Metal Gear Solid 4: Guns Of The Patriots

Metal Gear Solid 4: Guns Of The Patriots

Als einer von rund 100 Journalisten weltweit durfte GEE-Redakteur Moses Grohé "Metal Gear Solid 4: Guns Of The Patriots" vor der Veröffentlichung spielen. Danach traf er den Macher Hideo Kojima zum Interview

"Es ist ein Wunder", lacht Hideo Kojima, der stets etwas verschlafen aussieht, aber mit "Metal Gear Solid" eine der bedeutendsten Video-spielserien der Welt geschaffen hat, "es ist ein Wunder, dass sich jetzt am Ende alles so perfekt zusammenfügt." Schließlich hat er die komplexe Geschichte rund um den Söldner Solid Snake nicht von Anfang an komplett im Kopf gehabt, sondern mit jedem neuen Teil der Reihe weitergesponnen. "Ich bin jedes Mal davon ausgegangen, dass dies nun die letzte Folge sein wird", sagt er, "und habe mir nie Gedanken, darum gemacht, wie es weitergehen könnte." Und was hat sein Held nicht alles durchgemacht: In den vergangenen 20 Jahren war Snake unter anderem in Alaska unterwegs, auf Tankern und im Dschungel. Er musste Beweisfotos von Kampfrobotern machen, den Start von Atomraketen verhindern und Präsidenten aus der Geiselhaft befreien. Er wurde dabei ausgenutzt, hintergangen und gefoltert, hat sich aber auch verliebt. Und immer wieder stand er beeindruckenden Bossgegnern gegenüber, die oft nur mit ausgebufften Tricks zu besiegen waren. Der Weg zum Endgegner war immer beschwerlich, hatte aber auch viele stille Momente - schließlich gilt "Metal Gear Solid" als Begründer des "Stealth"-Genres. Es geht also darum, seine Einsätze abzuschließen, ohne zum Beispiel von patrouillierenden Wachposten entdeckt zu werden. Wenn das dennoch geschieht, lösen die Gegner Alarm aus, rufen Verstärkung herbei und versuchen, Solid Snake aufzuspüren. Nur wenn er sich lange genug versteckt, kehren sie wieder auf ihre Posten zurück, und der Spieler kann durchatmen. Ein weiteres Markenzeichen der Serie sind die filmischen, die Erzählung weitertreibenden Zwischensequenzen, die sich auch in ihrer Länge vor Hollywood-Produktionen nicht verstecken müssen. "Metal Gear", das heißt also: cineastische Inszenierung, spannendes Gameplay und eine vielschichtige Story, die nicht nur Hideo Kojimas volle Aufmerksamkeit verlangt. Denn in den bisherigen Spielen wurde die Geschichte nicht chronologisch vorangetrieben, die einzelnen Folgen schauten zeitlich mal voraus, mal zurück. Der neue, vierte und letzte Teil setzt der Saga einen Schlusspunkt in einer nicht allzu fernen Zukunft. Er spielt in einer Welt, in der Privatarmeen Stellvertreterkriege für Konzerne führen. Soldaten werden durch injizierte Nanomaschinen aufgemotzt und überwacht, die ganze Kriegsmaschinerie wird von einem Computernetzwerk gesteuert. Dass es fatal ist, wenn ein solches System in die falschen Hände fällt, ist klar. Und dass genau das in "Guns Of The Patriots" nicht lange auf sich warten lässt, natürlich auch. Also wird der inzwischen ergraute Solid Snake noch einmal aus dem hoch verdienten Ruhestand gerissen und tritt zu seiner letzten Mission an. Etwas grimmig und noch zynischer als sonst macht sich der alte Söldner an die Arbeit, raucht dabei mehr Zigaretten als je zuvor, klagt über Rückenschmerzen, wenn man ihn zu lange hocken lässt, und hustet sich die Seele aus dem Leib - so einen Videospielhelden hat man noch nicht gesehen.

Fit bis ins hohe Alter

Die Spielewelt, in der sich Snake bewegt, wirkt dabei vom ersten Moment an stimmig und echt. Streift er durch Camps, in denen jammernde Verletzte liegen, denen ihre Kameraden Trost zusprechen, ist das beklemmend. Belauscht er -Dialoge der Wachen, ist das oft zum Schreien komisch. Drumherum führt die Welt ein Eigenleben: Hühner laufen aufgeregt herum, Vögel flattern ver-räte-risch aus hohem Gras, und um dreckige Müllcontainer surren so viele Fliegen, dass man den Gestank fast riechen kann. Stößt Snake Flaschen um, rollen sie polternd zur Seite, und rennt er schnell durch enge Gassen, hallen seine Schritte von den Wänden wider. Der Sound trägt enorm zum überzeugenden Gesamteindruck bei. In Gefechten wird die Atmosphäre be-sonders dicht: Kugeln pfeifen durch die Luft, Dreck spritzt auf, und bei Explosionen fliegt einem das wackelnde Fernsehbild förmlich um die Ohren. Snake selbst hat so viele Moves auf Lager wie ein cooler Filmheld: Er hangelt sich an Seilen über die Köpfe der Wachen hinweg, dreht sich beim Kriechen auf den Rücken, um Granaten über seinen Kopf zu werfen, macht Vorwärtsrollen, Seitwärtsrollen, balanciert über Balken, klettert auf Kisten und geht dahinter in Deckung. Wachen lenkt er mit ausgelegten Herrenmagazinen ab, führt sie durch Klopfzeichen in die Irre oder lässt sie in Sprengfallen und Minen tappen. Schleicht Snake sich von hinten an sie heran, kann er sie würgen, bis sie bewusstlos sind oder ihnen in einem Minigame, bei dem der Spieler im richtigen Moment den richtigen Knopf drücken muss, die Ausrüstung abnehmen. Immer wieder überrascht "Metal Gear Solid" mit witzigen - und manchmal auch grausamen - Szenen oder cleveren Gameplay-Einfällen. So gibt es bei einer Verfolgungsjagd eine Zeitlupenaufnahme, in der die Wagen in bester Kinomanier drehend durch die Luft fliegen und Snake noch im Fahren zwei Gegner erledigen kann. Eine schöne Variation des Schleich-Themas erwartet den Spieler, wenn er nachts einen pfeifenden Mann in einer Stadt verfolgen muss, ohne entdeckt zu werden. Solche Momente kommen jeweils nur ein Mal vor - sie sind kein tragendes Element des Spiels, zeigen aber die Liebe der Entwickler zu ihrem Werk.

So viele alte Bekannte

Auch wenn die Welt von "Guns Of The Patriots" nicht so offen ist wie zum Beispiel die von "Grand Theft Auto" und der Spieler stets ein klares Einsatzziel erreichen muss, gibt Hideo Kojima ihm auf dem Weg dorthin mehr Möglichkeiten als je zuvor. Denn häufig sind die Areale so groß, dass sie viele Wege bieten, sie zu durchqueren. Und auch auf welche Weise er das bewerkstelligt, liegt allein beim Spieler: Er kann sich mithilfe eines speziellen Camouflage-Anzugs der Umgebung anpassen und unentdeckt an Wachen vorbeischleichen oder mit schweren Waffen rücksichtslos alles niedermähen und aufs Schleichen pfeifen. In einigen Abschnitten kann sich Snake Freunde machen, indem er ihnen im Kampf beisteht oder sie vor der Exekution bewahrt. Sie sind dann nicht nur -bereit, Waffen zu tauschen, sondern halten auch Feinde in Schach oder ziehen deren Aufmerksamkeit auf sich. Auch das ist lediglich eine Option: Man kann die Jungs auch einfach ihrem Schicksal überlassen und sich allein durchschlagen. Im Verlauf der Geschichte trifft der Spieler auf viele alte Bekannte: auf Meryl, Naomi, Liquid, Vamp, Raiden oder Eva. Abgesehen von den Bossgegnern der "Beauty & The Beast"-Einheit gibt es wenig neue Gesichter. Schillerndste Persönlichkeit ist dabei der Waffenhändler Drebin, der immer wieder unerwartet auftaucht, Cola trinkt und rülpst. Neben der geheimnisvollen Aura, die ihn umgibt, bringt er eine neue Komponente ins Spiel, denn um bei ihm Waffen kaufen oder aufrüsten zu können, braucht Snake so genannte Drebin-Punkte. Die kriegt er für alle Waffen, die er auf dem Schlachtfeld sammelt, gutgeschrieben. Darum flitzt er nach Gefechten oftmals herum wie Mario beim Münzensammeln. Das Spiel selbst ist in Akte unterteilt wie ein klassisches Theaterstück und folgt einer ebenso klassischen Dramaturgie. Es vereint Elemente von Komik und Tragödie und taucht den Spieler in ein Wechselbad der Gefühle. Kojima gelingt es, dass man Mitleid für Erzfeinde empfindet, sein Tun als Spieler hinterfragt, hin- und hergerissen ist und manchmal nicht mehr weiß, was wahr und was falsch ist. Und natürlich ist er sich auch dieses Mal nicht zu schade für pubertäre Fäkalscherze, augenzwinkernde Seitenhiebe und jede Menge Pathos und Philosophie. Als wolle er um jeden Preis der König der Cutscene bleiben, nimmt sich Kojima wieder reichlich Zeit für Figuren, Geschichte und Gefühle: "Ich weiß, dass Spiele wie 'Bioshock' es schaffen, Geschichten zu erzählen und Charaktere zu entwickeln, ohne eine Cutscene zu verwenden, und ich finde das auch sehr spannend", sagt Hideo Kojima, "die Fülle an Detail und Hintergrund von 'Metal Gear' lässt sich aber so nicht vermitteln. Deswegen habe ich mich bewusst wieder für Cutscenes entschieden." So sitzt der Spieler manchmal über eine Stunde vor dem Bildschirm und bewundert die opulente Inszenierung. Dass Kojima mal Filmregisseur werden wollte, ist nicht zu übersehen. Und auch wenn ein Teil der Spieler die "Metal Gear Solid"-Reihe wegen ihrer langatmigen Erzählweise ablehnt - genau diese macht den Reiz dieser Games aus. Denn das Spiel wird dadurch nicht unterbrochen, sondern intensiviert. Als kleines Gimmick gibt es an bestimmten Stellen die Möglichkeit, per Knopfdruck Einnerungen wachzurufen, die dann in verrauschten Bildern eingeblendet werden. Und wie schon im letzten Teil kann der Spieler an manchen Stellen die Welt direkt durch Snakes Augen sehen. Manchmal erhascht er dadurch wichtige Details, oft aber starrt Snake in dieser Sekunde einer Frau unverhohlen in den Ausschnitt. Sexy Untertöne gibt es zuhauf. Die Frauen sind durch die Reihe so schön, dass man sich direkt in sie verlieben könnte. Manchmal zeichnen sich weibliche Formen zaghaft, aber deutlich unter engen Latex-Anzügen ab. Die Kamera zeigt lange Beine, schöne Dekolletés und kurze Röcke. "Ich -mache Entertainment", sagt Kojima grinsend, "da wollte ich auch diesen Aspekt in meinem Spiel haben." Sein Lieblingsgag im Spiel ist tatsächlich der, in dem Snake seine Zigarette fallen lässt, um heimlich einer Dame unter den Rock zu spannen - "das zeigt, dass er immer noch voll Leben steckt, obwohl er ein alter Mann ist, der nicht mehr viel Zeit zu leben hat".

Ein Fest für Fans

Nach dem vierten Teil jedoch soll nun wirklich Schluss sein. Das Ende der Serie wurde zwar auch schon vor den vergangenen Teilen angekündigt, aber Kojima klingt glaubhaft, wenn er sagt: "Das ist das große Finale. Ich habe mir viel Mühe gegeben, die Geschichte gut enden zu lassen. Und es war mir wichtig, alle Fragen zu beantworten." Und er hat es wirklich geschafft, die Story um Solid Snake zu einem stimmigen Schluss zu bringen. ",Metal Gear Solid 4' habe ich vor allem für die Fans gemacht, die mir seit zehn oder mehr Jahren die Treue halten", betont Kojima. Natürlich will er Neulinge keineswegs ausschließen - aber während jene, die zum ersten mal "Metal Gear Solid" spielen, eine "relativ einfache Ein-Plot-Geschichte erleben, von zwei Männern, die einander quer durch die Welt jagen", gibt sie Veteranen viel mehr: Andeutungen, Verweise, Referenzen und Erklärungen erschließen sich nur Eingeweihten, die wissen, worum es bei "La--- li-lu-le-lo", "Outer Heaven" oder "Shadow Moses" geht. "Ich habe schon -Menschen beim Spielen von 'MGS 4' weinen sehen, weil es Erinnerungen an früher weckt", sagt Kojima. Und so viel sei versprochen: Wer seit dem ersten Teil der "Metal Gear Solid"-Saga auf der ersten Playstation ein Fan der Serie ist, dem wird im Verlauf des Spiels das Herz aufgehen. Aber auch alle anderen bekommen ein Spiel, das so gut ist, dass man es -sogar gut spielen will. Man will mit Stil da durch und hat auch alle Möglichkeiten dazu. Löst man nur einen einzigen Alarm aus, beschleicht einen schon das Gefühl, versagt zu haben, obwohl das Spiel weiterläuft. Der -Ansporn ist so groß, dass man vielleicht sogar endlich einmal das schier Unmögliche erreichen möchte: das Spiel ohne einen einzigen Kill durch-zuspielen. Genug Zeit zum Üben hat man. Denn um alle Details zu sehen, muss man es mindestens drei Mal komplett durchspielen.

Das Spiel

In "Metal Gear Solid 4" hat der Spieler das Gefühl, bei etwas ganz Großem dabei zu sein. Die Geschichte ist so gewaltig, die Welt so real und der Spieler so beweglich wie in sonst kaum einem Game. Selbst wenn Solid Snake einer Überzahl von Feinden oder großen Kampfrobotern gegenübersteht, ist man stets Herr der Lage. Alle Aktionen gehen so intuitiv von der Hand, dass man mit Snake komplett verschmilzt. Obwohl das Geschehen meist nicht aus der Egoperspektive, sondern in einer Third-Person-Ansicht gezeigt wird. Mit der frei beweglichen Kamera behält man dabei den nötigen Überblick, und den braucht man. Denn es ist in dem "Stealth-Game" besser, Feindkontakt zu vermeiden, sich ein Stückchen durchs Terrain vorzuarbeiten und dann erst mal zu gucken, ob einer guckt. Läuft man Wachen nicht blindlings in die Arme, sondern späht ihre Routen aus, kann man fast immer unbemerkt vorbeischleichen. Hilfreich ist dabei das Radar, auf dem Gegner und deren Sichtfelder angezeigt werden. Momente, in denen man Snake hinter Ecken verharren oder flach gepresst am Boden liegen lässt und genau sieht, wie eine Patrouille herannaht, zehren an den Nerven. Wird man entdeckt? Muss man schießen? Letzteres kommt oft genug vor. In vielen Passagen erinnert "Metal Gear Solid 4" eher an "Call Of Duty" als an einen Schleicher - "MGS" ist dabei aber immer noch viel erwachsener und deutlich ausgefeilter. Das Krieg nichts Schönes ist, wird nicht nur in den Cutscenes thematisiert, sondern auch ins Gameplay integriert: Feuergefechte setzen Snakes Verfassung merklich zu. Killt er zu viele Gegner, muss er sogar kotzen. Für Stress und Psyche gibt es Anzeigen, die auch von der Temperatur in einem Gebiet beeinflusst werden. Mit Zigaretten oder einem Blick in ein Sexheft können sie wieder aufgeladen werden. So detailliert wie Story und Gameplay ist auch die Grafik des Spiels. Figuren sind bis hin zu Bartstoppeln und Altersflecken ausgestaltet, bei Otacons Strickpullover kann man die Maschen zählen, und die Umgebung ist bis in die letzte Ecke durchgestylt. Überall liegt und hängt und steht etwas. Zusammen mit der Musik, die das Geschehen, mit wuchtigen Tönen trägt wie einen großen Kinofilm, ergibt sich ein so stimmiges Gesamtbild, dass man darin ganz schnell total versinkt.

Fazit

Extrem spannendes und vielseitiges Spiel mit bombastischer Story und Inszenierung. Für Fans der krönende Abschluss einer herausragenden Videospielserie. Für Freunde von "Assassin's Creed", "Splinter Cell", "Zone Of The Enders" Text: Moses Grohé
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von Volker Hansch / Juli 10th, 2008 /

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