Lass uns drüber reden

Lass uns drüber reden

Damit wir verstehen, was wir spielen, werden Games in Deutschland synchronisiert. GEE hörte bei den Arbeiten an "Der Pate 2" genau hin Seine Stimme ist nur noch ein Röcheln, ein Gurgeln, eine heisere Fratze. "Und mehr hast du nicht drauf?", fragt sie mit letzter Kraft, ein wenig Irrsinn schwingt nun mit und ganz viel Trotz. Wer spricht, ist nicht zu sehen, allein der Klang der Stimme lässt ein Bild im Kopf entstehen - von einem Mann mittleren Alters vielleicht, grobschlächtig gebaut, doch bestimmt gepflegt, aus dessen Mund Blut und Speichel auf einen Zweireiher tropfen, unter dem der Kragen eines Hemdes hervorlugt. Ein ganzer Kerl ist das, der gerade zusammengeschlagen wird, aber wieder aufsteht und seinen Kopf stolz den Fäusten seines Peinigers entgegenstreckt. Der nun immer schwerer atmet und seine letzten Worte durch die aufgeplatzten Lippen presst: "Scheiße, das tut weh." Plötzlich: Eine andere Stimme ertönt. "Jan-David? Du hast doch gerade ziemlich heftig aufs Maul bekommen - kannst du das nicht noch ein bisschen schmerzverzerrter bringen?" Der da spricht, ist Wolf Frass. Der 60-jährige Dialogregisseur beugt sich im Licht einer Schreibtischlampe über eine mehrere hundert Seiten dicke Kladde mit Texten, die für den zweiten Teil des Videospiels "Der Pate" eingesprochen werden sollen. Ihm gegenüber, hinter zwei Glasscheiben verschanzt, sitzt Jan-David Rönfeldt. Gemeinsam mit Toningenieur Stefan Grundt, 32, der an einem Computermonitor die Aufnahmen überwacht, arbeiten die beiden gerade in feinen Abstufungen die körperliche Versehrtheit einer Spielfigur heraus. Der Sprecher sitzt dabei in einer abgetrennten Kabine. Jedes Geräusch darin ist gedämpft, Laute finden nirgends Halt. Weil das Gleichgewichtsorgan im Ohr sitzt, kann einem dort ganz schön schwummerig werden. Rönfeldt passiert das nicht mehr. Der 34-Jährige ist bereits seit seinem zwölften Lebensjahr Schauspieler und Sprecher - "ein typisches Synchro-Kind", wie er selbst von sich sagt. Wie eine Maske setzt er nun seine Bad-Ass-Stimme auf. Er flucht und leidet, und Wolf Frass sagt ihm, wie sehr er zu leiden und wie heftig er zu fluchen hat. So geht das eine ganze Weile Schlag auf Schlag. Die beiden brauchen nicht lange für ein "Take", für einen einzelnen Satz oder ein Röcheln. Denn Jan-David Rönfeldt ist Profi: Er synchronisiert den Rapper Snoop Dogg in seinen Filmauftritten, spricht das Moskito im Animationsfilm "Bee Movie" sowie Dante aus "Devil May Cry". Deutschland ist Synchro-Land. Bereits seit den dreißiger Jahren werden hierzulande fremdsprachige Filme übersetzt. In diesen 70 Jahren haben sich die Deutschen im Kino und Fernsehen an Lippenbewegungen gewöhnt, die mit den gesprochenen Dialogen nicht übereinstimmen. 46 Prozent der Bevölkerung stufen laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa ihre Englischkenntnisse als unzureichend ein. Kein Wunder, dass die Deutschen wie die Weltmeister übersetzen und lokalisieren. Wer würde schon etwas ansehen oder kaufen wollen, das er nicht oder kaum versteht? Wobei mit der konsequenten Eindeutschung auch die Chance vertan ist, dass sich das ändert, indem mit den Orginaldialogen die Fremdsprache quasi nebenbei gelernt wird. Englisch lernen mit "Oblivion" oder "Grey's Anatomy": Nichts wäre einfacher. Wie sehr ein Land davon profitieren kann, zeigen die polyglotten Niederländer und Skandinavier. Denn dort werden Filme aus dem Ausland lediglich untertitelt. Der Grund dafür sind jedoch nicht Kampagnen zur Förderung von Mehrsprachigkeit, sondern schlicht die geringen Bevölkerungszahlen: Eine Lokalisierung würde sich dort finanziell nicht lohnen. Die Geschichte der Sprachausgabe in Videospielen beginnt in den achtziger Jahren. 1984 glauben die Besitzer eines Commodore 64 ihren Ohren nicht zu trauen, als sie das Spiel "Impossible Mission" in ihr Floppy-Laufwerk schieben und den ersten Level starten. Da begrüßt sie doch tatsächlich eine knarzende Roboterstimme: "Another visitor. Stay a while. Stay forever!" Richtige, gesprochene Wörter scheppern aus dem Computer statt der üblichen fiependen 8-Bit-Sounds. Noch sind nur kurze Samples möglich, doch als Games auf CD-Roms erscheinen und mehr Speicher zur Verfügung steht, etablieren sich gesprochene Dialoge mit größerem Umfang und höherer Qualität. Das kauzige Adventure "Day Of The Tentacle" macht 1993 den Anfang, ein Jahr darauf folgt mit dem "Star Wars"-Spiel "Rebel Assault" der nächste Hit mit Sprachausgabe. Nun gibt es kein Zurück mehr. Seitdem erwarten die Spieler, dass ihre Helden und Schurken zu ihnen sprechen. Und das wiederum möglichst auf Deutsch.

Prominente Sprecher

Die Fassade der Toneworx-Studios in Hamburg sieht unscheinbar aus, zweckdienlich, stabil. In einem Hinterhof gelegen, teilt sie sich die Aussicht auf einen Parkplatz mit einer Supermarktrückwand. Das große eiserne Logo der Firma mit den abgerundeten Lettern wurde heute angebracht. Andreas Gensch, einer der beiden Gründer und Geschäftsführer, stemmt die Arme in die Hüften und blickt stolz auf die Buchstaben über der gläsernen Eingangstür. "Jetzt weiß ich, was uns zehn Jahre lang gefehlt hat", freut sich der 39-Jährige. Gerade erst sind sie von der gegenüberliegenden Seite des Parkplatzes in ein großzügiger bemessenes Gebäude gezogen und haben es von einem Akustiker herrichten lassen. Ein Studio mit höhenverstellbarer Decke ist ebenso geplant wie die Produktionen von aufwendigen 5.1-Aufnahmen. Gensch, sein Partner Jörg Mackensen und ihre mehr als 20 Tontechniker, Aufnahmeleiter oder Videoschnitt-Spezialisten haben ein überquellendes Auftragsbuch. Sie sind Veteranen ihrer Branche: In den Räumen von Toneworx entstanden bereits die Lokalisierungen von "Die Simpsons - Das Spiel", "Deus Ex", "Knights Of The Old Republic" und der "Tomb Raider"-Reihe. Als Gensch und Mackensen ihr Unternehmen 1998 gegründet haben, waren Tonaufnahmen für Computerspiele eine Markt-lücke in der ansonsten gesättigten deutschen Studiolandschaft. Inzwischen gehören Ubisoft, dtp Entertainment und Electronic Arts zum festen Kundenstamm. Denn mit den großen Budgets wuchsen auch die Erwartungen der Spieler an die Güte der Aufnahmen und der Sprecher. Bei Ubisoft gibt es hausinterne Richt-linien, die Qualität sicher stellen sollen. "Wir arbeiten nur mit Profis, mit Sprechern vom WDR und mit Schauspielern, zusammen", sagt Stefan Dinger, Leiter der Synchronisationsabteilung von Ubisoft Deutschland. "Als Vorbild dienen uns dabei Kino-pro-duk--tionen, weswegen wir zum Beispiel grundsätzlich keine Dialekte verwenden." Die Publisher wissen, dass eine gute Synchronisation ein Spiel noch besser machen, eine schlechte Synchronisation aus -einem guten Spiel aber auch ein mieses machen kann. Darum ist es inzwischen sogar üblich, sich zum Beispiel Christian Brückner zu leisten. Die deutsche Stimme von Robert De Niro zählt zu den höchstdotierten Sprechern in Deutschland. Bereits ein Otto Normalsprecher erhält neben 60 Euro Stundensatz eine Pauschale von drei Euro pro Take, prominente Sprecher können sogar fünfstellige Beträge kosten - pro Tag. Trotzdem wird Ubisoft für das neue "Prince Of Persia" wieder mit der deutschen Stimme von Johnny Depp arbeiten. In Zukunft sollen sogar bekannte deutsche Schauspieler Sprecherrollen in Videospielen übernehmen - nicht zuletzt wegen der PR-Wirkung. Die zunehmende Textmenge ist ein weiterer Grund, für erfahrene Sprecher etwas tiefer in die Tasche zu greifen. "Früher waren 50000 Wörter für ein Adventure wie etwa 'Baphomets Fluch' durchaus normal, doch die Spiele selbst werden immer umfangreicher", sagt Jörg Mackensen. Und dann rechnet sich auch der Profi, der zwar einen höheren Tagessatz verlangt, aber wesentlich schneller arbeitet.

Schüsse ins Dunkel

Electronic Arts hat in diesen Tagen gleich mehrere der sechs Aufnahmeräume in Beschlag genommen. Für das Mafia-Epos "Der Pate 2" wurde der Grandseigneur der Sprecherszene nach Hamburg bestellt, der 1928 geborene Theaterregisseur, Schauspieler und Sprecher -Jürgen Thormann. Wobei Sprecher nicht die korrekte Berufsbezeichnung sei, korrigiert Jörg Mackensen: "Es heißt 'Synchron-Schauspieler'. Sprecher lesen Werbetexte ein." Wer Thormann bei der Arbeit zuzuschaut, kann den schauspielerischen Anteil nicht leugnen. Der Mann mit der ironisch gebrochenen Stimme - man kennt sie aus den Filmen mit Michael Caine und Peter O'Toole sowie den "Drei ???"-Hörspielen - spricht mit dem ganzen Körper: "Auge um Auge! Schnapp ihn dir, so lange er schwach ist. Jag Mangano zum Teufel. Schnapp ihn dir!", peitscht Thormanns Stimme durch die Lautsprecher der Kabine. Und dann, geflüstert: "Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade. Der Herr ist mit dir." In der Rolle des Fredo Corleone pendelt er im Minutentakt zwischen dem Bass einer Unterweltgröße und der flehenden Intonation eines reuigen Sünders. Im vergangenen Jahr wurde Thormann für sein Lebenswerk mit dem "Deutschen Preis für Synchron" ausgezeichnet. Aber trotz aller Erfahrung und Souveränität, mit der er seinen Part einspricht, kämpft auch er mit den Tücken der für ihn ungewohnten Produktion. Eine der maßgeblichen Eigenschaften von Videogames, ihre Interaktivität, erweist sich nämlich bei der Lokalisation als hinderlich. Den Sprechern liegt kein linearer Ablauf ihrer Textpassagen vor wie etwa bei einem Hörspiel. Damit nicht genug: Bewegte Bilder, die helfen würden, sich in eine Situation einzufühlen, existieren höchstens auf den Rechnern der zuständigen Entwickler. Denn damit ein Spiel weltweit zur selben Zeit in den Regalen stehen kann, wird dessen Synchronisation begonnen, bevor es fertig gestellt ist. "Ich habe keinen direkten Bezug zum Spiel", erklärt der 80-jährige Thormann das Dilemma, "ich sehe nicht, ich empfinde nicht mit. Ich kann mich nur daran halten, was ich vorgespielt bekomme und was in meinem Text steht. In welcher Umgebung sich das Ganze abspielt, kann ich nur erahnen. Deswegen sind das alles Schüsse ins Dunkel." Auch Timingprobleme und Übersetzungsfehler machen zu schaffen. Als Vorgabe wird der englischsprachige Originalton vor jedem Take eingespielt - die deutsche Entsprechung jedoch dauert oft länger, weil sie vom Übersetzer zu umständlich formuliert wurde, oder weil das Deutsche eine Sprache ist, die sich zwischen den einzelnen Wörtern mehr Zeit nimmt. Um nicht durch den Text rasen zu müssen, werden manchmal ganze Nebensätze gekappt, ähnlich wie bei Sprecharbeiten für Filme. Auch das Englische "you" kann missverstanden werden: Gilt es einer einzelnen Person? Oder wird eine ganze Gruppe angesprochen? "Oft können wir nur ahnen, was richtig ist. Das reicht jedoch meistens aus, um die Qualität zu sichern", sagt Thormann, "man muss das natürlich jahrelang gemacht haben, um aus den schwachen Vorgaben das Verlangte herauszufiltern." Bei bis zu 800000 gesprochenen Wörtern, die in einem einzigen Game fallen, ist das kein Leichtes. So kommt es vor, dass kleine wie größere Schnitzer durch sämtliche Kontrollinstanzen, vom ersten Sprechen bis zum letzten Lektorat, durchgewinkt werden. Während einer Pause erzählt Wolf Frass von einem solchen Lapsus: "Lutz Mackensy hat eine fantastische Stimme. Unter anderem sprach er Al Pacino - und wenn du ihn hörst, würdest du alles glauben, was er dir sagt, egal welchen Unsinn er auch verzapft", schwärmt Frass. "Wir saßen also zusammen mit den deutschen Vertretern einer Verleihfirma für Videospiele in einem Konferenzraum, um die fertigen Tonaufnamen von Mackensy abzunehmen. Keiner hat etwas gesagt, alle lauschten gebannt dem wunderbaren Klang der Dialoge. Erst später merkten wir, dass Lutz uns einen 'modernden Leichnam' als einen ,modernen Leichnam' verkauft hat." Der moderne Leichnam schaffte es ins Spiel. Und das ist weniger ein Beispiel für schlechte Videospiel-Synchronisationen als für die Macht, die eine Stimme auf ihre Zuhörer haben kann.
Tags: , , , , , ,
von Volker Hansch / Oktober 10th, 2008 /

Comments are closed.