„Wie es uns gefällt“

"Wie es uns gefällt"

Gegen den Rest der Welt: Einige der besten japanischen Entwickler haben mit Platinum Games ihr eigenes Studio gegründet, um Spiele allein nach ihren Vorstellungen zu schaffen. Ein Bericht aus dem Hauptquartier in Osaka "Pass doch auf! Du hast meinen Gundam umgeschmissen!", hallt es empört durch das Großraumbüro im 26. Stockwerk des Umeda Sky Buildings in Osaka. Fast die ganze Belegschaft springt auf, um zu sehen, was passiert ist: Am Arbeitsplatz eines Programmierers wird gerade ein PC ausgetauscht, und dabei ist die Figur eines Roboters aus der japanischen "Gundam"-Zeichentrickserie umgefallen. "Oje. Gundams sind hier eine große Sache", sagt "Devil May Cry"-Erfinder Hideki Kamiya, grinst und eilt an die Unglücksstelle. Gut 100 junge Programmierer, Grafiker, Sound-Designer, Scriptwriter und Concept-Artists sitzen hier bei Platinum Games dicht an dicht vor ihren Computern, und jeder von ihnen lebt seinen Spleen aus: Überall Mangas, Figuren, Plüschtiere, Zeichnungen, T-Shirts und Videospiel-Merchandise. Arbeitsplätze, versunken in kreativem Chaos. Es ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Ort: Neben Hideki Kamiya streifen "Resident Evil"-Erfinder Shinji Mikami und Atsushi Inaba, der Producer von "Viewtiful Joe", "Steel Batallion" und "Okami", durch die Gänge. Die drei arbeiteten früher für Capcoms Clover Studio, das im März 2007 geschlossen wurde, weil dort zwar einzigartige und kreative Spiele entwickelt wurden, doch ohne finanziellen Erfolg. Und das war am Ende das Einzige, das zählte für Capcom. Kamiya, Mikami und Inaba jedoch wollten mehr, und das gemeinsam: Obwohl jeder von ihnen auf eigene Rechnung arbeiten oder hohe Positio--nen in anderen Spielefirmen hätte bekleiden können, beschlossen sie kurzerhand, zu dritt ein Studio aufzumachen. Und viele Kollegen gingen mit. Mit Platinum Games wollen sie an ihrem Stil festhalten und einzigartige Games kreieren. "Den Erfolg eines Spiels nur an den Verkaufszahlen zu messen ist nicht unser Ding", sagt Inaba, der früher das Clover Studio geleitet hat. "Das soll nicht bedeuten, dass es nicht auch ein Spiel von uns geben könnte, das eine breite Masse anspricht, aber sicher niemals etwas wie 'Wii Fit'." Mit Sega fand sich Mitte dieses Jahres ein Publisher, der bereit ist, den kompromisslosen Ansatz des Dreierbunds zu unterstützen. "Diese Leute sind so talentiert und ihr Portfolio so hochkarätig, dass wir an ihren Plänen interessiert waren, seit sie Capcom verlassen hatten", sagt Simon Jeffery, Präsident von Sega America, in einem Interview mit der amerikanischen Internetseite Gamespot, "und was sie uns an neuen Projekten präsentierten, war so erstklassig, dass wir sie einfach haben mussten. Diese Leute sind jetzt auf dem Höhepunkt ihres Schaffens." "Für uns war die Entscheidung für Sega als Partner leicht, weil sie uns die meisten Freiheiten lassen", sagt Inaba. "Unsere Aufgabe ist jetzt, hochwertige Games zu machen - sie zu verkaufen ist Segas Job." Angst vor einem finanziellen Debakel hat man dort nicht: "Wir glauben daran, dass ihre Spiele mit unserem Marketing und Vertrieb im Rücken nicht mehr nur von Kritikern gefeiert werden, sondern auch kommerziell erfolgreich sind", sagt Simon Jeffery. Vorerst sind vier Spiele in Arbeit: "Infinite Space", ein Sci-Fi-Rollenspiel für den Nintendo DS, das 3D-Action-Game "Bayonetta", der megablutige Brawler "Madworld" sowie ein bisher geheimes Spiel von Mikami. Dessen Team sitzt hinter einer Tür, auf der ein Poster mit der Aufschrift "Join us or die" ("Schließ dich uns an oder stirb") klebt, die aber trotzdem fest verschlossen bleibt. Völlig offen und gut gelaunt zeigen sich hingegen Atsushi Inaba und Shigenori Nishikawa, die als Produzent und Director das Team von "Madworld" leiten. Ihr Titel findet derzeit bei Spielern und Medien die größte Aufmerksamkeit, denn die humoristische Gewaltorgie passt nicht zum familienfreundlichen Image von Nintendos Wii. Zu viel Blut fließt darin. So viel, dass in ihrem Team ein Mitarbeiter den ganzen Tag nichts anderes macht als Blut-Effekte. Ein Spritzer hier, ein Tropfen da, meistens aber Blutfontänen. Das einzige Spielziel von "Madworld" besteht darin, möglichst viele Menschen auf möglichst absurde Weise zu töten. Dazu läuft der Spieler in einer 3D-Welt herum, deren schwarzweiße Comic-Grafik an den Film "Sin City" erinnert, und nutzt die Umgebung und herumliegende Gegenstände für allerlei Grausamkeiten. Per Wii-Mote und Nunchuk verteilt er Kopfnüsse, wirft Gegner zwischen Omnibustüren oder zerteilt sie mit der Kettensäge. Besonders viele Punkte gibt es, wenn er mehrere Aktionen kombiniert - indem er dem Gegner eine brennende Mülltonne über den Kopf zieht, dann ein Straßenschild hineinrammt, und ihn dann in einen Ventilator wirft zum Beispiel. Wie sie auf diese Ideen kommen? Inaba tippt mit dem Zeigefinger an Nishikawas Kopf: "Das kommt alles aus diesem irren Hirn", sagt er, und beide fangen an zu lachen. Für Nishikawa ist es das erste eigene Spiel. Manchmal sitzt er sogar selbst am Computer und baut Level zusammen. Bei Capcom arbeitete er an "Resident Evil 4" und der "Dino Crisis"-Serie mit. "Ein normales Messer im Kopf war uns viel zu realistisch und brutal, so kamen wir auf die Idee mit dem Straßenschild", sagt Inaba, "und das fanden alle wahnsinnig komisch." "Aber das war uns nicht genug", ergänzt Nishikawa. "Wir wollen einen Titel machen, der aus der Masse heraussticht." Jetzt warten die Gegner taumelnd, mit dem Schild im Kopf, darauf, dass noch mehr passiert. Eine sehr spezielle Art von Humor, die nicht überall verstanden wird. Ein Release in Japan ist gar nicht erst geplant und in Deutschland natürlich auch nicht. Inaba beteuert zwar, er arbeite mit den entsprechenden Behörden zusammen, um das Spiel in möglichst vielen Ländern herauszubringen, aber im Grunde haben die Entwickler mit diesem Spiel nur ein Ziel: über die Stränge schlagen, damit Aufsehen erregen und so den Namen Platinum Games bekannt machen. Deutlich zahmer ist dagegen das Spiel von Hideki Kamiya. Wie eine Mischung aus "Devil May Cry" und "God Of War" wirkt "Bayonetta", in dem die gleichnamige Hauptfigur, eine hübsche Hexe, Jagd auf Engel macht. Früher hielt sich Kamiya im Hintergrund und ließ seine Spiele - neben "DMC" auch "Okami", "Viewtiful Joe" und "Resident Evil 2" - für sich sprechen. Inzwischen kommt er mit seiner Rolle als Star ganz gut zurecht. "Wenn Spiele und Figuren nach den Ergebnissen von Marktforschung und Fokusgruppen-Tests entwickelt werden", sagt er, "dann ist es kein Wunder, dass dabei seelenlose Stereotype herauskommen." Er scheint zu wissen, was er will: etwas Neues wagen und Freude dabei haben. "Nachdem ich Dante für ,DMC' und Joe für ,Viewtiful Joe' entwickelt habe, ist es ein großer Spaß für mich, eine Frau zu erfinden", sagt Kamiya. Zehn Leute sind nun damit beschäftigt, "Bayonetta" in jeder noch so akrobatischen Pose so sexy aussehen zu lassen, wie der Chef sich das wünscht. Ihre enge, schwarze Kleidung besteht aus ihrem Haar, mit dem sie Special Moves vollführen kann. Dann schlägt eine riesige Faust aus Haaren Gegner nieder, oder ein gigantischer Haar-Fuß tritt sie aus dem Bild. Damit hat kein Spieler gerechnet - und das ist, was zählt. "Das Schöne für mich ist, dass wir jetzt als unabhängiges Studio unsere Visionen zum Leben erwecken dürfen und uns erst dann jemanden ausdenken, dem es gefallen könnte", sagt Kamiya. "Früher war es andersherum, und ich musste in engen Grenzen arbeiten." Nun will er alles: "Wenn wir für ,Bayonetta' Level, Gegner oder Bewegungen entwickelt haben, die unglaublich sind, dann ist das nicht genug. Ich will immer einen Schritt weiter. Ich will, dass den Leuten die Kinnlade herunterklappt, wenn sie dieses Spiel spielen." Damit alle seine Vorstellungen umgesetzt werden, hält er engen Kontakt zum Team. Stunde um Stunde tapert Kamiya in Sneakers, Jeans und buntem T-Shirt zwischen den Schreibtischen seiner Angestellten umher. Hier und da bleibt er stehen und schaut eine Weile auf den Monitor. Dann bespricht er mit einem Background-Artist Details der Gebäude im Spiel und lässt sich zeigen, wie Teile davon einstürzen. In "Bayonetta" gibt es keine starren Kulissen. Immer wieder werden Teile der Level zerstört, und oft wird auf den umherfliegenden Trümmern gekämpft. "Bayonetta ist wie eine Achterbahnfahrt, bei der man ständig in Bewegung ist", sagt Kamiya mit leuchtenden Augen. "Du bekommst am laufenden Band riesige Bossgegner vorgesetzt und musst herausfinden, wie du sie besiegen kannst." "Climax Action" nennt er das. Sein Arbeitsplatz steht inmitten aller anderen und fällt trotzdem auf. Denn dass Gundams hier wirklich eine große Sache sind, wird nirgendwo sonst so deutlich: Mehr als 60 Stück türmen sich auf Kamiyas Schreibtisch zu beachtlicher Höhe. Bis hinüber auf den Tisch von Producer Hashimoto hat er sich schon ausgebreitet. "Bei mir ist einfach kein Platz mehr", grinst Kamiya. Das könnte zum Motto der jungen Firma werden: "Es ist nie genug."
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von Volker Hansch / November 10th, 2008 /

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