Brütal Legend

Brütal Legend

Das neue Spiel vom Entwickler Tim Schafer ist eine Hommage an Rock und Heavy Metal – mit Jack Black, Ozzy Osbourne, tödlichen Gitarrenriffs und mehr als 100 Metal-Songs. Damit werden sogar Raver zu Rockern
Getestet Xbox 360 | ps3 | Publisher EA | Entwickler Double Fine | Termin 15. Oktober | Preis 60 Euro | USK 18 | Spieler 1-4
„Moshpit!“, ruft Eddie Riggs und reckt die Hand gen Himmel, die Finger zum Teufelsgruß geformt – dem Erkennungszeichen der Heavy-Metal-Fans. Sofort kommen einige langhaarige Gesellen. Sie nehmen Riggs in ihre Mitte, und gemeinsam stürmen sie auf einen Muskelmann zu, dessen Fäuste fast so groß sind wie sein Körper, seinen kleinen Kopf hat er unter einer Ledermaske aus dem Sado-Maso-Shop versteckt. Mit kräftigen Kopfnüssen traktieren die Headbanger ihren Gegner, und Riggs gibt ihm mit einem Stromstoß den Rest, den er durch einen Akkord auf seiner elektrischen Gitarre vom Himmel zucken lässt. „Brütal Legend“ ist kein konventionelles Spiel. Sein Macher Tim Schafer hat sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt: „Die Cover von Heavy-Metal-Alben haben mich schon lange fasziniert“, sagt er. „Bereits vor mehr als zehn Jahren enstand die Idee, daraus ein Spiel zu machen.“ Damals wäre daraus wohl noch ein Adventure à la „Full Throttle“ oder „Grim Fandango“ geworden, die ebenfalls von Schafer stammen – jetzt konnte er eine frei begehbare Welt erschaffen, die wir mit Riggs erkunden dürfen. Eine lebendige Metal-Welt mit Rockprominenz, Anspielungen auf Songtexte und Bandnamen und jeder Menge Metal-Klischees. Wir treffen auf Lemmy Kilmister von Motörhead, die Sängerin und Gitarristin Lita Ford, auf Kyle Gass von Tenacious D oder auf Ozzy Osborne. Der gibt im Spiel den „Hüter des Metals“ und betreibt einen Shop, in dem wir Verbesserungen für unsere Ausrüstung kaufen können: Panzerung und Waffen für den Wagen etwa, Axt-Upgrades oder neue Gitarrensaiten. Die Welt von „Brütal Legend“ ist so groß und so herrlich fantasiereich, dass wir darin gerne stundenlang ziellos herumrasen und dem „Mund des Metals“ lauschen würden. So heißt das Radio in Eddies Hot Rod, einem getunten Oldtimer mit aufgemalten Flammen und vielen Chromteilen. Mehr als 100 Songs dröhnen aus seinen Boxen.Wie „Metal Thrashing Mad“ von Anthrax, „Kickstart My Heart“ von Mötley Crüe oder „Dawn Of The Battle“ von Manowar. Aber natürlich hat Riggs auch eine Mission – und wie er zu der gekommen ist, ist eine seltsame Geschichte.

Verdammte Axt

Eddie Riggs ist nämlich eigentlich nur ein Roadie, der davon träumt, in den frühen Siebzigern gelebt zu haben, „als es noch echte Musik gab“. Die Nu-Metal-Band, für die er arbeitet, entspricht mit ihren bauchfreien T-Shirts und „Phantom der Oper“-Masken so gar nicht seiner Vorstellung von Metal. Er selbst mag es klassisch, trägt schwarze Kleidung, ein gigantisches Nietenarmband, Lederjacke und einen Backstage-Pass um den Hals. Doch dann geschieht es: Während eines Konzertes brechen plötzlich die Bühnenaufbauten über ihm zusammen und begraben ihn unter den Trümmern. Eddie erwacht in einer Art Tempel, in dem ihm ein paar Mönchskutten-Träger gleich ans Leder seiner Jacke wollen. Mit einer großen Axt und einer magischen Gitarre, die praktischerweise für ihn bereitliegen, kann er sie jedoch davon abhalten. Erst jetzt hat er Zeit, sich zu wundern, wo er ist – und dann trifft er auch schon Ophelia, die ihn aufklärt: Er ist im Land der Metal-Götter. Das klingt absurd, aber Eddie ist natürlich begeistert. Ophelia führt ihn zu Lita, einer archetypischen Rockerbraut, und zu deren Bruder Lars, einem Metaller mit blonder Mähne und Lederweste über freiem Oberkörper. Die beiden gehören zu den letzten Menschen, die noch nicht von dem teuflischen Dämon Devicolus unterjocht wurden, der gleich vier mit Leder bezogene Hörner an der Stirn trägt. Eddie ermuntert die anderen, sich das nicht länger bieten zu lassen – und so nimmt der Aufstand seinen Lauf. Tim Schafer schickt nicht ohne Grund einen Roadie auf diese Reise ins Metall-Götterland – ein kleines Licht, keinen Star. Mit seinem Spiel will er den Bühnenarbeitern ein Denkmal setzen: „Roadies sind die heimlichen Stars des Metal“, sagt er, „sie arbeiten im Hintergrund dafür, dass die Band gut aussieht.“ Einen bestimmten Roadie habe er nicht im Kopf gehabt, als er seine Hauptfigur erschaffen hat – optisch hingegen ähnelt sie nicht zufällig dem Schauspieler Jack Black. „In Eddie steckt eine große Portion Jack“, sagt Schafer, „die Figuren, die er im Film ‚School Of Rock‘ oder bei der Band Tenacious D darstellt, waren für mich eine große Inspiration.“ Jack Black steuert nicht nur sein Aussehen zum Spiel bei, sondern auch seine Stimme, die in der deutschen Version erfreulicherweise vom Original-Synchronsprecher stammt. Seinen Weg ins Spiel fand Jack Black ohne Körperscan oder Motion-Capturing. „Es war nie unsere Absicht, einen realistischen Look zu schaffen“, sagt Schafer. „Ich wollte stets eine stark überzeichnete Comic-Welt generieren.“ Und so hat Riggs deutlich markantere Gesichtszüge als Black, größere Augen und viel mehr Muskeln. Trotzdem ist die Kopie so glaubhaft wie das Original: Bewegungen, Mimik und Charme sind überzeichnet, aber dennoch perfekt getroffen. Hauptverantwortlich ist dafür eine Chef-Animateurin, die früher bei Pixar arbeitete. Riggs und alle anderen Figuren mit realen Vorbildern, die im Spiel vorkommen, erarbeiteten sie und ihr Team auf der Grundlage von Videoaufnahmen. Das Ergebnis ist überdurchschnittlich originell und immer wieder herrlich lustig.

Groupies mit Schusswaffen

Das Entwickeln von komischen Charakteren und abstrusen Geschichten ist ohnehin die Stärke von Tim Schafer. Er ist damit nicht der erfolgreichste Game-Designer geworden – aber einer, der bei Fans und Kritikern zugleich beliebt ist. Das liegt auch daran, dass Schafer sich im echten Leben so lustig gibt wie seine Figuren und er trotz seines Erfolges bodenständig geblieben ist. Wenn er Cosplayer trifft, die sich wie Figuren aus seinen Spielen kleiden, ist er es, der sie nach einem gemeinsamen Foto fragt und sich darüber freut wie ein Kind. Als Game-Designer hat er das Ziel, in jedem Spiel etwas ganz Neu-es zu machen. Sei es im Biker-Adventure „Full Throttle“, in dem seine Heavy-Metal-Leidenschaft schon einmal deutlich zu erkennen war, oder im abgedrehten „Psychonauts“, in dem der Spieler in den Hirnen psychisch kranker Menschen herumspringt. Seine Storys und Charaktere bleiben den Spielern im Gedächtnis. Sie sind liebevoller gezeichnet, lustiger erzählt und einfach origineller als die meisten anderen. Das gilt auch für die Figuren in „Brütal Legend“: Gleich in der ersten Mission rekrutieren wir die ersten Helfer – die Headbanger mit den ausgeprägten Halsmuskeln – und müssen lernen, ihnen Befehle zu geben. Das ist ein bedeutender Teil des Spiels, denn „Brütal Legend“ ist nicht nur Hack-and-Slay, sondern auch ein Echtzeit-Strategiespiel mit Metallgeschmack. Immer neue Einheiten schließen sich Eddie an: Groupies, die sich „Feuerklingen“ nennen und mit Schusswaffen – die sie aus Wildschweinen bauen – aus der Distanz angreifen, Roadies, die Boxen auf dem Rücken schleppen und Gegner mit fiesen Rückkopplungen bezwingen, oder Motorradrocker, die Bass spielen und mit den warmen Klängen die Truppen heilen. Später kommen sogar Feuer speiende Metalmonster hinzu und der „Felsbrecher“ – eine Art Panzer, der ein Schwert vom Himmel herab auf seine Gegner schleudern kann. Zum Einsatz kommen diese Einheiten in epischen „Bühnenschlachten“ gegen die Ober-Bösewichte des Spiels. Durch ein Gitarrensolo errichtet Eddie dann Merchandise-Stände und kann in ihnen Truppen produzieren. Die sammeln sich vor seiner Bühne und können zum Angreifen, Folgen oder Verteidigen abkommandiert werden. Natürlich kann man einzelnen Trupps auch unterschiedliche Ziele stecken, die durch eine farbige Lichtsäule gekennzeichnet werden. Um zwischen Basen, Trupps und Bühne hin und her zu manövrieren, kann Eddie während solcher Schlachten auch noch fliegen, weil ihm Flügel wachsen, die danach aber wieder verschwinden. Das ist praktisch, denn Befehle kann er nur Truppen in seiner Nähe erteilen. Ganz heraushalten aus dem Kampfgetümmel darf er sich aber nicht: Er muss die Truppen mit seinem Schlachtruf-Gitarrensolo anfeuern, und ohne dass auch er einen Teil der Gegner bearbeitet, wird keine Schlacht gewonnen werden. Außerdem gibt es mit jeder Charakterklasse eine Teamaktion. So kann er ein Groupie auf die Schultern nehmen und mit ihm herumlaufen. Wir dürfen dann selbst bestimmen, wann das Groupie schießt, und können hartnäckige Widersacher so gezielt ausschalten. So etwas kann über Sieg oder Niederlage entscheiden. Die Gegenseite fährt nämlich auch allerhand abgedrehte Einheiten auf. Zombies in Brautkleidern etwa oder den Nagetiere speienden „Rattenmann“. Im Multiplayer-Modus darf man diese dann sogar selbst gegen Freunde ins Feld führen. Gespielt wird dort genau wie bei einer „Bühnenschlacht“.

Lebendige Plattencover

„Brütal Legend“ ist jedoch nicht nur ein wildes Hin und Her aus Kämpfen und Kommandieren. Es gibt so viel zu entdecken. Das ganze Spiel über düsen wir im Hot Rod durch Wüsten, Sümpfe oder Eislandschaften, und überall treffen wir dabei auf Elemente von Metal-Plattencovern: Schwerter, Gitarren und Kreuze ragen in den Himmel. Es gibt Vulkane und Flüsse aus Blut, Totenschädel liegen herum. Pflanzen sehen aus wie aus Auspuffrohren zusammengeschweißt, es gibt einen Baum, an dem Bierflaschen wachsen, und Stachelschweine mit verchromten Stacheln. Rote Blumen, so genannte Teufelsdornen, weisen auf Relikte hin, die wir mit einem Gitarrensolo aus der Versenkung holen. Dazu müssen wir wie bei „Guitar Hero“ einige Knöpfe hintereinander im richtigen Moment drücken, um eine Melodie zu spielen – und schon erhebt sich zum Beispiel eine „Motorenschmiede“ aus der Erde, die direkt zu Ozzys Shop führt. Über die Welt verteilt finden sich Altare, an denen Riggs neue Gitarrensoli lernt, die ihm im Kampf helfen, und durch Einsammeln von „Verschüttetem Metall“ schalten wir neue Songs frei. Auch wegen dieser Vielfalt bleibt „Brütal Legend“ weit über die Hauptmission hinaus interessant. Denn die offene Welt hält auch nach dem Sieg über den Dä-monen noch viele Überraschungen bereit. Ähnlich wie bei „GTA“ ist das Ende der Geschichte bereits bei rund 60 Prozent des Spiels erreicht, aber danach warten noch zahlreiche Nebenmissionen auf uns. Riggs liefert sich dann Rennen mit einem großspurigen Mechaniker, bringt Bier zum Strand oder hilft einem Headbanger beim Rendezvous mit einem Groupie. Zum Fazit: Die Mischung aus Action-Adventure und Echtzeitstrategie im Einzelspielermodus ist zwar etwas krude, und es kann frustrierend sein, wenn bereits gewonnen geglaubte Schlachten nach einer halben Stunde doch noch kippen. Aber ein Blick ins Tourbuch, in dem alle Einheiten detailliert – und humorvoll – beschrieben werden, schützt vor bösen Überraschungen. Dem einfachen und schnellen Spielvergnügen eines reinen Hack-and-Slays steht das mitunter im Weg, aber sobald man seine Einheiten unter Kontrolle hat, macht es Spaß, sie in die Schlacht zu führen. Dass man sich dabei selbst in Kampfgetümmel werfen muss, macht die Sache zwar nicht übersichtlicher, aber zu einer neuen Spielerfahrung. Der größere Teil des Spiels besteht ohnehin aus Erkunden und abwechslungsreichen Missionen. Dabei begeistert es vor allem durch die Figuren, witzige Dialoge und die bedingungslose Liebe zum Heavy Metal. „Brütal Legend“ ist ein ungewöhnliches, aber absolut authentisches Musikspiel, das den Geist des Rock besser einfängt als alle „Guitar Heroes“ und „Rock Bands“ zusammen. Bleibt die Frage, ob man, um das Spiel zu genießen, ein Metal-Fan sein muss. Die Antwort: Man wird zwar mehr Anspielungen verstehen und Metal-Prominenz erkennen, aber „Brütal Legend“ funktioniert auch ohne Spezialwissen. „Die Heavy Metal-Fans sollen merken, dass ein Heavy Metal-Fan ein Spiel für sie gemacht hat“, sagt Schafer – aber man muss keineswegs jahrelang mit Band-T-Shirts, Nietenarmband und langen Haaren durch die Gegend gelaufen sein, um „Brütal Legend“ innig zu lieben. Doch irgendwie wünscht man sich, man hätte es getan. Fazit Heavy Metal, Gags und Saitenhiebe: „Brütal Legend“ ist ein urkomisches und gekonnt inszeniertes Open-World Game, dass Elemente aus Action Adventure und Echtzeitstrate verbindet. Für Freunde von „Guitar Hero“, „World of Warcraft“, „God of War“
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von Moses Grohé / Oktober 2nd, 2009 /

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