Assassin’s Creed 2

Assassin’s Creed 2

„Assassin’s Creed“ verkaufte sich vor zwei Jahren millionenfach, begeisterte durch seine unverbrauchte Szenerie – und enttäuschte viele Spieler mit einem starren, repetitiven Gameplay. Haben die Entwickler dazugelernt?
Getestet PS3 | xbox 360 | Entwickler Ubisoft Montreal | Publisher Ubisoft | Termin 20. November | Preis 60 Euro | USK 16 | Spieler 1
Florenz im Jahre 1476: Unter der Herrschaft der Bankiersfamilie de’ Medici ist die mittelitalienische Stadt zu Reichtum und Ansehen gelangt. Handel und Handwerk florieren, und auch die Kunst erklimmt neue Höhen: Der junge Leonardo da Vinci hat hier seine Werkstatt, und Lorenzo, der hellste und politisch einflussreichste der fünf Medici-Brüder, lockt Maler, Bildhauer und Architekten mit großzügig entlohn-ten Auftragsarbeiten nach Florenz. Die Renaissance steht in voller Blüte. Auftritt des Helden von „Assassin’s Creed 2“: Ezio Auditore, der behütet aufgewachsene Sohn des adligen Bankiers und Medici-Beraters Giovanni Auditore, ist kein zum Töten geborener Killer wie Altaïr in der ersten Folge der Serie. Er liebt seine Familie, klettert mit seinem Bruder Federico über die Dächer der Stadt und prügelt sich zum Spaß mit den Anhängern des Pazzi-Clans. Die schöne Christina Vespucci, die bereits Botticelli für eines seiner Venus-Portraits Modell gestanden hat, ist seine Geliebte, und die Zukunft scheint ihn genauso mit offenen Armen empfangen zu wollen wie die Damenwelt von Florenz. Doch dann kommt alles ganz anders: Als Ezios Vater einem Komplott der Pazzi-Familie gegen die Medicis auf die Schliche kommt, wird er zum Schwei-gen gebracht, indem ihm seinerseits von einem der Verschwörer Verrat vorgeworfen wird. Ezio muss hilflos mit ansehen, wie sein Vater und seine zwei Brüder schon am Morgen nach ihrer Festnahme auf der Piazza della Signoria erhängt werden. Er selbst kann nur mit Mühe den Wachen entkommen. Unter Schock folgt er den letzten Worten seines Vaters und findet hinter einer Geheimtür in dessen Studierstube verschlüsselte Dokumente und die weiße Rüstung der Assassinen, einer jahrhunderte-alten Sekte, die aus dem Verborgenen heraus agiert und schon viele Despoten – von Königin Kleopatra bis Alexander dem Großen – vom Leben zum Tode befördert haben soll. Ezio flüchtet zusammen mit seiner Mutter und seiner Schwester in die toskanische Stadt Monteriggioni und findet Unterschlupf bei seinem Onkel Mario. Von dort aus startet Ezio einen blutigen Rachefeldzug gegen die Pazzis und ihre Verbündeten, der ihn quer durch Italien und schließlich auf die Spur der Templer führt, der Erzfeinde der Assassinen. Schon bald merkt er, dass weit mehr auf dem Spiel steht als das Wohl seiner Familie oder das der Bürger von Florenz.

Das Spiel im Spiel

So könnte man die ersten Stunden von „Assassin’s Creed 2“ treffend beschreiben – doch Patrice Désilets, der Creative Director des Spiels, würde dem widersprechen. „Nein“, würde er sagen, „mein Game dreht sich nicht um Ezio Auditore, sondern um Desmond Miles, einen Barkeeper aus der Provence des Jahres 2012.“ Und auch er hätte recht. Denn wie bereits im Spiel um den Assassinen Altaïr erlebt der Spieler auch die Abenteuer Ezios durch Desmonds Bewusstsein. Ezio ist ein Vorfahr Desmonds, in dessen DNS seine Erinnerungen gespeichert sind und durch ein Computerprogramm namens Animus aktiviert werden. Und gewisse Organisationen – unter anderem eine zukünftige Version des Templerordens – haben großes Interesse an Desmonds Erinnerungsvermögen, da irgendwo darin der Schlüs-sel zur Kontrolle der Massen verborgen liegt. Obwohl diese Rahmenhandlung nur einen Bruchteil von „Assassin’s Creed 2“ einnimmt, ist sie für Patrice Désilets sehr wichtig – wenn auch aus pragmatischen Gründen: „Assas-sin’s Creed war von vornherein als Marke konzipiert“, sagt der Frankokanadier. „Durch den Kniff mit Desmond können wir jede Epoche zum Hintergrund eines unserer Spiele machen. Uns sind keinerlei Grenzen gesetzt. Außerdem wollte ich ein Spiel entwickeln, das in längst vergangenen Zeiten spielt und dennoch Leute anspricht, die sich ein iPhone kaufen, weil es so schick aussieht.“ Dabei war ein Schwachpunkt des ersten Teils gerade der Kontrast zwischen der altertümlichen Spielwelt und den futuristischen Menüs und anderen Zeichen, die darauf hindeuteten, dass alles nur eine computergestützte Erinnerung ist. Zu sehr wurde die Illusion, wirklich im Mittelalter unterwegs zu sein, gestört von in der Luft tanzenden DNS-Strängen oder hellen Lichtsäulen, die ein Missionsziel kennzeichneten. Derartige Elemente finden sich in etwas subtilerer Form auch in „Assassin’s Creed 2“ wieder. Und Désilets hat dafür auch eine gute Begründung parat: „Der Spieler wird bei fast allen Games aus dem Spielfluss herausgerissen, wenn er eine Punktanzeige, eine Karte oder Ähnliches auf dem Bildschirm sieht“, sagt er. „So etwas ist aber leider nötig. In ‚Assassin’s Creed’ verweisen diese Elemente immerhin nicht darauf, dass man gerade spielt – und damit auf unsere eigene Realität – sondern auf die fiktive Welt von Desmond Miles.“ Wir spielen also Ezio und Altaïr durch Desmond. Ein Spieltod ist nur eine Erinnerungslücke, und das künstliche Glühen eines Hebels, der umgelegt werden will, ein Hinweis der Software. Das ist überaus raffiniert – ändert aber leider gar nichts daran, dass wir uns ärgern, wenn wir in einem überzeugend nachgebauten virtuellen Venedig um die Ecke biegen und plötzlich gegen eine weiße Wand laufen, die das Ende eines Erinnerungsfragments und damit eines begehbaren Spielareals markiert.

„GTA: Italia“

So wichtig das Schicksal von Desmond Miles und die Science-Fiction-Elemente des Spiels für das Gesamtkonzept „Assassin’s Creed“ auch sein mögen, so wenig Einfluss hat beides auf das Spielerlebnis. Desmond verblasst neben dem von Rachsucht getriebenen und dennoch gutherzigen Ezio. Das Spiel selbst ist im Vergleich zum ersten Teil viel facettenreicher geraten: Bestanden die Missionen von Altaïr noch aus dem ewig gleichen Schema „Ausspionieren, umbringen, abhauen“, variieren die Aufgaben Ezios abhängig von der Entwicklung der Geschichte und dem Willen des Spielers. Zwar geht es auch Ezio zu Beginn schlicht darum, die Mörder seines Vaters und seiner Brüder ausfindig und kaltzumachen – doch schnell muss er lernen, dass der direkte Weg nicht immer zum Ziel führt: Hat er erst einmal jemanden getötet oder wurde denunziert, gilt er innerhalb der Stadtmauern als vogelfrei. Die Folge: Die zahlreichen Wachen, die in den Straßen patrouillieren, heften sich sofort an seine Fersen, wenn sie ihn erblicken. Hier kommen Ezio seine Kletterkünste zugute, die er zusammen mit seinem Bruder seit seiner Kindheit trainiert hat. Um den Wachen aus dem Weg zu gehen, nimmt er einfach die Abkürzungen über die Ziegeldächer, Baugerüste und Kirchenkuppeln der Stadt. Schneller und geschickter noch als Altaïr lassen wir ihn an Fassaden emporklettern, von Haus zu Haus springen und über morsche Holzplanken balancieren. Auf den Türmen positionierte Bogenschützen schaltet Ezio aus, indem er sich an sie heranschleicht und mit einem aus dem Handgelenk hervorschnellenden Dolch – einer Spezialanfertigung Leonardo da Vincis – zur Ader lässt. Hat er hingegen eines seiner Opfer aus der Vogelperspektive erspäht, stürzt er sich wie ein Falke auf den Todgeweihten hinab. Nach vollbrachter Tat ist freilich die Hölle los: Schwer bewaffnete Soldaten stürmen von allen Seiten heran, und die Bürgerinnen und Bürger der Stadt laufen aufgescheucht durcheinander. In solchen Momenten hat Ezio die Wahl: Soll er sich der zahlenmäßig überlegenen Angreifer mit Dolch oder Schwert erwehren und seine mit Onkel Mario trainierten Nahkampfkünste auf die Probe stellen oder doch lieber davonlaufen? Obwohl auch das Kampfsystem gegenüber dem ersten Teil verbessert wurde und Ezio mehr Comboattacken und Countermoves parat hat als Altaïr, ist die zweite Variante häufig die klügere – und spaßigere. Denn gerade auf der Flucht erinnert „Assassin’s Creed 2“ nicht selten an „Grand Theft Auto“, und das nicht nur wegen der ausufernden Spielwelt, in der sich Ezio frei bewegen kann: Wie in den „GTA“-Spielen müssen wir versuchen, Ezio aus dem Sichtfeld seiner Verfolger entkommen zu lassen. Anstatt auf einem Highway an Autos vorbeizuschrammen, während hinter uns die Sirenen heulen, stolpern wir mit Ezio im Slalom durch die verschlungenen, dicht bevölkerten Straßen von Florenz oder Venedig, rennen Passanten um oder werden von einem schaurig singenden Barden ausgebremst, der sich uns in den Weg stellt. Oft hilft am Ende nur der Sprung ins Wasser oder in einen Heuhaufen, um lange genug unentdeckt zu bleiben. Dass sich der Arbeitsalltag Ezios nicht nur im einsamen, blutigen Handwerk eines Assassinen erschöpft, liegt jedoch vor allem an seiner sozialen Ader. Für seine neu gewonnenen Freunde aus der Halb- und Unterwelt Italiens übernimmt er Botendienste und befreit Gefangene. Er kann einfach nicht ablehnen, wenn ihn eine Gruppe von Kurtisanen um Schutz vor gewaltsamen Übergriffen bittet oder die schöne Diebin Rosa schwer verwundet in seinen Armen landet und Hilfe einfordert. Im Gegenzug lernt Ezio, wie er in jeder beliebigen Menschenmenge untertaucht, eine Gruppe von Söldnern in den Kampf führt oder ein Ablenkungsmanöver initiiert, indem er eine Rauchbombe zündet oder einige Goldmünzen unters Volk wirft. In weiteren Nebenmissionen darf er sich zudem ganz dem Geist der Renaissance hingeben, kostbare Gemälde erwerben, durch Kirchen und Katakomben klettern und nach verschollenen Statuen, Siegeln und anderen Schätzen suchen. Lara Croft und ein persischer Prinz lassen grüßen. Die gewonnenen Reichtümer kann Ezio in bessere Rüstung und Waffen oder seine medizinische Grundversorgung investieren. Mittelfristig macht es sich jedoch bezahlt, dem Rat seines Onkels zu folgen und das Geld für die Renovierung seiner Heimatstadt Monteriggioni aufzuwenden. Es ist nicht nur schön anzusehen, wenn die heruntergekommene Stadt nach und nach wieder zum Leben erwacht – der angekurbelte Handel bringt auch Geld in Ezios Taschen. Somit erlernt er ganz nebenbei noch das Finanzhandwerk und tritt in die Fußstapfen seines ermordeten Vaters.

Geschichtsstunde

Auch der Spieler könnte mehr aus „Assassin’s Creed 2“ mitnehmen, als er es von anderen Action-Adventures gewohnt ist. Denn das Spiel ist ein Crashkurs in historischen Ereignissen – „Geschichte“ hat in „Assassin’s Creed 2“ eine doppelte Bedeutung. „Sich als Entwickler an historischen Begebenheiten zu orientieren macht die Sache viel einfacher“, sagt Patrice Désilets. „Man muss sich nicht alles selbst ausdenken. Als wir uns dafür entschieden hatten, die Pazzi-Verschwörung im Spiel zu behandeln, haben wir eine Historikerin gebeten, uns einen möglichst genauen Zeitablauf für den 26. April 1478 zu erstellen – für jenen Tag, an dem Giuliano de’ Medici erstochen und sein Bruder Lorenzo schwer verwundet wurde. Danach haben wir das Leveldesign um diesen Tag herum aufgebaut. Die Geschichte hat also unser Leveldesign übernommen.“ Und wirklich: Die Entwickler von Ubisoft Montreal haben das Italien des ausgehenden 15. Jahrhunderts mit viel Geschichts- und Ortskenntnis wieder aufleben lassen. Jeder, der schon einmal über den Markusplatz in Venedig oder durch die Altstadt von Florenz spaziert ist, wandelt in „Assassin’s Creed 2“ von einem Déjà-vu ins nächste. Von pompösen Palästen und Kathedralen bis zum einfachen Wohnhaus stimmt die Architektur mit den Geschichtsbüchern und den Bauwerken überein, die aus jener Zeit erhalten sind. Wir laufen in „Assassin’s Creed 2“ Menschen über den Weg, die tatsächlich Geschichte geschrieben haben. Wenn sich Ezio mit Politikern wie Lorenzo de’ Medici (1449-1492) und Niccolò Machiavelli (1469-1527) berät oder er mit einem tatendurstigen Leonardo da Vinci (1452-1519) eine Kutschfahrt über die Berge unternimmt, ist das natürlich reine Fiktion – aber die Vermischung von Spekulation und Weltgeschichte erzeugt eine ganz eigene Spannung. Denn, so die Logik des Spiels: Es könnte tatsächlich so gewesen sein. Alles in allem könnte Patrice Désilets also recht haben, wenn er behauptet, dass „Assassin’s Creed 2“ eher als Erlebnis denn als klassisches Videospiel zu sehen sei. Hinter dem rasanten und blutigen „GTA“-Klon mit Kletterpassagen und hunderten von Einzelmissionen steckt der Versuch, uns etwas mitzuteilen. „Ich finde, wenn ein Spieler so viel Zeit in ein Spiel investiert, sollte es einen Inhalt haben“, sagt er. „Vielleicht lernt er sogar etwas von ‚Assassin’s Creed 2‘.“ Zum Beispiel, wie eng Skrupellosigkeit und politischer Erfolg miteinander verknüpft sind. Wie schön es in der Toskana wirklich ist. Oder aus welchen Zutaten sich das Rezept für ein rundum gelungenes Videospiel zusammensetzt. Fazit: Die Kanadier haben aus den Fehlern des Vorgängers gelernt und präsentieren uns mit „Assassin’s Creed 2“ einen abwechslungsreichen, spielgewordenen Historienroman mit Science-Fiction-Einschüben. Für Freunde von: „Infamous“, „GTA: San Andreas“, „POP: The Sands Of Time“
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von Oliver Klatt / November 8th, 2009 / 1 Kommentar

1 Kommentar

  1. Dilla sagt:

    Leider leider das leidige Thema: DRM

    Ich hätte auch (oder erst recht) von GEE erwartet auf den höchst umstrittenen Kopierschutz bzw das DRM der PC Version von AC2 einzugehen. Auch wenn dieser mit dem Spiel selber an sich gar nichts zu tun hat, sollte auf diese problematische Themtik dennoch bei jedem seriösen Test des Spiels eingegangen werden, zumal auf dem GEE Cover steht „Dieses Actiondrama schreibt Geschichte“. Ja es schreibt Geschichte, ja es ist ein Drama, nur in einem anderen Sinne als euer Titel vermuten läßt.