Neuschnee aus Lametta

Neuschnee aus Lametta

Videospiele sind wie Stummfilme – Jeder Ton, der darin vorkommt, muss von Hand erzeugt werden. Das ist der Job von Geräuschemachern wie Tchae Maesroch, dem Klangkünstler hinter "Assassin's Creed" und "Prince Of Persia". Wir haben ihn in Montreal besucht und die Ohren gespitzt Rasant gleitet Shaun White den Hügel hinab. Mit dem Snowboard wechselt der Sportler von Pulverschnee auf vereiste Stellen, rast über festgefahrenen Schnee hinweg, balanciert auf Geländern und brettert ins Feuchte, Matschige. Toll sieht das aus in dem nach ihm benannten Spiel, und es klingt auch so: ein Kratzen auf Eis, ein Schaben auf nassem Schnee - sobald sich der Belag ändert, wandelt sich das Geräusch. "Das hier ist Shaun Whites Snowboard", sagt Tchae Maesroch und hält etwas hoch, das wie die Abdeckung einer Regentonne aussieht. "Es ist der Deckel eines Olivenfasses", erklärt er. Damit hat er den Klang des Boards im Spiel erzeugt. Er legt den Plastikdeckel auf den Boden und kratzt darüber: "So klingt das Snowboard auf hartem Schnee und so auf den Geländern" - er zieht den Deckel über eine Eisenstange. Tchae Maesroch ist Geräuschemacher im Ubisoft-Studio Montreal. Der 32-Jährige hat in "Assassin's Creed" Schritten, Schwertern und Pferdehufen ihren Klang gegeben. Er hat die Pistolen und Maschinengewehre von "Rainbow Six" aufgenommen und arbeitet zur Zeit an "Prince Of Persia". Schüchtern schaut er mit seinen braunen Augen ins Licht, wenn man in sein Studio tritt. Wie ein Einsiedler wirkt er. Bis er anfängt, seine Tricks zu zeigen. Nach und nach holt er Gegenstände herbei und erklärt ihre Funktion, liebevoll und sanft. Trotz seiner Größe bewegt er sich fast lautlos, als ob er die Klänge, die er erschafft, nicht stören möchte. Er redet nicht nur von seinen Geräuschen, er bringt sie hervor, während er sie erklärt. Beschreibt sie mit Schlägen auf den Tisch, macht Zischlaute und schiebt Gegenstände hin und her. Manchmal denkt man, seine ganze Welt bestehe nur aus Tönen. "Wahrscheinlich achte ich mehr auf Geräusche als andere ", sagt Maesroch: "Der Fotograf zum Beispiel, der eben hier war. Der hatte ein wunderbares Blitzgerät. Ich hätte ihn fast gebeten, es aufnehmen zu dürfen. Es hat fast so geklungen wie das Anschalten von Sam Fishers Nachtsichtgerät in 'Splinter Cell'." Tchae Maesrochs Reich ist ein kleines Tonstudio im fünften Stock einer alten Textilfabrik in Montreals Szeneviertel Mile End. Rund 1700 Menschen arbeiten hier für Ubisoft an Spielen. Zwei kleine fensterlose Räume sind es, die so gar nicht in ihre Umgebung passen wollen. Steht in den Großraumbüros der Programmierer Bildschirm an Bildschirm und türmen sich dort Rechner an den Wänden, so ist hier die einzig sichtbare Technik eine Leinwand und ein Mikrofon. Hinter einer Glasscheibe sind Mischpult und Aufnahmegeräte für den Toningenieur zu sehen. Auf der Leinwand läuft die zu vertonende Szene, das Mikrofon nimmt auf. Der Rest ist gefüllt mit Dingen, die andere Menschen weggeworfen hätten: Kleidung liegt in den Regalen, Hemden, Uniformen, Röcke. Eisenstangen stehen in der Ecke, Äste und Autotüren. Es riecht alt und staubig wie in einem Trödelladen. In Plastikwannen liegen Steine verschiedener Größen, Sand und Erde. Manchmal kann man Maesroch dabei zusehen, wie er Matsch auf dem Boden anrührt und darin herumstapft, wie er in einer Uniform marschiert, auf Sand, Kies oder Lametta. Weil das sich anhört wie frischer, knarzender Neuschnee unter den Schuhen. Was für die meisten Müll ist, ist für ihn Klang. "Ich sammele Materialien mit verschiedenen Oberflächen, Dichte oder Schwere", erklärt er. "Wichtig ist das Geräusch, das dadurch entsteht, nicht das Aussehen."

Die Suche nach dem Knall

Die englische Bezeichnung für Geräuschemacher lautet Foley Artist, Foley-Künstler. Das ist eine alte Filmtechnik, benannt nach Jack Foley, der sie in den 1920er Jahren entwickelte. Damals wurden die ersten Tonfilme gedreht, womit ganz neue Probleme auf die Studios zukamen. Denn manchmal war der aufgenommene Ton nicht laut genug, und nicht selten waren die Aufnahmen so verrauscht, dass man die Geräusche nicht mehr hören konnte. Filme mussten also nachvertont werden. Die Dialoge, aber auch die Geräusche. Klappernde Türen, klirrende Gläser, knisterndes Papier: Immer wieder wurden Klänge neu aufgenommen oder sogar völlig neu erschaffen. Denn ein Geräusch kann die Aufmerksamkeit der Zuschauer lenken. "Stellen wir uns diese Szene vor", sagt Maesroch: "Im Vordergrund sitzt ein Paar und isst. Im Hintergrund steht eine Hausangestellte und wischt Gläser ab. Das Publikum würde sie nicht beachten, wenn nicht die Wischgeräusche verstärkt worden wären. Plötzlich aber erkennt es: Diese Person ist wichtig. Vielleicht hat sie eine Affäre mit dem Mann im Vordergrund. Es sind alleine die Geräusche, die das verraten." Hand anlegen muss der Geräuschemacher auch, wenn Dinge in Wirklichkeit gar nicht so klingen, wie sie es im Spiel sollen. Dann müssen andere Klänge her. "Hyperrealistische Klänge" nennt die Tchae Maesroch. "Nehmen wir zum Beispiel ein Gewehr. Von dem erwartet jeder einen kräftigen Knall, fast wie ein Schlag, ein tiefes, sattes und beängstigendes Geräusch." Das Problem: Ein echtes Gewehr klingt überhaupt nicht so. Gerade moderne Gewehre haben viele Plastikteile und sind leicht. Sie klingen weder tief noch kräftig. "Deshalb ist mein Lieblingsgewehr das hier", ruft Maes-roch aus dem Nebenraum. Er kommt mit einem alten Türschloss zurück, grinst und ratscht mit einer Eisenstange daran entlang. Satt klingt das, me-tallisch schwer. Wer jetzt die Augen schließt und einfach nur zuhört, der weiß genau: So muss das Nachladen eines Gewehrs klingen. Genauso wie ein altes Olivenfass viel besser nach Shaun Whites Snowboard klingt als ein echtes. Ähnliches gilt für eines der unangenehmsten Geräusche in "Assassin's Creed": das brechende Genick in einer Henkerszene. "Man kann so etwas mit brechenden Holzzweigen machen", erklärt Maesroch, "aber es geht auch so." Er nimmt zwei Penne-Nudeln, wickelt sie in seinen Pullover und zerbricht sie. Wenn jetzt noch das Bild dazu kommt, ist die Illusion perfekt und das Geräusch wirklich schlimm. Der Ton verstärkt das Bild und macht es manchmal unerträglich. Wie in einem Trailer von "Assassin's Creed", bei dem einige Sounds noch bei Ubisoft entfernt wurden. Der Film hätte so unmöglich veröffentlicht werden können. Innenaufnahmen einer Blutbahn und eine hindurchschneidende Klinge gingen noch durch, ein pumpendes Herzgeräusch und ein schmatzendes Messergeräusch nicht mehr. "Geräusche wirken immer mit dem Bild zusammen", sagt Maesroch, "ich hatte schon Spieleentwickler hier, die fanden ein Geräusch toll und passend für das, was sie sich vorgestellt hatten. Dann aber haben sie gesehen, wie es erzeugt wird." Und waren nicht mehr überzeugt. Hätten sie es nur in der Szene gesehen, hätten sie garantiert überhaupt nichts gemerkt. Geräusche machen aus langweiligen Momenten gute Momente. Und die schwierigsten Geräusche sind die, die der Spieler gar nicht bewusst wahrnimmt, die einfach nur da sind und Atmosphäre erzeugen. Um die hinzubekommen, braucht man Erfahrung. Maesroch hat beim Film gelernt und ist seit zwölf Jahren Geräuschemacher. Seit einem Jahr ist er bei Ubisoft angestellt und macht nur noch Spielgeräusche. Der größte Unterschied: Ein Spiel ist von sich aus stumm. Jeder einzelne Ton muss erst hergestellt werden, um dann in eine Zwischensequenz integriert oder zum richtigen Zeitpunkt abgespielt zu werden. Das ist mühsam: Bis zu 3000 Soundschnipsel muss Maesroch für ein Spiel aufnehmen. Bei einem Film wäre er nach zwei Wochen fertig, für die Klänge eines Spiels braucht er oft ein halbes Jahr oder mehr. Am Beginn seiner Arbeit stehen einige Vorüberlegungen. Ist das Spiel zum Beispiel realistisch angehaucht oder in einer Fantasy-Welt angesiedelt? Hier fällt die Entscheidung zwischen Kokosnussschalen und Pferdehufen: Erstere machen ein typisches Comic-Reitgeräusch, Letztere klingen realistischer - auch wenn kein Pferd mehr dran hängt und die Hufen vom Schlachter kommen. Dasselbe gilt auch für Schüsse: Spieler, die Simulationen wie "Rainbow Six" kaufen, haben meist eine Vorstellung davon, wie ein richtiges Maschinengewehr klingt. Sie wollen keinen hyperrealistischen Klang, sondern das plastikartige Geräusch des Originals. Produktionen, die an Hollywoodfilme angelehnt sind, wie "Brothers In Arms", brauchen dagegen akustische Durchschlagskraft. Tchae Maesroch vermisst es, mit seinen Geräuschen eine Handlung erzählen zu können wie im Film. Bei Spielen gibt es höchstens die Zwischensequenzen, in denen er einen Erzählstrang begleiten kann. Die meisten Sounds, die für Spiele entstehen, sind kaum eine Sekunde lang. Doch auch hinter denen steckt harte Arbeit. Denn es ist nicht nur nötig, sie auf verschiedenen Untergründen aufzunehmen - ob eine Patrone in Schnee oder auf Gras fällt, klingt grundsätzlich anders -, wichtig ist auch, jedes Geräusch in verschiedenen Versionen parat zu haben. "Niemand merkt, wenn man verschiedene Fußtritte abspielt, solange man mindestens fünf Variationen hat. Aber jeder merkt, wenn man einen Fußtritt nur einmal aufnimmt und dauernd abspielt." Bei älteren Spielen war das noch so, in Zeiten, als der Speicherplatz gering war und auf Sound nicht viel Wert gelegt wurde. Geht man bei "Quake" in eine stille Ecke und rennt im Kreis, klingen die Schritte wie ein Uhrwerk, aber nicht natürlich. "Tack, tack, tack anstelle von tack, tock, tchack", wie Maesroch vormacht.

Das Problem Interaktivität

"Besonders schwierig für mich ist die Kombination von Schritten und dem Rascheln von Kleidung im neuen 'Prince Of Persia'", fügt er hinzu. Denn hier zeigt sich ein großes Problem bei der Vertonung von Spielen: Sie sind interaktiv. Spieler bestimmen selbst, was sie wann machen. Maesroch kann nicht eine durchgängige Bewegung eines Kleidungsstücks aufnehmen, sondern muss immer wieder schauen, dass alles auch zueinander passt, wenn der Spieler ruckartig stehen bleibt zum Beispiel. Beim Film ist das einfacher: Da spielt der Geräuschemacher die Szene nach, die er auf der Leinwand sieht. Er blättert beispielsweise für einen lesenden Schauspieler Seite für Seite in einem Buch um, blättert zurück, hält inne und blättert dann weiter. Bereits das ist eine Herausforderung, doch bei einem Spiel ist es ungleich schwe-rer. Für alle akustischen Eventualitäten muss vorgesorgt werden. Das ist ein Grund, weshalb es noch lange dauern wird, bis ein Computer die Arbeit des Geräuschemachers übernehmen könnte. Per Hand ist es immer noch einfacher. Ob es Geräusche gibt, auf die er besonders stolz ist? "Meine bislang beste Vertonung ist 'Shaun White'", sagt Maesroch, "ich liebe es, wie die Geräusche ineinander übergehen" - wie sie nach Geschwindigkeit klingen und dem Geschehen auf dem Bildschirm eine fast physische Präsenz geben. Noch wichtiger aber sind ihm zwei Filmgeräusche: Der Klang eines Pinsels, der in einem Dokumentarfilm über eine Leinwand streicht. Und das Ergebnis seines bislang schlimmsten Auftrags: "Shake Hands With The Devil", ein Film über den Völkermord in Ruanda. "Ich hatte jeden Morgen Angst, ins Studio zu gehen", sagt er, "ich wollte die schrecklichen Bilder nicht mehr sehen." Bei der Premiere jedoch war er stolz: "Nach einer Szene, in der eine Frau in einer Blutpfütze ausrutscht, dachte ich: 'Das habe ich gut gemacht.'"
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von Volker Hansch / November 10th, 2008 /

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