"Arbeite hart, spiele hart"
Als Schöpfer der "Ultima"-Reihe machte Richard Garriott das Rollenspiel zu dem, was es heute ist. Mit seinem neuen Game "Tabula Rasa" will er nun alle Genre-Klischees über den Haufen werfen. Nebenher erfindet er Sprachen, baut Spukhäuser und taucht auf den Meeresgrund. GEE traf ihn zum Gespräch
Wir haben gehört, du lebst in einem Haus, das aussieht, als hätte man ein Stück Rollenspiel in die Realität geholt. Ja, mein Haus hat Dungeons, Fallen, versteckte Gänge, Wasserfälle außen und im Haus, künstlichen Regen in einem der Zimmer und ein Observatorium auf dem Dach. Jetzt baue ich gerade ein Schloss. Ein Schloss? Na ja, das Wort Schloss muss in Amerika mit Vorsicht genossen werden. Was die Amerikaner Schloss nennen, hält der korrekteren europäischen Bedeutung des Begriffes nicht stand. Aber das neue Haus, das ich baue, wird gerne so genannt. Es liegt auf einem Kliff über dem Lake Austin, nicht weit entfernt von meinem jetzigen Haus. Und, gibt es einen geheimen unterirdischen Gang zum See? Das gehörte tatsächlich zum ersten, was wir gebaut haben. Ein vertikaler Tunnel von 35 Metern, an dessen Grund ein weiterer horizontaler Tunnel zum See abgeht. Wir bauen da natürlich einen Aufzug ein. Das neue Haus wird außerdem versteckte Ebenen und Geheimgänge zwischen den Räumen haben. Unterirdische Tunnel werden die verschiedenen Gebäude miteinander verbinden. Wahnsinn! Wer plant das alles für dich? Ich selbst. Das neue Haus ist das dritte, das ich entwerfe. Das erste habe ich einfach auf Grafikpapier gemalt, es einer Firma gegeben, und die haben es dann genau so gebaut, wie ich mir das als Hobby-Architekt erdacht hatte. Danach wusste ich, warum es doch klüger ist, mit einem echten Architekten zusammenzuarbeiten. Beim zweiten Haus entwarf ich also wieder alles allein, hatte aber einen Architekten, der im Nachhinein meine Fehler korrigieren konnte. Dieses Mal arbeite ich von vornherein eng mit einem Profi zusammen. Hast du eigentlich Kinder? Nein, aber meine Freundin, mit der ich seit acht Jahren zusammen bin. Deren Tochter ist mittlerweile auf dem College, aber ihre Schulzeit habe ich noch mitbekommen. Ein wenig Elternerfahrung habe ich also. Für die muss so ein Haus, ein Spielplatz voller Geheimnisse, doch toll gewesen sein, oder? Meine Freundin hatte erst Angst, mein Haus könnte gerade die Tochter verschrecken, aber die liebte es natürlich. Sie liebt es bis heute. So zu leben ist eine tolle Sache, aber rein materiell für die wenigsten machbar. Welchen Rat würdest du Menschen geben, wie sie ihr Leben spielerischer gestalten können? Ich glaube daran, dass jedem im Leben Möglichkeiten dazu begegnen, und das in erstaunlicher Regelmäßigkeit. Die Kunst ist, sie zu erkennen und den Mut zu haben, sie tatsächlich zu nutzen. Die Einstellung macht den Unterschied. Wenn ich mich in meiner Firma umsehe, bin ich wahrlich nicht der Klügste im Team. Jeder dort kann zumindest mit mir mithalten, ist genauso kreativ und clever. Sicher gibt es ein paar Unterschiede zwischen mir und den anderen, aber diese Unterschiede sind recht klein. Einer betrifft meine Haltung zu Recherche und Nachforschungen. Ich liebe es einfach, mich tief in Nachforschungen zu vergraben. Und anschließend bin ich auch bereit, die Dinge, auf die mich meine Recherchen gebracht haben, mit viel Energie in die Tat umzusetzen. Genau das hast du ja auch bei deinem neuen Spiel "Tabula Rasa" gemacht. Du hast erzählt, dass es seinen Namen trägt, weil du darin kurzen Prozess mit sämtlichen Elementen gemacht hast, die dich an Online-Rollenspielen nerven. Was hast du alles vom Tisch gefegt? Wir haben uns auf drei Bereiche konzentriert, die in den letzten zehn Jahren der MMO-Geschichte zu wirklich schlechten Gewohnheiten geworden sind. Wir haben das alles gestrichen und durch neue Möglichkeiten ersetzt. Zum Beispiel? Das Kampfsystem. Die meisten MMOs organisieren Kämpfe immer noch rundenbasiert. Das ist reines Inventarmanagement. Wie viel Schaden kann ich in wie viel Zeit anrichten? Uns geht es um interessante, intelligente Gegner. Wir erreichen das dadurch, dass wir den Spielern die Möglichkeit geben, den dreidimensionalen Raum taktisch zu nutzen. Ein wenig wie in einem Actionspiel, nur langsamer: Der Spieler muss zum Beispiel die Umgebung zur Deckung nutzen. Das macht das ganze Spiel lebendiger. "Tabula Rasa" ist aber schon noch ein Rollenspiel? Ja, es ist kein Shooter, aber für ein Rollenspiel ist es schon ziemlich in Bewegung. Die zweite Veränderung betrifft den bisherigen Nachteil von Online-Rollenspielen, dass ihre Welten sehr statisch sind. Du bist in Level 1, also bewegst du dich auch in den Gebieten von Level 1, bis du im Level steigst. Du tötest eine Kreatur, wartest eine Zeit lang, und dieselbe Kreatur wird genau an derselben Stelle wieder auftauchen, um die nächste Person zu empfangen. In "Tabula Rasa" hingegen bewegen sich die Nicht-Spieler-Charaktere mit strategischen Zielen im Hinterkopf. Sie verteidigen zum Beispiel bestimmte Areale. Es gibt von Spielern kontrollierte Außenposten und Kontrollpunkte, bei denen die Nicht-Spieler-Charaktere alles daran setzen werden, sie zu erobern. Gelingt es ihnen, sind alle Dienstleistungen, die der Spieler in diesem Gebiet ansonsten in Anspruch nehmen könnte, blockiert. Die Umgebung verändert sich also je nachdem, wer die Hoheit über einen Bereich innehat. Wie in der echten Welt. Ja, was uns zum letzten Punkt führt, nämlich der Einbindung der Hintergrundgeschichte. Durch zwanzig Jahre "Ultima" bin ich ein ganz guter Erzähler interaktiver Geschichten geworden, aber mit den Online-Rollenspielen scheint Storytelling nahezu verschwunden zu sein. Einige Leute glauben, dass sich in MMOs keine großen Geschichten erzählen lassen. Dem widerspreche ich. Daher bauen wir Storys ein, die Substanz und Relevanz haben. So bekommt der Spieler Missionen von konkurrierenden Fraktionen angeboten. Die kann er natürlich nicht alle erfüllen. Er muss ethische Entscheidungen treffen, welche Interessengruppen seine Unterstützung verdient haben und welche er enttäuscht. Du scheinst diese Welten ziemlich ernst zu nehmen. Für "Tabula Rasa" hast du sogar extra eine neue Sprache erfunden. Warum? Ich brauchte eine Sprache, die jedem verständlich ist, weil sie in "Tabula Rasa" von einem Volk namens Eloh benutzt wird, um sein Wissen im ganzen Universum weiterzugeben. Deshalb ist Logos eine komplett symbolische Sprache. Ich habe schon für die "Ultima"-Spiele eine Runensprache entwickelt. Aber die war eine Eins-zu-eins-Übersetzung des englischen Alphabets. Wenn ein Deutscher sie verstehen wollte, müsste er die Runen zuerst ins Englische und dann vom Englischen ins Deutsche übersetzen. Bei Logos flossen der fiktionale Gebrauchswert der Sprache und mein ganz reales Interesse, sie international allen Spielern verständlich zu machen, zusammen. Um Logos zu entwickeln, habe ich viele Monate Sprachen, Symbolik, antike und chinesische Kalligrafie und Piktografie recherchiert. Und ich glaube, die Sprache funktioniert richtig gut. Sie ist für jeden rund um den Globus einfach zu entziffern und könnte so auch leicht in der realen Welt benutzt werden. Häuser, die aussehen wie Videospiel-Level, Fantasiesprachen, so durchdacht, dass man sie auch in der Realität verwenden könnte - bei dir scheinen Spiel und wirkliches Leben miteinander zu verschmelzen.br> Mein Grundsatz ist: "Arbeite hart und spiele hart." Abseits des Jobs verbindet sich beides, wie man an meinem Zuhause sieht. Verstehst du dich eigentlich auch ein bisschen als Forscher? Mein Vater war Astronaut. Da wurden immer die alleraktuellsten, wahnsinnigsten Forschungsergebnisse in Form von Geräten oder Proben einfach nach Hause an den Abendbrottisch gebracht. Das hat wohl mein Interesse an Forschung geweckt, aber ein richtiger Forscher bin ich eigentlich nicht. Lieber fahre ich in meinem Urlaub mit meinem Vater in die Arktis oder mit einem Tauchboot auf den Meeresgrund, und wir bringen spezielle Bakterien mit, die wir Universitäten zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen. Ich will eigentlich noch viel mehr tun, um Forschung zu unterstützen. Ich glaube fest an die Möglichkeiten der Wissenschaft. Zum Beispiel daran, dass die Rätsel der Feldtheorie eines Tages gelöst sein werden. Von diesem Tag an wird es möglich sein, Wurmlöcher als Transportmittel zu nutzen, wie man es in "Tabula Rasa" jetzt schon tun kann. Richard Garriott, 46, ist Sohn eines Skylab-Spaceshuttle-Astronauten und verbrachte trotz amerikanischer Eltern seine Kindheit in Cambridge. Mit 19 programmierte er sein erstes Spiel "Akalabeth", von dem er 15 handgefertigte Exemplare mit Karton und Anleitung im PC-Laden, in dem er jobbte, anbot. Eines davon landete beim Entwickler California Pacific, der das Spiel unter dem Namen "Ultima 0" satte 30.000 Mal verkaufte. Es folgten 20 Jahre als Schöpfer der wegweisenden "Ultima"-Spiele und ihrer Welt Britannia, in der Garriott selber als Lord British auftritt. Mit seiner 1982 gegründeten Firma Origin war er unter anderem auch am Klassiker "Wing Commander" beteiligt. 2000 verließ er die längst von Electronic Arts aufgekaufte Firma und gründete Long Destination Games, die eng mit dem südkoreanischen MMO-Giganten NCSoft zusammenarbeiten. Seine Mittelalter-Liebe lebt er neben seiner Tätigkeit als Lord British in der "Gesellschaft für kreativen Anachronismus" aus. Interview: Oliver Uschmann