The Club
Der Highscore schlägt zurück: In Segas "The Club" rasen wir bis an die Zähne bewaffnet durch Herrenhäuser und verwaiste Luxusdampfer. Denn wir sind auf der Jagd nach Perfektion. Und einem möglichst hohen Punktestand. Weil wir wissen, dass er in uns steckt
Der Duschtrakt eines verlassenen Gefängnisses. Der hünenhafte Dragov nimmt Fahrt auf. Trotz seiner Masse ist der Hechtsprung über eine niedrige, mit einst weißen Kacheln geflieste Mauer überraschend geschmeidig, sein darauf folgender Schuss tödlich. "Death Roll! Headshot!", ruft eine Stimme aus dem Off. 4908 Punkte. Ein Söldner bricht getroffen zusammen. Weiter geht's: Ohne das Opfer eines Blickes zu würdigen, wuchtet der bärenstarke Kosak seinen mächtigen Körper in einen Korridor. Der Feuerstoß seiner Maschinenpistole, Marke "SP Hornet" mäht einen weiteren Gegner nieder, verdreifacht die Punktzahl und erhöht das Combometer. Augenblicklich jedoch tickt es wieder herunter. Dort! Ein gelbes Schild hängt an der Wand, darauf prangt ein schwarzer Schädel. Im Laufschritt reißt der Hüne die Waffe hoch - "Skullshot!". Die nächste Gegnergruppe wartet im Zellentrakt. Der Russe springt durch die Tür und eröffnet das Feuer... Ein geheimnisvoller Zirkel reicher Leute lässt Söldner zu ihrem eigenen, sadistischen Vergnügen Gladiatorenspiele aufführen. Ihrer eigenen Anonymität verpflichtet, taufen sie ihn schlicht "The Club". Wir schlüpfen in die Rolle eines der Gladiatoren und versuchen ihnen zu imponieren. Das ist in drei Sätzen die Geschichte von "The Club", dem neuen Werk von Bizarre Creations, dem Entwickler von "Project Gotham Racing" und "Geometry Wars". Doch wie so oft ist das Szenario nicht das Wichtigste am Spiel. Das Wichtigste bei "The Club" ist seine Intensität. Mit dem Kommando "Fight" zu Beginn jedes Abschnitts beginnt für dreieinhalb Minuten eine Adrenalin fördernde Mischung aus Third-Person-Shooter, Autorennspiel, Beat'em-up und Flipperautomaten. Zu Beginn wählen wir einen von sechs Kämpfern aus, zwei weitere spielen wir später im Laufe des Storymodus frei. Das Charakterauswahlmenü erinnert an ein Prügelspiel à la "Tekken". Jedoch unterscheiden sich die einzelnen Figuren fast nur äußerlich voneinander: Zwar ziehen muskelbepackte Riesen wie Dragov oder der glatzköpfige Polizeihaudegen Renwick mit etwas mehr Ausdauer in den Kampf. Und Protagonisten wie Kuro, der japanische Undercover-Agent, oder Nemo, der "Club"-eigene Kaspar Hauser im Friesennerz, sind schneller zu Fuß. Eigene Special Moves der Charaktere oder andere Besonderheiten sucht man jedoch vergeblich. Alle unsere Spielfiguren sollen nicht mehr sein als Abziehbilder freakiger Gewalttäter. Sie sind bloß die Vehikel für unsere Skills. Acht Stages stehen zur Verfügung, vom russischen Bunker, den Kanälen von Venedig, einem vor Afrika liegenden alten Luxusliner bis zu einem Stahlwerk in der fiktiven ostdeutschen Industriestadt Jaegerhof. In allen sind größere oder kleine Gegnergruppen fest installiert. Das heißt, dass ihr Verhalten niemals variiert: Sie greifen immer in derselben Reihenfolge an, mit denselben Waffen, auf einem fest programmierten Laufweg. Dieses Spiel gleicht einer Schießbude, in der Pappkameraden auf Schienen heranrollen und abgeschossen werden wollen. Und das ist kein Kritikpunkt, im Gegenteil: Nur wegen genau dieser starren Routenführung funktioniert "The Club". Das eigentliche Ziel besteht nämlich nicht darin, den Parcours zu überleben. Das ist nur die Voraussetzung für den eigentlichen Sinn und Spielspaß: Den Highscore immer und immer wieder zu knacken. Für jeden Kill wird man direkt mit Punkten belohnt, und je spektakulärer man dabei agiert, desto mehr Punkte werden vergeben. Ein Kopfschuss aus großer Distanz ist ertragreicher, als dem Gegner aus drei Metern Entfernung zehnmal ins Knie zu schießen. Macht man zuvor einen Hechtsprung und rollt sich ab, erhöht sich die Punktzahl noch mal. Dreht man sich vor dem Schuss mit einem Tastendruck blitzschnell in die andere Richtung und erledigt einen Feind, der sich von hinten heranschleichen wollte, gibt es ebenfalls einen Bonus. Die verschiedenen Möglichkeiten, Gegner auszuschalten und Punkte zu erzielen, müssen nun in einer großen Choreografie aneinander gereiht werden. Dazu ist man ständig in Bewegung. Denn Geschwindigkeit ist Trumpf. "Eigentlich ist 'The Club' ein Rennspiel - mit Waffen anstatt mit Autos", erklärt Matt Cavanagh, der Lead-Designer des Spiels. Was allerdings bedeutet, dass nicht ausschließlich das Tempo eine Hauptrolle spielt, sondern ebenso die Ideallinie. Das kleine Einmaleins des Autorennens besteht darin, richtig in eine Kurve zu gehen, um dann aus ihr heraus zu beschleunigen. "Die Art, wie du in einem Rennspiel die Kurven nimmst, ähnelt der Art, wie du in 'The Club' die Gegner angehst", sagt Cavanagh. Man muss die Ideallinie finden, aber gleichzeitig die Beschleunigung nicht vergessen. Von einer Gegnergruppe hetzt man mit gedrückter Sprinttaste zur nächsten. Verliert man zwischen zwei Kills zu viel Zeit, vermindert sich das Combometer am rechten oberen Bildschirmrand, bis es schließlich ganz verschwindet. Denn dann ist jeder Fortschritt verloren, und man startet das Combometer von vorne. Als Hilfestellung hängen daher überall in den Arenen kleine Schilder an den Wänden. Schießt man die mit einem schwarzen Totenkopf versehenen Hinweise vom Putz, wird der bedrohliche Countdown des Combometers zurückgesetzt. Es ist oberste Gladiatorenpflicht, das Combometer unter allen Umständen weiterticken zu lassen - denn nur dann reiht sich Bonus an Bonus. So ergibt sich zwangsläufig ein Flow von Aktionen, der dem Spieler keinen Raum mehr lässt zum Denken. Das Spiel umfängt ihn. Und genau das war das Ziel der Entwickler: "Es fing damit an, dass wir ein Spiel machen wollten, das alleine vom Gameplay bestimmt wird und nicht von einer Story", sagt Matt Cavanagh. "Wir haben uns also erst einmal Spiele angesehen, von denen wir dachten, dass sie uns dabei helfen könnten. Das heißt, alles außer Shootern. Von denen haben wir keine Inspiration erwartet." Erhellend waren eher die Skateboardspielserie "Tony Hawk" und gänzlich mechanische Zeitvertreiber wie Flipperautomaten. Beide haben eine Gemeinsamkeit: Der eigentliche Gegner des Spielers ist ein ausgefeiltes Punkte-system, das jede seiner Aktionen direkt in sich überschlagenden Zahlenreihen umsetzt, die sich zu ungetümen Highscores aufbauen können. Daraus ziehen diese Spiele ihren Reiz, immer und immer wieder gespielt zu werden - egal wie oft man schon das Rollbrett durch die Halfpipe schnurren ließ oder die Flanken des Lieblings-Kneipenflippers malträtiert hat. Nur wenige Highscores haben wirklich lange Bestand. Und gerade sie geben dem Spieler deshalb einen ständigen Anreiz, sich selbst verbessern zu wollen. "The Club" ist somit ein Game, das ein wenig an früher erinnert, an die Anfangstage, an die Arcade-Zeit, als fast alle Spiele eine Punkteanzeige besaßen - und meist aus nur ein paar Screens bestanden, die sich in einer unendlichen Schleife wiederholten. Die Leistung des Spielers maß sich damals in seinen Punkten und nicht darin, ein Game durchgespielt zu haben. Diese Zeit schien vorbei zu sein, als Spiele plötzlich unbedingt Geschichten erzählen wollten und teuer produzierte Filme zwischen den Leveln als Gipfel der Modernität galten. Damals war der Highscore tot, niemand wollte ein Level noch ein zweites Mal spielen. Doch heute erlebt er eine Renaissance: Online-Netzwerke wie Xbox Live erlauben einen Vergleich der eigenen Highscores, von denen die Spieler in der Spielhalle um die Ecke damals nur träumen konnten. Ein Game wie "The Club" zeigt seinem Gladiatoren nach jedem Durchgang sofort an, auf welchem Platz er im weltweiten Ranking steht. Und stachelt ihn so immer wieder an, eine noch bessere Runde hinzulegen. "The Club" geht also zwei Schritte zurück, um einen voranzukommen. Das Spiel nimmt einen klassischen 3rd-Person-Shooter, trimmt ihn voll auf Punktejagd und ködert mit der Ideallinie, dem "Perfect Run". "The Club" ist ein Shooter, in dem sich jeder Schuss, jeder gelungene Abschnitt oder falsche Move in Punkten widerspiegelt. Und somit ein exzellentes Spiel, das den Highscore als Spiegel des eigenen Könnens ein Denkmal setzt.