Halo 3

Halo 3

Das Ende der Trilogie um den Master Chief ist erst der Anfang. Denn mit dem neuen Multiplayer-Modus wird "Halo 3" unsterblich

Grandiose neue Waffen, nahezu endlose Möglichkeiten, seine Fähigkeiten zu tunen, dazu noch eine Geschichte wie aus einem Science-Fiction-Romanklassiker und ein Setting voller Verweise auf Politik und Geschichte - all das hat "Halo 3" nicht. Nachdem "Bioshock" im letzten Monat das Egoshooter-Genre mit diesen Aspekten veredelt hat, wirkt der neue Teil von "Halo" auf den ersten Blick beinahe ein wenig autistisch. Schon die Story ist das genaue Gegenteil von zugänglich. Zumindest für all jene, die "Halo 2" nicht bis zum Ende gespielt haben, ist der Anfang des Spiels völlig kryptisch: Ohne jedwede Erklärung fällt der Master Chief vom Himmel mitten in den tiefsten Dschungel Afrikas. Als ihn ein Suchtrupp aufspürt, berichtet er von einer gewissen Cortana, die verschwunden sei. Plötzlich stürmt ein unbekannter Alien auf den Master Chief zu. Ein kurzer Streit entflammt, aber in der nächsten Sekunde machen die beiden doch gemeinsame Sache. Seltsam: Wo einen Fernsehserien schon nach einer Woche vor jeder neuen Folge mit einer kurzen Zusammenfassung wieder ins Geschehen versetzen, startet "Halo 3" nach drei Jahren ohne Erläuterungen direkt da, wo der Vorgänger mit einem Cliffhanger endete. Das überrascht. Schließlich ist "Halo 3" das Gegenteil von einem verschrobenen Independent-Game. Es ist das wichtigste Spiel für Microsoft seit Jahren, das Spiel, das der Xbox 360 auch in jenen Ländern zum Durchbruch verhelfen soll, in denen sie noch nicht so gut läuft. Ein Game, vor dem Konkurrenten so sehr zittern, dass ein Mitarbeiter des Liverpooler Sony-Studios neulich dabei erwischt wurde, wie er den Wikipedia-Eintrag von "Halo 3" um folgenden Satz ergänzte: "Grafisch sieht das Spiel leider nicht besser aus als der zweite Teil." Was eine glatte Lüge ist. Schon der erste Level im Dschungel ist visuell derart spektakulär, dass er selbst die malerischen Urwaldlandschaften von "Far Cry" in den Schatten stellt: Vor der Kulisse des Kilimandscharo-Bergmassivs kämpft sich der vom Master Chief angeführte Soldatentrupp durch das Dickicht. Doch beim Pirschen durchs Unterholz bleibt es nicht: Immer wieder wechseln sich enge Passagen mit Lichtungen ab. Und spätestens wenn sich diese Kulissen mit Gegnern füllen, ist Schluss mit Autismus. Denn die Gegner sind in "Halo 3" lebendig wie nie zuvor.

Teil von etwas Größerem

Schon mit der ersten Folge brach "Halo" aus dem Gefängnis der ewig gleichen engen Labyrinthe aus, die man von anderen Egoshootern gewohnt war. Und jagte den Spieler stattdessen über malerische Bergplateaus und durch riesige futuristische Städte. "Halo 3" treibt das Gefühl von Größe auf die Spitze. Die Umgebungen sind noch größer und noch weiter. Überall wird erbittert gekämpft. In Felsvorsprüngen verschanzte Grunts decken einen von oben herab mit Lasersalven ein, schwer gepanzerte Brutes werfen sich dem Spieler mit Anlauf entgegen. Währenddessen tauchen immer wieder Raumschiffe am Himmel auf, die nicht nur gelegentlich auf dem Erdboden landen, um Truppennachschub abzusetzen, sondern sich auch untereinander beharken. Und selbst die mit dem Master Chief herumlaufenden Soldaten sind nicht nur bloße Komparsen, sondern agieren eigenständig, treten Barrikaden aus dem Weg oder benutzen ohne Aufforderung einen der Warthog-Jeeps oder Wraith-Panzer. Wo andere Games den Spieler in die Rolle eines Einzelkämpfers versetzen, vermittelt einem "Halo 3" auf diese Weise ständig das Gefühl, Teil von etwas viel Größerem zu sein, von etwas, das die eigene Existenz an Wichtigkeit bei weitem überragt. Und das eben nicht nur durch eine smarte Story, sondern beim Spielen selbst. Dazu trägt auch der "Gebieter" bei, ein Alien, der das gesamte Spiel an der Seite des Master Chiefs kämpft. Denn wo die Geschichte vom ersten Teil noch mit einer überschaubaren Ausgangskonstellation - die Menschheit des 26. Jahrhunderts kämpft gegen eine Allianz aus Alien-Rassen - beginnt, löst sich seit Folge zwei die feste Rollenverteilung in der Geschichte mehr und mehr auf. Was als bloßer Kampf um das Schicksal der Menschheit begann, ist zu einem komplexen System aus Ideologien und Interessen verschiedenster Parteien angewachsen. In dieser Hinsicht kann "Halo" mittlerweile so manchem mittelschweren Fantasy-Zyklus locker das Wasser reichen. Und während des Spielverlaufs schlägt die Handlung dann auch derart viele Haken, dass beim ersten Durchspielen vermutlich nur jene Fans folgen können, die neben den Games alle fünf Romane zur Serie voller Eselsohren im Regal stehen haben. Die Geschichte und das Universum von "Halo 3" nehmen sich dabei über weite Strecken unglaublich ernst. Zivilisten greifen für die gerechte Sache zu den Waffen, Soldaten sterben johlend Heldentode, und der Master Chief unterhält eine fast schon erotische Beziehung zu der künstlichen Intelligenz Cortana. Doch all das ist unbedeutend. Denn "Halo" ist nicht seine kleinen Peinlichkeiten oder die schwer nachvollziehbare Story, "Halo" will auch kein leuchtender Stern am Shooter-Himmel sein, und genau genommen schert es sich nicht einmal darum, ob das hier nun der erste, der dritte oder der letzte Teil ist. Bei "Halo" geht es nur um "Halo" - als Konzept, als Idee und als Welt. Brian Gerrard, der Community-Manager und Franchise-Director von "Halo", gibt in einem Gespräch auf der Games Convention dann auch zu: "Die Kampagne von 'Halo' um ganz neue Aspekte zu erweitern war nicht unser Ziel. Wir orientieren uns auch gar nicht an dem, was andere Shooter machen. Bungie will nicht das Genre revolutionieren oder den besten Egoshooter herausbringen. Unser Ziel ist es einfach nur, das beste 'Halo' abzuliefern." Und das ist zweifellos gelungen: Die Kampagne ist ein Action-Blockbuster, der sowohl durch die Inszenierung im großen Stil als auch durch Liebe zum Detail besticht. Dies zeigt sich auch im Multiplayer und seinen Online-Modi. Und hier setzt "Halo 3" derart neue Standards, dass einem die Kam-pagne auf einmal wie ein einziger langer Trainingsparcours vorkommt.

Soweit wie noch nie

Schon die ersten beiden Teile machten mit ihrer Kombination aus perfekter Steuerung und ausgefeilter Xbox-Live-Infrastruktur aus "Halo" den ersten ernst zu nehmenden Online-Shooter auf Konsole. Und er wurde ein Riesenerfolg. Die ständige Interaktion der Fans mit dem Spiel inspirierte diese über das Perfektionieren ihrer Fähigkeiten in Multiplayer-Matches hinaus noch zu viel kühneren Aktionen. Sie veranstalteten Trick-Jump-Wettbewerbe mit Warthog-Jeeps oder drehten Machinimas wie "Red Vs. Blue". So hat "Halo" viele andere, vermeintlich hippere Games kommen und gehen sehen und gehört noch heute zu den meistgespielten Titeln auf Xbox Live. Deshalb ist der dritte Teil auch zuallererst ein Geschenk an die Community und kein Produkt, das verzweifelt versucht, neue Zielgruppen zu erschließen. Nach dem Ende der Kampagne, noch bevor auch nur ein einziger Entwicklername zu lesen ist, erscheint dann auch eine Dankes-rede an die Fans. Unterschrieben mit "Love, Bungie". Doch der ehemalige Hersteller von Mac-Spielen überhäuft die Fans nicht nur mit Liebe. Er gibt ihnen mit "Halo 3" Spielmodi und Werkzeuge an die Hand, mit denen sie sich das Spiel noch mehr zu eigen machen können. Dabei geht "Halo 3" so weit wie kein anderer Shooter zuvor. Fast jeder erdenkliche Aspekt des Spiels lässt sich vorab konfigurieren. Klingt in der Theorie reichlich unsexy, aber wie wäre es damit, einen Spieler mit dreifacher Geschwindigkeit auszustatten oder ihn fast schwerelos über die Karten hüpfen zu lassen? Oder dem jeweils Führenden das Leben schwer zu machen, indem sein Tod extraviele Punkte bringt, man ihm ausschließlich Sniper-Gewehre zum Aufsammeln gibt oder ihn durch einen für alle weithin sichtbaren Pfeil kennzeichnet? Wem das noch zu konventionell ist, der stattet zusätzlich die weiter hinten liegenden Spieler mit immer potenteren Waffen aus. Und verwandelt "Halo" damit in das "Mario Kart" der Ego-shooter. Und wer von den normalen Power-ups gelangweilt ist, erfindet sich einfach selber welche und bestimmt deren Wirkung, Dauer und wie schnell sie nach dem Aufnehmen erneut auftauchen. Und das Beste: All diese Konfigurationsmöglichkeiten sind so einfach bedienbar, als würde man kurz die Helligkeit am Fernseher einstellen. Durchatmen, denn das ist noch längst nicht alles: Vorhang auf für die Schmiede. Hierbei handelt es sich um eine Mischung aus Spiel und Level-Editor. PC-User, die schon seit einem Jahrzehnt modden, denken jetzt sicherlich, das sei ein alter Hut. Aber weit gefehlt: Denn die Schmiede erlaubt es einem, zu editieren, während man spielt. Einfach auf einer Map das Steuerkreuz nach oben drücken, und die eigene Spielfigur verwandelt sich temporär in eine fliegende Kamera. Und die ermöglicht es einem, während überall weiterhin Plasmaladungen und Splitter-Projektile durch die Luft schwirren, die Architektur des Levels zu verändern, dem eigenen Team neue Waffen herbeizuzaubern, eines der neuen Chopper-Motorräder oder gleich einen Scorpion-Panzer aus dem Nichts auftauchen zu lassen. Dieser Schöpfermodus steht wohlgemerkt nicht nur einer Person zur Verfügung, sondern maximal acht Leuten. Und zwar parallel. So kann man explosive Fässer auf den Gegner fallen lassen oder einen Container durch das Level bewegen, während ein anderer Spieler obendrauf steht und hinunterfeuert. Oder man verändert in einem "Capture The Flag"-Spiel die Respawn-Punkte so, dass die eigenen Team-Mitglieder nach dem Ableben direkt im Lager des Gegners erscheinen. Die Schmiede liefert so das einzig wahre Sandkasten-Gameplay, denn hier kann man während des Spielens selber neue Burgen bauen. Dass die selbst erstellten Spielmodi, Karten oder Screenshots über Xbox-Live hochgeladen und mit anderen getauscht werden können, wirkt dagegen geradezu konventionell. Darüber hinaus gibt es natürlich haufenweise neue Multiplayer-Karten, auch in Settings, die in der Einzelspielerkampagne gar nicht vorkommen, wie eine Wüste oder eine Eiswelt. Noch nicht genug Multiplayer-Features? Auch die Kampagne lässt sich mit bis zu vier Leuten im Coop-Modus durchspielen, der sogar übers Netz funktioniert. Zudem wird jede Partie, die man in "Halo" spielt, ob allein oder mit mehreren, automatisch von der Konsole gespeichert. Danach kann der Spieler die Partie nicht nur aus allen Perspektiven betrachten. Er ist sogar in der Lage, die Kamera von der Spielfigur zu lösen und jeden erdenklichen Winkel des Levels zu erkunden - und das dort Entdeckte in einem Film festzuhalten oder abzufotografieren. Allein für diesen Modus nahm das Team die Anstrengung auf sich, Einzelheiten wie das Innere von Raumschiffen zu modellieren, obwohl man diese im eigentlichen Game gar nicht sieht. Und vielleicht bringt dieses Feature den Zauber von "Halo" am besten auf den Punkt: Detailversessenheit ohne Kompromisse. Und weil es immer nur um Details ging, unterscheidet sich "Halo 3" in seinen Grundzügen kaum von seinen Vorgängern. Deshalb soll dies auch der letzte Teil sein. Weil Bungie und "Halo" genau dort angekommen sind, wo sie immer hinwollten: in einer perfekten Welt.

Das Spiel

Bungie hätte es sich so einfach machen und mit "Halo 3" den typischen "Höher, schneller, weiter"-Next-Gen-Nachfolger herausbringen können. Aber auch wenn die Areale riesig wirken, die Gegner in Massen auf einen zustürmen und so manche Explosion es mit der einer Supernova aufnehmen kann: Bungie hat stattdessen den schwierigen Weg gewählt. Denn "Halo 3" geht weder höher noch schneller oder weiter, sondern tiefer. All diese Merkmale besaß "Halo" nämlich eigentlich schon immer. Und der dritte Teil präsentiert außer dem Einstieg in Afrika keine gänzlich neuen Schauplätze, nicht eine einzige bisher unbekannte Alien-Rasse und nur eine kleine Hand voll neuer Fahrzeuge, Waffen und Gadgets. Stattdessen geht es bei "Halo 3" um Verfeinerung, Verdichtung und ein präzises Auf-den-Punkt-Bringen des klassischen Serien-Gameplays. Allein die Waffen sind schon ein Meisterstück in Sachen Spielbalance. Wo andere Shooter den Spieler mit immer spektakuläreren Geschützen bei Laune halten, aber dadurch den schwächeren Rest ihres Arsenals obsolet werden lassen, kann man in "Halo 3" mit jeder Waffe jeden Gegner besiegen. Es kommt allein auf die jeweilige Situation und Spielweise an. Um diese Balance zu halten, gibt es in "Halo 3" deshalb nur wenige, dafür aber sorgfältig ausgewählte Neuheiten. Wie zum Beispiel die Spike-Granate, die an Gegenständen haften bleibt, und ein rundum schützender Blasenschild. Oder ein portables Antigravitationsfeld, das als eine Art Trampolin dient. All diese Waffen nutzen selbstredend auch die Gegner. Und auf den höheren Schwierigkeitsgraden "Heldenhaft" und "Legendär" cleverer denn je. Wer die Holzhammer-Frontalangriffe der Feinde in anderen Shootern gewöhnt ist, muss umdenken. Die Brutes in "Halo 3" pirschen sich von hinten an, gehen zum Nachladen immer wieder in Deckung und nutzen eigenständig einen ganzen Fuhrpark an Raumgleitern. Durch die clevere KI spielt sich ein Kampf auch beim vierten Mal noch neu und überraschend. Dieser Ansatz macht auch vor dem Scarab nicht halt, einem riesigen, vierbeinigen Kampfroboter. Er ist bereits aus "Halo 2" bekannt und im dritten Teil erneut der größte Gegner, dem man in der Kampagne begegnet. Auch hier geht es um Verfeinerung: Denn was auf den ersten Blick wie ein bloßes Aufkochen von alten Höhepunkten wirkt, ist spektakulärer denn je. War das Verhalten des Scarabs im zweiten Teil noch geskriptet, wird er nun von einer KI gesteuert und gehört so zu den größten eigenständig handelnden Feinden, denen man je in einem Videospiel begegnen durfte.

Fazit

Die Kampagne von "Halo 3" bringt nicht viel Neues, verdichtet und perfektioniert aber das klassische "Halo"-Gameplay. Die wahre Größe zeigt das Spiel aber im Multiplayer, wo es mit seinen bahnbrechenden Editionsmöglichkeiten neue Standards in Sachen Mehrspieler-Gaming setzt - und damit die Latte für jeden kommenden Shooter legt. Für Freunde von "Prey", "Doom 3", "Far Cry" Text: Heiko Gogolin
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2007 /

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