Die neue Dino-Norm?

Die neue Dino-Norm?

Die Dinosaurier wurden immer trauriger: Zwei Bestseller, drei miese Aufgüsse - das ist die Bilanz der "Turok"-Serie. Jetzt soll sie mit einer neuen Folge von einem neuen Entwicklerstudio wiederbelebt werden. Kann das klappen?

"Dazu können wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen." Es ist nicht das erste Mal an diesem Tag, dass Josh Holmes die Frage eines Journalisten so beantwortet. Dabei müsste er eigentlich eine ganze Menge sagen, der Mitgründer und Vizepräsident von Propaganda Games. Schließlich ist es heute seine Aufgabe, 15 extra angereiste Journalisten aus ganz Europa davon zu überzeugen, dass die "Turok"-Serie noch mal wiederzubeleben ist. Ein schwieriges Unterfangen, denn eigentlich interessiert "Turok" niemanden mehr. Da ist Schweigen nicht gerade hilfreich. Zehn Jahre zuvor sorgte der erste "Turok"-Teil als erster Egoshooter für Konsolen auf dem N64 für Furore. Ein Erfolg, der mit dem zweiten Teil noch überboten werden konnte – und Acclaim dazu verleitete, in nur vier Jahren drei weitere Nachfolger rauszubringen. Die allerdings mit jeder Auflage schlechter und belangloser wurden. "Wir wollen das ,Turok‘-Franchise neu erfinden", stellt Holmes deshalb auch gleich am Anfang der Präsentation vor Journalisten klar, die in das Entwicklerstudio nach Vancouver gekommen sind. Dann startet er einen Trailer zum Spiel. Ein kerniger Typ, Turok, rennt mit seinen Kameraden durch den Dschungel. Alle sind in schwerer Kampfmontur unterwegs. Feindlich gesinnte Dinosaurier tauchen auf. Ein Feuergefecht. Feindlich gesinnte Soldaten tauchen auf. Ein Feuergefecht. Explosionen. Zerstörung. Dann steht da "TUROK", in großen, grünen Lettern. Der Trailer lief schon im Sommer letzten Jahres auf der amerikanischen Videospielmesse E3. Danach zeigt Holmes einen Trailer, den die meisten schon von der deutschen Videospielmesse Games Convention kennen. Wieder der kernige Typ, wieder riesige Dinosaurier, wieder nichts Neues. Dann kündigt Holmes an, ein ganzes Level des Spiels vorzuführen. Zum ersten Mal überhaupt. Level 15. Von wie vielen? "Dazu können wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen." Sein Kollege spielt, Holmes erzählt. "Grundlegende Elemente des Spiels sind das Stealth-System und die Geschwindigkeit. Schnell anschleichen und den Gegner ausschalten ist die Devise", erklärt er, während sein Kollege Turok durch den Dschungel lenkt und einen gegnerischen Soldaten erledigt. Im Schatten der Urwaldvegetation schleicht er sich hinterrücks an und erledigt ihn mit einem Schuss in den Rücken. "Elementar ist auch die ständige Bedrohung durch die Dinosaurier, denn die sind genauso schnell wie du", sagt Holmes, und schon springt eine Art Raptor aus dem Gebüsch und fällt Turok an. Der wehrt sich, am Boden liegend, mit einem Messer, das er dem Dino immer wieder in den Hals schlägt. Der Kollege hämmert heftig auf das Pad. Braune, schleimige Flüssigkeit spritzt aus der Wunde des Dinosauriers. Nach ein paar Hieben sinkt das Tier tot zur Seite. "Überraschungsterror", sagt Holmes. "Das ist, als würde dich ein 400 Kilo schwerer Pitbull anfallen." Im Raum ist es still. "Der Spieler darf sich in dieser Umgebung niemals sicher fühlen", fährt Holmes schnell fort, "aber er kann die Dinosaurier auch zu seinem Vorteil nutzen." Sein Kollege zeigt, wie das funktioniert: Mit dem Laserpointer seines Gewehres lässt er Turok ein besonders großes Exemplar ärgern, bis es wütend auf eine Gruppe kleiner Dinos losgeht. Die wehren sich und beißen dem Angreifer in die Beine, haben letztendlich aber keine Chance und werden gnadenlos zerfleischt. Holmes’ Kollege beobachtet das aus sicherer Entfernung und wartet, bis sich der große Saurier ausgetobt hat und das Weite sucht. Dann läuft er weiter. "Das Anlocken ist ein weiteres zentrales Element des Spiels", sagt Holmes, "es spart jede Menge Munition." Um das zu verdeutlichen, wiederholt sein Kollege das Spiel und hetzt eine Horde kleiner Dinosaurier auf eine Schar Soldaten. Die sind so damit beschäftigt sich zur Wehr zu setzen, dass er unbemerkt an ihnen vorbeischleichen kann. "Besonders wichtig ist uns, dass der Spieler Probleme auf unterschiedliche Art und Weise lösen kann", betont Holmes, und seinem Kollegen steht schon wieder ein Dino im Weg. Diesmal zückt er einen Flammenwerfer und entfacht damit eine Gasquelle direkt neben dem Tier. Verschreckt rennt es davon. Der Weg ist frei. Die nächste Lichtung räumt er ganz klassisch: Schießen kann man schließlich auch. Holmes’ Kollege schaltet durch die Waffen und feuert wahllos in die Gegend. Holmes’ Gesicht sieht man an, dass das "Weapon switching" ein zentrales Element eines Shooters und das hier gezeigte noch nicht fertig ist: "Das wird noch optimiert." Immerhin: Eine Waffe feuert Geschosse ab, deren Detonation so heftig ist, dass ihre Schockwelle das Bild auf dem Schirm für einen kurzen Moment nach außen wölbt. Die Journalisten raunen anerkennend. Dann taucht ein kleines Urwaldkind auf, es spricht altklug mit Turok und läuft wieder weg. "Die Stimmen sind noch nicht final", bemerkt Holmes schnell. Sein Kollege läuft in einen Abschnitt mit hohem Gras und bleibt stehen. Holmes weist auf das sanft schwingende Gras hin. Jeder Halm bewegt sich einzeln. Geht Turok hindurch, biegt sich das Gras zur Seite. "Das wird alles dynamisch berechnet", erklärt Holmes stolz. Im Hintergrund bewegt sich das Gras, etwas kommt auf Turok zu. Ein baumdicker Wurm mit gefährlich spitzen Fängen baut sich vor ihm auf und reißt sein Maul auf. Mehrere Zahnreihen sind zu sehen. Holmes’ Kollege erschießt den Wurm mit einem Maschinengewehr. Wieder spritzt brauner Schleim. "Das Setting ist nicht die Urzeit", erzählt Holmes. "Der Planet, auf dem Turok sich befindet, ist künstlich erzeugt, die Umwelt genetisch mutiert. Deswegen gibt es dort auch Tiere, die es in der Wirklichkeit nicht gibt oder gab." Als Inspiration für das Spiel nennt Holmes, neben den ersten beiden "Turok"-Spielen, vor allem "Call Of Duty" und "King Kong". Für die Nah-Attacken der Dinos aber auch "Dawn Of The Dead", Löwenangriffe und "viele andere blutrünstige Tiere und Filme". "Davon haben wir in der letzten Zeit eine ganze Menge gesehen", lacht er. Inzwischen hat Holmes’ Kollege Turok mit seiner Truppe in einer Grube Deckung suchen lassen, weil feindliche Soldaten vorbeifahren. Die Männer streiten darüber, ob man angreifen soll oder nicht. Zum ersten Mal sieht man sie in Nahaufnahme. "Stimmen und Aussehen sind auch hier noch nicht final", erklärt Holmes. Unterdessen hat man sich in der Grube für den Angriff entschieden. Nach einem Gefecht mit den feindlichen Soldaten, steigt die Truppe in das soeben eroberte Auto. "Wir werden auch Fahrsequenzen einbauen", meint Holmes, aber da ist das Level schon vorbei. "Zu den alten Spielen wird es inhaltlich keine Verbindung geben", sagt Holmes noch schnell und: "Alles, was wir wollen, ist, ,Turok‘ wieder zu einem guten Spiel zu machen." Jetzt hat er so viel geredet, dass er erst mal einen Schluck Wasser trinkt. Dann werden die ersten Fragen gestellt. Was mit dem Mädchen sei. Ob es einen Coop-Modus geben wird. Wie der Multiplayer-Modus aussieht. Warum Turok so anders aussieht als in den alten Spielen. Wer die anderen Leute sind. Ob es auch die Bombenpfeile aus dem ersten Spiel geben wird, die, die so einen Atompilz am Horizont gemacht haben. Die Antwort ist stets die gleiche: "Dazu können wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen." Als nächstes sollen Teams aus den einzelnen Bereichen Einblick in ihre Arbeit geben. Mehr als hundert Leute sind in dem erst Anfang 2005 gegründeten Studio tätig. Verteilt über zwei Stockwerke in einem modernen Bürohochhaus mitten in Vancouver. Nacheinander werden sie in ein kleines, fensterloses Zimmer geführt, loggen sich am Computer ein, um auf ihre Daten zuzugreifen, und zeigen dann, woran sie gerade arbeiten. Viele von ihnen haben schon an hochkarätigen Titeln wie "Def Jam", "NBA Street", "Splinter Cell", "Metroid", "Battlefield" und "Quake" mitgearbeitet. Ein Charakter-Designer führt stolz vor, dass die Menschen im Spiel mehrere Schichten Kleidung tragen. Nach und nach kleidet er die Figur ein. Schicht für Schicht. Über das Shirt kommt ein Brustpanzer und darüber noch eine Weste, dann Patronengurte, Granaten und diverse Taschen. Am Ende klickt er noch Halstuch, Mütze und Handschuh dazu. Fertig. So wird also der fertige Soldat aussehen? "Der finale Look ist das noch nicht. An dem wird noch gearbeitet." Der für die Dinosaurier verantwortliche Designer ist richtig euphorisch, bezeichnet sich selbst als "Dino-Geek" und erzählt, wie der Look erarbeitet wurde. Er erklärt, dass man sich bewusst entfernt hat von einer realistischen Darstellung wie in "Jurassic Park". Einige Dinos hatten zwischenzeitlich sogar Federn auf dem Kopf. "Jetzt haben wir einen Look kreiert, der eher zombiemäßig ist", sagt er. Einen Dino zeigen, der das Experimentierstadium hinter sich hat und schon so aussieht wie später im Spiel, darf er allerdings nicht. Als nächstes ist einer der Leveldesigner dran. Um zu erklären, was seine Aufgabe bei der Entwicklung des Spiels ist, holt er etwas aus und will erklären, wie es überhaupt dazu kommt, dass Turok auf diesem Planeten um sein Leben kämpfen muss. Die bisher völlig unbeteiligt wirkende mitgereiste Pressebetreuerin hebt kurz die Hand und räuspert sich hörbar. Das bringt den Leveldesigner sofort zum Schweigen. "Oh. Das hätte ich wohl nicht verraten sollen, ist mir so rausgerutscht." Immerhin wissen wir nun, dass Turok mit einem Raumschiff unterwegs war und auf dem Planeten notlanden musste. Im Anschluss gibt es einen Rundgang durch die Büroräume. An den Wänden hängen Poster, Pläne und Parolen, die mehr über das Spiel verraten als alles, was vorher erzählt und gezeigt wurde. Gleich im ersten Gang hängen an der Wand die Keyfeatures des Spiels auf postergroßen Ausdrucken zusammengefasst: "Furchteinflößende Kreaturen" steht da. Oder "Actiongeladenes Gameplay" und "Riesige Are-ale". Darunter hängen Bilder in Spielgrafik von Dinosauriern. So hoch aufgelöst, dass man sogar Farbverläufe in den gefletschten Zähnen erkennen kann. Daneben kleben Tabellen mit den Daten des jeweiligen Sauriers. Riesig werden einige davon im Spiel sein. Über zwölf Meter. Auch Fahrzeuge in verschiedenen Größen sind zu sehen. Manche sehen aus wie Quads. Andere sind mit Waffen bestückt und haben Platz für zwei. Das geht aus den Leistungsdaten hervor. Ob man sich wie in "Halo" als Spieler in so einem Vehikel entweder für die Position des Schützen oder die des Fahrers entscheiden kann, ist nicht abzulesen, aber sehr wahrscheinlich. Hinter der nächsten Ecke hängt ein Plan, auf dem mit 24 verschiedenen Farben lange Balken eingezeichnet sind. Wahrscheinlich die Zeit, die einem Team für das Erledigen einer bestimmten Aufgabe eingeräumt wird, ganz sicher aber nichts für neugierige Journalistenaugen. So lässig es eben geht, stellt sich Holmes vor den Anfang des circa drei Meter langen Plans und lenkt die Blicke in einige Büros. Hinter der nächsten Ecke wartet eine Überraschung: Da hängt das ganze Spiel an der Wand. Als Storyboard. Für jedes Level ein großer Bogen Papier, auf dem alles vermerkt ist, was passiert. Welche Waffen, Wagen und Saurier vorkommen, wie die Umgebung aussieht und welche Storyelemente abgefrühstückt werden. Zu viel Information, um unauffällig im Vorbeigehen aufgenommen zu werden. Aber genug, um zu wissen: Das Spiel ist schon viel weiter fortgeschritten, als man offiziell zeigen wollte. Nur an wenigen Stellen steht noch "nicht final" oder "nicht erledigt". Hinter der nächsten Ecke ist der Rundgang dann vorbei. Am Ende ist noch Zeit für ein 15-Minuten-Interview mit Josh Holmes. Auf das man zu dritt zwei Stunden warten muss. Holmes spricht über die Philosophie von Propaganda Games: "We want to make great games." Dass alle im Team große "Turok"-Fans sind, wird noch mal wiederholt. Und auch, dass der Serie neues Leben eingehaucht werden soll. Auf die meisten Fragen gibt’s aber die altbekannte Antwort: "Dazu können wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen." Bleibt nur ein Fazit: ob "Turok" ein gutes Spiel wird? Hammergrafik, klar. Coole Dinos auch, sicher. Und sonst? Darüber können wir zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen.
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von Volker Hansch / März 10th, 2007 /

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