„Einfach machen“

"Einfach machen"

Chris Hülsbeck hat es geschafft. Er ist der bekannteste Spielemusik-Komponist Deutschlands, lebt in Kalifornien und ist in der Szene ein Weltstar. Abgehoben ist er dabei nicht. Er spricht bescheiden über Klavierstunden bei Oma, über große Gefühle, wenn Orchester seine Soundtracks spielen – und über seinen größten Traum Deine Soundtracks zu Spielen wie "R-Type" oder "Giana Sisters" sind heute Klassiker. Wie kamst du dazu, Musiker zu werden? Ich kam früh mit Musik in Berührung. Meine Großmutter war Klavierlehrerin und wohnte bei uns im Haus. Sie hat mir zwei Jahre lang Unterricht gegeben, war aber sehr altmodisch orientiert, was anstrengend gewesen ist. Ich habe ihre Stunden dann sausen lassen - und einfach angefangen, selbst Musik zu machen. Du hast keine klassische Ausbildung. Nein. In dem Moment, als Heimcomputer auftauchten, war diese Frage sofort vom Tisch. Ich war auch nie auf einer Musikhochschule oder ähnlichen Instituten. Von deiner Musik muss man meist nur drei, vier Töne hören, bis man das Stück erkennt. Ist es diese Melodie, die dir als erstes einfällt, wenn du zu komponieren beginnst? Meistens hocke ich vor dem Keyboard, das ich auf einen Klaviersound eingestellt habe, spiele mit der linken Hand Bässe und teste mit der rechten Melodien oder Akkorde aus. So entstehen schnell Melodien, auf denen ich das Stück dann aufbaue. Oder es ist zunächst ein Rhythmus da, und ich versuche, in einen Groove zu kommen und die Melodie daraus zu entwickeln. Es kann auch mal vorkommen, dass ich die Hälfte eines Stückes fertig habe und alles wieder einreiße, weil mir ein anderer Rhythmus oder Basslauf besser gefällt, aber prinzipiell bin ich eher jemand, der auf- statt abbaut. Das klingt nach sehr systematischer Arbeit. Fallen die nie Ohrwürmer unterwegs und aus heiterem Himmel ein? Doch, doch. Ich sitze dann zum Beispiel im Auto und versuche wie ein Irrer, diese Melodie im Kopf zu behalten, da ich ja auch keine Noten schreibe. Wobei "Melodie" zu viel gesagt ist. Was mir spontan einfällt, sind bestimmte Gefühle, an die ich mich zurückerinnern und im Studio musikalisch konkretisieren kann. Hast du musikalische Vorbilder? Auf Platz eins meiner Vorbilderliste steht der Filmkomponist John Williams, der die Themen zu "Star Wars" und "Harry Potter" geschrieben hat. Spitzenkomponisten wie Williams sind einfach die Besten der Besten und haben das größte denkbare Talent. Neben den großen Filmmusikern schätze ich auch den Synthiepop der Achtziger: Depeche Mode, Trance- und Clubmusik oder Leute wie Jean-Michel Jarre und Vangelis. Mir geht es wie ihnen darum, schöne Melodien zu schreiben, die den Leuten im Gehör bleiben und ihre Herzen berühren. Ich habe keine Ambitionen, in eine Richtung wie beispielsweise Jazz zu marschieren, nur um andere Musiker zu beeindrucken. Wie fühlt es sich dann an, wenn deine Kompositionen von einem richtigen Orchester gespielt werden - wie 2003, als das Czech National Symphony Orchestra mit einem Hülsbeck die Games Convention eröffnete? Mich hat es schon bei der Vorbereitung jedes Mal umgehauen. Bei jedem neuen Stück, das ich zu hören bekam, standen mir die Tränen in den Augen, so fantastisch hat Hauptorchestrator Jonne Valtonen das gemacht. Ich hatte aber auch jederzeit ein Mitspracherecht. Wir haben fast jeden Tag Partituren und Demos geprüft und über Arrangements gesprochen. Außerdem war ich ständig mit Produzent Thomas Böker aus Dresden in Kontakt, der das "Games Convention"-Konzert möglich gemacht hat. Gemeinsam haben wir Titel ausgesucht und aus den Originalstücken auf Computern und CDs Medleyschnitte erstellt. Thomas ist ein großer Fan von mir. Stell dir vor, der hat mir schon geschrieben, da war er selber noch ein Teenager. Heute produziert er Sinfoniekonzerte meiner Musik. Das ist schon irre. Obwohl du mit klassischer Musik eigentlich nicht viel anfangen kannst. Klassik ist allerdings in der Tat nicht so meine Sache, wobei ich mit den Jahren mehr und mehr davon gehört habe und einiges sicherlich Parallelen zur Filmmusik zeigt. Was aber bei unseren Sinfonien viel schwerer gewogen hat, ist, dass sie ein älteres Publikum überrascht haben, das niemals gedacht hätte, dass Videospielmusik so klingen kann. Das war für mich ein sehr spannender Effekt. Hat deine Großmutter deine Karriere verfolgt, die du ohne ihre Klavierstunden gemacht hast? Sie war sehr stolz auf mich. Leider hat sie die Krönung des Ganzen nicht mehr miterlebt, das ebenfalls von Thomas Böker produzierte "Symphonic Shades"-Konzert vergangenes Jahr in Köln. Es hätte ihr bestimmt sehr gut gefallen. Heute spielen Orchester Spieletracks - um damals jedoch aus einem Commodore 64 oder einem Amiga anständige Musik herauszuholen, musstest du dir Software selber schreiben. Beschreib doch bitte mal, wie das lief. Am Anfang war ich mehr Programmierer als Musiker. Der Computer versteht nun mal nur Maschinensprache, und die funktioniert mit Zahlen. Setze ich dem Rechner ein Notenblatt vor, kann er nichts damit anfangen. Somit war es zu Beginn eine fürchterliche Zahlenwurschtelei, die durch meine Programme vereinfacht wurde. Die abstrakten Zahlen wurden endlich als Notennamen dargestellt. Immer noch ab-strakt, aber leichter zu editieren. Das war die Hauptsache. Meine erste Software war der "Sound Monitor", benannt nach den frühen Programmierhilfen, die ein Abbild des Speichers auf dem Bildschirm präsentieren konnten. Mein "Sound Monitor" machte die Noten sichtbar. Später folgten dann "The Final Music Editor" sowie "The Final Music Editor Extended" auf dem Amiga. Was hat es mit dem Programm "musyX" auf sich, das du mit dem Studio Factor 5 entwickelt hast und zur Lizensierung anbietest? Da springen wir schon in eine ganz andere Generation. Die Hauptsache besteht hier darin, dass man die Musik über MIDI einspielen kann und das Programm selbst nur noch die Klang-erzeugung und Verwaltung übernimmt. Außer-dem ermöglicht es, Regeln zu programmieren, durch welche die Musik interaktiv auf das Spielgeschehen reagieren kann. Das ist entscheidend bei Spielen, bei denen ich als Komponist eben nicht wie beim Film ein festes Drehbuch vorliegen habe und auf die Sekunde genau weiß, wann der Held seine Waffe zieht. Factor 5 hat als Entwicklerfirma in der Vergangenheit viele großartige Spiele entwickelt, wurde für das Drachenflieger-Abenteuer "Lair" aber von der Kritik übel abgestraft. Bei "Lair" war die Enttäuschung sicher groß, was die Resonanz in der Spielewelt anging. Es war allerdings nicht allein unsere Schuld, da uns in der Kooperation mit Sony einige Dinge vorgegeben wurden, die wir alleine anders gemacht hätten. Ich möchte niemandem auf die Füße treten, aber nur ein Beispiel: Sony hatte sich in den Kopf gesetzt, die Musik von einem teuren Hollywoodkomponisten schreiben zu lassen. Sie ist sehr schön geworden, aber es wäre nicht nötig gewesen, so viel Geld zu verpulvern. Nimmt man solche Aspekte dazu, ist es doppelt schade, wie das alles gelaufen ist. Auch wenn du in diesem Fall "nur" die Musik editiert und eingebaut hast: Bist du nicht furchtbar stinkig, wenn Leute eine Arbeit, für die du zwei Jahre gebraucht hast, kurzerhand in Grund und Boden verdammen? Gerade Musiker sehen oft zu Recht eine unfaire Diskrepanz zwischen einem Kritiker, der ein Stück ein paar Mal hört, und dem Musiker, der Monate darauf verwendete, es zu schreiben. Bist du persönlich da geduldiger? Ich bekomme viele Zusendungen von Musikern, die gerne in die Branche einsteigen wollen und mich um Rat fragen. Selbst wenn ich dort Mängel höre, baue ich die jungen Leute grundsätzlich auf und motiviere sie, dranzubleiben und ihre Stärken auszubauen. Jeder hat mal klein angefangen, und gerade Musik ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Ist es durch die heutigen technischen Möglichkeiten einfacher geworden, gute Videospielmusik zu schreiben? Natürlich sind die Tools besser geworden. Egal ob Filmstudios oder Pop- und Spielemusiker: Wir alle können heute auf dem Computer irrsinnige Kompositionen erzeugen. Genau das macht die Arbeit aber auch wieder um einiges aufwendiger. Ganze Orchester werden engagiert, Stücke laufen parallel, wir jonglieren mit Hunderten von Spuren. Es ist wahnsinnig viel mehr Arbeit als damals. Drehst du dein Pensum in Zukunft vielleicht ein wenig herunter? Immerhin hast du am Neujahrstag geheiratet, wozu wir natürlich herzlich gratulieren. Vielen Dank. Meine Frau unterstützt mich auf jeder Ebene. Sie ist Studentin und macht selbst Musik und Kunst. Ich kann also problemlos die Tür zu meinem Kämmerlein schließen und Musik schreiben, ohne gestört zu werden. Plant ihr, nach all den musikalischen auch menschliche Kinder in die Welt zu setzen? Das ist nicht auszuschließen. Wir fragen, weil in der Spieleszene die Kluft zwischen einzelnen Designern und Musikern besonders groß zu sein scheint: Es scheint nur exzentrische Rockstars und ultra-bodenständige Familienmenschen zu geben - wobei letztere überwiegen. Siehst du das auch so? Es gibt immer mal ein paar Paradiesvögel, aber die meisten Leute in der Branche sind in der Tat recht normal. Auch ich selbst lebe relativ bescheiden. Erst kürzlich habe ich mir endlich ein eigenes kleines Haus gekauft. Wenn du zu den Bodenständigen gehörst: Was war für dich die größte Umstellung, als du 1998 in die USA ausgewandert bist? Die Umstellung war massiv. Am meisten habe ich das deutsche Essen vermisst, im Grunde fehlt es mir heute noch. Außerdem wird hier bedeutend mehr gearbeitet als in Deutschland, von Urlaub halten die Amis nicht ganz so viel. Der ausschlaggebende Punkt, meine Heimat zu verlassen, war damals, dass Deutschland mir keine Perspektiven bot. Am Ende schrieb ich nur noch Musik für Werbespots oder irgendwelche Multimediaprojekte, dabei wollte ich doch Spiele- und Filmmusik machen. Derzeit sieht es zwar so aus, als würde es bei der Spielemusik bleiben, aber immerhin bin ich in Kalifornien. Das heißt, dein nächstes Ziel ist eine Filmkomposition für Hollywood? Na ja, man hat ja immerfort Träume. Ich hätte schließlich auch niemals gedacht, dass eines Tages 120 Orchestermusiker meine Stücke als Sinfonie inszenieren. Hast du denn schon deine Netze in der Traumfabrik ausgeworfen? Ich darf leider noch keine Details verraten, aber ich habe in der Tat ein paar Kontakte nach Hollywood geknüpft. Und in den nächsten Monaten könnte sich da etwas tun. Nehmen die dich dort jetzt besonders ernst, weil du eine Sinfonie vorweisen kannst? Ja, klar, das hat einige Leute beeindruckt und ist mein Zugpferd, eine tolle Referenz ... ... die selbst du noch brauchst, obwohl du bereits so viele Jahre erfolgreich arbeitest. Wie sieht es denn unter den Komponisten mit Nachwuchs aus? Hast du schon einmal einem Talent den Einstieg in eine Karriere ermöglicht? Über einen Wettbewerb, den ich Mitte der Neunziger ausgeschrieben habe, habe ich den jungen Fabian del Priore entdeckt, der heute ein etablierter Komponist ist und zurzeit viele Musik für Handhelds wie den Nintendo DS sowie für PC-Spiele macht. Fabian war sicher der größte Fang. Del Priore war noch ein Teenager, als er seinen ersten Großauftrag bekommen hat. Du bist mit 18 Jahren bei Rainbow Arts eingestiegen. Ist das ein Erfolgsgeheimnis - einfach machen, egal ob die Zeit dafür passend ist? Ich habe mich damals einfach auf gut Glück bei Rainbow Arts beworben. Als sie mich ernsthaft wollten, habe ich sofort die Schule abgebrochen und bin arbeiten gegangen. Und das mache ich nun, ohne Unterbrechung, bis heute. Chris Hülsbeck, 41, begann bereits als Teenager mit dem Komponieren und brach in der 12. Klasse die Schule ab, um ein Angebot des Publishers Rainbow Arts anzunehmen. Dort schrieb er Soundtrack-Klassiker zu "Katakis" oder "Giana Sisters" und erschuf das Musikspiel "To Be On Top". Ab 1989 schrieb er die Themen der "Turrican"-Reihe auf dem Amiga. 1990 gründete Hülsbeck mit Frank Matzke und Peter Thierolf die Firmen A.U.D.I.O.S. und Kaiko, die sowohl seine erste CD wie auch Spiele auf den Markt brachten. Nach der Kaikos-Pleite 1993 arbeitete er für verschiedene Firmen, darunter Lucas Arts und Factor 5, mit denen er 1998 in die USA auswanderte. Seit 2003 wurden Hülsbecks Werke im Rahmen der Games Convention-Konzerte und der "PLAY! A Video Game Symphony"-Reihe in Orchesterform aufgeführt, gekrönt 2008 durch die "Symphonic Shades" mit dem Rundfunkorchester des WDR und dem FILMharmonischen Chor Prags. Hülsbeck ist frisch verheiratet und lebt in bei San Francisco.
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von Volker Hansch / April 10th, 2009 /

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