Das Leben der Anderen
Die Leute sprechen immer von "dem Gamer". Aber wer genau ist das eigentlich? Wir wollten's endlich mal genau wissen und haben unseren Autor Linus Volkmann einen Tag im Gameshop arbeiten lassen. Eine Feldstudie
Gestern am Telefon habe ich schon mal mit meinem "Vorgesetzten für einen Tag" den Dresscode für Shop-Mitarbeiter geklärt. Die erste Überraschung: Es gibt überhaupt einen. Überraschung Nummer zwei: Er lautet tatsächlich "Stoffhose" und "keine Sportschuhe". Bitte? Obwohl ich gestern zwei Mal nachfragte, bin ich mir heute morgen schon wieder fast sicher, ich habe es einfach nur falschrum verstanden. Zu Games passen nun mal Jeans und Sneakers - genau wie Chips und Softdrinks. Oder machen sich mittlerweile alle Gamer zu "God Of War" eine schöne Flasche Weißwein auf, essen von Tellern und tragen Bügelfalte?
Wie dem auch sei, mich als Ü-30-Heini stellt der Kleidercode natürlich vor ein Identitätsproblem. Wie alle meines Alters bilde ich mir ein, mit Jeans und Turnschuhen noch als eins a jugendlich durchzugehen, so als cooler älterer Freund der Kids. Mit den geborgten Slippern und der braunen Stoffhose sehe ich allerdings wirklich nur noch wie der Deutsch-lehrer meiner heutigen Kunden aus. Doch was bleibt anderes übrig, als sich zu fügen? Die Nummer der Aushilfsverkäufer-Gewerkschaft googeln? Nee, bin eh spät dran und muss in eine mir bis dato unbekannte Mall. Die Köln Arcaden auf die andere Rheinseite. Nach Köln-Kalk. Den Stadtteil kennen die meisten - mich eingeschlossen - wohl nur aus dem Film "Voll Normaaal!" von Tom Gerhardt, in dem sein Deppen-Alter-Ego von irgendwelchen Asis "Köln-Kalk-Verbot" erhält.
Dennoch finden sich der ominöse Stadtteil und mit ihm diese Köln Arcaden letztlich leicht. Kann losgehen. Der Shop hat eher kompakte Ausmaße, ist geradlinig gebaut. Von den Wandregalen und den frei stehenden Aufstellern sprühen Millionen Informationen. Jemand aus den Siebzigern würde beim Betreten des Ladens sofort an Reizüberflutung sterben. Ich begrüße meinen Chef for a day. Klar, er ist geschätzte zehn Jahre jünger als ich. Mann, bin ich wütend. Lasse mir aber nichts anmerken. Ist ja nicht seine Schuld, dass ich keine Filiale einer expandierenden Kette leite. Außerdem ist er unglaublich freundlich. Ich bin sofort versöhnt.
Clerks, die Ladenhüter
Neben dem Chef, den ich bei seinem Vornamen Elery nennen darf, und mir ist noch eine weitere Aushilfe vor Ort: Cem. Also ab hinter den Tresen, schließlich war ich in den Neunzigern schon mal Aushilfsverkäufer. In einem Plattenladen. In einem solchen sieht es mit Abstrichen sogar ähnlich aus wie hier. Nur verachtet der gute Plattendealer natürlich seine Kundschaft bis ins Mark. Sie kauft meist zu konventionellen Kram und erntet dafür mäßig bis kaum verhohlenen Hohn. Hier im Game Stop bedeutet so ein Distinktionskrieg dagegen absolut gar nichts. Es geht um andere Dinge. Nur welche? Das wird sich ja wohl herausfinden lassen, schließlich ist der Laden bereits kurz nach Öffnung gut gefüllt. Ein Umstand, der sich bis zum Ende des Tages auch nicht mehr ändern wird - eher im Gegenteil. Man braucht keinen Bachelor in BWL, um unmittelbar festzustellen, dass das hier richtig gut läuft. Ausschlaggebend sind bestimmt auch zwei zentrale Aktionen: Hier kann man tatsächlich Spiele nach sieben Tage bei Nichtgefallen zurückgeben und alte Spiele gegen Neuware tauschen oder gar gegen Bargeld ankaufen lassen. Das, so habe ich den Eindruck, empfinden alle als extrem kulant und angenehm. Und Elery versichert, dass solche Zugeständnisse an den Kunden dem Laden unter dem Strich keinesfalls schaden. Na, das ist doch mal eine schöne Lektion in Marktwirtschaft.
Das absolute Highlight des Tages stellt heute übrigens "Pokemon" dar - für den DS erschienen gerade die zwei neuen Versionen "Pokemon Perl" und "Pokemon Diamant". Und da Japan seine absoluten Toptitel nicht in genügender Stückzahl vorab shippte, muss man im Game Stop (wie in tausend Spieleläden landauf, landab auch) durch einen argen Engpass hindurch. Ein Exemplar erhält nur, wer vor Wochen, ja Monaten vorbestellt hat. Neben den vielen Traurigen, die damit heute leer ausgehen, produziert diese Geschichte allerdings auch echte Sieger. Ohne Übertreibung: Man sieht mehrere Acht- bis Zehnjährige, die ihre vorbestellten Schätze in Empfang nehmen, sie hochreißen wie die geilsten Trophäen und "Strike" rufen. Das finde ich natürlich sehr niedlich.
Und von diesem Schlag Kunde sieht man einige im Laden. Kein Wunder. Auf zwei Konsolen mit großen Bildschirmen laufen Spiele. Und der dort spielende Kinderreigen wird bis zum Abend nicht abreißen.
"Auf den Monitoren könnten wir auch Games ab 12 laufen lassen, müssten dann aber kontrollieren, dass kleinere Kids nur gucken, nicht drangehen. Das kann man natürlich nicht leisten, daher laufen bei uns nur Spiele ohne Altersbeschränkung", erklärt Herr Wiloth, der Area-Manager, der dem Szenario hier und heute auch einen Besuch abstattet. "Die einen kommen zum Kaufen, die anderen zum Spielen, das kann man schon so trennen."
Ich lerne aber, dass das kein Grund ist, sich von dem Jugendzentrums-Charakter zurückzuziehen, den jeder Laden mit frei zugänglichen Spielemonitoren zwangsläufig bekommt. Im Gegenteil. Elery erzählt von Tradingcard-Game- und "Singstar"-Turnieren, die in der jüngsten Vergangenheit abgefeuert wurden. "Zum Schluss standen bei letzterem ein Junge und ein Mädchen im Finale, die hatten beide 9980 Punkte. Nur noch 20 mehr wären überhaupt zu erreichen, das war schon der Wahnsinn! Und da platzte der Laden natürlich aus allen Nähten." Ich frage natürlich: "Und, haste selbst auch mitgemacht?" "Äh ja, ich weiß aber nicht mehr, was ich gesungen habe." "Es war Pink: 'Just Like A Pill'", ruft Cem von der Seite rein. "Und er hatte mehr als 8000 Punkte, das ist schon amtlich."
Aber kommen wir zurück zur eigentlichen Frage: Kunden, wer seid ihr eigentlich, und was macht ihr hier? David und Johannes wissen das offen gesagt nicht wirklich. Sie wollen nur mal gucken, tun das ausgiebigst - später werden sie sogar mit Mutter wiederkehren und die zu einem Kauf nötigen. Johannes findet in jedem Fall "Killer 7" gut.
Killing me softly
Uh, Kinder und Killerspiele? Ist ja auch immer ein hässliches Thema. "Die gesellschaftliche Diskussion, die immer ansteht nach irgendwelchen Schulattentaten, wird an uns nie so direkt herangetragen", sagt Elery. Und von Herrn Wiloth ist zu erfahren: "Wir haben schon manchmal Ärger bei Spielen mit Altersfreigabe. Da kommen empörte Eltern zu uns und beschweren sich, dass ihrem minderjährigen Sohn ein Ab-18-Spiel nicht verkauft wurde. Was wir uns denn einbilden würden. Das muss man sich mal vorstellen."
Und auch mir bleibt diese Problematik nicht verborgen. Ein 16-jähriges bebrilltes Mädchen kauft für ihren - wenn mir dieser Opa-Ausdruck gestattet ist - dreikäsehohen Bruder "Prince Of Persia: Warrior Within". Sie hat einen Ausweis, der kleine Bruder nimmt draußen freudig-dröge das Spiel in Empfang, kann man nichts machen. Außer zu respektieren, dass es so eben läuft.
Ganz normal halt. Überhaupt ist das Publikum hier ordentlich "normal". Oft und gern spricht es mich auch an. In meiner schnittigen Deutschlehrer-Montur sehe ich aber auch zum Steinerweichen spießig aus. "Bis 2005 herrschte sogar noch Krawattenpflicht", erfahre ich von meinem Chef Elery.
Liebe Güte! Aber zurück zu den "Normalen". Silvia und Alfons kaufen "Buffy" für die PS2. "Ist aber für unsere Tochter. Schon komisch, dass ein 16-jähriges Mädchen auf Blut und Vampire steht. Aber wir haben unsere Order." "Na ja," werfe ich ein "aber ihr Mann sucht in der Secondhand-Kiste doch irgendwie auch was..." Leicht ertappt gesteht Alfons, an die Tochter-Konsole selbst gern ranzugehen. "Dann aber am liebsten 'Indiana Jones'." "Und bestimmt auch mal mit der Tochter zusammen, oder?" "Nee, nie!" Och, schade denke ich, aber um Generationen vor dem Games-Büfett zu vereinen gibt's ja die Wii und Konsorten. Das bestätigt auch die Mutter von Felix. Sie weiß erstaunlich gut Bescheid über die Spiele ihrer Kinder und weiß, was geht und was nicht. "Ich selbst habe ja früher mal auf dem Super Nintendo 'Zelda' gespielt, das war toll! Jetzt wäre eine Wii schön, da habe ich 'Zelda' mal angespielt bei einer Freundin. Aber es fehlt natürlich die Zeit, und ich muss meinen Mann noch von einer überzeugen, der ist da ein ziemlicher Muffel. Aber vielleicht klappt es ja über das Bowling."
Auf der Nerd-Karte
Die meisten Kundenfragen gehören weiterhin "Pokémon" und konkret gesuchten Titeln. Ganz selten werde man mal gefragt, wie es bei einem Rätsel in einem konkreten Spiel weitergeht. "Wenn man so was dann tatsächlich weiß, ist man natürlich der King", freut sich Herr Wiloth, der einen solchen Moment wohl tatsächlich schon mal erlebt hat. "Sonst können wir zumindest auf Seiten im Internet verweisen. Aber eher passiert es auch mal, dass ältere Leute hier reinkommen und nach der neuen CD von Andrea Berg fragen oder mit der 'Riddick'-Hülle zur Kasse kommen und den Film ausleihen wollen. Ist ja keine Schande, das Geschäft sieht eben für viele auf den ersten Blick einem Plattenladen oder Videoverleih ähnlich."
Nach so viel Familien, Kids und Kuriositäten greife ich mir dann aber auch mal die (wenigen) raus, die so aussehen, als könnten sie auf der Gamer-Nerd-Karte fahren.
"Machst'n Beitrag über kaputte Spielefreaks?", frotzelt Michael und stellt sich dafür gern zur Verfügung. Siebzig Euro hat er hier gelassen. Nicht schlecht. "Hier gibt's schon 'ne gute Beratung, wenn die auch nicht so die Ahnung haben. Und das mit der Rückgabe durchgespielter Spiele ist super." Mark kauft dagegen gar nichts, seine Suche nach einem Kabel für die N64 bleibt erfolglos. Und "Spiele kaufe ich mir bei Ebay für fünf Euro", sagt er und erzählt noch von seinen neuen Skills'n'Moves bei "Fifa Street". Im Hintergrund brüllt eine Mutter ihre kaum zehnjährige Tochter an: "Du hast schon was bekommen, jetzt ist die Mama dran." Schon wieder diese hübsche Normalität um einen rum. Daran könnte ich mich gewöhnen. Nur an die Steherei nicht. Und dann noch diese Scheißschuhe. Mir tun die Füße weh! Ist das die Hölle!
Eine weitere Aushilfe kommt um drei, der Laden wird immer noch voller. Elery geht mit mir Mittag machen. Beim Essen erzählt er mir Details der Firmenerfolgsgeschichte, die ich sofort wieder vergesse. Später hinter dem Verkaufstresen zeigt er mir zudem, wie das ausgeklügelte Computersystem funktioniert, mit dem auch hundertfach von Kunden angekaufte Ladenhüter wie "Black" und "Tourist Trophy" in anderen Filialen noch dankbare Abnehmer finden. Ich verstehe natürlich gar nichts, nicke aber fleißig. Wie jede gute, leicht depperte Aushilfe.
Es ist noch nicht ganz Feierabend, als ich gehe. Meine Füße bringen mich um, ich habe genug gesehen, außerdem riechen meine Klamotten nach Polyesterschweiß. Noch mal typisch Deutschlehrer. Trotzdem habe ich mir von der Klimaanlage einen ziemlichen Zug geholt. Oh, Mann, bin ich wirklich zu weich für die tighte Games-Shop-Branche? Vermutlich. "Aber wenn bei euch mal wirklich Not am Mann ist, könnt ihr mich gerne noch mal holen", verabschiede ich mich mit übertriebener Geste. "Nur: Dann will ich einen Stuhl."
Text: Linus Volkmann, Illustration: ITF Grafik Design
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