Geldspiele

Geldspiele

Die Deutschen lieben Wirtschaftssimulationen. Doch abseits der üblichen Fußballmanager tun sich Abgründe auf. GEE zeigt die absonderlichsten Existenzgründerspiele

Rotlicht Tycoon 2 (PC)

Die Geschäftsidee: Als Zuhälter managen wir einen Puff auf einer Ranch, in einer Feuerwache oder einer Kirche. Unser Freudenhaus muss mit Accessoires wie einer Folterbank oder Table-Dance-Bühne ausgestattet werden. Dann schließen wir Kontrakte mit kompetenten Mitarbeiterinnen und legen Preise für Blümchensex, SM oder Analverkehr fest. Die unmoralischste Geschäftspraktik: Wenn es schlecht läuft, kürzen wir den Anteil der Freudenmädchen am Beischlafsalär auf ein Minimum. Was zum Realismus noch fehlt: Abgesehen von Anzugträgern, die durchdrehen, wenn ihr abwegiger Trieb nicht befriedigt wird, bleibt es in unserem Etablissement zu ruhig. Auseinandersetzungen mit anderen Zuhältern oder Schutzgelderpressungen brächten Esprit ins Geschäft. Zum Glück ist es nur eine Simulation, denn die unterirdischen Machwerke wie "Schneeflittchen" oder "Aber bitte mit Sahne", die unseren Videokabinen laufen, kann man wirklich niemandem zumuten.

Bier Tycoon (PC)

Die Geschäftsidee: Einen lokalen Bierhersteller auf den Weltmarkt führen. Dafür managen wir die gesamte Produktion vom Rohstoffeinkauf bis zur Abfüllung. Doch nicht nur Flaschen gehören abgefüllt, sondern auch die Brauerei-Besucher, denen wir, die Gunst der Stunde nutzend, teure Merchandise-Produkte andrehen. Die unmoralischste Geschäftspraktik: Das Knechten der Arbeitnehmer. Um viel Geld in die eigene Tasche zu stecken, betreiben wir Gärhaus und Lager mit nur einem Mitarbeiter, der 24 Stunden lang schuften muss. Was zum Realismus noch fehlt: Dass die Belegschaft einen Betriebsrat gründet, um uns solche Praktiken auszutreiben. Und die Möglichkeit, auf dem Höhepunkt unseres Erfolges vom weltweiten Biergiganten Inbev (Beck's, Budweiser, Staropramen) aufgekauft zu werden. Zum Glück ist es nur eine Simulation, denn was wir hier aus 50 Zutaten zusammenschütten, hat mit dem Deutschen Reinheitsgebot nichts zu tun und lässt sogar Lifestyle-Biere wie Höhepunkte der Braukunst wirken.

MMORPG Tycoon (PC, Mac)

Die Geschäftsidee: Mit einem Fantasy-Online-Rollenspiel Gewinn zu machen. Dafür kalkulieren wir nicht nur die Abo-gebühr, sondern verantworten auch das Game-Design: Städte, Dungeons und Feinde müssen clever in der Spielwelt verteilt werden. Denn wenn die Spieler im Forum unzufrieden sind, wechseln sie zu "Legend Of Diamonds" oder "Wizard Of Spades". Die unmoralischste Geschäftspraktik: Jeder Spieler wird mittels Spyware genauestens untersucht, um sein Spiel- und Suchtverhalten zu überwachen. Was zum Realismus noch fehlt: Die Möglichkeit, unser Spiel gratis auf den Markt zu bringen und die Spieler stattdessen hinterrücks mit vollkommen überteuerten kostenpflichtigen Rüstungen und Waffen abzukassieren. Zum Glück ist es nur eine Simulation, denn wenn wir mal ehrlich sind, braucht niemand noch mehr Fantasy-Online-Rollenspiele.

Chocolatier (PC / Mac)

Die Geschäftsidee: Wir leiten eine Konditorei im San Francisco des 19. Jahrhunderts, die Leckereien wie Minzpralinen mit Madagaskar-Himbeer oder Zimt-Schokoriegel mit Vanille herstellt. Um die Edelschokolade zu produzieren, benötigen wir exotische Kakaobohnen oder Nüsse und reisen deshalb per Schiff um die Welt. Die unmoralischste Geschäftspraktik: Wir versprechen leichtgläubigen Afrikanern oder Indonesiern im Austausch für exotische Rezepturen die ersten Produkte, die wir damit herstellen, und verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen. Was zum Realismus noch fehlt: Eine Unterstützung für den demnächst erscheinenden Aromagenerator der japanischen Mobilfunkfirma NTT, der 200 echte Gerüche für Games erzeugen soll. Der könnte unsere Fertigungsanlagen unwiderstehlich nach Zartbitter oder Karamell duften lassen. Zum Glück ist es nur eine Simulation, denn wir würden wohl der süßen Versuchung unserer eigenen Produkte nur allzu oft erliegen.

Fish Tycoon (DS / PC / Mac)

Die Geschäftsidee: Sieben magische Fischarten hielten die Meeresfauna einst in Balance. Doch nun sind sie plötzlich verschwunden, und ihr Genpool muss in unserem Zuchtbetrieb mühsam wieder rekonstruiert werden. Die unmoralischste Geschäftspraktik: Um die magischen Fischsorten zu züchten, ist unser Herz für Tiere kalt geworden. Also stecken wir zwei völlig unterschiedliche Fische so lange in Quarantäne, bis sie nicht mehr anders können, als sich miteinander zu paaren. Was zum Realismus noch fehlt: Leider wenig. Denn unter 700 Spezies sieben bestimmte zu entdecken dauert nicht nur gefühlt Jahre. Und auf die toten Fische, die im Becken herumtreiben, bis wir sie per Stylus in den Müll befördern, hätten wir auch verzichten können. Zum Glück ist es nur eine Simulation, denn das Leben eines Fischverkäufers erscheint unglaublich öde. Oft muss man minutenlang hinter dem Tresen warten, bis Kunden reinspazieren, und dann gehen sie einfach wieder weg, ohne etwas zu kaufen.

Prison Tycoon 2 (PC)

Die Geschäftsidee: Wir managen Gefängnisse. Und zwar von einer kleinen Besserungsanstalt bis zum Hochsicherheitsgebäude mit Todeszellen. Dabei errichten wir Zäune, Zellenblöcke oder Kantinen. Und unser Personal benötigt natürlich Waffen, Schilde und Wachhunde. Die unmoralischste Geschäftspraktik: Ein Knast ist ein Wirtschaftsunternehmen, in dem knallhart kalkuliert wird. Um Geld zu sparen, sollte deshalb möglichst wenig Geld in sanitäre Anlagen gesteckt werden. Die Einsparungen dürfen aber nicht zu groß sein, sonst sterben Häftlinge an Krankheiten, und Schmerzensgeldzahlungen an Hinterbliebene belasten den Etat. Was zum Realismus noch fehlt: Dass Insassen sich wieder in die Gesellschaft integrieren können. Jegliche Freizeitaktivitäten dienen rein dazu, deren Unmut niedrig zu halten und Aufstände zu verhindern. Zum Glück ist es nur eine Simulation, denn wenn ein Zuchthaus so menschenverachtend geführt würde wie hier, gehörte der Gefängnisleiter selbst hinter Gitter.
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von Volker Hansch / Oktober 10th, 2008 /

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