Legende ohne Ende
"Legend Of Zelda" ist zurück: mit dem größten, schönsten und besten Action-Adventure aller Zeiten. Behauptet zumindest Nintendo. Wir durften uns zehn Stunden lang selbst ein Urteil darüber machen. Reicht das?
Eine grüne Weste über dem Kettenhemd, die kindlichen Beine in Strumpfhosen gehüllt und auf dem Kopf eine Zipfelmütze, unter der zwei Elfenohren hervorgucken: Derart putzig kann die wichtigste Person eines Konsolen-Launches aussehen. Link aus „Legend Of Zelda“ ist nämlich nicht nur der einzige klassische Nintendo-Charakter, der zum Wii-Starttermin Präsenz zeigt, die neue „Zelda“-Folge „The Twilight Princess“ ist zunächst das einzige Game, das der Konsolenhersteller neben „Wii Sports“ und „Wii Play“ in die Läden stellt. Ungewohnt vollmundig wird deshalb nicht weniger als das größte, schönste und beste „Zelda“ aller Zeiten versprochen. Ein zehnstündiges Probespiel in der europäischen Firmenzentrale von Nintendo soll den Beweis liefern. Zehn Stunden Spielzeit. Das muss locker reichen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Sollte man zumindest meinen. Schließlich offenbaren Videospiel-Meisterwerke wie „Ico“ oder „God Of War“ dann praktisch schon ihre Endsequenz. Aber Link läuft nach zweieinhalb Stunden noch immer im ersten Dorf herum, hilft seinen Nachbarn bei ihren Wehwehchen oder treibt mit seinem Pferd Epona die Ziegen von der Weide. Kein Wunder, schließlich erzählt auch „Twilight Princess“ die Legende von Zelda ganz von vorn. Obwohl Link schon zigmal das Königreich Hyrule vor dem Verderben bewahrt hat, wird er zu Anfang eines jeden Teils nämlich wieder zum kleinen Bauerntölpel. Auf diese Weise macht einen das Game langsam mit seinen Möglichkeiten vertraut, die mit einem für ein Action-Adventure schier unglaublichen Umfang alles übersteigen sollen, was man in diesem Genre bisher gesehen hat. Das bestätigt auch ein Zettel, den ein Nintendo-Mitarbeiter während der Probesession austeilt und der detailliert aufschlüsselt, wel-che Spielinhalte die Öffentlichkeit vor Erscheinen des Spiels erfahren darf: Von 70 Stunden Spielzeit und mehr ist die Rede. Das heißt: Mit allen Nebenaufgaben dürften die Hundert voll gemacht werden. Diese Information entspannt die Lage: Wenn eh nur Zeit für ein Zehntel des Spiels bleibt, kann man das Durchhetzen auch ganz sein lassen und erst mal eine Runde Angeln gehen. Und dabei die speziellen Wii-Fähigkeiten begutachten, die bei einigen Aufgaben zum Einsatz kommen. Wie eben der Angel, wo der Spieler zum Einholen der Leine den Nunchuk wie eine Kurbel drehen muss. Oder bei den mannigfaltigen Waffen: Beim Schwertkampf gilt es etwa, mit der Wii-Mote in der Hand herumzufuchteln. Dabei kommt das Schwirren der eigenen Klinge nicht aus dem Fernseher, sondern aus den Lautsprechern des Controllers. Die klingen nicht gerade wie High-End-Boxen, unterstützen aber trotzdem die Illusion, ein Schwert in der Hand zu halten. Ansonsten bleibt die Steuerung weitgehend traditionell. Mit dem Analogstick bewegt man Link, Items setzt man mit dem Steuerkreuz ein. Irgendwann muss aber auch mal Schluss sein mit der Kuhdorfidylle: Eben noch beim Angeln, findet Link sich plötzlich in einem düsteren Paralleluniversum wieder. Und zwar im Körper eines Wolfes. Überzeichnete Lichteffekte und grobkörnige Schatten lassen diese Welt so gar nicht nach einem klassischen Nintendo-Spiel aussehen. Genauso wenig wie die deformierten Tentakelwesen, gegen die sich Link als Wolf zur Wehr setzen muss, und deren Bewegungen von schrägen Trompetentönen flankiert werden. Durch diese düstere Gegenwelt, die im Laufe des Spiels anscheinend immer wieder besucht wird, möchte Nintendo offensichtlich diejenigen Fans zurückgewinnen, denen die letzte Folge „The Wind Waker“ zu kindgerecht ausfiel. In diesem Zwielicht trifft Link auch erstmals auf seinen Sidekick: Midna – ein kleines Mädchen mit katzenhaften Zügen, leuchtenden Tribal-Mustern auf der Haut und einem Helm, der in seiner Monstrosität aus der Schmiede von H.R. Giger zu stammen scheint. Midna ist nicht nur für einige lustige Kommentare gut, sondern verhilft Link als Wolf, während sie auf ihm reitet, auch zu besonderen Fähigkeiten. Spätestens jetzt hat einen das Spiel beim Schlawittchen gepackt: Die Handlung ist fesselnd, die Möglichkeiten erweitern sich im Zehnminutentakt, und alles funktioniert derart flüssig, das man keine Gedanken an Kameraperspektiven oder die Steuerung verschwenden muss. Langsam bekommt man doch Lust, mehr zu sehen. Viel mehr. Was, nur noch drei Stunden übrig? Also ganz schnell den ersten Dungeon aufsuchen! Schließlich trugen diese kniffeligen Labyrinthe bisher nicht unerheblich zu „Zeldas“ Ruhm bei. Und machen dem Spiel auch hier alle Ehre, denn schon das erste Exemplar seiner Art in „Twilight Princess“ besticht durch architektonisch extrem verzwickt angeordnete Räume, in denen eine ganze Affenhorde auf ihre Befreiung wartet. Hier bringt einen das Spiel mehrere Male nahe an den Rand der Verzweiflung und somit zum vielleicht typischsten Moment der ganzen Serie: jenem, in dem man bei einem Rätsel unentwirrbar festzuhängen glaubt, jeden Raum daraufhin dreimal durchsucht und bereits den irrationalen Gedanken hegt, die eigene Version des Spiels müsse irgendwie fehlerhaft sein. Und auf einmal entdeckt man irgendeine Kleinigkeit, eine Bodenplatte, eine Inschrift oder ein Seil, das von der Decke hängt – und plötzlich fällt einem die Lösung wie Schuppen von den Augen, und alles ergibt einen Sinn. Und damit sind die zehn Stunden mit „Twilight Princess“ auch schon zu Ende. Wie jetzt? Es wurden noch nicht einmal alle grundlegenden Spielelemente eingeführt, im Gegenstandsmenü herrscht nahezu Ebbe. Was ist mit den epischen Kämpfen hoch zu Ross, den vielen besonderen Wii-Steuerungskniffen oder romantischen Bootsfahrten, die im Trailer zu sehen waren? Fehlanzeige. Somit bleibt die wirkliche Qualität von „Zelda“ noch im Dunklen. Das größte „Zelda“? Auf jeden Fall. Das schönste? Mit Sicherheit. Ob es auch das beste ist, kann erst der entspannte Genuss ohne Zeitdruck in den eigenen vier Wänden klären. Also: Her mit dem Spiel. Wir freuen uns. Text: Heiko Gogolin