag Dolls eben sehr gut.“ Doch bei aller Kritik erkennt Doréen auch eine Chance, die diese publikumswirksam zusammengestellten Marketing-Clans für weibliche Spielerinnen bieten könnten: „Man muss bedenken, dass diese Teams immerhin mit einem bösen alten Klischee aufräumen: dass Mädels, die zocken, hässlich sein müssen.“ So kontraproduktiv scheinen demnach diese gecasteten Teams gar nicht zu sein für das Projekt der Emanzipation weiblicher Gamer. Resümieren wir also noch einmal: Marketing-Maschinerie rollt. Offeneres Gameplay eingebaut. Hot-Pants-Höhlenforscherinnen gegen realistische Frauenfiguren ausgetauscht. Revolution geglückt, Patriarchat tot? Prof. Birgit Richard von der Universität Frankfurt hat sich in einer Studie über Jahre hinweg mit der „Konstruktion von weiblichen Repräsentationsbildern in Computerspielen“ beschäftigt. Sie schätzt die Entwicklung für weibliche Spieler tatsächlich sehr gut ein: „Es scheint wirklich eine Tendenz dahin zu geben, dass mehr Frauen spielen. Vor allem auch dadurch ausgelöst, dass Multiplayerspiele wie ‚World Of Warcraft‘ so ungeheuer groß geworden sind. Bei diesem Spiel ist die reine Männerdomäne längst aufgebrochen. Bei Handygames überwiegen die weiblichen Spieler auch schon.“ Aber Moment mal: „World Of Warcraft“ und Handygames – hier bestätigen sich doch nur wieder alte Klischees: dass nämlich Frauen stärker an sozialem Miteinander interessiert sind, während die Männer den Kampf gegen eine feindselige Umwelt – wie in Egoshootern – übernehmen. Aber was hat sie dann überhaupt verändert, wenn doch nur wieder alle Frauen „Die Sims“ und alle Männer „Doom 3“ spielen? Prof. Richard erklärt: „Die Spielerinnen verhalten sich so, weil sie es nicht anders gewöhnt sind. Es wird einem beigebracht: Dir als Frau steht es nicht zu, aggressiv zu sein. Auch nicht im Spiel. Wird diese Zuweisung überschritten, gibt es schnell Empörung. Sobald man ein anderes Bewusstsein dafür schafft, dass man sich als Frau auch andere, nicht frauentypische Figuren aneignen kann, verändert sich das. Es gibt sie, die anderen Möglichkeiten, außerhalb der traditionellen Stereotype zu agieren – sie sind nur unheimlich schwer zu finden.“ Aber bieten denn Computerspiele überhaupt diese Potenziale, alte Geschlechterrollen zu verlassen? „Viele Spieler erlauben es ja, sowohl als männliche als auch als weibliche Figuren zu spielen, da gibt es zum Beispiel die Möglichkeit zum Geschlechtertausch. Hier wird es möglich, einfach die andere Geschlechterrolle auszuprobieren, zu sehen, wie sie überhaupt funktioniert. Und mit ihr zu spielen.“ Weitere Chancen zum Sprengen von Geschlechterstereotypen sieht die Forscherin im Bereich des Modding, etwa in dem Anfertigen eigener Skins für Spielfiguren: „Da entwickeln ganz brave amerikanische Hausfrauen plötzlich großes Vergnügen daran, unglaublich böse, martialische Figuren zu entwerfen.“ Viele Spiele eröffnen wiederum paradoxerweise gerade dadurch die Möglichkeit, stereotype Vorstellungen einzureißen, dass sie es den Spielerinnen ermöglichen, stereotype Rollen einzunehmen – und zwar die des anderen Geschlechtes. Im Zuge ihrer Forschung konnte Prof. Richard etwa immer wieder beobachten, dass auch die dunklen, labyrinthartigen Räume vieler Egoshooter durchaus bei vielen Frauen gut ankamen: „Auch für sie ist es ein positives Erlebnis, zu erfahren, dass sie sich in diesen bedrohlichen Räumen behaupten können. Frauen können durchaus auch große Freude daran haben, zu sehen wie etwa Feinde spektakulär zerplatzen.“ Nicht die Spiele müssen sich also ändern, sondern die Einteilungen in den Köpfen. Die Computerspielindustrie kann nicht eine komplette Welt ändern, in der Eltern ihre Töchter rosa anziehen und ihre Söhne blau, in der sie den Mädchen Puppen schenken und den Jungs Spielzeugpistolen. Was sie aber kann, ist eine andere Welt daneben zu stellen, in der es ohne den Spott und das Misstrauen der realen Welt möglich ist, dass Mädchen mit Schwertern spielen und Jungs mit Ponys. Text: Danny Kringiel