Schirm-Herrschaft

Schirm-Herrschaft

Die Breakpoint ist das größte Demoscene-Treffen der Welt. Jedes Jahr zu Ostern kommen 1000 Computer-Freaks nach Bingen am Rhein, um sich gegenseitig im Kampf um den coolsten Code zu übertreffen - und gemeinsam Bier zu trinken. Wir waren dabei

Die Demo-Szene ist nicht gerade eine entspannte Feelgood-Subkultur, in die man einfach so reinrutscht wie in Fußballbildersammeln, High-School-Filme-Gucken oder Kaninchenzucht. Es geht darum, Computerprozessoren möglichst spektakuläre Animationen inklusive Soundtrack zu entlocken und dabei den Programmcode bis an sein Limit zu verdichten. Dem Ganzen haftet in seiner aufwendigen Spezialisierung schon etwas Logenhaftes an. Hermetisch und hoch verdichtet - immenser Nerd-faktor inklusive, ganz klar. Und Alltagstauglichkeit? Kannste mal vergessen. Den Demoscener versteht die Welt nicht mehr. Selbst ausgebuffte Informatiker müssen abschalten, wenn er in Gesprächen richtig loslegt. Das bringt ihm natürlich den Ruch ein, mehr als sonderbar zu sein. Geht es darum, das Phänomen Demoscene für Außenstehende knapp auf den Punkt zu bringen, wird daher gern dieser eine an die Simpsons angelehnte Gag bemüht: "Frage: Was muss man wissen, wenn man einen Demoscener in der engen Verwandtschaft hat? Antwort: Nicht viel - nur was man anzieht, wenn das Fernsehen kommt, um einen zu interviewen, nachdem er den Präsidenten abgeknallt hat." Ja, ja, das bebrillte Superhirn, das irgendwann Amok läuft. Auch nur ein Klischee mehr. Umso angenehmer da, wenn man sich mal untereinander treffen kann. Auf größeren oder kleineren Conventions mit ordentlich Competition und bitte nicht als belächelter Appendix einer Lan-Ballerparty, sondern so richtig nur Demo, so richtig nur unter sich, so richtig mal keinem erklären müssen, an was man da die ganze Zeit so beseelt knabbert. Willkommen in Rheinhessen, willkommen in Bingen. Breakpoint 2007: eine der größten und etabliertesten Schauen zum Thema, an die 1000 Besucher vor Ort, an die 30 Länder vertreten. Macht euch hübsch, es kann losgehen. Vier ganze Tage Vollspacking mit Schleife stehen an.

Lan-Party trifft Woodstock

Bingen und Co sind dabei ja auch mal supermalerisch. Die betuliche Rheinstrecke führt an der Loreley und Weinbergen vorbei, auf dem Fluss schippern die Ausflugsdampfer - und die amerikanischen Touristen schnalzen mit der Zunge bei so viel classic German Postkartenidylle. Um zur Breakpoint selbst zu gelangen, verlassen wir die geile Panoramaroute und sind ziemlich erstaunt, wie hässlich es plötzlich wird, wenn es Richtung Mini-Industriegebiet geht. Der Weg führt über einen Kreisverkehr, an einer 24-Stunden-Aral vorbei, um dann endlich bei einer spotthässlichen Mehrzweckhallen-Architektur rauszukommen. So wenig, wie es darum gehen soll, immer wieder die gängigen Nerd-Klischees zu reproduzieren, so sehr knallen sie einem hier dennoch gleich um die Ohren. Also kein romantic Rheinhessen-Zauber, sondern eine Sechziger-Jahre-Sporthalle mit ein paar Ess- und Bierständen auf der Wiese davor. Dazu Hinweistafeln aus Holz, deren eingeschnitzte Auskünfte auf Lateinisch sind. Zum Beispiel "latrinium" statt WC. Lieber Himmel. Das und die in schwarz gekleideten Grüppchen, die mit langen Haaren in der Sonne stehen, lassen das ungeübte Auge vermuten, man befände sich versehentlich auf einem Mittelaltermarkt. Obwohl: Auf einem solchen müsste man lange suchen, um Leute zu finden, die T-Shirts tragen mit Claims we "Demo Or Die!" oder "Ich interpoliere dir die Fresse". Ansonsten wirkt das Szenario wie die Mischung aus einer Lan-Party und Woodstock. In der Halle alles voller checkermäßigem Tech-Kram und ebenso endlosen wie hoffnungslos verkabelten Tischreihen, draußen ein lagerfeuerumspieltes Treiben mit komischen Klamotten, lieblinkischen Styles und einer Parade von sympathischen Unfrisuren. Als schönes Ornament für die große Fete, die sich bereits am Eröffnungsnachmittag abspielt, liegen auch schon diverse Alkoholgeschädigte rum, mitunter bereits dekoriert. Die werden aber von dem Orga-Team resolut geweckt und wieder auf Kurs gebracht. Aber der alte Kodex von "Don't drink and code" scheint 2007 kein nachhaltiger Wert mehr zu sein. Auf den feuchtfröhlichen Punkt bringt das die SMS von Tobias Heim von Digitale Kultur e.V. Er organisiert die assoziierte Veranstaltung Evoke in Köln im Herbst mit und befindet sich selbst bereits im 18. Jahr des Demoscene-Touring. Der hat schon alles gesehen, den wollen wir deshalb später interviewen. Er schreibt: "Hallo! Gerne treffen um halb acht. Bin dann bestimmt schon besoffen, aber umso gesprächiger. Bis gleich." Solch eine Nachricht hätte man an dieser Stelle nicht unbedingt vermutet, erhält man aber dennoch gern, stellt sie doch klar, dass der geheimbündische Insider-Duktus des Programmierer-Genies auch eine soziale Entsprechung besitzt, wie man sie auch als Laie aus dem Wirtshaus oder Fußballstadion kennt. Apropos: Obwohl auf der Convention so ein Festival-Flair weht und schicke Homemade-Kraftwerk-Remixe die Wiese beschallen, fällt das Fehlen des körperlichen Aspekts doch auf. Denn wenn sonst bei schönem Wetter eine Ansammlung von so vielen Herren im Twen- und Thirtysomething-Alter aufeinandertrifft, wird ja doch irgendwann gekickt. "Das könnt ihr hier also echt nicht erwarten! Obwohl … es gab zuletzt schon immer auch Versuche, was Sportliches zu etablieren. Ich erinnere mich an HarddiskWeitwurf", erzählt Magne aus Norwegen. Der ist schon zum wiederholten Male nach Deutschland gereist fürs Demoscener-Treffen, diesmal gleich mit der eigenen Gang Darklite. Ist das nicht, gerade für die Auswärtigen, ein sehr teures Hobby? "Nee, wir haben die Flüge für unter hundert Euro gekriegt, schlafen in der Halle und trinken Bier, das weit weniger kostet als bei uns daheim."

Verliebt in Computer

Drinnen in der Halle hat die Nacht der Demoscener schon begonnen. Die Fenster sind abgehängt, 800 Monitore beleuchten 800 Gesichter, die langen Tischreihen sind übersät mit ulkigem Zeugs: literweise Discount-Brause und Großmutters Nachttischlämpchen, Instantnudeln und Waffeln der Marke "Java". Demo-Humor eben. Die weißbrotlastige Verpflegung erinnert dabei frappierend an das Bestreben der "Mikrosklaven" in Douglas Couplands gleichnamigem Roman, nur Dinge zu essen, die unter dem Türschlitz durchpassen. Unter den Tischen hier haben sich die ersten Teilnehmer bei gefühlten 40 Grad Raumtemperatur auf mitgebrachten Matratzen abgelegt, während über ihnen geschäftiges Treiben herrscht. Aber was machen die Typen da eigentlich? "Watching movies", erklärt die blondbezopfte Roberta aus Bratislava und setzt die Kopfhörer ab. Immerhin, der Freund ihres Freundes lässt ein Demo auf seinem Taschenrechner laufen. Die Szene in der Slowakei sei klein, gerade mal fünf Leute, heißt es, in der benachbarten Tschechei noch mal 30. Da lohnt die Reise nach Rheinhessen, Sprachbarrieren gibt es ohnehin kaum, dafür das wohlige Gefühl, endlich normal sein zu dürfen. Verliebt in Computer, das sind sie alle ein bisschen. Aber nicht so, wie man es vielleicht aus anderen Computerlove-Szenarios kennt, also nicht verliebt in den Design-Konsens des aktuellsten iMacs. Macs sind ohnehin in der Minderzahl, es überwiegen halbgurkige PCs, aus denen dafür aber mehr rausgeholt wird, als es sich der gewöhnliche Mac-Styler auch nur entfernt vorstellen kann. Der Rechner ist der Chef - schmucklos und von innerer Schönheit –, und selbst wenn die wenigsten hier gerade an Demos schrauben, ist ohne ihn das Treiben nicht auszudenken. Wie wenn auf einem Kriegsveteranentreffen alle selbstverständlich in Uniform kommen, ohne dass vor Ort gekämpft würde. Es gehört sich halt. Roberta setzt sich die Kopfhörer wieder auf. Als Mädchen ist sie - wer hätte es geahnt? - hoffnungslos unterrepräsentiert. Kirsten aus Frechen erzählt: "Na ja, warum sollte es hier auch anders sein als in meinem Informatikstudium? Aber wenn man erst mal drin ist, wird man als Frau natürlich voll akzeptiert." Na, anders wäre es ja auch noch schöner … Außerdem, so kann man doch vermuten, hat sie wenigstens die Damenklos stets für sich. "Ja, das glaubt auch nur ihr. Spätestens ab dem zweiten Tag gehen die Typen doch auch da drauf." "Closed Source" Der Abend schreitet voran, erste Demo-Einspieler laufen über die gigantische Beamerleinwand. Wir treffen endlich auf Tobias Heim von der SMS von vorhin. Er trägt ein "Vice City"-T-Shirt und hält in seinen starken Armen tatsächlich liebend eine Bierflasche, besoffen wirkt er allerdings nicht. Umso besser fürs Gespräch. Woran könnte man einen Demoscener erkennen, wenn er nicht gerade am Rechner sitzt und programmiert? Die Frage beinhaltet schon die erste Fehlannahme: "Nicht jeder Demoscener ist ein Programmierer. Nur ein Drittel sind Coder, ein Drittel Grafiker, ein Drittel Musiker." Das ist die Dreifaltigkeit der Szene, vereint durch die Liebe zum Gerät. Außerhalb dieser Gemeinsamkeiten erkennt man sie vornehmlich an der Lust am Wettbewerb, das Sich-beweisen-Wollen. Dem zugrunde liegt ein starker sozialer Trieb - aber man kann niemandem verdenken, wenn er den nicht auf ersten Blick erkennt. Haben gewisse Formate immer mal wieder Saison? "Nee, das Hauptthema ist seit Jahren der PC. Angefangen hat natürlich vieles über Commodore - und der spielt im Kleinen und vor allem in der Sound- und Bildästhetik immer noch eine große Rolle. Dann gibt's die Amigaisten und auch Apple-Addicts. Aber die Verteilung ist da schon sehr konstant." Es gibt ja via Overhead richtige Annoncen von Spieleherstellern, die hier um Mitarbeiter werben. Ist ein Demoscene-Treffen unter der Hand auch eine Jobbörse? "Das bleibt gar nicht aus. Während des Dotcom-Hypes Anfang des Jahrzehnts hat man gewusst, dass sich da jetzt richtige Headhunter im Geschehen rumtreiben. Bessere Kräfte als Demoscener kann man sich ja auch kaum vorstellen: Auf engstem Datenraum das Maximale rausholen. Und natürlich haben über die Jahre viele auch selbst begonnen, mit ihren Skills irgendwie Karriere zu machen und gehen hier noch gern hin und tauschen ganz nebenbei Projekte und Jobs aus." Inwieweit ist die Demoscene denn verknüpft mit der idealistischen globalen Open-Source-Bewegung? Dort geht's doch auch um das perfekte Programm. "Absolut nicht! ‚Open Source kills competition.‘ Was wir hier machen, ist ‚Closed Source‘. Du wirst hier keinen Teilnehmer finden, der dir freiwillig seinen Code offen legt. Denn dann kannst du ja nicht mehr glänzen. Okay, vielleicht zeigt dir einer seinen von vor fünf Jahren, wenn das schon wieder überholt ist. Aber es geht um den Fame, es geht darum, dass dir ein anderer Coder Respekt gibt, weil er sich nicht vorstellen kann, wie du dein neues Demo so geschafft hast - vergleichbar ist das also eher mit der Graffiti-Szene. Dabei will ich natürlich nichts gegen Open Source sagen. Das ist super - aber nicht unser Ding." Und wenn man wie du schon seit frühester Zeit dabei ist, sagt man da nicht: "Ich komme gern, aber diesmal nehme ich mir doch ein Hotel statt den Autorücksitz oder die Isomatte unterm Tisch?" "Klar, viele haben den Schritt gemacht ins Hotel, für mich wäre das aber nichts, ich meine, ich würde es wohl einfach nicht mehr ins Zimmer schaffen nachts. Es ist schon ein Fortschritt, dass ich jetzt eine Matratze dabei habe. Normalerweise war es so, dass ich einfach von der Bühne gefallen bin und dann da liegen blieb. Meine Ernährung ist die Tage über sehr flüssig. Bier bedeutet Frühstück, Mittagessen, Abendbrot." Für mich hat die Atmosphäre hier was Geheimbündlerisches. Würdest du dem zustimmen? "Es ist halt schon eine andere Welt, die hier am Rechner und im persönlichen Umgang für die Leute tickt. Ich habe zum Beispiel einen Kumpel aus der Demoscene, mit dem telefoniere ich oft ein Jahr lang nicht. Dann ruft er mich an, um eine technische Frage zu stellen und was ich davon halte, und dann legt er auch wieder auf, ohne ein Wort mehr. Und das ist vollkommen okay. In der Demoscene kann man genau da anknüpfen, wo man aufgehört hat. Es wird einem kein Glamour versprochen, und man kriegt auch keinen, aber dafür sehr interessante Formen von Autismus."

Wenn man sie streichelt...

Als wir mit Tobias nach dem Gespräch noch durch die surrenden Reihen laufen, haben wir wirklich das Gefühl, er kennt fast jeden hier persönlich, für alle hat er was übrig, richtig vereinsinternes Stardom umrankt den 34-Jährigen. Ein Umstand, den der fortgeschrittene Abend ordentlich bestätigt. Denn da spielt eine Band namens BASS - die hat sich selbst im Vorfeld zusammengecastet und steht nun ohne Probe auf der Bühne. Statt fiepsigem Knöpfchendreher-Minimal-Techno feuert sie supervergnügt eine Rockshow ab, deren Sound irgendwo zwischen Depeche Mode, New Model Army, Linkin Park und einer Roboter-Jukebox liegt. Der Hit dementsprechend: "Breakpoint Hallelujah", auf die Melodie von Lordis Grand-Prix-Siegertitel "Hardrock Hallelujah". Folgende Textzeilen möchten wir nicht für uns behalten: "Shower Rooms here are frightening!" und "Tobi is dressed like a whore!". Da taucht er also noch mal auf. Und weiß natürlich, dass es nett gemeint ist. Demo-Humor eben. Und Humor sollte man nun wirklich haben, gerade auch wenn man Seminare anbietet, die unter anderem Titel tragen wie "Making Emotions Digital" oder Realtime Ray Tracing lehren und Tafelbilder auffahren, die vermitteln: "Spatial Partioning - kD + SAH NL, NR number of child triangles". Bitte, was?! Na, wer so fleißig seine Skills nährt, dem steht ja wohl gehörig Spaß zu - vielleicht sogar ein ganzer Kasten Bier. Und den, also den Spaß und den Kasten, gibt es an diesen warmen Ostertagen in Bingen und der schwülen Mehrzwecksporthalle nicht zu knapp. Demoscener sind also eigentlich Menschen wie du und ich. Nur viel schlauer natürlich und mitunter ziemlich far out. Aber wenn man sie streichelt, schnurren sie wie jeder andere auch. Das sollte man sich nicht entgehen lassen. Wem das zu touchy ist, der kann ja auf www.intel.de/demoscene immerhin die Beiträge des von Intel gesponserten Vierkern-Battle ansehen, auf www.micromusic.net den Sound hören ("Low Tech Music for High Tech people") oder auf www.scene.org dem Demo-Phänomen weiter nachspüren. Text: Linus Volkmann, Meike Wolf, Fotos: Nikolaus Schäffler, Linus Volkmann
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von Volker Hansch / Juni 10th, 2007 /

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