Doppelspitze

Doppelspitze

Dennis und Daniel Schellhase sind mehrfache "Fifa"-Weltmeister – und damit die erfolgreichsten deutschen E-Sportler überhaupt. Wir haben die beiden in ihrer Heimatstadt Gelsenkirchen besucht

Noch sehr frisch geduscht öffnen die Zwillinge die Tür zu ihrer Wohnung. Irgendwie haben sie ganz vergessen, dass wir kommen, und sind gerade erst aufgestanden. "Das passiert mir sonst nie", meint Dennis und schüttelt über sich selbst den Kopf. Obwohl beide, laut Mutter, "ausgesprochene Morgenmuffel" sind, strahlen sie schon um die Wette. Mit den "Fifa"-Zwillingen, die jedem, der Dennis und Daniel besucht, adrett gekleidet und mit Medaille um den Hals unter dem Motto "Gemeinsam stark für Deutschland" von einem Plakat aus anlachen. Und das sogar zweifach, denn beide Brüder haben diese Erinnerung an den Anfang ihrer beispiellosen Karriere als E-Sportler, den ersten und zweiten Platz bei der WM 2003 in Korea, außen an ihrer Zimmertür hängen. Auch von innen sehen sich die Zimmer der beiden noch ähnlicher als sie selbst. Bei beiden hängen Urkunden an der Wand und jeweils ein lustiger Hut von der Abi-Abschlusstour nach Den Haag. Beide haben den gleichen Flachbildfernseher - "gewonnen". Das gleiche Media-Center - "Geschenk von Intel". Den gleichen Computer - "gewonnen". Und sogar die gleichen vier gestreiften Dekokissen auf dem Bett. Die Räume sind eingerichtet wie typische Jugendzimmer: einfacher Schreibtisch, Schrank mit Spiegel, Bett. Auch wenn sie bei E-Sport-Wettkämpfen regelmäßig Preisgelder in Höhe von bis zu 25000 Dollar gewinnen, wird hier, bei ihnen zu Hause, nicht mal ansatzweise geprotzt. Stattdessen hängen dekorative Gardinen vor den Fenstern. "Wir schmeißen unser Geld nicht raus", kommentiert Daniel, "das wird schön gesammelt." Aber natürlich nicht um sich irgendwelche hochtrabenden Träume zu erfüllen, sondern "damit wir entspannt ins Berufsleben starten ". Eine schöne Wohnung kaufen vielleicht oder um eine eigene Firma aufzuziehen. Wie das geht, lernen sie im Wirtschaftsinformatik-Studium. Das Studieren haben sie genauso optimiert wie ihr "Fifa"-Spiel: "Für viele Vorlesungen teilen wir uns auf, tauschen später aus, was wir gelernt haben. So sparen wir eine Menge Zeit", erklärt Dennis. "Wir sind nur ungefähr zehn Stunden pro Woche in der Uni." Auch Prüfungen nehmen sie auf die leichte Schulter: "Diese 60 Seiten Skripte, die man da oft bekommt und lernen muss, sind uns viel zu lang. Das kürzen wir zusammen auf drei Seiten. Schreiben einfach die wichtigsten Sachen raus und lernen damit. Meistens erst zwei Tage vor der Prüfung." Die gerade absolvierten Uniprüfungen waren trotzdem kein Problem. Der Erfolg gibt ihnen also Recht, und der anstehenden Diplomarbeit sehen sie dementsprechend gelassen entgegen. Daniel zitiert dazu grinsend eine Familienweisheit: "Ein gutes Pferd springt eben nur so hoch, wie es muss."

Frühstück für Champions

Bevor man sich wundern kann, wie die beiden in der kleinen Wohnung, in der es außer den beiden Zimmern nur noch ein Bad gibt, zurechtkommen, klingelt das Telefon: Mutter Schellhase fragt, ob sie zum Frühstück etwas Warmes trinken wollen oder Saft. Serviert wird in der Wohnung der Eltern, die genau unter der der Zwillinge liegt. "Das hat sich einfach so ergeben", sagt Daniel. "Wir hatten die Wahl, mit unseren Eltern wieder in eine große gemeinsame Wohnung zu ziehen, oder eben in diese zwei getrennten." Das Verhältnis zu ihren Eltern ist aber trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, ausgesprochen gut. Mit der Mutter scherzen sie am Frühstückstisch bei Toast mit Wurst und Käse herum. Sie sei die treibende Kraft hinter dem Erfolg, würde wahnsinnigen Leistungsdruck ausüben, sie quasi zwingen zu zocken, und ein Unglücksbringer sei sie obendrein. Die Mutter kontert, indem sie Daniel wegen seiner blonden Strähnchen liebevoll "unseren Mallorca-Asi" nennt. "Die sind wie alle", fasst sie lapidar zusammen, weiß aber ganz genau, dass das nicht stimmt, und ist natürlich auch mächtig stolz auf ihre Jungs: Auf der Kommode im Esszimmer stehen gerahmte Fotos und Autogrammkarten der beiden. Aus der Glasvitrine im Wohnzimmer holt sie zwei Trophäen: Lara-Awards, die Dennis und Daniel als E-Sportler des Jahres 2007 auszeichnen. "Die anderen Pokale stehen im SK-Office, das wären einfach zu viele für hier", erläutert sie.

Der Bayern-Effekt

Dass manche Menschen auf ihren Erfolg mit Ablehnung reagieren, stempeln die beiden als "Bayern-München-Effekt" ab. Dass man sich Erfolg verdienen muss beziehungsweise kann, wissen sie aus eigener Erfahrung. Kam der Erfolg bei der WM 2003 auch für die beiden noch völlig überraschend, blieb er im Jahr danach aus. "2004 sind wir ziemlich arrogant in die Vorbereitung und die Wettkämpfe gegangen", erinnert sich Dennis, "wir dachten: Uns kann sowieso keiner besiegen." Prompt haben sich beide nicht einmal für die WM qualifiziert. "Daraus haben wir gelernt." Zwei Stunden täglich spielen sie seitdem "Fifa". Trotzdem hat sich Daniel auch 2005 nicht qualifiziert und musste von zu Hause aus zusehen, wie sein Bruder erneut den Titel holte. 2006 hat Daniel dann doppelt so viel trainiert wie sein Bruder. Drei bis vier Stunden täglich. "Er hat seinen ganzen Fokus auf das Erreichen des Titels gelegt", erzählt Dennis anerkennend. Und natürlich ist auch Daniel stolz darauf, es dann auch tatsächlich geschafft zu haben: "Wichtiger als das Geld ist dabei, es den anderen zu zeigen. Sich zu beweisen." An der Rennstrecke in Monza ein Preisgeld von 15000 Dollar entgegenzunehmen ist natürlich auch nicht schlecht. "Ein toller Nebenjob", findet Daniel, "andere gehen eben kellnern", meint das aber überhaupt nicht arrogant. Nächstes großes Ziel der beiden ist das Finale der WM 2008 in Köln. Um das Level, auf dem sie inzwischen spielen, zu halten, ist das tägliche Training absolut notwendig. Als die beiden ihre Rechner starten und ein lockeres Trainingsmatch spielen, wird schnell klar, warum. Beim Spielen redet Daniel von Tricks, Timing, Strategien, unhaltbaren Flanken, der Schicken-Taste, 433-Aufstellung, Technik, Antitechnik, Torwartfehlern, glücklichen Weitschüssen, Defensiv- und Offensiv-Verhalten. Das alles hat er so verinnerlicht, dass er die Hälfte der Zeit gar nicht auf Ball und Spieler achtet, sondern auf das klein eingeblendete Radar, auf dem das komplette Feld mit Punkten als Spielern dargestellt ist. Die eigentlichen Schüsse, Pässe und Flanken laufen fast automatisch ab. Nicht mal seine Finger bewegt er hektisch. Völlig ruhig, ohne dass man es ihm anmerken würde, koordiniert er die Spieler seiner Mannschaft auf dem Spielfeld wie Schachfiguren. Bei "Fifa" geht vor allem um die Strategie. Wie beim Schach gibt es Tricks und Spielzüge, mit denen man ungeübte Spieler einfach übertölpeln kann, gegen gute Spieler aber scheitert, weil sie durchschauen, was man plant, und entsprechend reagieren. Wer dabei noch überlegen müsste, wie lange er die Schuss-Taste drücken muss, damit der Ball weit genug fliegt, hätte keine Chance. "Man braucht einfach die Spielpraxis", weiß Dennis, "wenn man mal zwei Tage nicht spielt, merkt man das manchmal noch Wochen später." Nicht umsonst spielen sie in der Einstellung "Weltklasse". Neben dem Gefühl für die Mechanik trainieren sie auch immer wieder neue Tricks und probieren Strategien aus. "Übers Jahr kommen immer neue Sachen dazu, und sogar wenn man selbst etwas Neues perfektioniert hat, muss man erst mal die passende Abwehrstrategie entwickeln, denn früher oder später wird der Trick von den anderen kopiert", erklärt Daniel. "Und am Anfang jedes Jahres", ergänzt Dennis, "geht es nur darum, sich mit der neuen Version des Spiels vertraut zu machen. Da sind die Unterschiede teils erheblich. Timing und Abläufe müssen oft komplett neu erlernt werden." Drei Monate dauert diese Vorbereitungsphase in etwa. Insgesamt ist für das virtuelle Kicken auf Weltklasse-Niveau deutlich mehr Training nötig als für den echten Sport, den die Twins aber unter keinen Umständen missen möchten.

Fußball-Profis

Denn auf dem Rasen kicken sie die Bälle genauso präzise wie im Spiel. Das kommt nicht von ungefähr: Mit sechs Jahren, lange bevor sie ein Videospiel angefasst haben, standen sie schon auf dem Fußballplatz. Ein Onkel, Peter Schellhase, war Profi bei Schalke, der Vater Jugendtrainer, sie selbst mit 17 Jahren schon so gut, dass sie in der A-Jugend bei Schalke mit dem Spielen Geld verdient haben. "Da lag der Fokus schon sehr auf der Ausbildung zum Fußballprofi. Siebenmal pro Woche standen wir auf dem Platz." Die Schule hat dann einen Strich durch etwaige Träume von einer Profikarriere gemacht und stellte ein Ultimatum. Entweder Abitur oder Fußball. Der Verein konnte nur eine so genannte Kooperationsschule anbieten, die aber deutlich unter dem Niveau der Zwillinge lag. "Daher war die Entscheidung einfach: Schule ist einfach wichtiger, die Profikarriere zu ungewiss, man will ja später auch nicht irgendwo in der Kreisliga rumkrebsen." Heute spielen sie völlig frei von Zwängen und wirklich rein zum Spaß. Aber trotzdem mit Anspruch: Immerhin in der Bezirksliga, bei "Sportfreunde Bulmke". Dreimal pro Woche ist Training. Man muss konstant dabeibleiben. Das gilt bei Dennis und Daniel für den echten wie den virtuellen Sport. Sie gehen zum Training, wann immer es geht. Höchstens "Fifa"-Wettkämpfe zählen da als Ausrede. Ohne diesen sportlichen Ausgleich hätten sie wahrscheinlich schon längst keine Lust mehr, "Fifa" zu spielen, meinen die Zwillinge einstimmig: "Das befruchtet sich gegenseitig." "Tatsächlich ist es so," erzählen die zwei, "dass es auffällig viele ,Fifa'-Spieler gibt, die auch in echt gut Fußball spielen." "Mein Gegner im Finale letztes Jahr ist zum Beispiel Profi in Rumänien", weiß Daniel, "und von den deutschen Spielern sind einige in der Ober- und Regionalliga unterwegs." Und zwei der Gründer von SK spielen bei Rot-Weiß Oberhausen. "Würde man aus all denen ein Team zusammenstellen, hätte man auf jeden Fall eine gute überregionale Mannschaft", fügt Dennis hinzu. Mit einem dezent getunten 3er BMW, den sie sich gemeinsam vom ersten Preisgeld gekauft haben, brausen sie am Abend zum Training. Kurz bevor sie mit ihrer Mannschaft zum Laufen im Wald verschwinden, erzählen sie noch, welchen Spruch sie bisher bei jedem ihrer Fußballspiele, gerne auch nach einem Foul, gehört haben: "Das ist hier nicht wie auf der Playstation." Text: Moses Grohé, Fotos: Alfred Jansen
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von Volker Hansch / September 10th, 2007 /

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